Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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hör­te be­reits auf dem Bahn­hof von Ih­rer An­kunft«, sag­te der Ex­leut­nant der Straf­kom­pa­nie zu Wal­len­burg, Kind, »und so habe ich denn hier auf Sie ge­war­tet. Will­kom­men, Herr Ha­ge­bu­cher.«

      Der Schnei­der drück­te sich ge­gen die Mau­er des Hau­ses; aber Leon­hard sprach fins­ter:

      »Sie sind pünkt­lich wie der Teu­fel, wenn der Pakt ab­lief, Leut­nant. Wohl, wohl! Sei­en Sie auch mir will­kom­men; denn das muss ich ja doch wohl sa­gen, da die Höf­lich­keit es for­dert? Wo­mit kann ich Ih­nen die­nen, wer­den Sie in die­ser Nacht noch die Sturm­glo­cke an dem Hau­se Glim­mern läu­ten? Es hin­dert Sie nie­mand – vor­wärts, vor­wärts, las­sen Sie alle Ihre Hun­de los – frisch, pa­cken Sie sel­ber an; was Ih­nen nicht zu­ge­hört, das wer­den Sie uns schon las­sen müs­sen.«

      »Sie soll­ten nicht in die­ser Wei­se mit mir re­den, Herr Ha­ge­bu­cher«, sag­te der Leut­nant. »Sie vor al­len ha­ben kei­ne Ur­sa­che dazu.«

      »Nein, nein, Sie ha­ben recht, Herr. Sie hiel­ten Ihren Ver­trag, und wir wer­den den uns­ri­gen hal­ten; und nun, was ha­ben Sie mir in so spä­ter Stun­de noch mit­zu­tei­len? Wol­len Sie mit mir in mein Zim­mer hin­auf­stei­gen?«

      Der Alte schüt­tel­te den Kopf.

      »Das Atem­ho­len wird mir zwi­schen vier Wän­den seit ei­ni­ger Zeit im­mer un­be­que­mer; auch wer­de ich Sie nicht lan­ge auf­hal­ten. Las­sen Sie uns in der frei­en Luft blei­ben.«

      Leon­hard schob den Pa­scha in die Türe des Hau­ses und schloss sie hin­ter ihm; dann leg­te er sei­nen Arm in den des al­ten Man­nes und schritt mit ihm wei­ter durch die Kes­sel­stra­ße; doch schon nach ei­ner Vier­tel­stun­de kehr­te er zu­rück, stieg schwer­fäl­lig durch all die schla­fen­den Stock­wer­ke des Hau­ses zu sei­ner Woh­nung em­por, schleu­der­te den Hut zu Bo­den und lach­te bit­ter und zor­nig:

      »Also das war die Mei­nung?… Den Herrn van der Mook ver­langt er zu­rück von mir, um mit ihm das Trau­er­spiel zu Ende zu brin­gen! Gleich ei­nem Ga­lee­renskla­ven, wel­chem der Ket­ten­ge­fähr­te ab­han­den kam, ver­langt er nach die­sem Ge­nos­sen! Ho, die ei­ser­ne Ku­gel wird ihm al­lein zu schwer. Bei Gott, er soll ein Ende ma­chen, wie er kann; aber nie­mand soll ihm eine hel­fen­de Hand dazu lei­hen! Auge um Auge, Zahn um Zahn – er hat freie Bahn vor sich und ein löb­li­ches Ziel, was sucht er zur Sei­te, was blickt er sich um? Nichts, nichts hat er auf dem Wege, der zur Frau Klau­di­ne führt, zu su­chen; was küm­mert es die, wel­che die­sen Weg fan­den, ob das Mes­ser in sei­ner Hand zit­tert.«

      Er blick­te er­grimmt in dem Ge­mach um­her. Der Schnei­der hat­te ein Feu­er im Ofen an­ge­zün­det und die bren­nen­de Lam­pe auf den Tisch ge­stellt – zum ers­ten Mal seit sei­ner Er­lö­sung aus den Lehm­hüt­ten von Abu Tel­fan ach­te­te Leon­hard Ha­ge­bu­cher auf die schmut­zi­gen Wän­de, die nied­ri­ge De­cke sei­nes jet­zi­gen Auf­ent­halts­or­tes und ver­zog den Mund darob. Er fühl­te sich alt, durch­frös­telt, miss­lau­nig und voll Ver­lan­gen nach Licht, Ruhe und Rein­lich­keit. Ges­tern erst hat­te er Frau Klau­di­ne von neu­em Le­be­wohl ge­sagt, und heu­te schon ent­behr­te er sie tief und schmerz­voll und such­te krank­haft in al­len Win­keln sei­ner Phi­lo­so­phie und Er­fah­rung nach ei­nem Er­satz für ihre be­ru­hi­gen­de Ge­gen­wart und hohe, stil­le Weis­heit. Nur einen kur­z­en Au­gen­blick hat­te er an die­sem Abend in dem Stüb­chen Se­ren­as sei­ne ei­gent­li­che ver­wirr­te Exis­tenz ver­ges­sen dür­fen; aber kalt und rück­sichts­los griff der Leut­nant Kind in die Be­hag­lich­keit, und statt die­sel­be mit in den Schlaf zu neh­men, konn­te der Afri­ka­ner sich nur auf den Rand sei­nes Bet­tes set­zen, um den Ge­winn und Ver­lust der letz­ten Wo­chen gleich ei­nem or­dent­li­chen Haus­hal­ter in die be­tref­fen­den Schieb­la­den sei­nes Da­seins zu ver­tei­len.

      Es un­ter­lag kei­nem Zwei­fel, der alte Herr in Bums­dorf war tot und be­gra­ben, und der ver­lo­re­ne Sohn re­gier­te an sei­ner Stel­le. Der Vet­ter Was­ser­tre­ter hat­te ein vor­han­de­nes In­ven­ta­ri­um auf das ge­naues­te mit der Wirk­lich­keit ver­gli­chen und das Ver­mö­gen bis zum Stie­fel­knecht in der wun­der­bars­ten Ord­nung ge­fun­den, ohne sich zu wun­dern. In Nip­pen­burg wuss­te man schon längst, dass der Steue­rin­spek­tor Ha­ge­bu­cher als ein spar­sa­mer Mann, wel­cher das Rech­nen und die Land­wirt­schaft ver­stand, im Lau­fe der Jah­re ein Erkleck­li­ches zu­sam­men­ge­bracht habe, und be­dau­er­te nur, dass das »schö­ne Geld« nun­mehr in so nichts­nut­zi­ge Hän­de ge­ra­te. Das letz­te­re war der Vor­se­hung gren­zen­los gleich­gül­tig; sie hat­te Mut­ter und Schwes­ter des afri­ka­ni­schen Aben­teu­rers ganz warm ge­bor­gen; und wie­der ein­mal zeig­te es sich deut­lich, dass auch ein zu den Ho­no­ra­tio­ren von Nip­pen­burg ge­hö­ri­ger Mensch von der Büh­ne ab­tre­ten kann, ohne dass die Welt im ge­rings­ten da­durch aus dem Ge­lei­se kommt. Üb­ri­gens er­schi­en seit dem Tode von Ha­ge­bu­cher se­ni­or Ha­ge­bu­cher ju­ni­or doch in ei­nem viel güns­ti­ge­ren Lich­te vor den Au­gen Nip­pen­burgs, und es gab be­reits vie­le Leu­te, wel­che an­fin­gen, ihm den Är­ger, die Un­ru­he und Auf­re­gung, die er durch sein un­ver­mu­te­tes Wie­der­auf­tre­ten auf der Büh­ne über das Ge­mein­we­sen brach­te, zu ver­zei­hen, und schwa­che Ver­su­che mach­ten, ihn als einen, wenn auch »ei­gen­tüm­li­chen«, so doch ganz re­spek­ta­blen Mann in der öf­fent­li­chen Mei­nung zu he­ben. Das war un­serm Freund Leon­hard gren­zen­los gleich­gül­tig, und mit ei­ner kur­z­en Hand­be­we­gung ver­wies er von dem Ran­de sei­ner Bett­statt aus so­wohl das In­ven­tar wie die Glos­sen dar­über zur Ruhe.

      Die ver­schnei­te Müh­le im Tal! Sie be­rei­te­te dem Afri­ka­ner ein ganz an­de­res Kopf­zer­bre­chen als das ru­hig trau­ern­de Va­ter­haus. Wohl hat­ten es Mut­ter und Sohn jetzt ganz gut bei­ein­an­der, und wenn eine un­durch­dring­li­che Dor­nen­he­cke um die Müh­le em­por­ge­wach­sen wäre wie um den schla­fen­den Palast des Mär­chens, so wür­de nur ein sehr un­ver­stän­di­ger Mensch noch et­was an­de­res für die bei­den Leu­te in der Müh­le ha­ben wün­schen kön­nen. Aber wie lan­ge ließ sich das Ge­heim­nis in der Ver­bor­gen­heit hal­ten? Der Vet­ter Was­ser­tre­ter wuss­te dar­um, und er hat­te gute Wa­che ver­spro­chen; doch lie­ßen sich Nip­pen­burg, Bums­dorf und das Dorf Flie­gen­hau­sen aus­schlie­ßen – nur bis zum Schmel­zen des Schnees?

      Und wenn nun aus dem Ge­mur­mel ein Ge­schrei wur­de, wenn nun plötz­lich eine Stim­me der Frau Ni­ko­la von Glim­mern ins Ohr rie­fe: Die To­ten sind doch wie­der­ge­kom­men! –? Ihre Zuf­luchts­stät­te war der ar­men Ni­ko­la in der Kat­zen­müh­le be­rei­tet; aber konn­te sie mit die­sem Klang im Ohre da­hin flie­hen, muss­te sie nicht vor dem Na­men Vik­tor Feh­ley­sens in die ferns­te Fer­ne zu­rück­wei­chen?

      Nach kei­ner Sei­te ein Aus­weg! Die Luft man­gel­te dem Afri­ka­ner, er sprang in die Höhe, öff­ne­te das Fens­ter und beug­te sich weit hin­aus: »Der Feig­ling!« zisch­te er zwi­schen den Zäh­nen, und wun­der­li­cher­wei­se mein­te er mit dem Wor­te den Leut­nant Kind. Er ver­folg­te die Ge­stalt des Leut­nants durch die Nacht; er zuck­te mit den Hän­den, als hal­te er un­sicht­ba­re Fä­den dar­in, durch wel­che er den al­ten Mann nach sei­nem Wil­len lei­te. Er be­glei­te­te ihn von Gas­se zu Gas­se; Schritt vor Schritt stieß er ihn vor sich her, bis zu der Schwel­le je­nes Hau­ses, des­sen Schat­ten so dun­kel in all sein eu­ro­päi­sches Tun und Den­ken fiel. Er sah ihn – er sah ihn, wie er die Hand nach dem Mes­sing­griff der Tür­glo­cke aus­streck­te – er wür­de den schril­len, er­schre­cken­den Klang die­ser


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