Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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her­aus­ge­fun­den, dass ich nicht un­gern la­che und einen Nar­ren am rich­ti­gen Plat­ze wohl zu ta­xie­ren weiß. Was hat man auch sonst von dem lang­wei­li­gen ge­lehr­ten Le­ben? Ja, wir ha­ben uns bis jetzt so ziem­lich ver­tra­gen, und in An­be­tracht, dass die große Wä­sche wie­der ein­mal hin­ter mir liegt, hab ich den Pa­scha in Er­man­ge­lung sei­nes Herrn her­be­stellt, um mit ihm ein Schwatz­stünd­chen ab­zu­hal­ten. O Him­mel, was der Him­mel ei­gent­lich mit mir im Sinn hat, dass er mich so mir nichts, dir nichts mit­ten in die­se afri­ka­ni­sche und kop­ti­sche und in­dia­ni­sche Me­na­ge­rie setz­te, ist mir bis dato durch­aus nicht klar­ge­wor­den.«

      »Om!« hat­te der Pro­fes­sor ge­sagt, den Blick bei­der Au­gen auf die Spit­ze sei­ner Nase ge­rich­tet, und war in sei­nen Pan­tof­feln und sei­nem Kaftan wie­der in sein ei­ge­nes Reich hin­auf­ge­stie­gen. Er war sel­ten bei den Au­di­en­zen, die sein Töch­ter­lein er­teil­te, zu­ge­gen; und was den Pa­scha an­be­traf, so ach­te­te er ihn zwar als Men­schen, fühl­te sich je­doch in Hin­sicht auf Klar­heit der Wel­t­an­schau­ung merk­wür­di­ger­wei­se zu hoch über ihn er­ha­ben, um selbst nur ein Bruch­teil sei­ner kost­ba­ren Zeit für ihn üb­rig zu ha­ben.

      Om! – Mit blin­zeln­den Au­gen saß Täu­brich ganz vorn auf ei­nem Stuhl­ran­de, und in ei­nem Schau­kel­stuh­le ihm ge­gen­über lag, eben­falls mit blin­zeln­den Au­gen, die klei­ne In­qui­si­to­rin, mit den Fin­ger­spit­zen bei­der Hän­de einen al­ler­liebs­ten Kon­ter­tanz aus­füh­rend.

      »Also, Täu­brich, Sie sind gleich­falls über­zeugt, dass Ihr Herr und Meis­ter ne­ben sei­nem ge­die­ge­nen Ver­stan­de auch ein gol­de­nes Herz be­sit­ze?«

      »O Fräu­lein!« seufz­te der Schnei­der, »Fräu­lein, sei­nen Ver­stand ahne ich nur, den kann un­serei­ner nicht ta­xie­ren, aber sein Herz ken­ne ich auf bei­den Sei­ten wie je­den Rock, den ich je wen­de­te. Sein Herz ist auf bei­den Sei­ten echt; denn wie­so soll­te er sich sonst grad mit mir ab­ge­ben, der auf dem Schub un­ter den ver­stän­di­gen Leu­ten wie­der­an­kam und heut noch nicht weiß, wie’s zu­ging? Ich weiß wohl, was ich bin, und ich weiß, was er ist. Dass es bei mir nicht ganz so ist, wie es von Rechts we­gen sein soll­te, hat mir schon mehr als ei­ner ge­sagt, aber er nie­mals. Bin ich ein Spiel­zeug? Bin ich ein ar­mer blö­der Ku­jon, der zu nichts taugt, als dass man sei­nen Witz dran aus­las­se? Die gan­ze Welt und Nach­bar­schaft sagt es, aber er nicht! Ich glau­be, ich tue ihm leid und er be­dau­ert mich, was zwar nicht nö­tig ist, mich aber doch recht freut. Doch zu an­de­ren Zei­ten den­ke ich wie­der, das ist’s nicht al­lein; aus bloßem Mit­leid hält er nicht zu dir, Täu­brich, son­dern es ist auch we­gen der Ka­me­rad­schaft im Le­ben, dass er sich zu dir setzt am Abend oder mit­ten in der Nacht und zu dir wie zu ei­nem ver­nünf­ti­gen Men­schen und sei­nes­glei­chen re­det und dir sein gan­zes gu­tes und wei­ses Herz aus­schüt­tet.«

      »So? Tut er das, Täu­brich?« frag­te das Fräu­lein. »Das ist ja sehr merk­wür­dig und recht brav von ihm. Wenn Ih­nen der Kaf­fee noch nicht süß ge­nug ist, so steht die Zucker­do­se ne­ben Ih­nen links von Ihrem El­len­bo­gen. Also er schüt­tet Ih­nen sein gan­zes gu­tes und wei­ses Herz aus? Und Sie ver­ste­hen, was er spricht?«

      »Durchaus nicht!« sprach der Pa­scha mit großem Nach­druck. »Manch­mal ist’s mir wohl, als sähe ich durch einen Riss in mei­nem blau­en Ne­bel in das freie Land; aber es hält nicht an. Ich kann eben nicht los­kom­men von Da­mas­kus und Je­ru­sa­lem, das ist die Fa­ta­li­tät; aber es hat nichts auf sich: wenn nur ei­ner recht weiß, was er will, so ist’s ge­nug für zwei.«

      »O Täu­brich!« seufz­te tief nach­denk­lich das Fräu­lein, hät­te aber eben­so gut: O Fer­di­nand! oder et­was Der­ar­ti­ges seuf­zen dür­fen.

      »Ja, se­hen Sie, Fräu­lein, ich bin, so­zu­sa­gen, mein gan­zes Le­ben hin­durch eine arme Wai­se ge­we­sen, und ein Schnei­der ist dann schon an und für sich kein We­sen, wel­ches der Mensch­heit im­po­niert, wenn es nicht mit ei­ner recht lan­gen Rech­nung kommt. Und ich hab’s nur bis zum Schnei­der­ge­sel­len ge­bracht, denn ich hat­te Trie­be zum Hö­hern, und so bin ich nach dem himm­li­schen Ori­ent, nach Je­ru­sa­lem und weit durch die Wüs­te bis tief in die Pal­men­län­der ge­kom­men, wie mein Herr Ha­ge­bu­cher ins In­ners­te von Afri­ka. Und dann bin ich auf ein­mal hier wie­der im Land und vor mei­ner Mut­ter Tür ge­we­sen, die Leu­te sa­gen: auf dem Schub, mir aber ist es wie eine Zau­be­rei, und da­von bin ich nie wie­der zu­recht­ge­wor­den, son­dern bin im Traum ge­blie­ben und werd auch wohl drin blei­ben. Die Leu­te sa­gen nun, grad vor der Tür des Nar­ren­hau­ses sei ich ab­ge­setzt wor­den, und die meis­ten von ih­nen mö­gen auch wohl das Recht dazu ha­ben, aber nicht alle. Und was mich sel­ber an­geht, so den­ke ich oft, auf ei­nem sehr ho­hen Berg habe der Vo­gel Greif mich nie­der­ge­setzt; denn wie hät­te sonst der Herr Ha­ge­bu­cher mich auf­fin­den und Brü­der­schaft mit mir ma­chen kön­nen? Der Herr Leut­nant Kind wun­dert sich auch gar nicht drü­ber, und das ist mir ein Trost bei die­ser Be­kannt­schaft!«

      »Kind? Kind? Wer ist denn nur die­ser Leut­nant Kind?« frag­te Se­re­na.

      »Der ist, wie ich eben schon sag­te, eben­falls eine Be­kannt­schaft von mir, aber kei­ne aus dem Pal­men­lan­de und von mei­nem Berg­gip­fel, son­dern eine ganz na­gel­neue und gar nicht an­ge­neh­me.«

      »Sie ha­ben in der Tat sehr vie­le Be­kannt­schaf­ten, Täu­brich!«

      »Das habe ich. Jen­seits und dies­seits des Mit­tel­län­di­schen Mee­res, dies­seits und jen­seits der Wol­ken. Ach, Fräu­lein, Sie sit­zen hier in ei­nem hüb­schen Stüb­chen, und un­serei­nem aus der Kes­sel­stra­ße ist’s wie eine neue Welt, dass die Son­ne selbst im Win­ter durch so grü­nes Ge­büsch und sol­che Blu­men schei­nen kann. Es ist auch her­zig so und soll so blei­ben, und es wäre sehr schlimm, wenn Sie je mehr von der bö­sen Welt und den Be­kannt­schaf­ten, wel­che man drin ma­chen muss, wis­sen soll­ten als Ihr Zei­sig dor­ten in sei­nem bun­ten Kä­fig. Hier sit­ze auch ich ge­bor­gen, und mei­ne Au­gen sind heu­te klar ge­nug; wenn ich aber in ei­ni­gen Mi­nu­ten oder nach ei­ner Stun­de Ihre lie­be Tür wie­der hin­ter mir zu­ge­zo­gen habe, dann ist das eine an­de­re Sa­che. Gott be­hü­te Ihre kla­ren Au­gen, Fräu­lein; denn für je­des, was ei­nem von sei­ner Ent­ste­hung an be­kannt ist, gibt es zwan­zi­ger­lei um uns her, was uns ein grö­ße­res Ge­heim­nis bleibt als die Er­schaf­fung des Uni­ver­sums; und es ist kei­nem La­chen und kei­nem Wei­nen, kei­ner of­fe­nen Hand und kei­ner ge­ball­ten Hand zu trau­en. Wenn Sie an den Häu­sern hin­ge­hen, Fräu­lein, so wis­sen Sie nicht, was hin­ter den Fens­tern pas­siert, und wenn Sie auch ein­mal einen Blick in ei­nes hin­ein­wer­fen, so gibt es doch Hin­ter­stüb­chen und Kam­mern ge­nug, in wel­che man Sie ge­wiss nicht gu­cken lässt; aber es scha­det auch nichts, Sie sit­zen gut hier in Ihrem hel­len Stüb­chen. Blei­ben Sie sit­zen, so­lan­ge Sie dür­fen! Wenn Sie ein­mal drau­ßen sind, ha­ben Sie kei­ne an­de­re Wahl als zwi­schen mei­nen Pal­men oder de­nen des Herrn Leon­hard oder dem Toll­hau­se – so ist es! Und der Herr Pro­fes­sor, mein grund­gü­ti­ger Gön­ner oben in sei­ner Stu­dier­stu­be, zwi­schen sei­nen Hie­ro­gly­phen und Py­ra­mi­den und Obe­lis­ken, weiß es eben­falls; doch Sie brau­chen ihn nicht in mei­nem Na­men da­nach zu fra­gen, denn auf mei­ne Weis­heit hält er nichts.«

      »Aber der Herr Leut­nant Kind hält wohl et­was auf Ihre Weis­heit, Täu­brich? Un­ge­fähr so, wie der Herr Ha­ge­bu­cher et­was drauf hält?«

      »Doch nicht, mein Fräu­lein! Se­hen Sie, der Leut­nant, der kommt aus ei­nem ganz an­de­ren Lan­de als


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