Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Ach­tung gibt, so kann das einen viel wei­ter über die nächs­ten blau­en Ber­ge hin­aus­füh­ren, als man im An­fan­ge für mög­lich hielt. Ich weiß recht gut, wo­hin es mich und den Herrn Leon­hard ge­führt hat; aber dar­über zer­bre­che ich mir wirk­lich den Kopf, wo es Sie, mein Fräu­lein, nie­der­set­zen könn­te.«

      »Es wäre ge­wiss recht freund­lich von Ih­nen, wenn Sie es aus­fin­dig mach­ten; ich wür­de Ih­nen sehr dank­bar sein. Ich sel­ber habe tief dar­über nach­ge­dacht, al­lein ich glau­be, ich hät­te mich der­wei­len doch nütz­li­cher be­schäf­ti­gen kön­nen.«

      Der Pa­scha sah grad­aus, wie in je­nen Mo­men­ten, in wel­chen er sich sonst am al­ler­we­nigs­ten mit den An­ge­le­gen­hei­ten der al­ten Jung­fer Eu­ro­pa be­schäf­tig­te. Sei­ne Au­gen er­starr­ten in der be­kann­ten hell­blau­en Wäs­se­rig­keit, und er mur­mel­te:

      »Zum Bei­spiel, da ist das schö­ne Fräu­lein Ni­ko­la von Ein­stein, wel­ches den Herrn Baron von Glim­mern hei­ra­ten muss­te, die fuhr auf den Wol­ken, und die Leu­te stan­den in den Gas­sen und deu­te­ten auf die Pflas­ter­stei­ne, ver­zo­gen die Mäu­ler und wuss­ten ge­nau, wo die Stirn der Frau lie­gen wer­de. Ach, Fräu­lein –«

      »Täu­brich«, flüs­ter­te Se­re­na Rei­hen­schla­ger, »Täu­brich, jetzt sind wir wie­der an der Stel­le, wo wir vor­hin ab­schweif­ten. Und wir sind un­ter uns, er­zäh­len Sie mir von Ihren Träu­men. Ich schwat­ze ganz ge­wiss nicht aus der Schu­le; aber ich möch­te gar zu gern wis­sen, was der Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher mit die­sem merk­wür­di­gen Fräu­lein von Ein­stein in Bums­dorf ge­trie­ben hat. Sie such­ten und pflück­ten Mai­blu­men und Veil­chen mit­ein­an­der, sie führ­ten wei­ße Lämm­chen an ei­nem ro­sa­ro­ten Sei­den­ban­de auf der Wie­se spa­zie­ren; das Fräu­lein ritt auf ei­nem schnee­wei­ßen Pfer­de, wel­ches Pro­spe­ro hieß, und der Herr Ha­ge­bu­cher lief atem­los ne­ben­her. Dann ist dort noch eine ge­heim­nis­vol­le Dame, eine Ein­sied­le­rin in ei­ner al­ten, ver­fal­le­nen Müh­le, und al­les das hat man so nahe vor der Nase, dass man es mit der Hand grei­fen könn­te, und nichts weiß man da­von, also spre­chen Sie, mein sanf­ter Täu­brich, mein al­ler­sü­ßes­ter Täu­brich-Pa­scha: Was wis­sen Sie von all die­sen Mys­te­ri­en, wel­che der Herr Ha­ge­bu­cher von Rechts we­gen uns zu­erst hät­te auf­lö­sen sol­len?«

      »Still, still, Fräu­lein«, flüs­ter­te der Pa­scha. »Las­sen Sie die Mai­blu­men und Veil­chen, die Läm­mer und die grü­nen Wie­sen! Ich sehe ein Haus, hier in die­ser Stadt, und Sie ken­nen es eben­falls, Fräu­lein Rei­hen­schla­ger. Eine schwe­re, gro­be Faust schlägt nie­der – ich sehe hohe Spie­gel in gol­de­nen Rah­men zer­split­tern und Kron­leuch­ter er­lö­schen. Ich höre Stim­men und hin­ter mir ein höh­ni­sches La­chen – eine Stim­me ist wie ein Schrei der De­s­pe­ra­ti­on, und eine Stim­me ist wie ein Fluch. Ich den­ke mich auf die vier­te Ga­le­rie im Thea­ter und in den fünf­ten Akt von Wal­len­steins Tod. Das hat der Schil­ler gut ge­macht mit dem Leich­nam, der, in einen Tep­pich ge­wi­ckelt, hin­ten vor­bei­ge­tra­gen wird, und man braucht grad kein Schnei­der zu sein, um das durch alle Glie­der zu füh­len. Das macht einen Ein­druck, mein Fräu­lein, und eben­so wie vor­her, wo man die Tür in der Fer­ne ein­schla­gen hört, und –«

      Das Fräu­lein schrie gell auf, und der Schnei­der hielt sich mit bei­den Hän­den an sei­nem Sit­ze – es hat­te in die­sem Au­gen­bli­cke je­mand zwar nicht die Tür ein­ge­schla­gen, wie De­ver­oux und Mac­do­nald, aber ver­nehm­lich an­ge­klopft und klopf­te jetzt, da kei­ne der Plau­der­ta­schen im­stan­de war, He­rein zu ru­fen, von neu­em und noch ver­nehm­li­cher.

      »Ach, du liebs­ter Gott, her–ein!« ächz­te Se­re­na, wäh­rend der Pa­scha bol­zen­ge­ra­de sich jetzt an die Wand drück­te; und in die lei­se ge­öff­ne­te Pfor­te blick­te freund­lich lä­chelnd Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher und frag­te höf­lich:

      »Darf man ein­tre­ten, Fräu­lein Rei­hen­schla­ger?«

      »Alle gu­ten Geis­ter! Muss Er denn ei­nem im­mer in die Que­re kom­men?« rief Se­re­na zwar la­chend, aber doch ziem­lich är­ger­lich.

      »Und da ist ja auch mein Täu­brich! Und der Papa sitzt je­den­falls dro­ben tief in der Ar­beit und gräbt und wühlt im Schwei­ße sei­nes An­ge­sichts nach Wur­zel­wör­tern. Al­les steht und hängt und liegt am rich­ti­gen Fle­cke, und drau­ßen vor der Haus­tür saß so­eben ein nichts­nut­zi­ger, zer­zaus­ter schwar­zer Ko­bold und schluchz­te grim­mig und hielt sei­nen Kopf mit bei­den Fäus­ten, und im Hau­se auf der Trep­pe be­geg­ne­ten mir zwei Wich­tel­männ­chen mit auf­ge­streif­ten Är­meln und sag­ten: Dem Lum­pen ha­ben wir sein Teil ge­ge­ben und ihn hin­aus­ge­wor­fen mit all sei­nen Spinn­ge­we­ben, zer­bro­che­nen Töp­fen und sons­ti­gem wi­der­li­chen Plun­der, es hat aber Mühe ge­kos­tet! – Es ist ein Ver­gnü­gen, Fräu­lein Se­re­na, in so kal­ter Zeit heim­zu­kom­men und sich an ei­nem so war­men Ofen die Hän­de wär­men zu dür­fen.«

      »Schü­ren Sie nach, Täu­brich, und dann kön­nen Sie dem Papa mel­den, sein Herr Ha­ge­bu­cher sei wie­der da und es habe sich we­nig an ihm ver­än­dert!« lach­te Se­re­na, und Täu­brich-Pa­scha, der in die­sem Au­gen­blick eben­so gut Gän­se­rich-Pa­scha hät­te hei­ßen mö­gen, denn er stand bald auf dem einen, bald auf dem an­de­ren Bei­ne, schoss aus der Tür und fuhr die Trep­pe hin­auf. Dann wur­de dro­ben ein schwe­rer Stuhl mit dump­fem Geräusch zu­rück­ge­scho­ben, und es er­folg­te ein Ge­pol­ter, als stürz­ten sämt­li­che fünf­und­vier­zig Fo­li­an­ten des The­sau­rus an­ti­qui­ta­tum von der Bü­cher­lei­ter und sämt­li­che Her­aus­ge­ber vom großen Meis­ter Pe­ter van der Aa bis auf die Dok­to­ren Grävi­us und Gro­no­vi­us ih­nen nach. Jetzt pol­ter­te es fast noch är­ger auf der Trep­pe, und nun stürz­te der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger in das Ge­mach sei­ner Toch­ter und pack­te mit bei­den dür­ren Hän­den den afri­ka­ni­schen Haus­freund am Hal­se:

      »Sal­ve! Sal­ve! Hab ich doch den gan­zen Tag ein Zie­hen um das Zwerch­fell her ver­spürt; aber ich schob’s auf das Wet­ter. Gott­lob, dass Sie wie­der da sind, Leon­hard; ich ste­cke fest in den Dia­lek­ten des Su­dan und be­kom­me das Fie­ber, wenn ich an die So­ma­li­spra­che nur den­ke. Von dem Mäd­chen dort will ich nicht re­den, da ich, of­fen ge­stan­den, we­nig auf es ge­ach­tet habe; aber der Täu­brich ist wäh­rend der gan­zen Zeit Ih­rer Ab­we­sen­heit un­zu­rech­nungs­fä­hi­ger als je ge­we­sen. Es war nicht hübsch von Ih­nen, Ha­ge­bu­cher, uns fast ohne jede Benach­rich­ti­gung zu ver­schwin­den und die hohe, die ein­zi­ge Wis­sen­schaft gleich ei­nem Früh­stück im Stich zu las­sen. Na, kom­men Sie jetzt nur mit mir auf mei­ne Stu­be; ich habe Ih­nen man­cher­lei zu zei­gen und mit­zu­tei­len, was Sie höch­lichst in­ter­es­sie­ren wird.«

      »Bra­vo, Papa! So ist es recht, nur zu!« rief Se­re­na. »Der Herr kommt wie ein Eis­zap­fen von der Ei­sen­bahn und bringt eine Käl­te mit sich, die er un­ter dem Äqua­tor für Geld se­hen las­sen könn­te. Dazu hat er da­heim sei­nen ar­men Va­ter be­gra­ben und sei­ne Mut­ter und Schwes­ter in Trä­nen zu­rück­ge­las­sen, und du emp­fängst ihn mit dei­ner Gram­ma­tik und So­ma­li­spra­che und dei­nen Su­dan­dia­lek­ten, als ob es nichts Wei­te­res und nichts Brei­te­res für ihn in der Welt gebe, als dir die Vo­ka­beln auf­zu­schla­gen. O Papa, in mei­nem gan­zen Le­ben hab ich nicht einen sol­chen Egois­ten ge­fun­den wie dich.«

      »Das


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