Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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mö­gen wir uns dann gu­ten Mu­tes von neu­em ein­schif­fen, um das hohe Meer der Wis­sen­schaf­ten zu be­fah­ren.«

      »Du bist un­ver­bes­ser­lich, Papa«, sag­te Se­re­na; Leon­hard Ha­ge­bu­cher drück­te aber doch dem Pro­fes­sor die Hand, und dann drück­te er dem Fräu­lein die Hand, und der Pa­scha ging auch nicht leer aus. Und des Pro­fes­sors Abend­pro­gramm wur­de glei­cher­wei­se aus­ge­führt, da es den Um­stän­den voll­kom­men Rech­nung trug und man dem Be­ha­gen wie der Weh­mut ihr Recht da­bei auf die be­quem­lichs­te Wei­se zu­kom­men las­sen konn­te.

      Die wei­ßen Fens­ter­vor­hän­ge zog Se­re­na mit ei­ge­ner zier­li­cher Hand zu, die bron­ze­ne In­dia­ne­rin, wel­che das abend­li­che Licht des Hau­ses Rei­hen­schla­ger in matt­ge­schlif­fe­ner Glas­ku­gel trug, setz­te Täu­brich auf den Tisch, die Tee­ma­schi­ne fing an zu sin­gen, und der Pro­fes­sor fing an zu sum­men, und Ha­ge­bu­cher fing an zu er­zäh­len von Nip­pen­burg und Bums­dorf, von der Mut­ter und der klei­nen trau­ri­gen Schwes­ter, von dem to­ten Va­ter und dem le­ben­di­gen Vet­ter Was­ser­tre­ter, aber nicht von der Kat­zen­müh­le, der Frau Klau­di­ne und dem Herrn van der Mook. Und Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger war sehr teil­neh­mend und hat­te man­che nach­denk­li­che Fra­ge zu stel­len; der Pro­fes­sor ver­such­te zwar, wie das nicht an­ders sein konn­te, ei­ni­ge Male die Un­ter­hal­tung doch noch in das Kop­ti­sche hin­über­zu­lei­ten, sah aber je­des Mal das Un­pas­sen­de und das Nutz­lo­se die­ser Ver­su­che ein und bat fast noch eher um Ent­schul­di­gung, als ihn das Töch­ter­lein durch ihr Ach­sel­zu­cken und Lip­pen­spit­zen dar­an er­in­ner­te.

      Es gab so viel zu be­den­ken und zu be­spre­chen, ohne dass man nö­tig hat­te, auf die ver­glei­chen­de Sprach­wis­sen­schaft im All­ge­mei­nen und das ägyp­ti­sche Le­xi­kon im be­son­dern zu­rück­zu­grei­fen. Der Herr van der Mook war bis jetzt noch höchst über­flüs­sig an dem Tee­tisch des Hau­ses Rei­hen­schla­ger, und dass in der Re­si­denz wäh­rend der Ab­we­sen­heit Leon­hards nicht das min­des­te vor­ge­fal­len war, was als Neu­ig­keit gel­ten konn­te, tat der Un­ter­hal­tung kei­nen Ab­bruch. Hier war jene Vor­le­sung im Saa­le der Har­mo­nie, wel­che so dis­har­mo­nisch ge­en­det hat­te, ein un­er­schöpf­li­ches The­ma, wel­ches in je­der an­de­ren Be­leuch­tung an­ders spiel­te und über wel­ches so­gar der Pro­fes­sor man­ches zu sa­gen hat­te, was zur Sa­che ge­rech­net wer­den konn­te. Was aber war nach den Er­leb­nis­sen der jüngs­ten Tage die­se Vor­le­sung dem Afri­ka­ner an­ders als ein be­hag­li­cher Stoff zu ei­nem be­hag­li­chen Ge­plau­der.

      So­gar die dunkle Ge­stalt des Leut­nants Kind wag­te sich erst dann her­vor, als es elf Uhr schlug, man Ab­schied von­ein­an­der nahm und Leon­hard den Pa­scha zum Heim­weg nach der Kes­sel­stra­ße aus der Kü­che des Hau­ses Rei­hen­schla­ger ab­hol­te. –

      »Das ist ein lie­ber, ein sehr an­ge­neh­mer und ge­schei­ter Mensch! Und dass er kaum eine Ah­nung von sei­ner Be­deu­tung für die Wis­sen­schaft hat, könn­te ihn mir noch wer­ter ma­chen, wenn sol­ches mög­lich wäre. Ich wer­de noch ein­mal so gut schla­fen in dem Be­wusst­sein, dass er wie­der im Lan­de ist. Gute Nacht, Se­re­na.«

      »Gute Nacht, Papa!« sag­te das Töch­ter­lein, aber ohne den Kopf nach dem al­ten Herrn hin­zu­wen­den. Sie blieb noch eine ge­rau­me Zeit vor dem Ti­sche sit­zen und stütz­te die fei­ne Stirn mit bei­den Hän­den. Eine un­ver­kenn­ba­re Ähn­lich­keit mit dem Papa in den Stun­den, wo er am tiefs­ten in die ver­glei­chen­de Sprach­wis­sen­schaft ver­sun­ken war, trat auf dem hüb­schen Ge­sich­te her­vor. Auch Se­re­na Rei­hen­schla­ger ver­glich al­ler­lei, und zwar sehr gründ­lich, stak je­doch nicht we­ni­ger fest dar­in wie der vor­treff­li­che Ge­lehr­te in den Su­dan­dia­lek­ten und der So­ma­li­spra­che.

      »Es ist doch zu arg!« rief das Fräu­lein halb er­bost, halb wei­ner­lich; aber in dem­sel­ben Mo­ment hob sie lau­schend den Kopf. Mit­ter­nacht schlug es, und kaum war der letz­te Schlag der Glo­cke ver­hallt, so sand­te je­ner nach Süd­west ab­ge­hen­de Ei­sen­bahn­zug vom Bahn­hof sei­nen schril­len Ab­schieds­gruß her­über. Ein lei­ses, aber im­mer noch schmol­len­des Lä­cheln über­flog das Ge­sicht des Fräu­leins, und dann sag­te sie ernst­lich ent­schlos­sen:

      »Jetzt weiß ich, was ich tue; ich gehe auch zu Bett und küm­me­re mich um nichts!«

      So tat sie; aber als sie das Kopf­kis­sen zu­recht­rück­te und die De­cke um sich her fest­zog, mur­mel­te sie, schon halb im Schlaf, zwi­schen ei­nem Gäh­nen und ei­nem Er­rö­ten:

      »Ei­ner­lei! Wis­sen möcht ich wohl, was der Täu­brich-Pa­scha dem an­de­ren Nar­ren heu­te in der Nacht von mir er­zählt und was der an­de­re dar­auf zu er­wi­dern hat!« – Wir, die wir auch jene bei­den auf ih­rem Wege nach der Kes­sel­stra­ße be­glei­te­ten, wis­sen es und sind nicht be­rech­tigt, der Nach­welt die­se merk­wür­di­ge Kon­ver­sa­ti­on vor­zuent­hal­ten.

      »O Herr, das sind ein paar lie­be Au­gen!« sprach der Schnei­der, zum Be­schluss ei­nes lan­gen Selbst­ge­sprä­ches das Wort an sei­nen Beglei­ter rich­tend, und Ha­ge­bu­cher sag­te:

      »Ja!«

      »Ein Blitz von ei­nem Fo­rel­len­bach durch den schöns­ten grü­nen Wald! Und wenn sie ih­ren Mund auf­tut und spricht mit ei­nem Grüb­chen rechts, ei­nem Grüb­chen links und ei­nem Grüb­chen im Kinn: Herr Täu­brich, ich freue mich, Sie so wohl zu se­hen, so ist das grad wie – als – als ob –«

      »Spart Euch den Ver­gleich, Gast­freund. Was nützt es, sich der­ge­stalt ab­zu­quä­len. Lass den Quell rau­schen und hal­te den Mund.«

      »O Herr, im Ka­ra­wan­se­rei zu Jaf­fa hör­te ich ein­mal einen Mär­chen­er­zäh­ler, der mein­te, zu ei­ner gu­ten Mu­sik ge­hör­ten vier In­stru­men­te, Gei­ge, Lau­te, eine Zither und eine Har­fe, zu ei­nem rech­ten Blu­men­strauß ge­hör­ten vie­rer­lei Blu­men, Ro­sen, Myr­ten, Lev­ko­jen und Li­li­en und zu ei­nem rech­ten Le­ben Wein, Geld, Ju­gend und Lie­be. Ich aber mei­ne, mit die­sen bei­den Au­gen hät­te man alle Mu­sik, alle Blu­men und al­les, was zu ei­nem fröh­li­chen Le­ben ge­hört, zu­sam­men und brauch­te sich um das üb­ri­ge nicht wei­ter zu küm­mern.«

      »Al­les Berau­schen­de ist ver­bo­ten!« seufz­te Ha­ge­bu­cher.

      »Das ist auch mei­ne An­sicht, in­des­sen ha­ben wir doch viel von Ih­nen ge­spro­chen, Herr Leon­hard –«

      »Bis­mil­lah, was hat sie von mir ge­sagt?« frag­te Ha­ge­bu­cher, ste­hen­blei­bend und dem Schnei­der mit sol­chem Nach­druck auf den Leib rückend, dass Täu­brich, zu­sam­men­fah­rend, sich bei­na­he auf den nächs­ten Eck­stein ge­setzt hät­te. »Schö­nes Zeug wer­det ihr bei­den zu­sam­men­ge­tra­gen ha­ben! – Nun, her­aus da­mit, wie denkt das lie­be Kind über das Tu­mur­kie­land und den Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de?«

      »Ach, Sidi, häu­fig sa­ßen wir in der Däm­me­rung trau­lich in ih­rem Stüb­chen; und da – da – ja, ku­ri­os ist es, in Wor­ten fin­de ich’s nicht wie­der, was wir ei­gent­lich von Ih­nen re­de­ten. Das ist doch wirk­lich merk­wür­dig! Mei­ne gan­ze See­le und Erin­ne­rung ist voll da­von, und nun weiß ich wei­ter nichts, als dass sie un­be­schreib­lich hübsch und schalk­haft da­saß – aber ge­spro­chen ha­ben wir von Ih­nen, Herr Leon­hard, und von der Ei­sen­bahn und der Sehn­sucht in die Fer­ne und hun­dert an­de­ren Din­gen, vor­züg­lich aber von un­sern Träu­men


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