Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Sohn?, wenn er mit ei­nem Hau­fen wüs­ter, trun­ke­ner Ge­nos­sen Ein­lass be­gehr­te, die Mut­ter war auf al­les ge­rüs­tet, sie hat­te für al­les ih­ren Gruß be­reit, und nun?…

      Am Tage nach dem Be­gräb­nis sei­nes Va­ters ritt Leon­hard Ha­ge­bu­cher auf dem Gaul des Vet­ters Was­ser­tre­ter von Bums­dorf her­über, in schwe­ren Sor­gen um das, was er fin­den wür­de. Er fühl­te sich müde und ver­wirrt und hat­te große Furcht, dass man ihn fra­ge, was zu tun und was zu las­sen sei; ja er hat­te sich so­gar ei­nes ge­wis­sen egois­ti­schen Über­drus­ses an den Schick­sa­len der Leu­te, zu de­nen er ging, zu schä­men. Das Be­dürf­nis nach Ruhe lag ihm nicht nur in den Kno­chen, son­dern es lähm­te ihm jede See­len­fi­ber, und als zwei fet­te Krä­hen, die eine Zeit lang auf dem Wege vor ihm her­hüpf­ten, sich jetzt er­ho­ben und mit mun­term Flü­gel­schla­ge kräch­zend über dem Wal­de zur Lin­ken ver­schwan­den, da schüt­tel­te er ih­nen eine mat­te Faust nach und murr­te:

      »Ihr Ker­le wisst gar nicht, wie gut ihr es habt; üb­ri­gens – mei­ne bes­ten Grü­ße an das Kind, den Herrn Pro­fes­sor und die kop­ti­sche Gram­ma­tik!«

      Des Vet­ters Gaul hat­te, wie der Vet­ter sel­ber, sei­nen ei­ge­nen Gang; aber auch er brach­te einen an Ort und Stel­le, wenn man ihn ge­wäh­ren ließ, und da sich Leon­hard voll­kom­men in der Stim­mung be­fand, je­der­mann ge­wäh­ren zu las­sen, so er­reich­te er mit ihm und auf ihm wohl­be­hal­ten und ei­gent­lich frü­her, als ihm lieb war, das gast­li­che Haus zum Och­sen im Dor­fe Flie­gen­hau­sen. Hier fand der Gaul sei­nen Weg in den war­men Stall al­lein, und Ha­ge­bu­cher ging zu Fuße zur Kat­zen­müh­le und schüt­tel­te un­ter­wegs man­chen über den Pfad hän­gen­den und mit klin­gen­den Eis­zap­fen be­han­ge­nen Ast, um sich eine Hal­tung zu ge­ben.

      Kalt zwar schi­en die Son­ne auf das be­reif­te Dach der Müh­le, aber es war doch die Son­ne, und der ge­fro­re­ne Bo­den tön­te un­ter den Fü­ßen; Sumpf und Mo­rast ver­sperr­ten heu­te nicht den Weg zu der Tür der Frau Klau­di­ne. Mit fröh­li­chem Ge­bell sprang der Spitz dem Na­hen­den ent­ge­gen, und auf der Schwel­le des Hau­ses er­schi­en der Herr van der Mook, schüt­tel­te stumm und ein we­nig ver­le­gen die Hand Leon­hards und führ­te ihn in die Stu­be, wo die Frau Klau­di­ne schrei­bend am Ti­sche saß, aber schnell die Fe­der nie­der­leg­te und mit ei­nem Blick aus der stau­nen­den See­le Ha­ge­bu­chers al­les Dun­kel und alle Mü­dig­keit ver­scheuch­te.

      »Siehst du, Vik­tor«, sprach sie, »ich wuss­te es, dass er kom­men wür­de. Ich bin von Stun­de zu Stun­de sei­nen Schrit­ten durch die letz­ten Tage ge­folgt – wie hät­te ich mich täu­schen kön­nen? Wir wan­del­ten in den Schat­ten des To­des, Leon­hard, aber wir glau­ben an das Le­ben; nicht wahr, nicht wahr, du kommst nicht, um Asche auf un­sern Glau­ben, auf un­se­re Hoff­nung, auf un­sern Sieg zu streu­en? Dein Mut ist mein Mut, dein Glück ist mein Glück, wir ste­hen auf ei­nem Fel­de. Wir sind we­ni­ge ge­gen eine Mil­li­on, wir ver­tei­di­gen ein klei­nes Reich ge­gen eine gan­ze wil­de Welt; aber wir glau­ben an den Sieg, und mehr ist nicht nö­tig, um ihn zu ge­win­nen.«

      Gleich ei­nem hel­len Glo­cken­klang hall­te die­ses Du der Frau Klau­di­ne in dem Her­zen Leon­hards wi­der. Nie hat­te ihm in sei­nem ei­ge­nen Le­ben oder in ei­nem Bu­che der Ge­schichts­schrei­ber und Poe­ten et­was so im­po­niert wie die­se Frau, wel­cher je­ner Stern Wer­mut je­den, auch den sü­ßes­ten Brun­nen ver­gif­te­te. So kö­nig­lich stand sie in ih­rem schwar­zen Klei­de vor ihm, dass er gar nicht dar­an dach­te, ihr mit ei­ner wohl­ge­setz­ten Rede zu ant­wor­ten, dass er wei­ter nichts tun konn­te, als dem Jä­ger die Hand hin­zu­rei­chen und stot­ternd zu sa­gen:

      »Wir wol­len un­ser Bes­tes tun, Vik­tor!«

      Noch war das alte wüs­te La­chen nicht über­wun­den, aber es klang doch ge­dämpf­ter.

      »Ihr seid ein ei­ge­ner Pa­tron, Meis­ter Ha­ge­bu­cher, und habt Eure Zeit nicht ver­lo­ren zu Abu Tel­fan. Führt mich der Teu­fel oder der Zu­fall oder das Ver­häng­nis, oder wie Ihr es nennt, dort­hin, und ich sto­ße mit dem Fuße an einen Klotz im Wege, an einen Leich­nam oder der­glei­chen und wun­de­re mich nicht we­nig, als das Ding sich auf­rich­tet und sagt: Par­don­nez, mon­sieur, auf ein Wort, es wäre mir sehr lieb, wenn Sie einen Au­gen­blick Ih­rer kost­ba­ren Zeit für mich üb­rig hät­ten. – Und weil ich noch ziem­lich mun­ter und bei Kräf­ten in den Stie­feln ste­he und mir im Not­fall wohl mit Büch­se und Jagd­mes­ser Bahn bre­che, den­ke ich, hier ist doch ein Trost für den Herrn Leut­nant und der Lands­mann steckt si­cher um eine gute Elle tiefer im Sumpf als der Kor­po­ral Kor­ne­li­us van der Mook. Das war ein recht tie­ri­scher Tri­umph, Mama, und er­in­nert mich jetzt leb­haft an das be­hag­li­che Kol­lern und Ki­chern mei­nes Freun­des Mu­stafa Bei zu Kars, als die Mine vor uns mit zwei­hun­dert Rus­sen in die Luft ging. Ver­flucht, es war nahe ge­nug vor der Ka­pi­tu­la­ti­on und der gan­ze Lärm ziem­lich über­flüs­sig, und wie wir dort hin­ten un­se­re Ross­schwei­fe senk­ten und un­se­re Ge­weh­re ab­ga­ben, so rücke ich auch jetzt vor die Wäl­le und kann nur sa­gen: Mach es an­stän­dig, Freund Leon­hard! – Wie habe ich ihn ge­fun­den, Mama? Er sagt die Wahr­heit dem Vol­ke von der Kan­zel, und er sagt sie ei­nem un­ter vier Au­gen; und was das tolls­te ist, er weiß, was er sagt. Über­all tref­fe ich auf ihn; er hat sei­ne Hand in dem Le­ben Ni­ko­las, er hat sei­nen Platz hier an dei­nem Ti­sche und in dei­nem Her­zen. Setzt er nicht sei­nen Wil­len durch? Dem Leut­nant Kind hat er ein Schloss vor den Mund ge­legt, mich hat er an Hän­den und Fü­ßen ge­bun­den hier­her­ge­führt. O er ist frei und klug und wei­se; ich aber bin ein ei­gen­sin­ni­ger Bube mit er­grau­en­dem Haar, ein er­bärm­li­cher Sklav, ein Hund, den man an die Ket­te schließt. Ist es nicht so? Re­det doch! Habt ihr et­was an­de­res für mich als ein küm­mer­li­ches Mit­leid und ein stil­les Ban­gen, dass der Hund ein­mal ganz toll wer­den und selbst sei­ne nächs­ten Freun­de an­pa­cken kön­ne?«

      Die Frau Klau­di­ne sah mit ver­lan­gen­den Au­gen auf Leon­hard, und die­ser sprach, ge­gen den Tier­händ­ler ge­wen­det:

      »Du hast mir so­eben recht schmei­chel­haf­te Din­ge ge­sagt, Vik­tor Feh­ley­sen, und mir eine Macht zu­ge­schrie­ben, auf die ich wohl stolz sein dürf­te, wenn der Stolz hier un­ter die­sem Da­che Raum fän­de. Nur ei­nes weiß ich und sage ich dir: Du wür­dest die­ses Haus mit mei­nem Wil­len nie be­tre­ten ha­ben, wenn ich nicht am ei­ge­nen zer­rüt­te­ten, ver­lo­re­nen, nie­der­ge­tre­te­nen Da­sein die hohe Kraft, die hier wohnt, ken­nen­ge­lernt hät­te und nun auch die Ge­ne­sung für dich von ihr er­war­te­te. Ich habe dich schon ein­mal an ei­nem an­de­ren Orte nach dei­nem Rech­te an dei­ner Mut­ter ge­fragt, Vik­tor; jetzt will ich dir die Ant­wort dar­auf ge­ben: Es liegt in dei­nem Un­glück und un­ser al­ler Rat­lo­sig­keit. Hier ste­hen wir zwei von al­len Wet­tern zer­zaus­te Män­ner, der eine zu Land und zur See, im Krie­ge und in den Wäl­dern ge­här­tet und ge­häm­mert und je­der Ge­fahr, wel­che die Ma­te­rie dem Men­schen droht, la­chend, der an­de­re in der Knecht­schaft zum Man­ne ge­schmie­det, wohl­be­wan­dert in der Lo­gik der Tat­sa­chen, mit al­len Waf­fen zum Kampf des Geis­tes ge­gen die Geis­ter aus­rei­chend ver­se­hen und doch – bei­de wie schwach und schwan­kend, wie hin­fäl­lig und nich­tig in all ih­rem Tun und Ur­tei­len, in all ih­rem Wol­len und Voll­brin­gen. Wo­hin wir uns wen­den, sto­ßen wir ge­gen die Mau­ern, wel­che die dun­keln Hän­de ge­gen uns er­rich­ten. Ver­geb­lich mü­hen wir uns in Zorn und Angst, knir­schend und at­mend ab und stem­men uns wi­der die Mäch­te, die un­ser spot­ten. Wir rin­gen nach Atem, Licht und Luft, und es ge­lingt uns auch wohl, von der


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