Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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zu­stan­de ge­bracht!«

      »Was, was?«

      »Den Fa­ckel­zug und die Stadt­mu­sik und die De­pu­ta­ti­on aus dem Pfau und die Re­den und die Ab­bit­te des On­kel Schnöd­ler samt dem drei­ma­li­gen Tusch und Vi­vat. Es war ge­lun­gen, un­ge­mein ge­lun­gen, und der Vet­ter Was­ser­tre­ter durf­te sich wohl die Hän­de rei­ben, wenn der Alte mir nicht zum Schluss, als al­les in schöns­ter Ord­nung war, die­sen Streich ge­spielt hät­te. Ich trau­te ihm zwar vie­les zu, aber das nicht!«

      Ein großes Licht ging dem Afri­ka­ner auf; von neu­em be­trach­te­te er kopf­schüt­telnd das ver­run­zel­te, ver­knif­fe­ne Ge­sicht auf dem Kopf­kis­sen, un­ter­brach je­doch durch kei­ne wei­te­re Be­mer­kung den be­trüb­ten Vet­ter, und die­ser fuhr im kläg­lichs­ten Tone fort:

      »Wie habe ich fast seit dei­nem Fort­ge­hen von Nip­pen­burg ge­ar­bei­tet, in­tri­giert und ge­wühlt! Kein Maul­wurf auf zwan­zig Mei­len in der Run­de hät­te sei­ne Sa­che bes­ser ge­macht. Wel­che He­bel habe ich in Be­we­gung ge­setzt! Ganz Nip­pen­burg hat mir hel­fen müs­sen, ohne es zu ah­nen. Die Mensch­heit hat in mir einen ih­rer größ­ten Tri­um­phe ge­fei­ert. Ein Kunst­werk, ein wah­res, rich­ti­ges Kunst­werk; das las­se ich mir auch in die­ser Stun­de noch nicht neh­men! Und ei­nes se­li­gen To­des ist er auch ver­bli­chen, das ist mein zwei­ter Trost, Leon­hard, und wenn ich wüss­te, wie je­ner alte Grie­che hieß, dem man zu­rief: Stirb, du hast nichts mehr zu wün­schen, so wür­de ich dir ein recht pas­sen­des Zi­tat zu kos­ten ge­ben. Ach, liebs­ter Herr­gott, auf dem Mark­te in Nip­pen­burg for­mie­ren wir uns vor­ges­tern bei ein­bre­chen­der Däm­me­rung, wie ich es dir ver­sprach – sämt­li­che Ho­no­ra­tio­ren, die Schüt­zen­gil­de, der Ge­sang­ver­ein und na­tür­lich al­les Volk, das ab­kom­men kann, und du weißt, wir kön­nen alle ab­kom­men in Nip­pen­burg. Be­deck­ter Him­mel, wind­stil­les, recht an­ge­neh­mes Wet­ter, sämt­li­che hol­de Weib­lich­keit an den Fens­tern, in den Hau­stü­ren oder die Häu­ser ent­lang! Ban­ner und Fah­nen, kurz, al­les, was dazu ge­hört! Je­der­mann sein ei­ge­ner Fa­ckel­trä­ger, je­der Nip­pen­bur­ger Phi­lis­ter mit sei­nem ei­ge­nen Lich­te – – wun­der­voll!

      O Leon­hard, es ist kein Un­ter­schied zwi­schen den Ge­füh­len Man­zo­nis in der Ode über den fünf­ten Mai, wel­che ich aus der Über­set­zung mei­nes Goe­the ken­ne, den ich von hin­ten ken­ne, und mei­nen ei­ge­nen Ge­füh­len in be­treff dei­nes Va­ters! Da liegt er still und stumm, er, um den vor so kur­z­er Zeit noch eine so große Be­we­gung statt­fand! – Wir sen­de­ten drei aus­er­wähl­te Män­ner zu der Tan­te Schnöd­ler, näm­lich den Bür­ger­meis­ter, den Kreis­di­rek­tor und den Steu­er­rat, und lie­ßen ihn ho­len, näm­lich den On­kel Schnöd­ler, und führ­ten ihn dicht hin­ter der Mu­sik nach Bums­dorf. Und die Mu­sik hat­te auf mei­ne spe­zi­el­le Re­kom­man­da­ti­on den Ein­zugs­marsch aus dem Tann­häu­ser für die große Ge­le­gen­heit ein­stu­diert; aber sie brach­te ihn lei­der nicht zu­stan­de, son­dern brach schon an der nächs­ten Ecke da­mit zu­sam­men und fiel na­tür­lich wie­der in die alte Lei­er: Heil dir im Sie­ge­s­kran­ze, Freut euch des Le­bens, Ich bin ein Preu­ße, kennt ihr mei­ne Far­ben, und sons­ti­ge An­ge­wohn­hei­ten. Ei­ner­lei, es ging doch; am Tor wur­den die Fa­ckeln an­ge­zün­det, und wir mar­schier­ten mit po­li­zei­li­cher Er­laub­nis für den Ulk nach Bums­dorf, im­mer mit dem Blech und der großen Pau­ke vor­an und dem On­kel Schnöd­ler zwi­schen mir und dem Steu­er­rat, hin­ter den Stadt­mu­si­kan­ten, doch vor dem Lie­der­kranz. Das Dorf ist selbst­ver­ständ­lich be­reits auf den Bei­nen und läuft uns mit Hur­ra ent­ge­gen oder er­war­tet uns an den ers­ten Dün­ger­hau­fen mit atem­lo­ser Span­nung. Mit Knecht und Magd und al­lem, was sein ist, und eben­falls mit Fa­ckeln rückt der Rit­ter von Bums­dorf, wel­chem ich die nö­ti­ge In­struk­ti­on zu­kom­men ließ, aus und dem Al­ten vors Haus, wo wir in dem­sel­ben Au­gen­blick un­ter der Me­lo­die: Wir win­den dir den Jung­fern­kranz, an­lan­gen und mit ei­nem groß­ar­ti­gen: Vi­vat Ha­ge­bu­cher! Es lebe der Herr Steue­rin­spek­tor Ha­ge­bu­cher! un­se­re Ge­gen­wart an­kün­di­gen und den Zweck un­se­res Be­suchs er­öff­nen. Ach, Leon­hard, Leon­hard, der schlaues­te Di­plo­mat geht im­mer nur so lan­ge zu Was­ser, bis er bricht, der feins­te Plan hat ge­wöhn­lich doch eine schwa­che Stel­le, an wel­cher der Er­fin­der die Schuld trägt und die sich bei bes­se­rer Über­le­gung auch wohl hät­te ver­mei­den las­sen. Wes­halb in­stru­ier­te ich dich, mein Jun­ge, nicht wie den Rit­ter Bums­dorf? Wes­halb nahm ich dich nicht mit her­über, dass du zur rech­ten Zeit her­vor­tre­ten, die Exal­ta­ti­on zum Ab­schluss brin­gen und das be­nö­tig­te kal­te Was­ser auf­schüt­ten konn­test?! Ich kann­te doch den Al­ten lan­ge ge­nug, um zu wis­sen, dass dein per­sön­li­ches Er­schei­nen al­lem Über­maß der Ge­füh­le den rich­ti­gen Dämp­fer auf­ge­setzt hät­te, und nie, nie wer­de ich es mir ver­zei­hen, dass ich nicht dar­an dach­te im Ho­tel de Prus­se. – Nun ste­hen wir im Krei­se um die Hau­stü­re, sämt­li­che Haupt­per­so­nen vor­an. Und der Gar­ten ist voll, und die Land­stra­ße ist voll von Men­schen und Fa­ckeln, und die Lie­der­ta­fel hat zu­erst das Wort und singt den Ge­fei­er­ten an:

       Wir kom­men ihn ho­len,

       Den bie – de – ren Mann,

       Den Nip­pen­burg, ganz Nip­pen­burg

       Nicht län­ger miss­en kann –

      und so wei­ter; der Text liegt bei mir zu Hau­se, und ich bin ver­ant­wort­lich für ihn, aber nicht für die Me­lo­die, an wel­cher der Kan­tor Tüte von der Haupt­kir­che schuld ist. Tusch und Rede des Bür­ger­meis­ters, wel­cher sagt, dass wir hier sind im Na­men der Stadt und der Ge­sell­schaft im Gol­de­nen Pfau und dass wir es uns zur Ehre an­rech­nen, hier­zu­sein, wor­auf er auf die Nase fällt, wie die Mu­sik mit mei­nem Tann­häu­ser­marsch, und ich mit dem On­kel Schnöd­ler für ihn ein­tre­te. Ich mit dem On­kel Schnöd­ler! Ich als Red­ner und Op­fer­pries­ter und der On­kel als be­kränz­tes Op­fer­vieh. Vet­ter, spre­che ich, Vet­ter, hier sind wir, aber nicht al­lein im Na­men der Stadt Nip­pen­burg und des Gol­de­nen Pfaus, son­dern auch im Na­men der ewi­gen Ge­rech­tig­keit, und hier brin­ge ich das Lamm, wel­ches so un­ver­schämt und hin­ter­lis­tig den Bach trüb­te. Sa­gen Sie ein Wort, Schnöd­ler, oder nein, sa­gen Sie kein Wort, son­dern las­sen Sie mich re­den, denn je­der weiß schon, was für ein lo­ses Maul Sie ha­ben. Vet­ter Ha­ge­bu­cher, mit Flö­ten und Fa­ckeln, mit Pau­ken und Po­sau­nen le­gen wir den On­kel und uns Euch zu Fü­ßen und be­feh­len ihn Eu­rer grim­migs­ten Ra­che, uns aber Eu­rem in­nigs­ten Wohl­wol­len so­wie Eu­rer klars­ten Über­le­gung. Sie se­hen, Vet­ter Steue­rin­spek­tor, wie viel Ihren bes­ten Mit­bür­gern an Ih­nen ge­le­gen ist, las­sen Sie also auch Ih­nen an uns ge­le­gen sein und kom­men Sie wie­der in den Pfau. So­eben keh­re ich aus der Re­si­denz zu­rück; o wä­ren Sie mit mir ge­gan­gen, Vet­ter, Sie hät­ten er­fah­ren kön­nen, wie man Ihren Jun­gen in der großen Welt schätzt und ehrt. Fra­gen Sie nur den Rit­ter Bums­dorf, ob es nicht wahr ist! Schön­heit und Adel, Reich­tum und Bil­dung, al­les be­zahl­te sei­nen Gul­den Ein­tritts­geld, um ihn zu se­hen, zu hö­ren und sich über ihn zu ver­wun­dern. Er ist doch ein Stolz für Sie und Nip­pen­burg, und er ist es umso mehr, je mehr man ihn ver­kann­te! Al­len Sün­dern sei ver­ge­ben, Vet­ter Ha­ge­bu­cher, hier ha­ben Sie den On­kel Schnöd­ler, neh­men Sie ihn hin, neh­men Sie uns alle hin – einen Kuss der gan­zen Welt – das fest­li­che Mahl, das Mahl der Ver­söh­nung war­tet im Pfau, mit of­fe­nen Ar­men war­tet der Ehren­ses­sel – Ha­ge­bu­cher, Ha­ge­bu­cher se­ni­or,


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