Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ge­den­ken der Leut­nant und ich in den nächs­ten Ta­gen vom Baum zu ho­len. Zwei­mal kroch ich im Lau­fe der letz­ten fünf Jah­re auf al­len vie­ren um die Kat­zen­müh­le und sah die alte Frau und sah auch die schö­ne Ni­ko­la, aber der Scha­kal zeig­te das strup­pi­ge Fell und den gei­fern­den Ra­chen nicht, er heul­te lei­se in der Fer­ne und ver­kroch sich, ehe man im La­ger auf sei­ne Ge­gen­wart auf­merk­sam wur­de.«

      »Das ha­ben Sie über sich ge­won­nen?« rief Leon­hard, der bis jetzt stumm, un­ter den wech­selnds­ten Emp­fin­dun­gen, zwi­schen Em­pö­rung und Mit­leid schwan­kend, der wil­den Selb­st­an­kla­ge zu­ge­hört hat­te. »Wahr­lich, das zeugt mehr für Sie als al­les, was Sie sonst zu Ih­rer Ent­schul­di­gung sa­gen könn­ten.«

      »Ich sage es aber nicht zu mei­ner Ent­schul­di­gung!« rief Vik­tor Feh­ley­sen. »Es war Feig­heit und Trotz, nichts an­de­res. Ich fürch­te­te die alte Frau, ich schäm­te mich vor der eins­ti­gen Ge­lieb­ten, und ich hielt es nicht der Mühe wert, die Au­fer­ste­hung des Jüng­lings von Nain zu spie­len und da­durch den Frie­den je­ner Hüt­te zu zer­stö­ren.«

      »Das ist eine Lüge, Herr von Feh­ley­sen!« schrie jetzt Ha­ge­bu­cher zor­nig. »Spie­len Sie nicht den Wahn­sin­ni­gen, nach­dem Sie so lan­ge in Wahr­heit und Wirk­lich­keit dem Toll­hau­se zu ei­gen wa­ren. Wen wol­len Sie täu­schen, Sie, der sich den Kopf an so man­chen Rea­li­tä­ten zerstieß? Um Ih­rer Mut­ter wil­len sol­len Sie sich nicht schlech­ter ma­chen, als Sie sind, und da Sie jetzt von neu­em heim­kehr­ten, um die arge Ver­kno­tung so man­ches trau­ri­gen Ge­schickes zu lö­sen, so sol­len Sie sich und uns die­se Auf­ga­be nicht er­schwe­ren.«

      »Zu wel­chem Zwe­cke ha­ben Sie mich ge­ru­fen, Leut­nant Kind?« frag­te der Herr van der Mook.

      »Um zu schla­gen und zu tö­ten!« sag­te der Leut­nant, und der an­de­re wen­de­te sich wie­der an Ha­ge­bu­cher:

      »Wenn Sie das eine Lö­sung nen­nen – be­nis­si­mo! Zehn Jah­re hin­durch hat der Alte schätz­ba­res Ma­te­ri­al zu­sam­men­ge­tra­gen; fra­gen Sie ihn, ob er die Benüt­zung des­sel­ben noch län­ger zu ver­schie­ben ge­denkt.«

      »Ich den­ke nicht«, sprach der Leut­nant. »Ich habe die Pa­pie­re in schick­li­cher Ord­nung und kann mor­gen da­mit in al­ler Form vor Fürst­li­chem Kri­mi­nal­amt auf­tre­ten, um das Wei­te­re zu ver­an­las­sen.«

      »Was für Pa­pie­re?« rief Ha­ge­bu­cher in atem­lo­ser Span­nung, und der Leut­nant zog aus der Brust­ta­sche eine rote, ab­ge­nutz­te Feld­we­bel­brief­ta­sche, rück­te mit Be­dacht die Lam­pe auf dem Ti­sche zu­recht und brei­te­te da­ne­ben stumm aus, was er sei­ne Do­ku­men­te nann­te. Es wa­ren meis­tens Quit­tun­gen und Ge­gen­quit­tun­gen, Bau­rech­nun­gen, Lie­fe­rungs­ver­trä­ge für den Haus­halt der Prin­zeß Ma­ri­an­ne. Ein Teil die­ser Pa­pie­re be­stand in Ko­pi­en, die von un­ge­üb­ter Hand an­ge­fer­tigt wa­ren, ein Teil trug aber auch die ei­gen­hän­di­ge Un­ter­schrift des Frei­herrn Fried­rich von Glim­mern, und schon das drit­te Blatt wog so schwer in der Hand Leon­hards, dass er es nie­der­leg­te und die Faust dar­auf:

      »Der Fäl­scher, der Be­trü­ger! O Ni­ko­la, Ni­ko­la! Um Got­tes wil­len, Leut­nant, wie sind Sie zu die­sen ent­setz­li­chen Zeug­nis­sen und Be­wei­sen der scham­lo­ses­ten Fe­lo­nie ge­langt?«

      »Durch Adret­tité und kon­stan­tes, treu­li­ches Auf­mer­ken auf die Wege und Gän­ge des Herrn Barons. Es steckt manch ein gu­ter, al­ter Ka­me­rad aus der Ka­ser­ne in dem Diens­te der Herr­schaf­ten, sei es als Ver­rech­ner oder Forst­ge­hil­fe, als Auf­se­her oder als Por­tier und sons­ti­ger Die­ner. Da fliegt ei­nem eine Fe­der vor der Nase auf, und man folgt ihr, und sie bringt zu Ge­heim­nis­sen, die ei­nem merk­wür­dig in die Au­gen ste­chen. Eine ku­rio­se Welt! An ei­nem Spin­nen­fa­den ist nichts ge­le­gen, aber dreht man der­sel­ben ge­nug zu­sam­men, so wird man einen tüch­ti­gen Strick zu al­ler­hand nutz­ba­rem Ge­brauch be­kom­men. Wes­halb war der Ex­zel­lenz so viel drum zu tun, das bet­tel­ar­me Fräu­lein von Ein­stein zu er­frei­en? Ist sie nicht im­mer­dar der Lieb­ling der Prin­zeß Ma­ri­an­ne ge­we­sen, und hat nicht der Herr von Glim­mern den gan­zen Haus­halt Ih­rer Ho­heit durch sei­ne Hän­de lau­fen las­sen? Eine recht ku­rio­se Welt, Herr Ha­ge­bu­cher – ich habe das Rech­nen ge­lernt, weil ich es in mei­ner frü­he­ren Char­ge als Feld­we­bel sehr nö­tig hat­te, und ich habe ge­rech­net die gan­zen letz­ten Jah­re hin­durch. Zual­ler­erst fand ich einen klei­nen Bruch, der nicht auf­ging, nun aber sind Tau­sen­de und Tau­sen­de draus ge­wor­den; da lie­gen die Rech­nun­gen, und sie stim­men, so­weit die Sa­che mein Le­bens­glück und das des Herrn Leut­nant von Feh­ley­sen an­be­trifft. Was die an­de­re Par­tie da­ge­gen ein­zu­wen­den hat, das wol­len wir mor­gen hö­ren und da­nach das Buch mei­net­we­gen und der To­ten we­gen zu­klap­pen. Was der Herr Vik­tor dann tun wird, das weiß ich nicht; aber der Leut­nant Kind, der wird in Ge­duld den letz­ten Zap­fen­streich er­war­ten. Das Le­ben ist ein ekel Ding für einen Men­schen, der nichts mehr vor der Hand hat, der das Alte ab­tat und nichts Neu­es mehr vor­neh­men kann.«

      Die drei Män­ner im feu­ri­gen Ofen hat­ten es gut; ih­nen war kühl zu­mu­te, und sie san­gen nur umso hel­ler, je scheuß­li­cher der grau­se Kö­nig Ne­bu­kad­ne­zar sich ge­gen sie stell­te. Die drei Män­ner in der Stu­be des Leut­nants Kind schwie­gen, und es be­fand sich nur ei­ner un­ter ih­nen, der ganz ge­nau wuss­te, was er zu tun hat­te. Nach ei­ner Pau­se nahm der Leut­nant sei­ne trau­ri­gen Do­ku­men­te zu­sam­men, schob sie ohne Hast in die Ta­sche zu­rück und sag­te:

      »Also mor­gen, mei­ne Her­ren.«

      Jetzt aber fuhr Leon­hard Ha­ge­bu­cher aus sei­ner Er­star­rung auf:

      »Mor­gen! Vik­tor, Vik­tor, hö­ren Sie das? Wie kann das ge­sche­hen? Dür­fen Sie Ihre Hand dazu bie­ten? Mor­gen, mor­gen! Den­ken Sie an Ni­ko­la! Be­sin­nen Sie sich! Was wol­len Sie tun?«

      »Ich bin der Land­flüch­ti­ge, Ehren­flüch­ti­ge; Sie aber sind der Freund der schö­nen Frau von Glim­mern, sind der Freund mei­ner Mut­ter, Sie sol­len mir ra­ten, was ich tun soll. Dazu habe ich Sie an die­sem Abend ge­ru­fen; dazu ha­ben wir Sie jetzt in un­se­re klei­nen Ge­heim­nis­se ein­ge­weiht. Leon­hard, Leon­hard Ha­ge­bu­cher, es zer­wühlt mir Ma­gen und Hirn, die Wän­de dre­hen sich um mich her! O ste­hen Sie fest, ste­hen Sie ein für die arme Ni­ko­la. Wie soll sie ge­ret­tet wer­den vor den To­ten? Wer kann sie ret­ten vor der grim­mi­gen Fir­ma Kind und Kom­pa­nie?«

      Der Sohn der Frau Klau­di­ne warf sich von neu­em auf das Bett und ver­barg mit Ge­stöhn das Ge­sicht in den Kis­sen; Leon­hard sah be­deut­sam auf den Ex­leut­nant der Straf­kom­pa­nie; aber an die­sem hat­te sich wäh­rend der letz­ten Mi­nu­ten nichts ge­än­dert, und den Blick er­wi­der­te er nur durch ein Ach­sel­zu­cken. Leon­hard trat auf ihn zu und flüs­ter­te, sei­ne Hand er­fas­send:

      »Nicht mor­gen! Gön­nen Sie mir, sich sel­ber, uns al­len Zeit, Leut­nant.«

      »Das ist mir nicht kom­mod«, sprach der Alte. »Es ist auch nicht an­stän­dig, we­der mir noch dem Herrn von Feh­ley­sen.«

      »Es soll aber so sein, Sie al­ter, har­ter Mann!« rief Ha­ge­bu­cher, mit dem Fuße auf­stamp­fend. »Ha­ben Sie zehn Jah­re lang Ihre Ra­che ver­schie­ben kön­nen, so wer­den Sie jetzt nicht um ei­ni­ge Stun­den des Auf­schubs


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