Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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an­ders nen­nen. Die­ser Ge­sen­de­te der Göt­tin des Ma­ßes, des Ein­halts und der Ver­gel­tung ließ nichts her­ab­hän­gen, son­dern über­reich­te dem her­an­tre­ten­den Afri­ka­ner ein um­fang­rei­ches, groß­ver­sie­gel­tes Schrei­ben der hoch­löb­li­chen Po­li­zei­di­rek­ti­on. Die­ser Bote lä­chel­te nicht; aber der Herr Po­li­zei­di­rek­tor lä­chel­te auf das leut­se­ligs­te aus die­sem Schrei­ben, in wel­chem er sich die Ehre gab, dem wohl­ge­bo­re­nen Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher P. P. mit­zu­tei­len, dass, wie sehr er – der Herr Po­li­zei­di­rek­tor – vom Nut­zen öf­fent­li­cher Vor­trä­ge, gleich dem am gest­ri­gen Abend mit ho­hem In­ter­es­se ver­nom­me­nen, auf die Bil­dung und Er­bau­ung des Pub­li­kums über­zeugt sei, er sich doch nicht der Über­zeu­gung ver­schlie­ßen kön­ne, auch hier müs­se das Gute dem Bes­sern, näm­lich das Ver­gnü­gen des Pub­li­kums dem Wohl­er­ge­hen des­sel­ben wei­chen. So müs­se er – der Herr Po­li­zei­di­rek­tor – ge­ste­hen, dass er sich lei­der mit der Art und Wei­se, wie der Herr Ha­ge­bu­cher das Pro­blem, der Ge­sell­schaft Ge­schich­ten zu er­zäh­len, auf­fas­se, durch­aus nicht im Ein­klang be­fin­de, wie denn auch von an­de­rer sehr maß­ge­ben­der Sei­te un­be­dingt da­ge­gen Ver­wah­rung ein­ge­legt wor­den sei. Mit dem in­nigs­ten Be­dau­ern sehe er – der Herr Po­li­zei­di­rek­tor – sich des­halb ge­nö­tigt, dem ver­ehr­ten Herrn die Mit­tei­lung zu ma­chen, dass eine hohe Be­hör­de nach reif­li­cher Über­le­gung zu der Über­zeu­gung ge­kom­men sei, es sei ihre Pf­licht, ein ru­hi­ges, aber fes­tes Veto ge­gen alle fer­nern Pro­duk­tio­nen die­ser Art ein­zu­le­gen.

      Zum Schluss die­ses höf­li­chen und kon­fi­den­ti­el­len Amts­schrei­bens emp­fahl sich der Brief­schrei­ber dem Adres­sa­ten mit aus­ge­zeich­ne­ter Hochach­tung und hing zur letz­ten Zier­de mit ei­nem kunst­vol­len Schnör­kel sei­nen Tauf- und Fa­mi­li­enna­men so­wie sei­nen Ti­tel drun­ter:

      »Jo­hann v. Bet­zen­dorff,

       Fürst­li­cher Po­li­zei­di­rek­tor.«

      Der Pa­scha seufz­te: »O Je­ru­sa­lem!« Leon­hard Ha­ge­bu­cher aber schob den Wisch in die Ta­sche, ließ durch den Die­ner der öf­fent­li­chen Si­cher­heit an den Di­rek­tor der­sel­ben einen recht schö­nen Gruß be­stel­len und stieg nicht in sei­ne Woh­nung hin­auf, son­dern ging zum Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger, we­ni­ger um sich sei­nen Rat und Trost, als um von dem Töch­ter­lein eine Tas­se Kaf­fee zu er­bit­ten.

      Der kop­ti­sche Ge­lehr­te wuss­te auch we­der Rat noch Trost; er lag mo­ra­lisch und kör­per­lich zer­schla­gen auf sei­nem Sofa und sprach nur den Wunsch aus, sich aus die­ser ver­ruch­ten Welt gänz­lich zu­rück in den Bauch der großen Py­ra­mi­de zie­hen zu kön­nen. Se­re­na, hell­äu­gi­ger als je, wuss­te da­ge­gen ih­rer Hei­ter­keit kaum ge­nug­zu­tun. Sum­mend und sin­gend um­schritt sie ihre Kaf­fee­ma­schi­ne und be­haup­te­te, der Herr Po­li­zei­di­rek­tor sei ein Mann ganz nach ih­rem Her­zen, der wis­se, was sich schi­cke, und der Papa und der Herr Ha­ge­bu­cher soll­ten sich von Rechts we­gen schöns­tens bei ihm be­dan­ken, weil er so schnell sol­cher »Pa­ra­de« ein Ende ge­macht habe. Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger ging so weit zu be­haup­ten, dass es sich ei­gent­lich für einen ge­schei­ten und or­dent­li­chen Mann gar nicht schi­cke, sich so öf­fent­lich zum Nar­ren zu ma­chen.

      »Ich will kei­nen Na­men nen­nen«, sprach sie, »aber ich ken­ne Leu­te, die soll­ten ih­rem Gott dan­ken, dass nie­mand sie hin­dert, sich ihre Mei­nung über ih­rem hin­ter­in­di­schen Wör­ter­buch und ih­rer tür­ki­schen Gram­ma­tik un­ter vier Au­gen zu sa­gen. Es ist im­mer et­was an­de­res, ob je­mand in­ner­halb sei­ner vier Wän­de sich auf den Kopf stellt oder ob er auf dem frei­en Mark­te auf dem Seil tanzt, und das ist mei­ne An­sicht von der Sa­che!«

      »Und es ist eine sehr ver­nünf­ti­ge An­sicht, Fräu­lein Se­re­na!« rief Leon­hard. »Ach, in wel­cher präch­ti­gen Welt leb­ten wir, wenn die ver­stän­di­gen Leu­te ih­ren gu­ten Rat stets zur rech­ten Zeit kund­ge­ben wür­den! Jetzt bit­te ich um eine zwei­te Tas­se Kaf­fee.«

      »Und mir stop­fe mei­ne Pfei­fe, Kind«, sag­te der Pro­fes­sor und wen­de­te sich an den jun­gen Haus­freund mit den tra­gi­schen Wor­ten: »Es ist die ers­te heu­te!«

      Um sie­ben Uhr trat der Afri­ka­ner aus der mär­chen­haf­tes­ten Be­hag­lich­keit in den sehr un­freund­li­chen dun­keln Abend hin­aus. Un­ter dem drei­fach be­ru­hi­gen­den Ein­fluss des Töch­ter­leins, der Pfei­fe und des kop­ti­schen Wör­ter­buchs hat­te der Pro­fes­sor fest, auf­recht, aber ge­mäch­lich, wie es dem Mann und dem Ge­lehr­ten ge­ziemt, in sei­nem Lehn­stuhl Po­sto ge­fasst, und Leon­hard Ha­ge­bu­cher muss­te sei­ne Auf­merk­sam­keit so sehr zwi­schen dem Le­xi­kon und der zier­lich um­her­hu­schen­den Se­re­na tei­len, dass ihm die Stun­den bis zum Dun­kel­wer­den schnell und lieb­lich vor­über­g­lit­ten. Mit der Däm­me­rung frei­lich kam die Erin­ne­rung an je­nen, wel­cher drau­ßen vor der Tür war­te­te, stär­ker zu­rück; Leon­hard aß nicht bei dem Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger zu Nacht, son­dern nahm Ab­schied und sah auf sei­nem Wege zur Kes­sel­stra­ße häu­fig über die Schul­ter nach dem Herrn van der Mook aus und blieb mehr als ein­mal ste­hen, wenn ein Män­ner­schritt in der Dun­kel­heit hin­ter ihm er­klang. Der Herr van der Mook trat ihn je­doch we­der in der Gas­se an, noch er­war­te­te er ihn an der Haus­tür; aber in dem Au­gen­blick, als der Mann aus Abu Tel­fan den Schlüs­sel im Schloss sei­ner Stu­ben­tür um­dreh­te, er­schi­en Täu­brich auf der Schwel­le sei­nes Ge­ma­ches, wink­te und flüs­ter­te:

      »Sidi, ich habe einen Gast, der Sie län­ger als eine Stun­de bei mir er­war­tet.«

      Mit ei­nem Sprung stand Leon­hard in der Dach­kam­mer des träu­men­den Schnei­ders, al­lein er fand sich wie­der­um nicht dem Herrn van der Mook, son­dern ei­nem gänz­lich un­be­kann­ten, äl­tern Herrn von mi­li­tä­ri­schem Aus­se­hen ge­gen­über.

      Eine trü­be Lam­pe brann­te auf dem Ti­sche und ver­brei­te­te eine kaum aus­rei­chen­de Hel­le durch das Ge­mach. Ne­ben dem Ti­sche saß der Gast des Paschas auf dem ein­zi­gen Stuh­le des Paschas, er­hob sich je­doch so­gleich beim Ein­tritt Ha­ge­bu­chers, mach­te eine kur­ze Ver­beu­gung und sprach mit ei­ner har­ten Stim­me:

      »Mein Name ist Kind – pen­sio­nier­ter Leut­nant der Straf­kom­pa­nie zu Wal­len­burg. Ich kom­me im Auf­tra­ge ei­nes von Ih­nen ge­kann­ten Man­nes, des Herrn van der Mook. Der­sel­be be­fin­det sich au­gen­blick­lich in mei­ner Be­hau­sung ein we­nig un­päss­lich und bit­tet Sie durch mich, Herr Ha­ge­bu­cher, ihm am heu­ti­gen Abend noch die Ehre Ih­rer Ge­sell­schaft zu schen­ken. Ich wür­de mich zu Ih­rer Ver­fü­gung stel­len und Sie so­gleich zu ihm füh­ren.«

      Der Mann hat­te et­was ab­son­der­lich Ros­ti­ges an sich, und die An­re­de war nur mit ei­nem Stück brü­chi­gen Ei­sen, wel­ches ei­nem vor die Füße ge­wor­fen wird, zu ver­glei­chen; doch in atem­lo­ser Auf­re­gung er­klär­te sich Leon­hard auf der Stel­le be­reit, dem Rufe sei­nes Be­frei­ers Fol­ge zu leis­ten, und lieh sei­nen über­strö­men­den Ge­füh­len mehr Wor­te, als es sonst sei­ne Art und Ge­wohn­heit war.

      »Es ist gut, ge­hen wir!« sag­te der Leut­nant, drück­te den Hut auf den Kopf, nahm den Stock un­ter den Arm, schritt mit ei­ner zum Fol­gen ein­la­den­den Hand­be­we­gung


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