Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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an das Herz als an die Ver­nunft der Leu­te zu wen­den. Eine lei­se An­deu­tung, dass wohl be­reits ei­ni­ge Int­ri­gen be­treffs Ge­stat­tung oder Ver­hin­de­rung von der­ar­ti­gen öf­fent­li­chen Vor­trä­gen an­ge­spon­nen sein könn­ten, be­schloss die gut­ge­mein­te War­nung. Leon­hard Ha­ge­bu­cher konn­te auf al­les die­ses lei­der nur mit ei­nem grim­mi­gen Lä­cheln ant­wor­ten, dass es durch­aus nicht in sei­ner Ab­sicht lie­ge, ir­gend­ei­nen an­de­ren als sich sel­ber zum Nar­ren zu hal­ten. Die­se Ver­si­che­rung ge­währ­te nur einen ge­rin­gen Trost; der Ma­jor schüt­tel­te das Haupt, fast ge­ra­de­so be­denk­lich wie die höchs­ten Krei­se, drück­te dem Freun­de die Hand und zog ab mit ei­nem tie­fen Seuf­zer, der au­ßer al­lem Mit­ge­fühl ein ganz klei­nes Bruch­teil­chen von Neid auf den Afri­ka­ner in sich schloss.

      Um sie­ben Uhr abends hat­te Ni­ko­la von Glim­mern mit ih­rem Ge­mahl noch eine Un­ter­re­dung, wel­che all­mäh­lich einen ziem­lich bit­tern Cha­rak­ter an­nahm, aber die schö­ne Ex­zel­lenz nicht an der Vollen­dung ih­rer Toi­let­te hin­der­te. In­fol­ge die­ses Wort­wech­sels fuhr der Baron je­doch noch ein­mal zu dem Po­li­zei­di­rek­tor von Bet­zen­dorff und hat­te mit die­sem Herrn gleich­falls eine län­ge­re Un­ter­re­dung, wel­che aber nicht mit ei­nem Miss­klang en­de­te, son­dern die voll­stän­digs­te Über­ein­stim­mung der bei­den Mäch­te in mehr als ei­nem Punk­te her­bei­führ­te.

      Ein letz­ter Blick in den dun­keln Abend zeigt uns im fla­ckern­den Licht der Gas­la­ter­ne eine Drosch­ke in der Kes­sel­stra­ße so­wie den Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger und den Vet­ter Was­ser­tre­ter, wel­che den ge­knick­ten Ha­ge­bu­cher in das Fuhr­werk mehr he­ben als schie­ben. Sie stei­gen ihm nach, Täu­brich-Pa­scha schlägt den Schlag zu, schwingt sich ne­ben den Kut­scher auf den Bock: La ila­ha ilal­lah und Mo­ham­med ras­sul Al­lah!

      Der Herr von Bums­dorf und sein Stamm­hal­ter er­reich­ten den Ort der Vor­le­sung auf ver­schie­de­nen Pfa­den; der bie­de­re Alte hat­te längst den in­ni­gen Wunsch aus­ge­spro­chen, der Jun­ge möge ihm fürs ers­te nicht wie­der vor die Au­gen kom­men!

      Die­ses ist das acht­zehn­te Ka­pi­tel der His­to­rie des Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher, wel­cher zwölf Jah­re zu Abu Tel­fan im Tu­mur­kie­lan­de in Ge­fan­gen­schaft zu­brach­te. Es bil­det so­wohl for­mell wie dem In­hal­te nach den Mit­tel­punkt der wahr­haf­ten und merk­wür­di­gen Ge­schich­te, die Spit­ze der Py­ra­mi­de, auf wel­cher der afri­ka­ni­sche Red­ner sitzt, sei­ne schö­ne See­le auf­knöpft und mit dem bes­ten Wil­len sein Er­bau­li­ches und Be­schau­li­ches der Re­si­denz preis­gibt. Täu­brich-Pa­scha stand an der Pfor­te und nahm die Ein­tritts­kar­ten ab; ein aus­ge­wähl­tes Pub­li­kum hat­te sich auf den Stu­fen der Py­ra­mi­de um den Red­ner ver­sam­melt; der Saal war zum Er­drücken voll, aber:

       das Volk, nie möcht ich es kün­di­gen oder be­nen­nen,

       Wä­ren mir auch zehn Keh­len zu­gleich, zehn re­den­de Zun­gen,

       Wär un­zer­brech­li­cher Laut und ein eher­nes Herz mir ge­wäh­ret!

      Es ist schon schwer ge­nug, die al­lein, wel­che von ir­gend­ei­nem Ein­fluss auf den Gang un­se­rer Ge­schich­te sind, im Auge zu be­hal­ten.

      Da saß vor al­lem, mit dem Fä­cher an den fei­nen Lip­pen, die schö­ne Ni­ko­la zwi­schen der Mut­ter und dem Ge­mahl, als ob sie nie mit ei­nem Wie­sen­blu­men­kranz im Scho­ße un­ter ei­nem Bums­dor­fer Ha­ge­dorn ge­ses­sen und nie dem Mann vom Mond­ge­bir­ge auf sei­nem Wege zu dem großen Fa­mi­li­en­rat nach­ge­lacht habe. Und die Frau Ge­ne­ral­leut­nan­tin von Ein­stein war eine klei­ne, schwäch­li­che, küm­mer­li­che Dame, wel­cher neun­und­neun­zig Leu­te ge­wiss nicht zu­trau­ten, dass sie im­stan­de ge­we­sen sei, den Wil­len, die See­le ei­ner so statt­li­chen Toch­ter zu bre­chen und das Fräu­lein um drei­ßig Sil­ber­lin­ge zu ver­han­deln, wel­cher aber da­für der Hun­derts­te nicht nur die­ses, son­dern noch man­ches viel Schlim­me­re auf das be­reit­wil­ligs­te und aus volls­ter Über­zeu­gung schuld gab. Sei­ne Ex­zel­lenz der Herr Schwie­ger­sohn der treff­li­chen Ma­tro­ne war ein fei­ner, schlan­ker Mann im Al­ter von zwei­und­vier­zig bis vierund­vier­zig Jah­ren, nicht ha­ger, aber ein we­nig müde, und zwar nicht al­lein in den Bei­nen, son­dern auch in den Au­gen. Er trug die al­ler­mo­d­erns­te Art des Ba­cken­bar­tes zur Schau, und ob­gleich er kei­ne Perücke trug, so konn­te kein Zwei­fel ob­wal­ten, dass er eine sol­che mit An­stand und ohne Auf­se­hen zu er­re­gen tra­gen kön­ne, eine Gabe der Göt­ter, wel­che nicht ei­nem jeg­li­chen kahl­köp­fi­gen Sterb­li­chen ver­lie­hen wird. Er lä­chel­te fast eben­so mil­de und ge­win­nend wie der Herr Po­li­zei­di­rek­tor, wel­cher auf dem Ses­sel zu sei­ner Lin­ken Platz ge­nom­men hat­te, und tat nur sei­ne Pf­licht; denn wie wür­den die Rä­der des Wa­gens krei­schen, und wie wür­den Nabe und Ach­se zu damp­fen an­fan­gen, wenn sol­che Leu­te und Kon­duk­teu­re nicht mehr lä­chel­ten! Ob Sei­ne Ex­zel­lenz je­mals ein lau­tes Wort ge­spro­chen hat­te, konn­ten nur die­je­ni­gen wis­sen, wel­che ihn wäh­rend des ers­ten Teils sei­ner mi­li­tä­ri­schen Lauf­bahn kann­ten. Üb­ri­gens be­dien­te er sich, um den Wil­den Mann aus Afri­ka bes­ser zu ver­ste­hen, ei­ner zier­li­chen Lor­gnet­te und schenk­te ihm den gan­zen Abend hin­durch auf das wohl­wollends­te sei­ne Teil­nah­me und Auf­merk­sam­keit, wes­halb es umso wün­schens­wer­ter er­schi­en, dass auch die üb­ri­gen Freun­de vor sei­nem Red­ner­stuhl aus­hiel­ten, um auch ih­r Wohl­wol­len zur Gel­tung zu brin­gen.

      Da saß die Frau Ma­jo­rin Emma mit den al­ler­treu­her­zigs­ten Au­gen und je­nem ängst­li­chen Zug aus dem Lärm der Kin­der­stu­be um den Mund und »pass­te ge­nau auf«. Da stand der Ma­jor an einen Pfei­ler ge­lehnt, und dicht ne­ben ihm stand der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger und hielt sich, zit­ternd vor über­mäch­ti­ger Span­nung, an der Stuhl­leh­ne sei­ner Toch­ter Se­re­na, wel­che so gern all ihre üble Lau­ne in Wor­te fass­te, um für ihre Wer­ke de­sto freie­re Hand zu be­hal­ten. Da stand mehr im Hin­ter­grund der Vet­ter Was­ser­tre­ter aus Nip­pen­burg und hielt sich, um nicht durch un­zeit­ge­mä­ße Ver­ren­kun­gen und Pur­zel­bäu­me all­ge­mei­nes Är­ger­nis zu ge­ben, an dem Herrn von Bums­dorf, wel­cher, durch über­mä­ßi­ges Schul­den­be­zah­len und Wech­se­lein­lö­sen recht ele­gisch ge­stimmt, umso fä­hi­ger war, die »gan­ze Pre­digt« an­zu­hö­ren und das Un­be­greif­lichs­te be­greif­lich zu fin­den. Herr Hugo von Bums­dorf, be­deu­tend hei­te­rer als sein Papa und nur ganz un­be­deu­tend von sei­nem Ge­wis­sen ge­quält, war durch eine Sei­ten­tür in den Saal ge­tre­ten und hat­te eine gan­ze Schar ju­gend­li­cher En­thu­sias­ten aus den nächs­ten Kaf­fee­häu­sern mit­ge­bracht; es war sei­ne fes­te Ab­sicht, al­le sei­ne Ver­pflich­tun­gen heu­te ein­zu­lö­sen und so­mit auch das am Mor­gen ge­ge­be­ne Wort: für den Er­folg des Abends mit gan­zer Kraft ein­tre­ten zu wol­len!

      Ein letz­tes Rau­schen, Rau­nen und Zi­scheln durch die Ver­samm­lung, ein letz­tes Räus­pern und Stuhl­rücken!

      Drei Ver­beu­gun­gen des Red­ners hin­ter dem grün­be­häng­ten Tisch­chen und den bei­den Wachs­ker­zen; ein dump­fes Ge­fühl der Reue, je Abu Tel­fan ver­las­sen zu ha­ben; eine tie­fe Sehn­sucht, sporn­streichs dort­hin zu­rück­zu­keh­ren und das Ge­sicht tief, tief, tief in den Schoß der Ma­dam Kul­la Gul­la zu ver­gra­ben!

      »Mei­ne


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