Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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hei­ra­te­te, lie­ber Leon­hard, und jetzt will ich Ih­nen in drei Wor­ten alle Theo­rie und Pra­xis mei­nes Ehe­stan­des ex­po­nie­ren: Fün­fund­drei­ßig Jah­re lang war ich links um die Ecke ge­bo­gen, und vom neun­und­zwan­zigs­ten Sep­tem­ber mit­tags zwölf Uhr und fünf­und­zwan­zig Mi­nu­ten im sechs­und­drei­ßigs­ten Le­bens­jahr bis zum Tode mei­ner gu­ten The­re­se hat­te ich rechtsum zu bie­gen. For­schen Sie in al­len glück­li­chen und un­glück­li­chen Ehen nach, und Sie wer­den über­all den­sel­ben An­gel­punkt fin­den und kön­nen sich an ihn hal­ten. Ja, Ha­ge­bu­cher, ein­mal, nur ein ein­zi­ges Mal ver­such­te ich es noch, links ab­zu­bie­gen: aber ich ließ es bei die­sem Ver­su­che be­wen­den; alle an­ge­neh­men Stun­den je­doch, wel­che ich in der Ehe ver­leb­te, hab ich üb­ri­gens ihm zu ver­dan­ken; denn er lehr­te mich er­ken­nen, was der Mann der Frau schul­dig ist und dass der Mann der Frau nicht we­nig schul­dig ist.«

      »Wol­len Sie da­mit mei­ne Grund­fra­ge be­ant­wor­ten, teu­rer Meis­ter?«

      »Ja!« sprach der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger fest. »Mei­ne An­sicht von den Wei­bern geht da­hin, dass es zwei Ar­ten der­sel­ben gibt, un­ver­hei­ra­te­te und ver­hei­ra­te­te, im Ver­kehr mit wel­chen dem männ­li­chen Men­schen die höchs­te Vor­sicht an­zu­emp­feh­len ist. Ich will gra­de nicht sa­gen, dass der Herr den, wel­chen er lieb­hat, da­durch am ärgs­ten züch­ti­ge, dass er ihn ver­liebt wer­den lässt oder gar ihm eine Frau gibt; aber ein gu­tes Mit­tel, einen sei­nen Herr­gott er­ken­nen zu las­sen, ist es. Üb­ri­gens aber glau­be ich auch, dass die Da­men im All­ge­mei­nen wie im be­son­dern über­all ein­an­der gleich sind und dass je­mand, der im Tu­mur­kie­lan­de Ach­tung ge­ge­ben hät­te, eben­so­viel da­von wis­sen könn­te wie der Dok­tor der Welt­weis­heit und Pro­fes­sor der ori­en­ta­li­schen Spra­chen am hie­si­gen il­lus­t­ren Col­le­gio Au­gus­ti­no, Chris­ti­an Ge­org Rei­hen­schla­ger.«

      Leon­hard Ha­ge­bu­cher tat jetzt die letz­te Fra­ge an den wür­di­gen ge­lehr­ten Mann, und sie gab kei­ner der vor­her­ge­hen­den an Un­ver­schämt­heit et­was nach, sie war so­gar fre­cher als alle:

      »Sie ha­ben eine Toch­ter, Pro­fes­sor; hat die­se Toch­ter, hat Fräu­lein Se­re­na Sie nicht für man­ches Er­dul­de­te reich­lich, über­reich­lich ent­schä­digt? O sa­gen Sie mir auch die­ses noch, und ich ver­spre­che Ih­nen, auf der Stel­le mit Ih­nen zum Kop­ti­schen zu­rück­zu­keh­ren.«

      Der Pro­fes­sor zog den Afri­ka­ner dicht an sich her­an und flüs­ter­te:

      »Ja, Ha­ge­bu­cher, sie hat mich ent­schä­digt! Sie ist ein gu­tes Mäd­chen; aber sie ist ein Weib und war es von ih­rer Wie­ge an. Da war mein frü­he­rer Haus­ge­nos­se und Schü­ler, Fer­di­nand Zwick­mül­ler, ein gu­ter Jun­ge, wel­cher sich jetzt in der Nähe von Genf dem in­ter­na­tio­na­len Un­ter­richts­we­sen wid­met; glau­ben Sie wohl, dass ich mit blu­ten­dem Her­zen ihn ent­las­sen muss­te, um ihn vor dem Ver­der­ben zu be­wah­ren? Der Narr war fest über­zeugt, er lie­be die jun­ge Gans und sie kön­ne nicht ohne ihn le­ben; aber ich bat mir sein Stamm­buch aus, schrieb hin­ein: Kul­lu mus­kirün ha­ram, al­les, was trun­ken macht, ist ver­bo­ten, gab ihm einen an­stän­di­gen Wech­sel und schick­te ihn in die fri­sche Luft. Heu­te ist er mir sehr dank­bar da­für.«

      »Wis­sen Sie das ge­wiss?« frag­te Ha­ge­bu­cher tief nach­denk­lich.

      »Er lässt es in je­dem Brie­fe, den er mir schreibt, durch­bli­cken. Aber kom­men Sie jetzt, Freund, es wird kühl; las­sen Sie uns in mein Stu­dier­zim­mer hin­auf­stei­gen.«

      Die bei­den Her­ren wen­de­ten sich, ver­lie­ßen den Gar­ten und tra­ten in das Haus. Häs­lein hin­ter dem Busch hat­te sich längst ge­duckt und war gleich­falls aus dem Gar­ten ver­schwun­den; aber Ha­ge­bu­cher such­te und fand es noch für ei­ni­ge Au­gen­bli­cke, ehe er dem Papa die Trep­pe hin­auf­folg­te; al­lein ob er nicht bes­ser ge­tan ha­ben wür­de, es für jetzt sich sel­ber zu über­las­sen, las­sen wir eine of­fe­ne Fra­ge blei­ben.

      Dicht ne­ben der Tür des Hau­ses, wel­che in den Gar­ten führ­te, be­fand sich die Kü­che des Hau­ses. Es brann­te ein lus­ti­ges Feu­er­chen auf dem Her­de, und ein Topf und ein Kes­sel san­gen ne­ben der Glut ihr heim­li­ches Duett und rüs­te­ten sich eben zum Über­ko­chen. Und vor dem Her­de, der lus­ti­gen Flam­me, dem Topf und dem Kes­sel stand Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger; und die bei­den klei­nen Händ­chen, wel­che sonst wie ein Schwal­benpär­chen fort und fort hin- und wi­der­flat­ter­ten und zu­sam­men­tru­gen, hat­ten sich in die­sem Au­gen­bli­cke un­tä­tig auf dem Rücken zu­sam­men­ge­fun­den, hat­ten ihre Ar­beit ganz gründ­lich ein­ge­stellt.

      »Ist’s er­laubt, Fräu­lein Se­re­na, darf man sich ein we­nig die Hän­de wär­men?« frag­te der Afri­ka­ner, an den Herd tre­tend.

      Die klei­ne Haus­wir­tin wich nach der an­de­ren Sei­te hin­über und sag­te mit ei­nem Blick nach dem Fens­ter:

      »Sie führ­ten ja da eben im Gar­ten eine recht leb­haf­te Un­ter­hal­tung mit dem Papa, Herr Ha­ge­bu­cher; wo­von war denn die Rede, wenn man fra­gen darf?«

      Mit kläg­lichs­ter Mie­ne zog Leon­hard die Ach­seln in die Höhe, als sei er des tiefs­ten Be­dau­erns und Mit­leids der jun­gen Dame wie sei­nes ei­ge­nen si­cher, und seufz­te:

      »O Gott, nur im­mer von der kop­ti­schen Gram­ma­tik – es ist fürch­ter­lich und auf die Dau­er nicht aus­zu­hal­ten!«

      Und Topf und Kes­sel koch­ten in die­sem Mo­ment wirk­lich über und konn­ten kei­nen pas­sen­dern dazu wäh­len. Und Feu­er und Was­ser sag­ten ein­an­der ihre Mei­nung mit ge­wal­ti­gem Ge­zisch, Ge­spru­del und Ge­pras­sel. Es ent­stand ein mäch­ti­ger Dampf, und durch den­sel­ben rief Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger:

      »Sie ha­ben recht, Herr Ha­ge­bu­cher, es ist wirk­lich auf die Dau­er nicht zu er­tra­gen! Ge­hen Sie mir aus mei­ner Kü­che, Sie Stö­ren­fried! Sie ha­ben nicht das min­des­te dar­in zu su­chen!«

      Hus­tend und nie­send wich der Mann vom Mond­ge­bir­ge zu­rück und mur­mel­te, wäh­rend er die Trep­pe hin­auf dem Pro­fes­sor nach­stieg, meh­re­re Male:

      »Kul­lu mus­kirün ha­ram!«

      Die Le­ser wis­sen be­reits, was die­se Wor­te in deut­scher Zun­ge be­deu­ten.

      Die­ses ist das sieb­zehn­te Ka­pi­tel der wahr­haf­ten und merk­wür­di­gen His­to­rie des Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher, der zwölf Jah­re zu Abu Tel­fan im Tu­mur­kie­lan­de in der Ge­fan­gen­schaft zu­brach­te, und bit­tet der Ver­fas­ser zu be­mer­ken, mit welch ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen Fein­heit er sei­nen Hel­den hier dicht vor ein zwei­tes Ex­amen stellt. Dem ers­ten hat­te er sich im fünf­ten Ka­pi­tel zu un­ter­zie­hen und fiel jäm­mer­lich durch.

      Die po­li­zei­li­che Er­laub­nis war er­be­ten und er­teilt wor­den; der Saal stand zur Ver­fü­gung, die Be­völ­ke­rung der Re­si­denz und der um­lie­gen­den Land­schaft war durch das Lan­des­in­tel­li­genz­blatt so­wie ei­ni­ge an­de­re Blät­ter ge­nü­gend be­nach­rich­tigt wor­den: Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher aus Bums­dorf hat­te die Ehre, ei­nem ver­eh­rungs­wür­di­gen Pub­li­ko die ers­te sei­ner Vor­le­sun­gen über das in­ne­re Afri­ka und das Ver­hält­nis


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