Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ging dar­auf mit den El­fen­bein­händ­lern und sei­nem Freun­de Se­mi­bec­co ni­lauf­wärts und be­fand sich auf dem be­kann­ten und be­hag­li­chen Ter­rain von Abu Tel­fan, fast ohne zu wis­sen, wie er so bald und so si­cher da­hin ge­langt sei. Sein Selbst­ver­trau­en wuchs, je nä­her er dem Äqua­tor kam, sei­ne Ge­dan­ken wur­den umso lich­ter, je mehr sich das Pig­ment un­ter der Epi­der­mis der Völ­ker­schaf­ten ver­dich­te­te und schwärz­te; und als er nun gar die Fel­sen des Tu­mur­kie­lan­des glück­lich zwi­schen sich und die Zi­vi­li­sa­ti­on ge­scho­ben hat­te, wur­de er sei­ner ge­gen­wär­ti­gen eu­ro­päi­schen Zu­hö­rer­schaft ge­gen­über so hei­ter, un­be­fan­gen, ja un­ver­schämt, dass er die Wün­sche und Hoff­nun­gen des Herrn von Glim­mern und die schlimms­ten Be­fürch­tun­gen des Ma­jors Wild­berg weit über­traf. Er mach­te in der Tat Ver­glei­chun­gen, und zwar sol­che, wel­che nur einen un­ge­wöhn­lich ver­wor­fe­nen deut­schen Staats­bür­ger und Un­ter­tan an­ge­nehm be­rüh­ren konn­ten. Er er­laub­te sich, von den Ver­hält­nis­sen des Tu­mur­kie­lan­des wie von de­nen der ei­ge­nen sü­ßen Hei­mat zu re­den und Po­li­tik und Re­li­gi­on, Staats- und bür­ger­li­che Ge­setz­ge­bung, Ge­rech­tig­keits­pfle­ge, Ab­ga­ben, Han­del und Wan­del, Über­lie­fe­run­gen und Dog­men, Un­wis­sen­heit und Vor­ur­tei­le auf eine Art und Wei­se in sei­nem Vor­tra­ge zu ver­ar­bei­ten, dass man als ein stau­nen­der Hor­cher durch­aus nichts Er­staun­li­ches drin ge­fun­den hät­te, wenn Sei­ne Höchst­se­li­ge bron­ze­ne Ho­heit, der Groß­fürst vom Pro­me­na­den­platz, gleich dem stei­ner­nen Kom­tur in den Saal ge­rückt wäre, um Al­ler­höchst per­sön­lich nach dem Rech­ten zu se­hen, der Schan­de All­er­gnä­digst ein Ende zu ma­chen und den ver­ruch­ten Spöt­ter Al­ler­höchst ei­gen­hän­digst beim Ohr zu neh­men und ab­zu­füh­ren.

      Nie war eine po­li­zei­li­che Er­laub­nis in Ge­gen­wart ei­nes ver­eh­rungs­wür­di­gen Adels und ge­bil­de­ten Pub­li­kums schmäh­li­cher miss­braucht wor­den; und der Gip­fel der Ab­scheu­lich­keit war, dass der Sün­der nicht ein­mal ahn­te, wie schlecht er sei und wie man­gel­haft er sich auf­füh­re, son­dern der fes­ten Über­zeu­gung sich hin­gab, er ma­che je­der­mann ein un­end­li­ches Ver­gnü­gen und es be­fin­de sich nie­mand im Saal, der nicht füh­le, hier wer­de der Wahr­heit die an­ge­nehms­te Form und die höchs­te Po­li­tur ge­ge­ben. In die­sem Sta­di­um sei­ner Rede fühl­te sich der Red­ner so eins mit sei­ner Zu­hö­rer­schaft, dass es eine wah­re Freu­de war. Der Ne­bel, wel­cher im An­fan­ge auf sei­nen Au­gen lag, hat­te sich längst ver­zo­gen, die glän­zen­den Toi­let­ten der Da­men schwirr­ten nicht mehr gleich ei­nem wahn­sin­nig ge­wor­de­nen Tul­pen­beet durch­ein­an­der; mehr und mehr ori­en­tier­te sich Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher un­ter den Ge­sich­tern und Ge­stal­ten und fing an, auf ein­zel­ne ein­zu­re­den, wie im ge­müt­lichs­ten Ge­spräch.

       Wo An­dacht auf­er­wacht, da stirbt

       Das Ich, der dun­ke­le De­spot,

      sagt Dschel­lal­le­din, und da saß der Herr Po­li­zei­di­rek­tor und lä­chel­te im­mer sü­ßer, sü­ßer, als ob es sei­ne fes­te Ab­sicht sei, sämt­li­chen Run­kel­rü­ben­zucker­fa­bri­ken und -raf­fi­ne­ri­en des Zoll­ver­eins Kon­kur­renz zu ma­chen, und der Red­ner wen­de­te sich in sei­nen Aus­füh­run­gen vor­zugs­wei­se gern an ihn; denn in kei­nem Ge­sich­te der ers­ten Rei­he, in wel­cher doch auch der Herr von Glim­mern saß, las er eine in­ni­ge­re Hin­ga­be an die Sa­che und ein fei­ne­res Ver­ständ­nis der­sel­ben. Da saß die Ge­ne­ra­lin von Ein­stein und sprach ih­rem Schwie­ger­sohn ziem­lich laut ihre Ver­wun­de­rung aus, dass »so et­was« von den be­tref­fen­den Be­hör­den ge­stat­tet wer­den kön­ne. Und da saß die Baro­nin Ni­ko­la und seufz­te in tiefs­ter See­le: »Ach, ar­mer Leon­hard!« Und der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger rieb sich ein Mal über das an­de­re die Stir­ne und mur­mel­te: »Wo hat er denn sein Kon­zept? Ist denn das sein Kon­zept? Steht denn das in sei­nem Kon­zept?« Da saß die Frau Emma, zog ihr Tuch um die Schul­tern zu­sam­men und such­te ganz ängst­lich mit den Au­gen ih­ren Ge­mahl, wel­cher lei­se einen Marsch mit dem Fuße trom­mel­te und den Blick der Gat­tin tun­lichst ver­mied. Und Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger mach­te die aller­größ­ten Au­gen und amü­sier­te sich kö­nig­lich; über­haupt gab es vie­le, wel­che ihr Be­ha­gen nicht ver­bar­gen, dem wun­der­li­chen Men­schen hin­ter den bei­den Wachs­ker­zen mit stets stei­gen­der Span­nung auf sei­nen We­gen folg­ten und so­mit alle spä­tern Vor­sichts­maß­re­geln durch ihr Ge­ba­ren auf das glän­zends­te recht­fer­tig­ten. Das Neue und Ge­wag­te mach­te zu­gleich be­trof­fen und ent­zück­te; die Iro­nie fühl­ten nicht alle, die tie­fe Bit­ter­keit sehr we­ni­ge, das Ko­mi­sche fast alle au­ßer den Da­men, wel­che da­ge­gen umso mehr von dem Ro­man­ti­schen, dem Schreck­li­chen und dem Mit­lei­der­re­gen­den an­ge­zo­gen wur­den.

      Es war nicht zu leug­nen, Leon­hard Ha­ge­bu­cher zeig­te sich sei­ner Auf­ga­be voll­kom­men ge­wach­sen; er ent­wi­ckel­te ein be­trächt­li­ches Ta­lent der Schil­de­rung, und das Land vom Mit­tel­meer bis zum Mond­ge­bir­ge leb­te vor den Au­gen sei­ner Zu­hö­rer. Sein Vor­trag war zwar nur eine Fata Mor­ga­na, wel­che man­ches ver­zog oder auf den Kopf stell­te, wel­che aber doch oder oft gra­de des­halb ma­gisch ge­nug auf die­se deut­schen Klein­re­si­denz­ler, ihre Wei­ber und Töch­ter wirk­te. Bei manch ei­nem misch­te sich ein Ge­fühl der Be­schä­mung in das In­ter­es­se, wel­ches er an die­sem Ge­fan­ge­nen der Ma­dam Kul­la Gul­la nahm, ein Ge­fühl, dass es mit dem Wohl­be­ha­gen an und in ei­ner en­gen, wenn auch noch so rein­lich und schmuck ge­hal­te­nen Um­ge­bung doch nicht völ­lig ge­tan sei. Es rüt­tel­te et­was an die­sen wohldres­sier­ten Be­am­ten- und Ban­kiers­see­len und wies hin­aus über den Po­li­zei­die­ner an der Tür des Saa­l­es und den Po­li­zei­di­rek­tor in der ers­ten Sitz­rei­he der Zu­hö­rer. Hier hat­te sich je­mand durch viel Dreck und Blut, durch sehr un­so­li­de und un­ge­ord­ne­te Ver­hält­nis­se un­ter Tür­ken, Moh­ren und Hei­den al­ler Schat­tie­run­gen wa­cker durch­ge­schla­gen und brach­te aus der grim­migs­ten Skla­ve­rei, der heil­lo­ses­ten Er­nied­ri­gung einen sol­chen Hauch der Frei­heit in die­se so ra­tio­nell ge­ord­ne­te Ge­wöhn­lich­keit mit, dass das phi­lis­ter­haf­tes­te Selbst­ge­fühl darob mit ban­gem Ekel und Über­druss und bei den ed­le­ren Na­tu­ren mit ei­nem dun­keln Schmerz in Wi­der­streit ge­riet. Manch ei­nem ward es wie ei­nem Kran­ken zu­mu­te, der auf sei­nen hei­ßen Kis­sen vom blau­en Meer und ei­nem Se­gel in wei­ter Fer­ne träumt; es füll­te sich mehr als ein Paar ju­gend­li­cher Au­gen mit Trä­nen, und ver­schie­de­ne glatz­köp­fi­ge As­ses­so­ren und zah­lener­drück­te Rend­an­ten nah­men sich fest vor, bei der nächs­ten Be­geg­nung mit dem Vor­ge­setz­ten die­sen zu­erst grü­ßen zu las­sen. Was den Vet­ter Was­ser­tre­ter an­be­lang­te, so be­fand sich der­sel­be in ei­nem Zu­stan­de der Ent­zückung, wel­cher sich kaum be­schrei­ben lässt. Sein Leon­hard über­traf sei­ne schöns­ten, aber auch bos­haf­tes­ten, heim­tückischs­ten, fre­vel­haf­tes­ten Er­war­tun­gen. Er wur­de groß und wur­de klein, er at­me­te schnell und er­stick­te fast vor ei­nem Ver­gnü­gen, wel­ches ihm si­cher­lich kei­nen An­spruch auch auf die al­ler­un­ters­te Klas­se des Lan­des­or­dens für ver­dien­te Zi­vil­be­am­te gab.

      »Recht so, recht so, mein Sohn!« mur­mel­te er. »Her­un­ter mit dem Im­mer­grün un­se­rer Ge­füh­le von dem al­ten Ge­mäu­er! Nie­der mit dem Efeu! Zei­ge dem Pack, wie das Ding ohne


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