Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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auch von uns nicht ver­langt wer­den, dass wir den gan­zen Vor­trag hier ab­dru­cken, so­we­nig als wir eine Fo­to­gra­fie des Vor­tra­gen­den bei­le­gen wer­den; doch ge­ben wir an die­ser Stel­le ein Bruch­stück des Schlus­ses, wel­ches uns dann zu ei­ner Ka­ta­stro­phe führt, die nie­mand vor­aus­se­hen konn­te, we­der der Red­ner selbst noch sei­ne Freun­de und merk­wür­di­ger­wei­se auch der Herr Po­li­zei­di­rek­tor nicht.

      Mit dem ge­fäl­ligs­ten Lä­cheln sich von dem so­eben wie­der an­ge­führ­ten Herrn ab und von neu­em an sein Ge­samt­pu­bli­kum wen­dend, sprach Ha­ge­bu­cher fol­gen­des, in­dem er sich aus den rea­lis­ti­schen Ein­zel­hei­ten sei­ner afri­ka­ni­schen Er­fah­run­gen zu ei­ner letz­ten all­ge­mei­nen Be­trach­tung er­hob:

      »Ich habe Ih­nen man­ches er­zählt, mei­ne Herr­schaf­ten, was mir erst wäh­rend des Er­zäh­lens in den Sinn kam; ich habe Ih­nen einen grim­mi­gen Ernst in ei­nem so hei­tern Licht ge­zeigt, wie mir nur ir­gend mög­lich war, und hof­fe Sie nicht all­zu­sehr ge­lang­weilt zu ha­ben. Es ist et­was Ge­wal­ti­ges um den Ge­gen­satz der Welt, und die zwei­und­neun­zigs­te Nacht der ara­bi­schen Mär­chen weiß da­von zu be­rich­ten. Wenn der Kö­nig von Se­ren­dib auf sei­nem wei­ßen Ele­fan­ten aus­rei­tet, so ruft der vor ihm sit­zen­de Hof­mar­schall von Zeit zu Zeit mit lau­ter Stim­me: Dies ist der große Mon­arch, der mäch­ti­ge und furcht­ba­re Sul­tan von In­di­en, wel­cher grö­ßer ist, als der große Sa­lo­mo und der große Ma­ha­ra­dscha wa­ren! – Worauf der hin­ter Sei­ner Ma­je­stät hocken­de ers­te Kam­mer­herr ruft: Die­ser so große und mäch­ti­ge Mon­arch muss ster­ben, muss ster­ben, muss ster­ben! – Und der Chor des Vol­kes ant­wor­tet: Ge­lobt sei der, der da lebt und nie stirbt! – Mei­ne hoch­ver­ehr­ten Herr­schaf­ten, es ist nie­mand auf Er­den, wes Stan­des und Ge­schlechts er auch sein möge, den die­se drei Rufe nicht fort und fort auf sei­nem Wege von der Wie­ge bis zur Gru­be um­tö­nen. Wohl dem, der sei­nes Men­schen­tums Kraft, Macht und Herr­lich­keit kennt und fühlt durch alle Adern und Fi­bern des Lei­bes und der See­le! Wohl dem, der stark ge­nug ist, sich nicht zu über­he­ben, und ru­hig ge­nug, um zu je­der Stun­de dem Nichts in die lee­ren Au­gen­höh­len bli­cken zu kön­nen! Wohl dem vor al­len, dem je­ner letz­te Ruf über­all und im­mer der ers­te ist, wel­chem der un­ge­heu­re Lob­ge­sang der Schöp­fung an kei­ner Stel­le und zu kei­ner Stun­de ein sinn­lo­ses oder gar wi­der­li­ches Rau­schen ist und der aus je­der Not und je­der Ver­dun­ke­lung die Hand auf­re­cken kann mit dem Schrei: Ich lebe, denn das Gan­ze lebt über mir und um mich! – Mei­ne Da­men und Her­ren, es ist et­was sehr Schö­nes und un­ter Um­stän­den recht An­ge­neh­mes um den Ge­gen­satz – war es nicht die Lust am Kon­trast, wel­che Sie alle be­wog, mir heu­te Abend so zahl­reich in die­sem Saa­le Ihre Ge­gen­wart zu schen­ken? Sie spra­chen zu­ein­an­der oder zu sich selbst: Hier ist ein Mensch zu uns ge­kom­men, der zwölf Jah­re bei den Un­ter­ir­di­schen wohn­te, wäh­rend wir ohne Un­ter­bre­chung im Licht des fröh­li­chen Äthers un­ser Da­sein wei­ter­spin­nen durf­ten. Je­ner wird drol­li­ge, selt­sa­me Din­ge zu er­zäh­len wis­sen; hö­ren wir sei­ne Mé­moi­res d’ou­tre-tom­be, ma­chen wir uns den Spaß, die­ses Irr­licht, die­sen Spuk auf dem Gra­be sei­ner ei­ge­nen Exis­tenz tan­zen zu se­hen! – Mei­ne Hoch­zu­ver­eh­ren­den, das Ge­s­penst hat ge­tanzt, und Sie ver­nah­men den An­fang des­sen, was es Ih­nen gern mit­tei­len möch­te. Sie wa­ren vie­le Wa­chen­de ge­gen ei­nen Träu­men­den, vie­le Se­hen­de ge­gen ei­nen Ge­blen­de­ten; ich aber habe jetzt nur den ei­nen Wunsch, dass Sie alle Ihre Rech­nung – –«

      Die bei­den Wachs­ker­zen ge­rie­ten ins Schwan­ken auf dem schwan­ken­den Tisch­chen; in dem Au­gen­blick, als der Vet­ter Was­ser­tre­ter sei­nen Leon­hard glück­lich aus al­len Ge­fah­ren, Tie­fen, Un­tie­fen, Bran­dun­gen und Wir­beln des Abends an das Land ge­ret­tet glaub­te, jag­te die­ser ihm einen Schre­cken ein, wel­cher über alle sei­ne viel­jäh­ri­gen Nip­pen­bur­ger Er­fah­run­gen ging.

      Der Red­ner stock­te im bes­ten Flus­se sei­ner Rede und starr­te in den Saal, als tau­che nun­mehr ihm selbst in den Rei­hen sei­ner Zu­hö­rer ein Ge­s­penst auf, ein Geist, wel­chen er in die­sem Au­gen­bli­cke nicht ge­ru­fen hat­te.

      Und so war es auch! Und die gan­ze Ver­samm­lung merk­te so gut wie der Geis­ter­se­her selbst, dass sich ein un­er­war­te­ter Gast in ihre Mit­te ge­drängt habe, ob­gleich sie ihn nicht wie je­ner er­blick­te oder, wenn sie ihn auf­fand, ihn doch nicht er­kann­te.

      Ganz im Hin­ter­grun­de des Saa­l­es, aber bloß von ei­ner Gas­flam­me be­leuch­tet, er­hob sich über die hüb­schen Ge­sicht­chen der bei­den Töch­ter des Po­strats Zwir­ne­mann ein an­de­res Ge­sicht, bär­tig, sonn­ver­brannt und ge­furcht und zer­fetzt, als ob eine Ti­ger­kat­ze mit aus­ge­spreiz­ter Kral­le hin­ein­ge­schla­gen habe.

      Der Herr van der Mook!… Wenn der wil­de, zer­zaus­te Fremd­ling vor­ge­sprun­gen und mit ei­nem Satz und dem schöns­ten Gruß von Abu Tel­fan und der Ma­dam Kul­la Gul­la dem Red­ner an den Hals ge­flo­gen wäre, so wür­de das die­sen nicht so sehr aus dem Kon­zept ge­bracht ha­ben als die ziem­lich ent­ge­gen­ge­setz­te Art, in wel­cher er sei­ne Freu­de am Wie­der­se­hen und Wie­de­rer­ken­nen kund­gab. Der Herr van der Mook leg­te den Zei­ge­fin­ger der lin­ken Hand bit­tend auf den Mund und schüt­tel­te dro­hend die rech­te Faust ge­gen den er­starr­ten Ha­ge­bu­cher – die Vor­le­sung war un­be­dingt zu Ende, und der Puls­schlag des Vet­ters Was­ser­tre­ter stock­te wie das Wort des Red­ners.

      Noch ein­mal ver­such­te der letz­te­re sei­nen Fa­den wie­der­zu­fin­den; aber er gab es schnell auf und schloss mit der kon­fus und un­deut­lich her­vor­ge­stot­ter­ten Ver­si­che­rung, dass er in acht Ta­gen, wenn das Schick­sal es er­lau­be, da fort­fah­ren wer­de, wo er jetzt en­di­ge. Das Schick­sal, so­weit es sich an dem heu­ti­gen Abend durch den Po­li­zei­di­rek­tor Bet­zen­dorff ver­tre­ten ließ, lä­chel­te fein und ver­bind­lich; es pflegt das be­kannt­lich häu­fig so zu ma­chen, auch in Fäl­len, wo sei­ne Schluss­ent­schei­dung noch lan­ge nicht fest­steht.

      Folg­te das Ge­tüm­mel des Auf­bruchs und riss alle in dem ge­wöhn­li­chen un­ge­müt­li­chen Durchein­an­der aus dem Saa­le fort, die blei­che, er­reg­te Ni­ko­la un­ter dem Schut­ze der Mut­ter, des Gat­ten und des Herrn von Bet­zen­dorff. Mit den ver­schie­den­ar­tigs­ten Ge­füh­len dräng­ten sich die Freun­de um den ver­wirr­ten, schwit­zen­den, be­täub­ten Red­ner, der nicht ein Wort von dem, was sie ihm zu be­mer­ken hat­ten, ver­stand.

      »Van der Mook, van der Mook!« mur­mel­te er, sich ge­gen die Türe drän­gend; aber der Be­frei­er war ver­schwun­den, und Täu­brich-Pa­scha, der Wäch­ter an der Türe, hat­te nur ge­horcht, aber nicht ge­se­hen. Der spuk­haf­te Fin­ger und die ge­spens­ti­sche Faust dul­de­ten kei­ne zu lau­te und zu sehr das Auf­se­hen der Men­schen er­re­gen­de Nach­for­schun­gen; es blieb dem fie­bern­den Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de nichts an­de­res üb­rig, als sich den Freun­den wie­der an­zu­schlie­ßen und eine sehr zer­streu­te und geis­tes­ab­we­sen­de Haupt­per­son bei dem fei­er­li­chen Mahl zu sein, wel­ches der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger oder viel­mehr des Pro­fes­sors Toch­ter ihm, dem Vet­ter Was­ser­tre­ter und dem Rit­ter von Bums­dorf hat­te be­rei­ten las­sen.

      Es war ein bra­ves Es­sen und mach­te dem Cha­rak­ter der klei­nen, wa­cke­ren Se­re­na alle Ehre. Der Wein des


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