Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Wind in sei­ner Dach­kam­mer aus ers­ter Hand, und so war’s nicht un­na­tür­lich, dass ihm träum­te, er wer­de von ei­nem un­wi­der­steh­li­chen Ver­häng­nis auf­ge­ho­ben und mit dem Kopf vor­an durch eine Bret­ter­wand ge­trie­ben. Sei­nem Nach­bar jen­seits des Gan­ges träum­te ganz das näm­li­che, und auch die­ses wi­der­sprach in An­be­tracht der Ver­hält­nis­se we­der dem We­sen des Trau­mes noch der au­gen­blick­li­chen Stim­mung und Emp­fäng­lich­keit des Träu­men­den.

      Noch war es voll­stän­dig Nacht, als der Schnei­der das Feu­er­zeug er­tas­te­te und sei­ne Lam­pe an­zün­de­te; zwi­schen fünf und sechs Uhr stand er, nach Be­fehl, vor dem Bet­te sei­nes Pa­trons, neig­te sich über ihn wie Gül­na­re über den zum Tode ver­ur­teil­ten Kon­rad und flüs­ter­te:

      »Da liegt er, da liegt er sanft und süß und un­schul­dig wie ein Kind im Schlum­mer und weiß nicht, was er vor sich hat!«

      Ein tie­fes Äch­zen ant­wor­te­te ihm, und un­ter sei­ner De­cke her­vor stöhn­te Ha­ge­bu­cher:

      »Sie ir­ren sich sehr, Täu­brich! Er weiß sehr gut, was er vor sich hat: Schlum­mer? Un­schuld? Sü­ßig­keit? O Täu­brich, sei­en Sie kein Esel – ich wün­sche von Her­zen, dass Sie eine bes­se­re Nacht ge­habt ha­ben mö­gen als ich.«

      »Es war un­ge­wöhn­lich win­dig, Sidi.«

      »Re­den Sie mir nicht da­von, Täu­brich, ich habe große Lust, das für ein recht bö­ses Omen zu neh­men. O Gott, wes­halb muss­te ich mich doch auf die­sen Un­sinn ein­las­sen?«

      Die Ge­dan­ken und Vor­stel­lun­gen, an wel­chen Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher sich stieß, als er sich jetzt gleich­falls auf­rich­te­te, wa­ren viel här­ter als der Bal­ken über dem Haup­te des Paschas, und alle Trost­grün­de des letz­tern wa­ren eben­so ver­geb­lich wie der ei­ge­ne schwäch­li­che Ver­such, sich sel­ber zu über­zeu­gen, dass man doch wohl schon et­was Schlim­me­res durch­ge­bis­sen habe.

      Im tiefs­ten Schwei­gen be­rei­te­ten die bei­den Ori­en­ta­len ih­ren Kaf­fee und tran­ken ihn; düs­ter qualm­ten die bei­den Mor­gen­pfei­fen in den düs­tern Mor­gen hin­ein, und als der Mann vom Mond­ge­bir­ge nun gar sein Heft vor sich hin­leg­te und an­fing zu me­mo­rie­ren, da steck­te der Wahn­sinn in Per­son den Kopf in die Tür und ver­sprach, heu­te Abend wie­der nach­se­hen zu wol­len. Wie ein tot­ge­bo­re­nes Kind trug Täu­brich das schwar­ze Bein­kleid des Red­ners in das Ge­mach, und als er am Frack einen wich­ti­gen Knopf nicht vor­fand, ent­rang sich sei­ner Brust ein sol­cher Seuf­zer, dass Ha­ge­bu­cher für eine lan­ge Zeit den Fa­den des­sen, was er sa­gen woll­te, to­tal ver­lor und von dem zit­tern­den Pa­scha nur mit äu­ßers­ter Mühe zu der Über­zeu­gung ge­bracht wur­de, dass nur ein Knopf ver­misst wer­de. Es war ein großer Tag, und wie es zu ge­sche­hen pflegt, so soll­te an ihm eine Auf­re­gung der an­de­ren fol­gen.

      Schon um acht Uhr er­schi­en atem­los der Leut­nant Hugo von Bums­dorf, bat in­stän­digst um Ver­zei­hung, weil er so früh stö­re, und er­kun­dig­te sich un­ge­mein zärt­lich und be­sorgt nach dem Be­fin­den des Afri­ka­ners, dem er zu­gleich un­auf­ge­for­dert ver­sprach, nach ei­ge­nen schwa­chen Kräf­ten für den Er­folg des Abends wir­ken zu wol­len; zu­gleich aber hat­te er auch sei­ne Sor­gen und er­laub­te sich, die­sel­ben dem be­rühm­ten Bums­dor­fer Lands­mann und gu­ten Freun­de des Pa­pas vor­zu­tra­gen. Es un­ter­lag kei­nem Zwei­fel, der »Alte« kam si­cher heu­te in die Stadt, um den Vor­trag des Herrn Ha­ge­bu­cher an­zu­hö­ren, und da wäre es doch im höchs­ten Gra­de un­an­ge­nehm, wenn der gute, aber häu­fig un­trak­ta­ble Greis so­gleich al­ler­lei bös­ar­ti­gem, in­tri­gan­tem, ge­winn­süch­ti­gem Volk in die Hän­de fal­le, ohne von ei­ner zwar sanf­ten, aber fes­ten Freun­des­hand zu ei­nem rich­ti­gen, der ge­gen­wär­ti­gen Le­bens­an­schau­ung kon­for­men Ver­ständ­nis der Din­ge hin­ge­lei­tet zu wer­den. Er, der Herr Leut­nant, kann­te die Schlech­tig­keit der Men­schen nur zu gut und wuss­te ge­nau, wel­che Be­hut­sam­keit im Ver­kehr mit ih­nen er­for­der­lich sei; sein kind­li­ches Herz em­pör­te sich bei dem Ge­dan­ken, den ge­lieb­ten, aber et­was bock­bei­ni­gen Er­zeu­ger mit sei­nen Pro­vin­zi­al­be­fan­gen­hei­ten ei­nem sol­chen Wir­bel von Schlech­tig­keit ohne den be­ra­ten­den Bei­stand ei­nes ver­stän­di­gen Freun­des zu über­lie­fern. An die in­ni­ge Bit­te, dem Papa doch die­ser treue Knecht Eckart zu sein, knüpf­te der Leut­nant einen Schwall der ver­schie­den­ar­tigs­ten und ver­wor­rens­ten Ver­si­che­run­gen. Er sprach von Reue und Weh­mut, von Bes­se­rung und Heim­weh, von sei­nem Rat­ten­fän­ger Whig und der Jas­min­lau­be vor dem Hau­se des Steue­rin­spek­tors zu Bums­dorf. Er sprach von sei­ner Mut­ter und der Mut­ter Leon­hards, von Freund­schaft und Lie­be, von der In­fan­te­rie­ka­ser­ne und ei­nem ei­ge­nen Her­de, wel­cher letz­te­re Gol­des wert sein soll­te, ihn aber von neu­em auf sei­ne Schul­den brach­te, wes­halb er atem­los, wie er kam, fort­stürz­te, um des Ge­schickes Tücke wo­mög­lich schon am Stadt­tor zu pa­rie­ren und den noch viel tücki­sche­ren Al­ten ab­zu­fan­gen und ihn durch un­end­li­che Lie­bens­wür­dig­keit und Zärt­lich­keit zu be­zau­bern und voll­stän­dig – blind zu ma­chen.

      Auf den Leut­nant von Bums­dorf folg­te um neun Uhr ein Bil­lett der Baro­nin von Glim­mern, wel­che Glück zu dem Tage wünsch­te, aber auf et­was dunkle Wei­se vor zu großer Un­vor­sich­tig­keit warn­te und bat, das, was der Ma­jor Wild­berg heu­te noch vor­tra­gen wer­de, nach Kräf­ten zu be­rück­sich­ti­gen.

      In fie­ber­haf­ter Er­regt­heit er­schi­en um halb zehn Uhr der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger. Er brach­te alle Ta­schen voll No­ti­zen mit, wel­che er noch in das Kon­zept ein­ge­scho­ben zu ha­ben wünsch­te, und au­ßer­dem einen Gruß von Fräu­lein Se­re­na, wel­chen er je­doch nur auf drin­gen­des Ver­lan­gen von sei­ten Leon­hards und et­was ver­le­gen her­aus­gab.

      Fräu­lein Se­re­na bot dem Herrn Ha­ge­bu­cher einen gu­ten Mor­gen und wünsch­te, er möge sich am Abend nicht bla­mie­ren. Üb­ri­gens wer­de sie je­den­falls der Vor­le­sung an­woh­nen und hof­fe sich un­ter al­len Um­stän­den zu amü­sie­ren.

      »Es kommt doch al­les, an was man nicht dach­te, über einen!« stöhn­te der Afri­ka­ner. »Pro­fes­sor, wenn ich noch einen Ner­ven­schlag oder der­glei­chen an­kün­dig­te?!«

      »Das wäre noch bes­ser und in der Tat eine Bla­ma­ge!« rief der kop­ti­sche Ge­lehr­te. »Mut, Mut! Wie kann ein Mensch, der den un­sträf­li­chen Äthio­pen trotz­te, die­sem de­ge­ne­rier­ten Eu­ro­pä­er­tum ge­gen­über so zag­haft sein?«

      »Sie ha­ben gut re­den«, seufz­te der Held des Ta­ges. »Sie sit­zen mit­ten in dem dicks­ten Hau­fen die­ses Eu­ro­pä­er­tums und hö­ren ge­las­sen zu; ich aber – – – o Gott, o Gott, die Luft geht mir von Stun­de zu Stun­de mehr aus, und mei­ne ein­zi­ge Hoff­nung ist, dass sie mir bis acht Uhr abends völ­lig ab­han­den ge­kom­men sein wird!«

      »Ich ken­ne die­se Sym­pto­me; sie sind be­ängs­ti­gend, aber wei­ter nicht ge­fähr­lich«, sprach der Pro­fes­sor mit der Ge­müts­ru­he ei­nes Hen­kers, wel­cher schon mehr als einen von der Lei­ter stieß. »Brau­se­pul­ver und Selbst­ver­trau­en hel­fen am si­chers­ten dar­über weg. Das ers­te­re Mit­tel füh­re ich als al­ter Prak­ti­kus bei mir; hier das Nat­rum bi­car­bo­ni­cum, hier die Säu­re; Täu­brich, be­sor­gen Sie uns eine Fla­sche Brun­nen­was­ser.«

      Der Pa­scha kreuz­te nach der Sit­te


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