Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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was habt ihr vor euch ge­bracht in den Jah­ren mei­ner Ge­fan­gen­schaft un­ter den Bar­ba­ren! Es ist kei­ne Klei­nig­keit, in­mit­ten der Er­run­gen­schaf­ten eu­rer Zi­vi­li­sa­ti­on auf dem Rücken zu lie­gen und eure Ta­ten und Sie­ge nach­zu­le­sen. Ihr seid ein ra­res Volk, aber, of­fen ge­stan­den, mein gu­ter Freund Se­mi­bec­co hat­te auf dem Pfah­le der Bag­ga­ra­ne­ger kaum är­ger zu zap­peln und zu stöh­nen als ich in dem Hin­ter­stüb­chen des Vet­ters Was­ser­tre­ter un­ter den Ma­ku­la­tur­ber­gen, wel­che der Gute über mir auf­schüt­te­te wie der Kai­ser He­lio­ga­ba­lus – be­mer­ken Sie das fei­ne klas­si­sche Zi­tat – sei­ne Ro­sen­blät­ter über sei­nen Gäs­ten. Ganz von neu­em soll­te ich mir das Sein, das We­sen und den Be­griff der Welt klar­ma­chen, ganz von neu­em der Din­ge Mecha­nik, Phy­sik und Or­ga­nik er­ken­nen ler­nen. Bei al­len Meis­tern, Leh­rern und Pro­phe­ten dies­seits und jen­seits der fünf Sin­ne des Men­schen, ohne den treff­li­chen schwar­zen Kaf­fee des Vet­ters Was­ser­tre­ter, ohne die Frau Klau­di­ne und ohne den Man­tel des al­ten Goe­the säße ich jetzt si­cher im Lan­des­ir­ren­haus und zähl­te an den Fin­gern: a) der sub­jek­ti­ve Geist – b) der ob­jek­ti­ve Geist – c) der ab­so­lu­te Geist – und wenn ich dann nicht bei je­dem Über­gang zu ei­ner neu­en Ka­te­go­rie einen neu­en Wu­t­an­fall be­käme, so wür­de der Zu­stand recht be­frie­di­gend ge­nannt wer­den kön­nen! – Die Frau Klau­di­ne sprach: Mein Sohn, es ist eine Glo­cke, die klingt über alle Schel­len; wer in der rech­ten Wei­se still sein kann, der wird sie wohl ver­neh­men; – mein Kind, für die hei­ßes­te Stirn hat das Schick­sal ein küh­lend Mit­tel: Dem einen legt es eine wei­che Hand dar­auf, dem an­de­ren einen kla­ren Schein und zu­letzt al­len eine Erd­schol­le; du, sei still und war­te, bis dei­ne Au­gen hell wer­den. – Der alte Goe­the mein­te: Lie­ber Ha­ge­bu­cher, ein schä­bi­ges Ka­mel trägt im­mer noch die Las­ten vie­ler Esel; üb­ri­gens aber ver­wei­se ich Sie auf den drit­ten Band der Ta­schen­aus­ga­be mei­ner sämt­li­chen Wer­ke, wo auf Sei­te hun­dert­sech­zehn ge­schrie­ben steht:

       An­schaun, wenn es dir ge­lingt,

       Dass es erst ins Inn­re dringt,

       Dann nach au­ßen wie­der­kehrt,

       Bist am herr­lichs­ten be­lehrt;

      und dann et­was wei­ter un­ten mei­ne Haupt- und Leib­ma­xi­me:

       Denk an die Men­schen nicht;

       Denk an die Sa­chen!

      Der Vet­ter Was­ser­tre­ter, von sei­ner Kaf­fee­ma­schi­ne auf­bli­ckend, rief: Der Mann hat recht wie im­mer; hal­te Er sich an den Herrn Ge­hei­men Rat, Vet­ter; ich habe län­ger als vier­zig Jah­re in Nip­pen­burg ge­lebt, und ich habe ihn auch per­sön­lich ken­nen­ge­lernt, aber nur von hin­ten; denn ich kam lei­der erst in dem Au­gen­blick vor dem Gol­de­nen Pfau an, als er zur Wei­ter­rei­se in sei­nem lan­gen Über­rock in den Wa­gen stieg. – Vier­zig Jah­re in Nip­pen­burg, und nicht ein ein­zig Mal hat er mich in der Pat­sche ste­cken­las­sen, Vet­ter:

       Dein Los ist ge­fal­len, ver­fol­ge die Wei­se,

       Der Weg ist be­gon­nen, vollen­de die Rei­se,

       Denn Sor­gen und Kum­mer ver­än­dern es nicht,

       Sie schleu­dern dich ewig aus glei­chem Ge­wicht.

      Und so, mei­ne Da­men und Herr Ma­jor, wur­de mir durch ei­ge­ne Aus­dau­er und die gute Hil­fe an­de­rer all­mäh­lich ge­hol­fen in mei­ner Ver­wor­ren­heit. Ich mach­te den Sprung vom Mond­ge­bir­ge durch den pa­pier­über­kleb­ten Reif der Lo­gik in eure hel­le, ver­gnüg­te Ge­gen­wart, und hier bin ich, frech ge­nug, wohl­be­wehrt mit Speer und Schleu­der; und wenn eine Ge­nug­tu­ung für den Men­schen dar­in liegt, dass er sich auf der Höhe sei­ner Zeit hal­te, sich auf den Käm­men der Wel­len sei­nes Vol­kes schaukle, so darf ich mich sol­cher Ge­nug­tu­ung in ho­hem Maße und ganz ohne mich zu rüh­men, er­freu­en. Der Lärm eu­rer Re­vo­lu­tio­nen von achtund­vier­zig hat­te mir bis nach Suez nach­ge­zit­tert; al­les üb­ri­ge ver­schlang die Wüs­te. Es ist ein dump­fes, ver­wor­re­nes Gerücht gen Abu Tel­fan ge­kom­men, die Mit­ter­nacht schwim­me in Blut und eine Stadt der Zau­be­rer und Dä­mo­nen, wel­che ganz in der Fins­ter­nis am Ran­de der Welt lie­ge, wer­de be­stürmt von den großen Sul­ta­nen der Nord­welt; der Is­lam habe sich herr­lich er­ho­ben und der Pa­disch­ah um­rei­te auf ei­nem wei­ßen Ross das Mit­tel­meer, alle Kin­der des Pro­phe­ten zum Strei­te und zum Sie­ge auf­zu­ru­fen. Ich ma­che jetzt dem Pa­disch­ah und den ver­ehr­li­chen West­mäch­ten nach­träg­lich mein Kom­pli­ment über ihr ex­ak­tes Vor­ge­hen ge­gen den se­li­gen Kai­ser Ni­ko­laus; mit Ver­gnü­gen habe ich die da­hin ein­schlä­gi­ge Li­te­ra­tur nach­ge­le­sen. Wie ein in der Ba­stil­le le­ben­dig Be­gra­be­ner die Be­we­gun­gen der Stadt Pa­ris ver­nahm, so ver­nahm ich im Tu­mur­kie­lan­de das Rau­schen der Welt­ge­schich­te. Von dem drit­ten Na­po­le­on und Myl­ord Pal­mer­ston wur­de er­zählt wie in ei­nem Ka­ra­wan­se­rei von Al­bon­do­ka­ni und dem Gro­ßen We­sir Dscha’a­far dem Bar­me­ki­den; und auch die Be­ge­ben­hei­ten des Jah­res neun­und­fünf­zig dran­gen in ara­bi­scher Fas­sung zu uns. Ach Herr­schaf­ten, es war eben­so schwer, sich po­li­tisch wie all­ge­mein mensch­lich wie­der­zu­fin­den; aber, wie ge­sagt, es ist mir ge­lun­gen; ich weiß von neu­em Be­scheid im in­di­vi­du­el­len Recht wie im so­zia­len; ich kann euch eine Vor­le­sung hal­ten so­wohl über die Fa­mi­lie wie über die bür­ger­li­che Ge­sell­schaft, über den Ori­ent und den Ok­zi­dent; ich kann re­den gleich den an­de­ren über bil­den­de Kunst, Mu­sik und eure al­ler­neues­te Poe­sie. Wollt ihr mich episch – mit Ver­gnü­gen! Wollt ihr mich ly­risch, un­ge­mein gern! Wollt ihr mei­ne An­sich­ten über euer Dra­ma ha­ben – know nothing, aber des­sen­un­ge­ach­tet sur­git ora­tor, macht der Red­ner sein Kom­pli­ment, euch auch in die­ser Rich­tung sei­ne bes­ten Kom­pli­men­te zu Fü­ßen zu le­gen! Wie hieß der ers­te Eng­län­der, wel­cher im Krie­ge ge­gen Russ­land fiel, Herr Ma­jor?«

      »Know nothing«, ant­wor­te­te der Ma­jor la­chend.

      »Wil­liam Sal­ter hieß er und wur­de an Bord des Ter­ri­ble vor Odes­sa von ei­nem Holz­split­ter in den Hals ge­trof­fen. Seht ihr, aus dem Tu­mur­kie­lan­de muss man zu­rück­kom­men, um euch das sa­gen zu kön­nen; las­set mir Zeit, und ich wer­de zu euch re­den, in Pro­sa und in Ver­sen, wie vor­mals Fau­nen und Schick­sals­spre­cher ge­sun­gen!«

      Die Frau Emma hat­te längst in stau­nen­der Ver­wun­de­rung die Hän­de in den Schoß fal­len las­sen und rieb von Zeit zu Zeit be­denk­lich die Stirn; ihr Gat­te lach­te, aber Ni­ko­la lach­te nicht, sie er­hob ihr Haupt ein we­nig von den Kis­sen, in­dem sie sich auf den Ell­bo­gen stütz­te, und sag­te lei­se und trau­rig:

      »Ar­mer Freund, Sie ste­hen da, wo Sie mich fan­den, als Sie aus der Wüs­te heim­kehr­ten. Sie wol­len Ihr zer­stör­tes Le­ben durch wil­de Iro­nie zu­sam­men­fas­sen und zu­sam­men­hal­ten und glau­ben sich in dem La­chen ret­ten zu kön­nen, mit wel­chem Sie sich in alle Ge­gen­sät­ze stür­zen. Mit fie­ber­hei­ßen Hän­den wühl­ten Sie in dem bun­ten Keh­richt der Ge­gen­wart; wir dür­fen Ih­nen wohl glau­ben, dass Sie mehr von der­sel­ben ken­nen als wir, die wir in der Zeit leb­ten; aber Sie sol­len uns heu­te nichts mehr von Ihren Stu­di­en, Ihren trä­nen- und spott­rei­chen Er­run­gen­schaf­ten er­zäh­len; es ist ein un­er­quick­lich Hor­chen, und es über­fällt einen ein Grau­en da­bei. Lie­ber Ha­ge­bu­cher, hät­ten wir bei­de uns un­se­re Hüt­ten


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