Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
ist in dem Bu­che Mor­mon, El­ders of the church of Je­sus Christ of Lat­ter-day Saints, sind ge­zo­gen in das Land, aus wel­chem ge­kom­men ist Lehi, der Va­ter des Vol­kes, so da sein wird im Herrn, und sind ge­rit­ten von der hei­li­gen Stadt Je­ru­sa­lem bis zu dem Fluss Jor­dan, zu ho­len Was­ser, zu tau­fen und zu wei­hen die Kin­der des gol­de­nen Bu­ches. Ha­ben wir ge­schöp­fet ein jeg­li­cher ein Fäß­lein ent­hal­tend 50 Quart und sind ab­wärts ge­fol­get dem Lau­fe des Flus­ses bis zum mare mor­tu­um seu sal­sum, die Stät­te des Zor­nes zu er­ken­nen, und sind von da wie­der ge­rit­ten auf­wärts ent­lang den Bach, so da ge­nen­net wird Ki­dron, mit un­sern Brü­dern und un­serm Ge­fol­ge. Und als es ge­sch­ah, dass wir ka­men an den Ort Wadi en Naar, das Feu­er­tal, ha­ben wir ge­fun­den den, wel­chem eig­net die­ses Büch­lein, und ha­ben ihn auf­ge­ho­ben und, weil noch Le­ben in ihm war, auf ei­ner Ese­lin mit uns ge­füh­ret gen Je­ru­sa­lem. Da ha­ben wir ihn ge­las­sen.

      J. J. John­staff,

       J. W. Smit­h­field,

       bei­de

       Send­bo­ten und Ge­hei­lig­te

       der Kir­che des Letz­ten Ta­ges«

      »Frei­lich ha­ben sie mich da ge­las­sen«, fuhr Täu­brich-Pa­scha in sei­ner Er­zäh­lung fort; »aber an­de­re ha­ben mich wei­ter­be­för­dert, wie des Spa­ßes hal­ber, und alle ha­ben ih­ren Na­men in mein Wan­der­buch ge­zeich­net, und hier steht von ei­nem Wie­ner Dok­tor in Jaf­fa ge­schrie­ben, ich sei ein ku­rio­ser Ka­sus, frisch auf den Bei­nen, aber kon­fus im Kopf, und hier ist mein Pas­sa­ge­zet­tel von Bei­rut aus, und so bin ich von Triest ab auf den eu­ro­päi­schen Schub ge­kom­men; da konn­te ich denn na­tür­lich nicht mehr ver­lo­ren­ge­hen, selbst wenn ich ge­wollt hät­te. Se­hen Sie, Sidi, da fehlt kein Stem­pel und kei­ne Po­li­zei­kral­le; da kann ich mich vor je­der­mann und je­der Be­hör­de aus­wei­sen, ob­wohl ich, wie ge­sagt, erst in der Kes­sel­stra­ße auf­er­wach­te, als mir der letz­te Gen­darm den Kra­gen aus der Hand ließ. Was sa­gen Sie dazu?«

      »Wun­der­bar, höchst wun­der­bar!« hat­te Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher ge­sagt; aber kein Wun­der war’s, dass er sich aufs in­nigs­te zu die­sem selt­sa­men Wan­de­rer hin­ge­zo­gen fühl­te, zu­mal da die Auf­nah­me des­sel­ben in der Kes­sel­stra­ße nach sei­ner Rück­kehr aus dem Ge­lob­ten Lan­de gleich­falls eine große Ähn­lich­keit mit sei­nem ei­ge­nen Empfang in Nip­pen­burg und Bums­dorf be­saß. Auf die Tage des Er­stau­nens und der Ver­wun­de­rung war die Zeit der Gleich­gül­tig­keit und der Ver­ach­tung ge­folgt. Der ver­rück­te Schnei­der war bald aus der Mode ge­kom­men, trotz dem großen Alex­an­der von Hum­boldt, und seit dem Frie­den von Vil­la­fran­ca an ein lang­sa­mes Ver­hun­gern so sehr ge­wöhnt, dass er sich kaum noch et­was dar­aus mach­te und im­stan­de war, einen vol­len Ma­gen als et­was ganz Anor­ma­les zu ach­ten. Über sei­ne Kunst war die Mode eben­falls hin­weg­ge­schrit­ten, und so fris­te­te er küm­mer­lich sein Da­sein, halb als ein elen­di­ger Flick­schnei­der, halb als ein arg ge­hän­sel­ter Bo­ten­läu­fer und Lohn­die­ner, und fühl­te sich un­end­lich glück­lich. Hät­te der Kol­le­ge aus Mird ge­ahnt, wel­che Ma­gie in sei­nem Kie­sel aus dem Ba­che Ki­dron ste­cke, so wür­de er noch fes­ter oder gar nicht zu­ge­hau­en ha­ben; und wäre es man­chem acht­ba­ren, ver­stän­di­gen und wür­di­gen Man­ne von Her­zen zu wün­schen und zu gön­nen, dass er von sei­nem bes­ten Freun­de einen ähn­li­chen Schlag um die Ohren er­hal­te wie Herr Fe­lix Zöles­tin Täu­brich, ge­nannt Täu­brich-Pa­scha. – – –

      Ein Stuhl, ein Tisch und eine Ma­trat­ze nebst Woll­de­cke in ei­ner höl­zer­nen Bett­la­de bil­de­ten, ei­ni­ge Klei­nig­kei­ten ab­ge­rech­net, das gan­ze Meuble­ment des Je­ru­sa­le­mer Schnei­ders in der Kes­sel­stra­ße, und das ein­zi­ge Fens­ter sei­nes Zim­mers ge­währ­te ihm einen nicht all­zu hol­den Blick auf das ste­hen­de Ge­wäs­ser ei­nes ver­sumpf­ten Kanals ohne Ab­fluss.

      In der Ta­sche sei­ner Bein­klei­der, wel­che hin­ter der Tür am Na­gel hin­gen, be­fan­den sich nur noch zwei Sil­ber­gro­schen und ei­ni­ge Kup­fer­mün­zen, bei­des Geld­sor­ten, auf wel­chen die Fürs­ten der Erde ihre Por­träts nicht zum Ab­druck brin­gen las­sen; und auf drei Mei­len in der Run­de gab es kei­nen zwei­ten Men­schen, der sich so leicht und so wohl fühl­te wie Herr Zöles­tin Täu­brich, ge­nannt Täu­brich-Pa­scha.

      Er saß mit über­ein­an­der­ge­schla­ge­nen Bei­nen auf sei­nem La­ger, wie Mo­ham­med Abulkas­sim ibn Ab­dal­lah auf sei­nem Ehren­sitz im sie­ben­ten Him­mel. Er trug einen Fes, einen ech­ten Fes, ge­kauft von Abul Ab­dal­lah ibn Mo­ham­med im Ba­sar zu Bei­rut; er saß in ei­ner blau- und gelb­ge­blüm­ten Ka­li­ko­ja­cke und gel­ben Fla­nell­un­ter­ho­sen, trug einen wol­le­nen Schal als Leib­bin­de und rauch­te eine Pfei­fe, die lei­der kei­ne tür­ki­sche war. Kein Pa­scha in sei­nem Ha­rem hat­te es bes­ser als Täu­brich-Pa­scha in sei­ner Dach­kam­mer, kein Opi­u­mes­ser, so weit die Fah­ne des Pro­phe­ten weh­te, sah, fühl­te und roch grö­ße­re De­li­ka­tes­sen und war den Arm­se­lig­kei­ten, Mü­hen und Ent­beh­run­gen des ge­mei­nen Le­bens wei­ter ent­rückt –

      »Täu­brich!…«

      Es war un­ser Freund Leon­hard Ha­ge­bu­cher, der, von sei­nem Spa­zier­gang frü­her als ge­wöhn­lich nach Hau­se zu­rück­keh­rend, so­gleich an die Tür sei­nes Freun­des ge­klopft hat­te und ihn jetzt an bei­den Schul­tern hielt, um ihn in die schlech­te Wirk­lich­keit zu­rück­zu­schüt­teln.

      »Täu­brich, er­wa­chen Sie nur für fünf Mi­nu­ten – nur fünf Mi­nu­ten, Täu­brich, für ei­ni­ge Be­mer­kun­gen und ei­ni­ge Fra­gen! Ich bin so­eben der Baro­nin von Glim­mern be­geg­net.«

      Der Schnei­der seufz­te tief, wie je­mand, den man im bes­ten Schla­fe stört, hob die schwe­ren Au­gen­li­der halb em­por, um einen wäss­ri­gen Blick um­her­zu­wer­fen, blies eine ganz dün­ne Rauch­wol­ke wie die Quint­es­senz sei­nes We­sens von sich und sag­te:

      »Sie ist vor­ges­tern mit dem Herrn Ge­mahl von der Hoch­zeits­rei­se heim­ge­kehrt – Flo­renz – Rom – Nea­pel – Pa­ris, wie es die Sit­te so mit sich bringt. Ja, gu­tes Wet­ter und gute Wech­sel hel­fen bei­de zu ei­nem an­ge­neh­men Fort­kom­men zu Land und Was­ser – o Je – ru – sa­lem! Ha­ben sich hof­fent­lich aus­ge­zeich­net amü­siert un­ter­wegs? Der Herr von Glim­mern sind ein sehr an­ge­neh­mer Ge­sell­schaf­ter.«

      Der Afri­ka­ner zog den ein­zi­gen Stuhl, des­sen sich der träu­men­de Schnei­der als sei­nes Ei­gen­tums zu rüh­men hat­te, dicht an das La­ger oder viel­mehr den Sitz des selt­sa­men Freun­des, klopf­te dem­sel­ben ver­trau­lich auf das spit­ze Knie und flüs­ter­te ein­dring­lichst:

      »Täu­brich, Sie wis­sen be­reits, dass ich ei­ni­ges In­ter­es­se an der Dame neh­me; ich bit­te Sie, er­wa­chen Sie noch ein we­nig mehr: Was hal­ten Sie von dem Baron Glim­mern? Sa­gen Sie mir Ihre Mei­nung über die­sen Mann.«

      Täu­brich öff­ne­te jetzt die Au­gen sehr weit, um sie so­dann völ­lig zu schlie­ßen, sein Hals kroch fast grau­en­haft lang her­vor und zuck­te blitz­schnell wie­der zu­rück. Er öff­ne­te aber­mals die Au­gen und sprach ver­hält­nis­mä­ßig mun­ter:

      »Ich wür­de mich wohl hü­ten, je­dem be­lie­bi­gen auf ähn­li­che Fra­gen die rech­te Ant­wort zu ge­ben; es wäre für einen ar­men Teu­fel in mei­ner Stel­lung nicht un­ge­fähr­lich und könn­te man­cher­lei


Скачать книгу