Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Du­ka­ten aus­tauscht; er kann se­hen und hö­ren, wie Se­re­nis­si­mus die Front be­rei­ten und Höchs­tih­ro Lan­des­kin­der ver­mah­nen, auch in der Frem­de dem »hes­si­schen, würt­tem­ber­gi­schen oder braun­schweig-lü­ne­bur­gi­schen Na­men« Ehre zu ma­chen und tap­fer für das Va­ter­land und »Un­sern« Pro­fit Haut und Haa­re zu las­sen.

      Vi­vat Ca­ro­lus, Fri­de­ri­cus oder et­was dem Ähn­li­ches! Trom­mel­wir­bel – Qu­er­pfei­fen­ge­quiek und Be­cken­klang! – Heu­te Abend im Thea­ter Götz von Ber­li­chin­gen mit der ei­ser­nen Hand, ein Trau­er­spiel vom Dok­tor Goe­the – mor­gen zur Fei­er des Ge­burts­ta­ges der durch­lauch­tigs­ten Frau Her­zo­gin große Il­lu­mi­na­ti­on und Oper, Ido­me­neo, Re di Cre­ta, vom jun­gen Herrn Mo­zart, ge­nannt il ca­va­lie­re fi­lar­mo­ni­co.

      Aber im Wes­ten, jen­seits des Rheins, auch ein Stim­men von al­ler­lei selt­sa­men und et­was un­heim­li­chen In­stru­men­ten – plötz­lich ein dump­fer, lang an­hal­ten­der Pau­ken­schlag: Mon­sieur Ho­noré Ga­bri­el Vic­tor Ri­quet­ti, Mar­quis de Mi­ra­beau!… Rats­ad­vo­kat Bür­ger Ge­or­ge Jac­ques Dan­ton!… Ci­toy­en Ma­xi­mi­li­an Jo­seph Ro­be­spi­er­re!… Al­ler­durch­lauch­tigs­tes Zu­sam­men­fah­ren und höchst ge­recht­fer­tig­te Ent­rüs­tung, wel­che letz­te­re sich ei­ni­ge Jah­re spä­ter mit dem Kai­ser Na­po­le­on durch­schnitt­lich recht gut ab­zu­fin­den weiß. Folgt die lieb­li­che Zeit des Rhein­bun­des, folgt der Deut­sche Bund, fol­gen die rus­si­schen und eng­li­schen zar­ten und zärt­li­chen Ver­bin­dun­gen, wel­che letz­tern die land­schaft­li­chen Rei­ze des Va­ter­lan­des sehr ver­meh­ren, in­dem sie grie­chisch-mos­ko­wi­ti­sche Ka­pel­len und Mau­so­leen so­wie herr­schaft­li­che Land­sit­ze im eng­lisch-nor­man­ni­schen Stil an Stel­len auf­schie­ßen las­sen, von wo aus sie den bes­ten Ein­druck auf die Be­woh­ner des an­ge­stamm­ten Staa­tes und die den­sel­ben mit dem Bahn­zug pas­sie­ren­den Frem­den ma­chen.

      Bah – im­mer her­bei, her­bei, mei­ne Hoch­zu­ver­eh­ren­den! Die Glä­ser des Guck­kas­tens sind ge­putzt, die Lämp­chen an­ge­zün­det, es ver­lohnt sich schon der Mühe, die Hän­de auf die Knie zu klap­pen und einen Blick in die Herr­lich­keit der Stun­de, an wel­cher Jahr­tau­sen­de ge­ar­bei­tet, ge­putzt und po­liert ha­ben, zu wer­fen.

      Wie­sen, Hü­gel und Ge­wäs­ser deh­nen sich be­hag­lich im ver­schlei­er­ten Licht der Son­ne des Spät­herbs­tes. Über dem grau­en Kern, den zu­sam­men­ge­dräng­ten Turm­spit­zen der Stadt la­gert frei­lich eine dich­te­re Dunst­mas­se; aber die mo­der­nen Vor­städ­te glän­zen hei­ter und weiß, und die ita­lie­ni­schen und go­ti­schen Land­häu­ser sind gleich­wie aus ei­ner Nürn­ber­ger Schach­tel mun­ter in das Ge­büsch der Gär­ten ge­streut oder zier­lich die Lin­den- und Kas­ta­ni­en­al­leen ent­lang auf­ge­stellt.

      Wir fol­gen ei­ner sol­chen Al­lee, in wel­cher das wel­ke Laub sau­ber auf­ge­häu­felt ist; es be­geg­nen uns oder ge­hen mit uns vie­le an­stän­dig ge­klei­de­te Men­schen, dar­un­ter sehr bun­te Da­men und sehr bun­te Of­fi­zie­re. Reit­knech­te füh­ren ganz ele­gan­te Pfer­de spa­zie­ren, in ei­nem öf­fent­li­chen Gar­ten wird Mu­sik ge­macht und soll mit an­bre­chen­der Nacht ein Feu­er­werk, das Bom­bar­de­ment von Se­bas­to­pol dar­stel­lend, ab­ge­brannt wer­den. Ein Tor, be­wacht von zwei schläf­ri­gen Sand­stein­lö­wen, ein Schil­der­haus, be­wacht von ei­ner schläf­ri­gen Schild­wa­che, ein gäh­nen­der Ak­zi­se­ein­neh­mer, ein son­ni­ger Platz und in der Mit­te des­sel­ben, um­ge­ben von Ru­he­bän­ken, Kin­der­mäd­chen und Am­men mit ih­ren Schutz­be­foh­le­nen, ein et­was schläf­ri­ger Va­ter des Va­ter­lan­des in Bron­ze, eine Al­lee zur Rech­ten, eine Al­lee zur Lin­ken; wie­der al­ler­lei Spa­zier­gän­ger, Reit­knech­te, Drosch­ken, Pri­va­te­qui­pa­gen, wie­der sehr vie­le bun­te Da­men und sehr bun­te Of­fi­zie­re! Schla­gen wir die Al­lee zur Rech­ten ein, so wird sie uns, wenn wir im Brief­trä­ger­trab ge­hen, nach Ver­lauf von drei Vier­tel­stun­den von der Lin­ken her zu dem Groß­pa­pa in Bron­ze zu­rück­brin­gen; neh­men wir den Weg zur Lin­ken, so wer­den wir den wür­di­gen al­ten Herrn in der­sel­ben Zeit von der Rech­ten her zu Ge­sicht be­kom­men. Ge­hen wir den Gang des Beo­b­ach­ters, so kön­nen wir nach Be­lie­ben und viel­leicht nicht ohne Nut­zen eine hal­be Elle un­se­res Le­bens­fa­dens auf eben­die­sen Kreis zu­ge­ben; fol­gen wir den Ra­di­en des Krei­ses in die Mit­te der Stadt, so – – doch wes­halb sol­len wir ih­nen jetzt schon fol­gen? Der Abend ist so an­ge­nehm, die Luft so weich, die Kies­we­ge ent­lang der Über­bleib­sel der Ge­wäs­ser des eins­ti­gen Stadt­gra­bens so fest und rein­lich und die Ru­he­bän­ke so zier­lich und ein­la­dend; das Thea­ter be­ginnt erst um sie­ben Uhr. Neh­men wir Platz, ber­gen wir die träu­men­de Stirn in der Hand; wer weiß, was die Stun­de Herr­li­ches, Schö­nes, Nütz­li­ches bringt? Se­re­nis­si­mus oder Se­re­nis­si­ma kön­nen sechs­s­pän­nig vor­über­fah­ren, das schöns­te Mäd­chen der – Re­si­denz kann uns mit der Schlep­pe ih­res Klei­des strei­fen, un­ser Schick­sal kann uns hier eben­so gut als an­ders­wo auf die Schul­ter klop­fen und un­ser An­stel­lungs­de­kret als wirk­lich ge­hei­mer Ka­bi­netts­se­kre­tär oder der­glei­chen aus dem Por­te­feuil­le neh­men oder nur un­merk­lich mit dem Fin­ger deu­ten und win­ken: Sieh!, ganz lei­se, lei­se flüs­tern: Ach­tung, mein Bes­ter! – Das letz­te­re ge­schieht dies­mal; wir se­hen und hö­ren und ge­ben Ach­tung, und zwar mit Ei­fer, ob­gleich es nur un­ser li­te­ra­ri­sches Schick­sal war, das wink­te. – – –

      Er kam durch eine der Stra­ßen, wel­che aus dem In­nern der Stadt ge­gen die um die Stadt sich zie­hen­de Pro­me­na­de füh­ren. Wer kam aus dem In­nern der Stadt, um wie an­de­re ge­wöhn­li­che­re Leu­te un­ter den gel­ben Lin­den und Kas­ta­ni­en spa­zie­ren­zu­ge­hen? Nicht ein ge­wöhn­li­cher Mann, son­dern ei­ner, der die an­de­ren um eine Haup­tes­län­ge über­rag­te: un­ser sehr gu­ter Freund aus Bums­dorf und dem Tu­mur­kie­lan­de, Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher. Sehr ver­än­dert, und zwar, was die ma­le­ri­sche Sei­te an­be­trifft, nicht zu sei­nem Vor­teil! – Mehr als ein Jahr ist vor­über­ge­gan­gen, seit wir ihn in den Ge­fil­den sei­ner Kind­heit aus dem Ge­sicht ver­lo­ren, und ein Jahr ist eine Macht, wel­che es mit vie­len Din­gen, die von den Men­schen auch für sehr mäch­tig ge­hal­ten wer­den oder sich sel­ber für sehr stark hal­ten, auf­nimmt und in dem Ring­kampf mit ih­nen recht häu­fig die Ober­hand ge­winnt. Zu­erst hat­te die­ses Jahr den Afri­ka­ner ge­schält, ja ge­schun­den; aus dem Rot­braun der Haut war ein un­ge­müt­li­ches Gelb­grau ge­wor­den; die grau­en Krei­se um die Au­gen wa­ren da­ge­gen ins Schwar­ze über­ge­gan­gen; die Au­gen selbst hat­ten ih­ren Glanz be­hal­ten, aber man sah ih­nen an, dass sie viel ge­braucht wor­den wa­ren. Der wil­de Bart war größ­ten­teils dem Mes­ser zum Op­fer ge­fal­len, wo­ge­gen das Haupt­haar, wel­ches vor­dem der Mode von Abu Tel­fan voll­stän­dig hat­te wei­chen müs­sen, mit Be­wil­li­gung der zi­vi­li­sier­ten Welt trei­ben durf­te, wie es konn­te. Es hat­te ge­trie­ben und war von neu­em em­por­ge­sprosst, al­lein lei­der nicht zur Ver­schö­ne­rung des Man­nes. Es war, so­zu­sa­gen, in al­len Far­ben ge­kom­men, braun und grau, gelb und weiß, und es war sehr bors­tig und wi­der­spens­tig ge­kom­men – je­der Bü­schel ein Re­bell ge­gen den Kamm und den Sal­ben­topf.

      Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher trug nicht mehr einen Tur­ban oder Fes, son­dern einen sehr schö­nen, schwar­zen, glän­zen­den Zy­lin­der­hut;


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