Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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aus Lau­san­ne in der fran­zö­si­schen Schweiz, und so wei­ter durch den gan­zen Jean Ra­ci­ne. Ah, es ist et­was, in der Kat­zen­müh­le auf den lei­sen Fall des Was­sers und jene Stim­men zu hor­chen:

       Cou­rons, mes soeurs, obéis­sons.

       La rei­ne nous ap­pel­le:

       Al­lons, ran­ge­ons-nous au­près d’el­le!

      Aber der Kranz der Freun­din­nen war zer­ris­sen und zer­streut wie je­ner an­de­re Kranz, wel­chen Klau­di­ne an ih­rem Hoch­zeits­ta­ge trug; die win­zi­gen ro­ten Kin­der­schu­he wur­den in den Keh­richt ge­wor­fen wie der ros­ti­ge Heck­pfen­nig und der un­sicht­bar­ma­chen­de Däum­ling: nie­mand kann­te ih­ren Wert. Die Frau Klau­di­ne in der Müh­le er­in­ner­te sich an man­che stil­le, lieb­li­che Stun­de, wel­che sie vor Jah­ren in ih­rem rei­chen, statt­li­chen Hau­se, ein­ge­wiegt von al­len Be­quem­lich­kei­ten des Le­bens, über die­sen und so vie­len an­de­ren Schät­zen ver­träum­te. Sie dach­te aber auch dar­an, wie sie, so oft und grund­los ver­stimmt, ver­drieß­lich, miss­ge­launt, un­ter den­sel­ben Schät­zen ge­hockt habe, und dann dach­te sie an den plötz­li­chen Sturm­wind, der uns er­fasst und zur Sei­te schleu­dert, ehe wir nach ei­nem Halt grei­fen kön­nen, der un­se­re Mau­ern ein­drückt, un­ser Dach ab­deckt, un­ser Ei­gen­tum, al­les, was uns lieb und wert ist, in alle Welt hin­aus­wir­belt und uns nichts üb­riglässt von dem, was wir uns bis in den Tod ge­si­chert hiel­ten.

      Die Frau Klau­di­ne fürch­te­te sich auch vor die­sen Erin­ne­run­gen nicht mehr; auch ih­nen blick­te sie ge­dul­dig ins Ge­sicht, und sie ver­san­ken wie in ei­nem tie­fen stil­len See und er­reg­ten kei­ne Krei­se auf der lich­ten ru­hi­gen Flä­che. Eine Hoff­nung ge­nüg­te der Grei­sin, und in ihr trug und ent­behr­te sie al­les, was der Men­schen Le­ben sonst aus­macht. Au­ßer­halb ih­rer Klau­sur moch­te man da­von re­den wie von ei­ner fi­xen Idee, ei­ner leich­tern Form des Wahn­sinns: das Weib, wel­ches al­les üb­ri­ge ohne Zö­gern auf­ge­ge­ben hat­te, ließ sich das eine nicht ent­rei­ßen.

      Horch, ei­nes Pfer­des Huf­schlag im Wal­de! Die Ein­sied­le­rin in der Müh­le rich­te­te sich lau­schend auf und beug­te sich vor in ih­rem Lehn­stuhl.

      »Da ist sie! Da kommt sie!… Die großen Was­ser, die glän­zen­den Strö­me rau­schen fern­hin, mir ge­hö­ren nur die ein­zel­nen ver­lo­re­nen Trop­fen zu; aber sie kommt, und es wäre kein Wun­der, wenn mein Bach von neu­em er­wach­te und sich mit dem al­ten lus­ti­gen Sprun­ge vom Fel­sen stürz­te und selbst mein arm zer­bro­chen Rad dort aus dem Schla­fe weck­te. Sie kommt, und der Weg lacht un­ter den Fü­ßen ih­res Ros­ses. Sie kommt wie mei­ne Ju­gend – ach weh, nein, nein! Nicht wie mei­ne Ju­gend; so viel Glück wie mir ist ihr nicht ge­ge­ben; Schmer­zen und Är­ger­nis­se be­drän­gen ihr sü­ßes Herz schon in der Frü­he, und nie­mand kann ihr hel­fen, sich der­sel­ben zu er­weh­ren. Spring an, Pro­spe­ro, aber hüte dich, tra­ge sie si­cher zu mei­nem Gar­ten! – Da ist sie – will­kom­men, Toch­ter, will­kom­men, mein ar­mer, wil­der Edel­falk, will­kom­men, Ni­ko­la!«

      Im nächs­ten Au­gen­blick tauch­te der Kopf des wei­ßen Eng­län­ders auf hin­ter den letz­ten Bü­schen des Wal­des und den Stock­ro­sen des Mühl­gar­tens, der Zü­gel war um den ge­wohn­ten Ast ge­schlun­gen, und das Fräu­lein von Ein­stein knie­te wie­der zu den Fü­ßen der Frau Klau­di­ne; aber die Grei­sin er­schrak hef­tig, als sie der jun­gen Freun­din in das Ge­sicht blick­te, und sie rief:

      »Wie heiß! Wie wild, wie auf­ge­regt, Kind?! Was ist ge­sche­hen, was hast du jetzt, o wirst du nie ler­nen, Ruhe zu hal­ten, willst du dein gan­zes Le­ben auf sol­che Wei­se durch­stür­men?«

      Ni­ko­la, schluch­zend und nach Luft rin­gend, brach­te an­fangs nichts wei­ter als das Wort: Mut­ter! her­vor und wie­der­hol­te es lei­se und im­mer­fort, bis sie plötz­lich sich auf­rich­te­te und rief:

      »Nein, nein – lass dei­ne Hand von mei­ner Stirn, hal­te mich nicht mit dei­nen Ar­men; du weißt nicht, was ich tat und was ich dir sa­gen wer­de! Bli­cke mich nicht an, wen­de dich fort; sie ha­ben ge­won­nen, sie ha­ben ih­ren Wil­len, und ich habe ih­nen al­les ge­ge­ben und nichts mehr für dich und mich üb­rig­be­hal­ten. Ich um­klam­me­re dich hier, mei­ne gan­ze See­le ist bei dir, und doch ist nun kei­ne Ge­mein­schaft fer­ner­hin zwi­schen uns bei­den – stoß mich von dir, hei­ße mich ge­hen, ich habe kein Recht mehr in dei­nem Hau­se und dei­nem Her­zen!«

      Die Frau Klau­di­ne war sehr bleich ge­wor­den; auch ihre Lip­pen zit­ter­ten; aber sie fass­te sich doch schnell ge­gen­über die­ser un­ge­stü­men Na­tur­ge­walt, die hier auf sie ein­stürm­te. Sie hielt die fie­bern­de Ni­ko­la fest und zog sie wie­der her­ab auf die Knie, und als nun das hel­le, lau­te Wei­nen un­auf­halt­sam her­vor­brach, sah sie wohl län­ge­re Zeit hin­durch starr und wild ins Wei­te, sag­te dann aber still und mil­de:

      »Sei ru­hig, mein Kind, fas­se dich. Es konn­te ja nie­mand än­dern, es muss­te ja so kom­men. Was fürch­test du dich vor mir, habe ich nicht Zeit ge­habt, über das, was wer­den muss­te, nach­zu­den­ken? Es wäre frei­lich nicht gut, wenn es un­vor­her­ge­se­hen, un­vor­be­dacht mich über­rasch­te; aber die Tage sind lang in der Kat­zen­müh­le und die Näch­te oft noch län­ger; es kommt so leicht nichts mehr aus dem Sä­ku­lum über die alte Frau in der Müh­le, des­sen Fuß­trit­te nicht weit vor­auf durch den Wald schall­ten. Du bringst mir heu­te wahr­lich Trau­er und Freu­de durch­ein­an­der; aber ich seg­ne dich in dei­nem Wil­len und in dei­ner Un­ter­wer­fung. Du hast dich lan­ge und wa­cker ge­wehrt und brauchst dir heu­te kei­ne Vor­wür­fe zu ma­chen. Mein lie­bes Mäd­chen, auch sie mei­nen es gut und wol­len dir ein wei­ches, schö­nes, glän­zen­des Los und Le­ben, wie sie es ver­ste­hen, be­rei­ten, und sie ha­ben sich lan­ge in Ge­duld ge­fügt und auf dei­ne Zu­stim­mung ge­war­tet. Ja, du musst ge­hen, und du wirst, wenn nicht glück­lich, so doch ru­hig und ge­las­sen wer­den, und einst wirst du an ei­nem Mor­gen er­wa­chen und dich wun­dern; dann bist auch du eine alte, alte Frau, und die sen­gen­de, bit­te­re heu­ti­ge Stun­de ist nur ein fer­ner, fer­ner lei­ser Klang, und nun den­ke, was für ein Mär­chen es sein wird, wenn du dich dann auch der Kat­zen­müh­le und der al­ten Frau Klau­di­ne er­in­nern wirst. Sei ru­hig, lie­ge stil­le, lass dei­ne Stirn in mei­nen Hän­den; denn es tut mir sehr leid und weh, dass ich dich las­sen muss! Wenn du nun von neu­em in den Kreis dei­ner Ver­wand­ten ein­ge­tre­ten bist, so er­tra­ge die klei­nen Schwä­chen und Nich­tig­kei­ten in Ge­duld; weißt du, sie fürch­ten sich ei­gent­lich vor dir – wer­de eine gute Frau, wer­de eine gute Frau!… O mein Kind, mein Kind, mei­ne Toch­ter, wes­halb hat das so kom­men müs­sen?!«

      »Sie fürch­ten sich vor mir?!« lach­te Ni­ko­la bit­ter. »O nein, sie lie­ben mich sehr und ha­ben mich des­halb den Kon­trakt, der mich an sie bin­det, mit mei­nem Blu­te un­ter­schrei­ben las­sen. Die Zeit ist um, der Schuld­schein ist ver­fal­len – die – die Ver­lo­re­nen kom­men nicht wie­der, und mei­ne Gläu­bi­ger zu­cken die Ach­seln, le­gen die Hand aufs Herz, und – ich bin, nach dem Wun­sche mei­ner Mut­ter dort drü­ben in der Re­si­denz, die Braut Fried­richs von Glim­mern. Ja, ich will es ver­su­chen, ihm eine gute Frau zu wer­den!«

      »Was sagst du von den Ver­lo­re­nen, die nicht zu­rück­keh­ren kön­nen, Mäd­chen?« rief jetzt die Grei­sin mit er­ho­be­ner Stim­me. »Du hat­test auch ein an­der Wort auf der Zun­ge und hast es nur nicht aus­ge­spro­chen. Die To­ten kom­men nicht zu­rück, woll­test du sa­gen und er­schra­kest und woll­test mich nicht er­schre­cken.


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