Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wie in die­sem ih­rem Stüb­chen auf dem Bums­dor­fer Guts­ho­fe. Seit ih­ren Kin­der­jah­ren hat­te sie alle ihre Nei­gun­gen da­hin zu­sam­men­ge­tra­gen, und jede neue Som­mer­fri­sche hat­te das Nest wei­cher und zier­li­cher ge­macht und sei­nen Schmuck und Putz ver­mehrt. Als Kind und jun­ges Mäd­chen war sie hier sor­gen­los, leicht­her­zig, lus­tig, glück­lich ge­we­sen, als äl­te­res, sehr ver­stän­di­ges Mäd­chen und Hof­da­me der Prin­zeß Ma­ri­an­ne hat­te sie hier – – doch ein gut Stück ih­res Le­bens ist in dem, was sie au­gen­blick­lich an ihre Freun­din Emma in der Re­si­denz schreibt, so­mit über­hebt sie uns der nicht leich­ten und je­den­falls sehr ver­ant­wor­tungs­vol­len Auf­ga­be, das Buch ih­res Da­seins ins kur­ze zu brin­gen, und sagt sel­ber, was zu sa­gen ist.

      »Hoch­wohl­ge­bo­re­ne Frau Ma­jo­rin und al­ler­sü­ßes­tes Herz!

      Wäl­der und Fel­der schla­fen, das Dorf schläft, und auch die gute Ver­wandt­schaft weiß we­nig von sich nach ei­nem in her­ge­brach­ter Wei­se, nach der Vä­ter Sit­te, in nütz­li­cher Tä­tig­keit durch­leb­ten Tage. Es ist so still um mich her, im Hau­se wie vor dem Fens­ter, und die wei­te dunkle Welt rings­um hat ein so gu­tes Ge­wis­sen, und nur mir ist un­ru­hig zu­mu­te, als wäre es mit mei­nem Ge­wis­sen nicht so ganz in der Ord­nung. Ich bin auf­ge­regt, ner­vös, nen­ne es, wie Du willst, nur lass mich mit Dir plau­dern; schla­fen kann ich nicht.

      Du hast ja frü­her, als Dein Ma­jor noch nicht Dein Ma­jor war, oft ge­nug mei­nen när­ri­schen Kopf an Dei­ner Brust ge­hal­ten und Dir nächt­li­cher­wei­le ku­rio­se Din­ge er­zäh­len las­sen; – war­te nur, mor­gen im Son­nen­schein, wenn Dir die­se Be­kennt­nis­se ei­ner blu­ten­den See­le zu Hän­den kom­men und Du be­trof­fen, kopf­schüt­telnd, mit­lei­dig, ver­stört Dich hin­durch­win­dest und Dei­nen kla­ren Ver­stand an je­dem Aus­ru­fungs­zei­chen und Fra­ge­zei­chen hän­gen las­sen musst, will ich schon mei­ne Ge­nug­tu­ung ha­ben und über Dich la­chen – auch wie in ver­gan­ge­nen schö­nen Ta­gen!

      Au­gen­blick­lich kann ich nicht la­chen, und eine tol­le Ball­mu­sik, ein klin­gen­der, schwir­ren­der, dum­mer Wal­zer käme mir ge­ra­de recht, und dass die Nach­ti­gal­len – wir sind ja gott­lob über den Jo­han­nis­tag hin­aus – be­reits still ge­wor­den sind im Gar­ten, ist mein Glück. Ich glau­be, die­ser Vo­gel bräch­te mich in die­ser Nacht um, wenn er plötz­lich und ganz ge­gen die Na­tur­ge­schich­te wie­der an­fin­ge, un­ter mei­nem Fens­ter zu sin­gen.

      Ist es denn wahr, dass ich von Rechts we­gen ein so bö­ses Ge­wis­sen ha­ben soll­te? Was habe ich ge­tan? Was habe ich nicht ge­tan? Bin ich nur krank? Sind es nur mei­ne Ner­ven, wel­che das Kopf­kis­sen, das al­len gu­ten und ge­sun­den Kin­dern so sanft ist, mir ver­lei­den? Ich kom­me nicht da­hin­ter, wie sehr ich mich quä­le und ab­mü­he, das Rät­sel zu lö­sen und zu Bett ge­hen zu kön­nen.

      Kind, ich bin ver­drieß­lich und un­zu­frie­den mit mir. Nicht des­halb, weil ich seit dem Früh­ling nicht an Dich schrieb; denn ich weiß, dass Du sol­ches Schwei­gen nach Verab­re­dung als ein Zei­chen mei­nes Wohl­er­ge­hens zu neh­men hast. Auch nicht des­halb, weil die Zeit der gol­de­nen Frei­heit vor­über­ging, weil die Herr­schaft nun­mehr wie­der am Fa­den zieht und der Hänf­ling aus der blau­en Luft her­nie­der­muss, um aus gnä­di­ger Hand mit Mohn­sa­men ge­füt­tert zu wer­den und im ver­gol­de­ten Kä­fig Be­trach­tun­gen über das Gelb­wer­den der Blät­ter an­zu­stel­len. O nein, ich kann ja mei­nen Früh­ling und Som­mer jetzt in Was­ser­far­ben aufs Pa­pier brin­gen und habe dem On­kel Bums­dorf mein Ehren­wort ge­ge­ben, ihm die neue Bren­ne­rei samt dem re­stau­rier­ten Kuh­stall und ihn – den Oheim – zwi­schen bei­den in Öl zu lie­fern. Da habe ich schon mei­ne Ret­tungs­mit­tel vor dem nes­sun mag­gi­or do­lo­re – doch Dich, Be­vor­zug­te, hat man nicht be­reits in zar­tes­ter Ju­gend mit der Nase in die ita­lie­ni­sche Gram­ma­tik ge­sto­ßen, und so weißt Du auch nicht, dass es nach Dan­te Alig­hieri kei­nen grö­ßern Schmerz gibt, als sich im Un­glück glück­li­che­rer Zei­ten zu er­in­nern. Soll­te letz­te­res wahr sein und die ita­lie­ni­sche Gram­ma­tik also mit­tel­bar die Schuld mei­ner au­gen­blick­li­chen Stim­mung tra­gen? O Kind, un­ter der Voraus­set­zung, dass Dein Ma­jor, der Ma­jor al­ler Ma­jo­re, nicht durch das schmals­te Hin­ter­p­fört­chen oder Sei­ten­tür­chen in den ge­hei­lig­ten Be­zirk mei­ner Jung­fern­con­fes­si­ons ein­ge­las­sen wer­de, will ich mit Dir dar­über schwat­zen. Kei­nen Blick darf er aber drauf tun; ver­sprich es mir und rie­ge­le ihn ein in der Kin­der­stu­be!

      Nun sehe ich Dich schon, wie Du stehst, mit dem Fe­der­we­del Dei­nen Nip­pes­tisch in Ord­nung hältst und wie der Brief­trä­ger Dir mei­nen Brief bringt. Ich höre den klei­nen Freu­den­schrei, wel­chen Du aus­stö­ßest – ach Gott, lege den Fle­der­wisch nicht zur Sei­te, stäu­be mich auch ein we­nig ab mit Dei­ner lin­den Hand; ich habe es sehr nö­tig, und Du ver­stehst es! Ach Gott, wäre ich doch auch solch eine Schä­fe­rin aus Mei­ßen oder we­nigs­tens so ver­nünf­tig, ver­stän­dig und gut wie Du! In bei­der­lei Art wäre mir ge­hol­fen, und auf bei­der­lei Art lie­ße sich das Le­ben mit Ge­nuss tra­gen. Üb­ri­gens hast Du das Gut­sein auch leich­ter ge­habt als an­de­re Leu­te. Das Schick­sal hat Dich auf wei­chen Hän­den ge­tra­gen und Dich in wei­che Hän­de ge­legt. Grü­ße mir Dei­nen Ma­jor, doch las­se ihn nur noch ein Weil­chen hin­ter Schloss und Rie­gel bei den Klei­nen: spä­ter wird er umso mehr den Lie­bens­wür­di­gen spie­len! Ja, sie ha­ben Dir Wie­gen­lie­der ge­sun­gen Dein gan­zes schö­nes Le­ben durch; ich aber bin un­ter dem Lärm ei­ner Qua­dril­le ge­bo­ren; die Kla­ri­net­te ist mein In­stru­ment, und da­bei fällt mir eine Bit­te ein: Wenn Du mich über­lebst, so leid es nicht, dass man mich mit Pau­ken und Trom­pe­ten zu Gra­be brin­ge; ich habe ge­nug da­von ge­habt, ehe ich die ers­ten wei­ßen At­las­schu­he durch­schleif­te.

      Gott seg­ne Dein gu­tes Ge­müt, Emma, und las­se Dich das Dei­ni­ge in Ruhe ge­nie­ßen; ich weiß, Du tust mir zu je­der Stun­de auf, wenn ich an Dein Fens­ter­läd­chen klop­fe. Sieh, hier sit­ze ich zu Dei­nen Fü­ßen, wie Bet­ti­na auf ih­rer ›Scha­well‹ in der Frau Rat Stu­be, und ge­dul­dig wirst Du Sinn und Un­sinn durch­ein­an­der an­hö­ren müs­sen. Bist Du etwa nicht mei­ne Frau Rat, und zwar mei­ne jun­ge? Und dass Du mei­ne jun­ge Frau Rat bist, das soll nicht bloß Dei­nem Ma­jor zu­gu­te kom­men, son­dern an­de­ren Leu­ten auch. Ich habe frei­lich auch noch eine alte Frau Rat, und in de­ren Stu­be hab ich gleich­falls ein ›Scha­well­che‹, hin­ter den sie­ben Ber­gen, in der Kat­zen­müh­le – aber wie kann ich der Frau Klau­di­ne sa­gen, was ich doch sa­gen muss? Das lei­ses­te Wort wür­de un­ter ih­ren stil­len Au­gen wie der gellends­te Schrei sein. Was soll ich ihr sa­gen; sie sieht mit ih­ren Zau­be­rau­gen ja doch tief in den Grund al­ler Din­ge! Ich fürch­te mich vor ihr – vor ihr! Ist es nicht das al­ler­schlimms­te, sich vor der Lie­be ei­nes Men­schen, vor ei­ner sol­chen Lie­be fürch­ten zu müs­sen?…

      Was habe ich ges­tern un­ter den Gar­ben und Ern­te­krän­zen ge­tan? Rate!… Auf dem Bau­che – o Him­mel, kann ein Hoffräu­lein sich na­tür­li­cher und ab­scheu­li­cher aus­drücken, und was wür­de mei­ne Prin­zeß dazu sa­gen? – habe ich ge­le­gen im Krei­se der Schnit­ter und Schnit­te­rin­nen, und Richard den Drit­ten habe ich ge­le­sen und bin ge­willt,

       ein Bö­se­wicht zu wer­den

       Und feind den eit­len Freu­den die­ser Tage.

      Was habe ich heu­te ge­tan, Emma? Mein Herz habe ich be­gra­ben und die Welt an­ge­nom­men,


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