Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wil­den schwar­zen Jä­ger mit ih­ren Skla­ven wa­ren durch Chasm-el-Bab, den Ein­gang der Wüs­te, in ihr Fel­sen­dorf heim­ge­kehrt. Kopf­schmer­zen, Übel­kei­ten, wun­de Füße und ei­ni­ge sehr rote Strie­men wa­ren die Aus­beu­te des Ta­ges für den Sohn des Steue­rin­spek­tors Ha­ge­bu­cher ge­we­sen. Nun lag er stumpf­sin­nig, lang aus­ge­streckt, drück­te das Ge­sicht in den Sand, um nichts mehr von dem heil­lo­sen Lich­te des Ta­ges zu se­hen, und war nicht im­stan­de, Pro­test ge­gen die fröh­li­che Ju­gend, wel­che im kind­li­chen Spiel sei­nen ar­men Leich­nam zum Tum­mel­plat­ze er­wähl­te, zu er­he­ben. Schrill er­klang die Stim­me der Ma­dam Kul­la Gul­la durch das Ge­quiek der Klei­nen, das Schnar­chen der Ka­me­le, das Brül­len des Rind­viehs, das Schnar­ren der Kuh­hör­ner und das Tri­um­ph­lied der Jä­ger. Die Al­ten und Wei­sen un­ter­hiel­ten sich von dem letz­ten Heuschre­cken­zu­ge, und ih­rer ei­ni­ge trie­ben eben­so gut Po­li­tik wie die Ge­vat­tern nord­wärts vom Mit­tel­län­di­schen Mee­re. Die Feu­er zur Be­rei­tung der Nacht­kost wur­den so­eben an­ge­zün­det – Leon­hard Ha­ge­bu­cher hat­te sel­ber am Mor­gen den Ka­mel­mist zu­sam­men­ge­tra­gen – ei­ni­ge Brüll­af­fen, ein jun­ger Go­ril­la und zwei Rie­se­nei­dech­sen wa­ren be­reits an die Spie­ße ge­steckt; in ei­ner Stun­de war es un­wi­der­ruf­lich Nacht. Es war bes­ser, der Zu­be­rei­tung des Abendes­sens in Abu Tel­fan nicht zu­zu­se­hen, man speis­te mit viel grö­ßerm Ap­pe­tit; es war bes­ser für den eu­ro­päi­schen Men­schen, auch die Ohren im San­de zu ver­gra­ben, das Stim­men der In­stru­men­te zu dem Kon­zert, wel­ches den Tag be­schlie­ßen soll­te, war kaum er­götz­lich an­zu­hö­ren. Eine Schild­krö­te, mit al­ler geis­ti­gen Be­ga­bung der Schild­krö­te und nicht mehr, zu sein – o die Vor­stel­lung er­öff­ne­te einen Blick in das Reich der höchs­ten krö­nen­den Gna­de! Die Vor­stel­lung, den Kopf un­ter die Scha­le zie­hen zu kön­nen und nichts zu füh­len, zu se­hen und zu den­ken – die­se Vor­stel­lung war zu be­se­li­gend, um nicht bit­te­rer zu sein als je­ner Stern Wer­mut, der alle Brun­nen und Was­ser­läu­fe der Erde untrink­bar mach­te. Dass der Voll­mond den Ne­ger be­trun­ken ma­che, ist zwar noch nicht voll­stän­dig er­wie­sen; was je­doch sämt­li­che Tou­ris­ten, Han­dels­leu­te, Mis­sio­näre und Ent­de­cker von sei­nen Wir­kun­gen auf die See­len der un­sträf­li­chen Äthio­pier er­zäh­len, deu­tet dar­auf hin, dass et­was dran sei, und Ha­ge­bu­chers Er­fah­run­gen tra­ten mit gan­zer und klars­ter Ge­wiss­heit für das Fak­tum ein. Noch lag die feu­ri­ge Son­nen­ku­gel auf dem west­li­chen Ran­de des Ta­les; erst in ei­ner hal­b­en Stun­de war’s Nacht, und dann muss­te der wah­re, ech­te afri­ka­ni­sche Sab­bat be­gin­nen – Leon­hard Ha­ge­bu­cher dach­te mit Schau­der dar­an und be­grub sei­ne Stirn zum drit­ten Mal tiefer in den Sand.

      Ein Schuss, der ein hun­dert­fa­ches Echo in den zer­klüf­te­ten Fel­sen­tä­lern weckt! Ein zwei­tes Kra­chen, das an den ro­ten Ber­gleh­nen da­hin­rollt! Stil­le im Dorf und La­ger und dar­auf ein gel­len­des, hun­dert­stim­mi­ges Ge­schrei und Ge­heul! Die Män­ner und Krie­ger zu den Waf­fen, die Wei­ber und Kin­der in die dun­kels­ten Win­kel der Hüt­ten oder in die tiefs­ten Ver­ste­cke der Erd­höh­len! Mrs. La­vi­nia Dra­w­bod­dy in wei­ten ro­ten tür­ki­schen Ho­sen, ei­ner wei­ten gelb­li­chen Fla­nell­tu­ni­ka und mit ei­ner blau­en Draht­bril­le auf ei­ner Ka­mel­stu­te; – Mr. Au­gus­tus Mon­tague Dra­w­bod­dy ganz in gel­bem Fla­nell, mit Re­vol­ver, Dop­pel­büch­se, Jagd­mes­ser auf dem merk­wür­digs­ten und zot­tigs­ten al­ler Po­nys; – Herr Kor­ne­li­us van der Mook eben­falls be­waff­net bis an die Zäh­ne, bär­tig, sonn­ver­brannt, in ei­nem Ko­stüm, wel­ches dem der eng­li­schen Dame an fan­tas­ti­scher Will­kür­lich­keit nichts nach­gibt, auf ei­nem statt­li­chen Maulesel – ein un­end­li­ches, wüh­len­des, stau­bauf­rüh­ren­des, brül­len­des, plär­ren­des, krei­schen­des, quie­ken­des, ras­seln­des, klap­pern­des, hin­ten und vorn aus­schla­gen­des, pur­zel­baum­schla­gen­des Ge­fol­ge von Ara­bern und Af­fen, Nu­bi­ern, Abys­si­ni­ern, Schil­luks, Bag­ga­ras und Dschour­ne­gern, von Büf­feln, Eseln, Last­tie­ren al­ler Art, Kä­fi­gen mit jun­gen Lö­wen und Ti­gern, Kas­ten mit Kro­ko­di­len und Schlan­gen und bun­ten Vö­geln! Halt des Zu­ges an der Bar­rie­re von Abu Tel­fan; ex­al­tier­tes­tes Ver­han­deln der Par­la­men­tä­re und Dol­met­scher – all­ge­mei­ne Ver­stän­di­gung und wahn­sin­nigs­ter Ju­bel! Gro­ße ge­gen­sei­ti­ge Vor­stel­lung von Alt­eng­land und Tu­mur­kie­land, Mrs. La­vi­nia Dra­w­bod­dy und Ma­dam Kul­la Gul­la; – der Go­ril­la am Brat­spieß und Mr. Au­gus­tus Mon­tague Dra­w­bod­dy in tief­sin­ni­ger Be­trach­tung des Go­ril­las – Herr Kor­ne­li­us van der Mook und Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher aus Nip­pen­burg, Grand-Duchy of ✳✳✳, Ger­man Con­fe­de­ra­ti­on! – –

      »Es war die al­ler­höchs­te Zeit, dass er kam, Frau Klau­di­ne«, seufz­te der Er­zäh­ler in der Kat­zen­müh­le. »Noch eine kur­ze Frist, und er hät­te mei­net­hal­ben eben­so gut weg­blei­ben kön­nen. Ei­nen Tag spä­ter, und der Rest wäre die un­be­fan­gens­te Tier­heit, die ab­so­lu­tes­te Blöd­sin­nig­keit ge­we­sen; denn was man zehn Jah­re er­trug, das mag ei­nem in den ers­ten Stun­den des elf­ten zu viel wer­den. ›Law, bless me, what a hor­ror!‹ sprach so­gar Mrs. La­vi­nia Dra­w­bod­dy, als sie die Ku­rio­si­tät in ihr Rei­se­ta­ge­buch ein­trug, und ihr Gat­te ging drei­mal um mich her­um und sag­te: ›Won­der­ful, won­der­ful!‹«

      »O las­sen Sie die­se Eng­län­der!« rief die Frau Klau­di­ne. »Was sag­te der Herr van der Mook? Spre­chen Sie mir von die­sem; denn er ist’s ge­we­sen, wel­cher Sie er­lös­te und Ih­nen die Ket­ten ab­nahm. Sa­gen Sie mir al­les von ihm – was woll­te ich dar­um ge­ben, wenn ich ihn se­hen, den Klang sei­ner Stim­me hö­ren dürf­te.«

      »Er stol­per­te über mei­nen am Bo­den aus­ge­streck­ten Leib, als er die Ma­dam Kul­la Gul­la zum Stadt­haus von Abu Tel­fan führ­te, und da er bei­na­he gleich­falls sich zu Bo­den ge­legt hät­te, so ent­fuhr ihm eine nicht sehr höf­li­che Re­dens­art, und zwar in deut­scher Spra­che. Da bin ich auf­ge­fah­ren und habe ihn eben­falls deutsch an­ge­ru­fen, und dann ka­men mir vor über­mäch­ti­ger Auf­re­gung mei­ne fünf Sin­ne für ei­ni­ge Zeit ab­han­den, und als ich das Be­wusst­sein wie­der­er­lang­te, war der Han­del um mei­ne Per­son be­reits im bes­ten Gan­ge; ich aber konn­te nichts wei­ter tun, als den Ver­lauf der Un­ter­hand­lun­gen in Ge­duld ab­war­ten. Mr. Au­gus­tus Mon­tague Dra­w­bod­dy, der mehr als mich in sei­nem Le­ben ta­xiert hat­te, schätz­te mei­nen Wert auf sechs Schnü­re böh­mi­scher Glas­per­len, zwei kö­nig­lich groß­bri­tan­ni­sche aus­ran­gier­te Per­kus­si­ons­mus­ke­ten, drei So­lin­ger Fa­schi­nen­mes­ser, zwölf Pfund Ta­bak und sechs Fla­schen Rum. Mrs. Dra­w­bod­dy ge­stand ein, dass man wohl noch ein Exem­plar von Bunyans The Pil­grims Pro­gress zu­le­gen kön­ne, wel­cher letz­te­re ge­neröse Vor­schlag je­doch von Tu­mur­kie­land sehr kühl auf­ge­nom­men wur­de, ja so­gar bei­na­he al­len wei­tern Ver­hand­lun­gen ein Ende ge­macht hät­te. Schon zuck­te Alt­eng­land die Ach­seln und wand­te sich ab, um den ei­ge­nen Ge­schäf­ten nach­zu­ge­hen, als der Herr van der Mook auf ara­bisch und in der Lin­gua fran­ca dar­tat, dass er au­ßer den bei­den an­ge­bo­te­nen Flin­ten noch ei­ni­ge Dut­zend gute Büch­sen hin­ter sich habe und es in man­can­za d’un ac­cor­do ami­che­vo­le, in Er­man­ge­lung ei­nes güt­li­chen Ver­gleichs, auf einen Aus­trag durch Waf­fen­ge­walt an­kom­men las­sen wer­de. Üb­ri­gens


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