Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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hielt mich in sei­nen Ar­men auf­recht, die­ser Herr van der Mook, wäh­rend der afri­ka­ni­sche Dä­mo­nen­tanz ihn und mich, den Mr. Dra­w­bod­dy und die Lady um­kreis­te. Er rieb mir die Schlä­fen mit Köl­ni­schem Was­ser aus dem Fla­kon der Lady; und, o Frau Klau­di­ne, Jahr­tau­sen­de der Zi­vi­li­sa­ti­on wa­ren in die­sem Duft, in wel­chem die eu­ro­päi­sche Welt von neu­em um mich em­por­stieg! Man muss das Bar­ba­ren­tum ge­ro­chen ha­ben, muss es län­ger als zehn Jah­re ge­ro­chen ha­ben, Frau Klau­di­ne, um das, was ich fühl­te, emp­fand und ein­at­me­te, zu be­grei­fen. Die­ser Trop­fen Eau de Co­lo­gne hat mir in der vol­len Be­deu­tung der Wor­te das Le­ben ge­ret­tet; denn in ihm war Eu­ro­pa mit all sei­ner Kul­tur, und so lös­te er die töd­li­che Sto­ckung im Blu­te und wen­de­te den Herz­schlag, der mich be­droh­te, ab. Es war je­den­falls ech­tes Köl­ni­sches Was­ser, das Mrs. La­vi­nia Dra­w­bod­dy in ih­rer Ta­sche mit sich führ­te.«

      »Sa­gen Sie mir mehr und an­de­res von Ihrem Be­frei­er!« mur­mel­te die Be­woh­ne­rin der Müh­le; Ha­ge­bu­cher aber rief, in­dem er fast wie in ei­nem Krampf die Hän­de an­ein­an­der rieb:

      »Ver­zei­hung, ach Ver­zei­hung, Frau Klau­di­ne! Aber ich kann je­nen Ta­gen nicht bei­kom­men, ich kann von je­nen Ge­stal­ten nicht los­kom­men als auf die­se Wei­se. Es ist eine Feig­heit, aber ich kann die­ser heil­lo­sen Ver­gan­gen­heit nicht grad ins Ge­sicht se­hen; der Schau­der liegt zu tief in den Ner­ven – mein gan­zes Le­ben ist ja zu ei­nem sol­chen Seit­wärts­schie­len ge­wor­den! Frei­lich tra­ge ich die­sen Kor­ne­li­us van der Mook in dem stills­ten Win­kel der See­le, wenn er gleich nicht zu je­nen Men­schen­freun­den ge­hör­te, die, aus He­ro­is­mus und Auf­op­fe­rungs­fä­hig­keit zu­sam­men­ge­setzt, nach der Mei­nung fan­ta­sie­rei­cher wohl­wol­len­der Leu­te so häu­fig in der Welt vor­kom­men, aber doch un­ge­mein sel­ten im rich­ti­gen Au­gen­blick sich vor­fin­den. Der Herr van der Mook war ein mür­ri­scher, schweig­sa­mer Mann, der, wie je­der in Afri­ka Han­del­trei­ben­de, sei­ne Peit­sche aus Büf­fel­le­der an dem Gür­tel trug und die­sel­be nö­ti­gen­falls sehr rück­sichts­los ge­gen Men­schen und Vieh ge­brauch­te. Er rech­ne­te vor­treff­lich in al­len von Lon­don bis zum Mond­ge­bir­ge land­läu­fi­gen Münz­sor­ten, und wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts zu Abu Tel­fan wa­ren ihm die Ge­füh­le und Stim­mun­gen der Ma­dam Kul­la Gul­la wich­ti­ger als die mei­ni­gen. Er hat­te Ge­schäf­te mit mei­nen frü­he­ren Ge­bie­tern zu ma­chen und ließ sich in den­sel­ben nicht stö­ren. Un­se­re hal­be oder vier­tel Lands­mann­schaft ach­te­te er wie ein ech­ter Hol­län­der sehr ge­ring, und einen Wunsch, et­was Nä­he­res über den Mann zu er­fah­ren, der ihm zu so ho­hem Dank ver­pflich­tet war, zeig­te er in kei­ner Wei­se. In al­lem, was er tat und sag­te, gab er sich als ein sehr prak­ti­scher, küh­ler, schar­fer Rech­ner kund, und erst, nach­dem wir von Abu Tel­fan auf­ge­bro­chen wa­ren, trat er mir et­was nä­her, doch hab ich nicht her­aus­ge­kriegt, ob er wirk­lich ein ech­ter Hol­län­der war. Die Un­ter­hal­tung in un­se­rer Ka­ra­wa­ne wur­de in al­len mög­li­chen Zun­gen ge­führt, nur nicht in der deut­schen; und der Herr van der Mook, der je­den­falls Deutsch ver­stand und sprach, schi­en sich so­gar nun­mehr sehr da­vor zu hü­ten, sich die­ser Spra­che im Ver­kehr mit mir zu be­die­nen. Es ist mir auch im­mer deut­li­cher ge­wor­den, dass er nicht von Deutsch­land und den deut­schen Ver­hält­nis­sen re­den woll­te; und wie ich mich ab­müh­te, ihn zu Äu­ße­run­gen und Mit­tei­lun­gen in die­ser Rich­tung zu be­we­gen, es blieb stets bei je­ner ur­al­ten ba­ta­vi­schen Re­dens­art, mit wel­cher schon Ci­vi­lis und Vel­le­da al­len un­be­que­men Er­ör­te­run­gen aus dem Wege gin­gen: Kan niet ver­staan! – Sei­nen Rat, sei­nen Arm, sei­nen Geld­beu­tel und sei­nen Kre­dit hat er mir je­der­zeit, auf dem Nil und in Alex­an­dria wie in Abu Tel­fan, auf das be­reit­wil­ligs­te zur Ver­fü­gung ge­stellt; mit dem Ge­müt hat er mir auf kei­ne Wei­se ge­hol­fen, und so ha­ben wir mit ei­nem Hand­schüt­teln Ab­schied von­ein­an­der ge­nom­men, wie an der Türe ei­ner Kon­di­to­rei oder ei­nes Klub­hau­ses. Zu al­lem an­de­ren Un­be­ha­gen schlep­pe ich auch das Ge­fühl mit mir, dass sich auch hier wie­der Schrit­te, die mir wert und hoch­ge­liebt bis zum Tode blei­ben müs­sen, in die Wüs­te ver­lie­ren. Es ist ein ar­ges, grim­mi­ges Ge­s­penst, wel­ches auf al­len We­gen hin­ter mir drein­tritt und die Fä­den, die mich mit den Hoff­nun­gen und Sor­gen, der Ar­beit, der Freu­de und dem Lei­de um mich her ver­knüp­fen, mit schar­fem Mes­ser zer­schnei­det. Ich habe nichts, gar nichts heim­ge­bracht aus der Frem­de, hal­te es aber auch für kein Wun­der, dass die Hei­mat gar nicht dar­an glaubt, eine sol­che Tat­sa­che gar nicht fas­sen kann.«

      Der Er­zäh­ler brach­te so­mit für die­ses Mal sei­nen Be­richt klein­laut ge­nug zu Ende, und auch die Frau Klau­di­ne war eine Wei­le ganz still. End­lich sprach sie mit ei­nem tie­fen Seuf­zer:

      »Wer ver­liert nicht mehr, als er fin­det, auf sei­ner Wan­de­rung? Wel­che ehr­li­chen Leu­te rüh­men und freu­en sich des­sen, was sie heim­brin­gen? Nur die Klei­nen und Nich­ti­gen dür­fen Tri­umph ru­fen, wenn sie ih­ren Bet­tel­sack aus­schüt­ten; die Gro­ßen und Ed­len wer­den im­mer sich ab­wen­den und sa­gen: Das Bes­te ge­hört nicht uns zu, und wir wis­sen nicht, von wem wir es ha­ben! – Was sind wir al­le­samt an­ders als Bo­ten, die ver­sie­gel­te Ga­ben zu un­be­kann­ten Leu­ten tra­gen? Die größ­te Schlacht und das höchs­te Ge­dicht, von wem kom­men und zu wem ge­hen sie? Kein rech­ter Sie­ger auf ir­gend­ei­nem Fel­de wird je ru­fen: Dies ist mein Werk und das soll es wir­ken! – Ich dan­ke Ih­nen, mein Freund, für die Stun­den, wel­che Sie mir heu­te ge­ge­ben ha­ben. Wir wol­len im­mer bes­se­re Freun­de wer­den, Sie und ich und Ni­ko­la Ein­stein und noch ei­ni­ge an­de­re. Wir wol­len ein­an­der hel­fen und nicht un­ge­dul­dig sein. So lan­ge Zeit, als Sie in der ent­setz­li­chen Ge­fan­gen­schaft la­gen, hab ich hier in der Ein­sam­keit, in Gram und ein­tö­ni­gem Schmerz ge­ses­sen und hab auch heu­te nicht ge­fun­den, was ich su­che. Wir wol­len Ge­duld ler­nen und leh­ren und ein­an­der hel­fen, wie wir ver­mö­gen. Nun wird es Nacht; Sie müs­sen ge­hen und ich blei­be wie­der al­lein; dar­an wer­den Sie den­ken auf Ihrem Wege, und es ist gut für Sie. Sie wer­den oft zu der Müh­le zu­rück­keh­ren, und das ist gut für mich. Nun will ich Sie auf die Stirn küs­sen, Leon­hard Ha­ge­bu­cher, und Ih­nen gute Nacht sa­gen; heu­te soll kein bö­ses Ge­s­penst Ih­nen fol­gen und den Fa­den, der Sie an die Kat­zen­müh­le bin­det, zer­schnei­den. Ich will gute Wa­che dar­über hal­ten, und mor­gen sol­len Sie die alte Frau in der al­ten Müh­le lo­ben.«

      »Gute Nacht, Ma­dam Klau­di­ne«, hat­te auch Leon­hard Ha­ge­bu­cher ge­sagt und war sei­nes We­ges, oder was man so nen­nen mag, ge­gan­gen; denn er wuss­te we­nig von sei­nem Wege, er spür­te ihn je­den­falls kaum un­ter den Fü­ßen. Von den ers­ten Bäu­men des Wal­des aus hat­te er noch ein­mal zu­rück­ge­blickt nach der klei­nen Hüt­te un­ter der Fel­sen­wand. Der Fels war dun­kel, das Gärt­chen lag in tiefer Däm­me­rung, und es war wie Ma­gie, als jetzt Chris­ti­ne die Lam­pe der Frau Klau­di­ne an­zün­de­te und der Licht­schein aus dem Fens­ter der Müh­le dem zö­gern­den Lau­scher nach­folg­te in den Wald. Leon­hard grüß­te die­sen Schein noch ein­mal tiefer zwi­schen den Bäu­men und schritt erst dann schnel­ler vor­wärts, als der Stamm ei­ner al­ten Ei­che ihn sei­nem Blick ent­rück­te; die letz­ten Wor­te der Grei­sin er­hiel­ten jetzt erst ihr vol­les Ge­wicht: kein arg­lis­ti­ger Dä­mon durf­te sei­ne heu­ti­gen Schrit­te aus­lö­schen oder


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