Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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sie saß viel län­ger als sonst zu­sam­men, um die Sa­che reif­lich durch­zu­spre­chen; und nur der On­kel Schnöd­ler durf­te, mit der Missach­tung al­ler be­deckt, ab­zie­hen und sei­ne Zer­knir­schung zu der am häus­li­chen Herd in mür­ri­scher Un­nah­bar­keit thro­nen­den Gat­tin tra­gen, wel­ches letz­te­re gleich­falls sei­ne Fol­gen für die Hei­ter­keit und Harm­lo­sig­keit der so­zia­len Ver­hält­nis­se Nip­pen­burgs hat­te.

      Wen­den wir uns nun wie­der zu dem im ent­setz­lichs­ten Groll in die Nacht hin­aus­schrei­ten­den Steue­rin­spek­tor. Zum ers­ten Mal in sei­nem Le­ben hat­te er den Gol­de­nen Pfau ver­las­sen, ohne sei­ne Rech­nung be­zahlt zu ha­ben; auch die­ses muss­te ihm un­ter dem Stadt­tor noch ein­fal­len und stell­te in ei­nem Cha­rak­ter wie der sei­ni­ge das phi­lo­so­phi­sche See­len­ge­wicht si­cher­lich nicht wie­der her. Er sprach den gan­zen Weg über mit sich sel­ber, und die Pap­peln zu bei­den Sei­ten der Bums­dor­fer Chaus­see schie­nen flüs­ternd ein und die­sel­be Be­mer­kung über ihn wei­ter­zu­ge­ben. Von Nip­pen­burg bis Bums­dorf schüt­tel­ten sie sich leicht schau­dernd, und es ging ein lei­ses Rau­nen und Rau­schen des Vet­ter Was­ser­tre­ters Land­stra­ße ent­lang:

      »Wehe dem Haus Ha­ge­bu­cher, da kommt der Alte, und in wel­cher Ge­müts­ver­fas­sung! Wehe der Ma­tro­ne, der Toch­ter und vor al­lem dem Soh­ne! Seit der Va­ter der Göt­ter und der Men­schen un­sern hoch­flie­gen­den Bru­der Phae­ton mit dem töd­li­chen Strah­le traf, ihn in den Eri­da­nus stür­zend, sa­hen wir nicht einen glei­chen Zorn. Wehe dir, ar­mer Leon­hard; wie sind auch mit dir dei­ne ju­gend­li­chen Wün­sche durch­ge­gan­gen! Se­het, ihr Schwes­tern, den ho­hen Greis! Schon er­hebt er den stra­fen­den Stab; noch eine gräss­li­che Pau­se wie vor dem Schla­ge, der un­sern Bru­der traf, und auch er schlägt zu, und bil­li­gend nickt Zeus aus den olym­pi­schen Hö­hen.«

      Also flüs­ter­ten die He­lia­den an der Bums­dor­fer Chaus­see, und der Steue­rin­spek­tor Ha­ge­bu­cher, mit im­mer wach­sen­dem Grim­me an der er­kal­te­ten Klub­pfei­fe sau­gend, schritt vor­über, sei­nen ver­düs­ter­ten La­ren und Pe­na­ten zu.

      »Es ist aus und vor­bei, es wird ein Ende ge­macht – heu­te noch – in die­ser Stun­de! He­h­ehe, wenn mir das ei­ner vor fünf Mo­na­ten pro­phe­zeit hät­te! Ob wohl je­mals ein Va­ter in sol­cher Art ge­straft wur­de? Ha­ha­ha; aber es wird in die­ser Stun­de noch ein Ende ge­macht!«

      So ist das Schick­sal. Zwei Geg­ner, wel­che die bes­te Ab­sicht ha­ben, sich zu ver­söh­nen, kön­nen lan­ge auf eine pas­sen­de und be­que­me Ge­le­gen­heit dazu war­ten; so­bald aber je­mand recht in­nig­lich sich dar­auf freut, ei­nem an­de­ren je­mand bei der ers­ten Be­geg­nung, wenn Zeit und Um­stän­de güns­tig sind, in die Haa­re zu fal­len, so wird die­se Be­geg­nung si­cher­lich an der nächs­ten Stra­ßen­e­cke statt­fin­den, und Zeit und Um­stän­de wer­den nicht das min­des­te zu wün­schen üb­riglas­sen. In dem Au­gen­blick, in wel­chem Ha­ge­bu­cher se­ni­or vom Wes­ten her sei­ne Pfor­te er­reich­te, lang­te Ha­ge­bu­cher ju­ni­or be­schleu­nig­ten Schrit­tes von Os­ten her vor der­sel­ben an, und die Aus­ein­an­der­set­zung konn­te auf der Stel­le vor sich ge­hen.

      »Gu­ten Abend, lie­ber Va­ter«, sag­te Leon­hard sanft und herz­lich. »Das war ein schö­ner Tag, und dies ist ein glück­li­ches Zu­sam­men­tref­fen.«

      Der Alte, lei­se keu­chend mit zit­tern­dem Haus­schlüs­sel das Schlüs­sel­loch su­chend, ant­wor­te­te nicht.

      »Welch eine Ern­te!« such­te Leon­hard für sei­nen Teil die Un­ter­hal­tung wei­ter­zu­füh­ren. »Wel­che Korn­fel­der! Wel­cher Wei­zen! Das wäre et­was für mei­ne Freun­de in der afri­ka­ni­schen Wüs­te, im Tu­mur­kie­lan­de –«

      Der Alte hat­te jetzt das Schlüs­sel­loch ge­fun­den, die Hau­stü­re jäh­zor­nig auf­ge­ris­sen und stand nun auf der Schwel­le, den Ein­gang in das Haus mit sei­nem Kör­per de­ckend.

      »Ich will nichts mehr von der afri­ka­ni­schen Wüs­te, ich will nichts mehr von dem Tu­mur­kie­lan­de, ich pfei­fe auf bei­des!« schrie er. »Ich habe über­ge­nug da­von ge­habt, und jetzt soll ein Ende da­mit ge­macht wer­den! Aus dem Pfau bin ich her­aus­ge­läs­tert, und zehn Pfer­de sol­len mich nicht wie­der hin­ein­brin­gen; aber in mei­nem Hau­se will ich Ruhe ha­ben. Mein gan­zes Le­ben bin ich ein so­li­der und acht­ba­rer Mann ge­we­sen, und so hat man mich ästi­miert; aber jetzt bin ich wie ein Ka­mel mit ei­nem afri­ka­ni­schen Af­fen drauf und kann mich nicht se­hen las­sen, ohne das gan­ze Pack mit Ge­schrei und Fin­ger­deu­ten und Ge­pfei­fe in den Gas­sen hin­ter mir zu ha­ben. Und wer ist schuld dar­an? Wer hat den ehr­li­chen Na­men Ha­ge­bu­cher so in den Ver­ruf und in die Mäu­ler des Jan­ha­gels ge­bracht? Kein an­de­rer als der Herr aus dem in­wen­digs­ten Afri­ka, der Fan­tast, der Land­läu­fer –«

      »Va­ter! Va­ter!« rief Leon­hard; doch im hö­hern Tone schrie der Alte:

      »Was Va­ter, Va­ter? Seit der Heim­kehr des sau­bern Herrn zweifle ich an mei­ner ei­ge­nen Exis­tenz; die gan­ze Welt hat die Dreh­krank­heit ge­kriegt, und – und ich will es nicht mehr ha­ben! Aus dem Gol­de­nen Pfau konn­ten sie den pen­sio­nier­ten Steue­rin­spek­tor Ha­ge­bu­cher hin­aus­wer­fen; aber in­ner­halb mei­ner vier Pfäh­le blei­be ich noch Herr, der gan­zen Welt zum Trotz, und las­se mir mei­ne Rech­nung nicht so leicht ver­wir­ren.«

      Es wäre viel­leicht bes­ser ge­we­sen, wenn die Mut­ter und die Schwes­ter Leon­hards so­wie die Magd des Hau­ses sich in die­sem Mo­ment nicht ins Mit­tel ge­legt hät­ten. Aber von dem Lärm vor der Hau­stü­re auf­ge­schreckt, ka­men sie bleich und zit­ternd und war­fen sich, als sie er­kann­ten, wer da in der nächt­li­chen Dun­kel­heit im Streit lie­ge, mit hel­lem Angst- und Weh­ruf zwi­schen die Par­tei­en. Das goss nicht Öl, son­dern Erd­öl in die Flam­men, und zu dem Feu­er kam die er­schreck­lichs­te Ex­plo­si­on.

      »Ich las­se mir mei­ne Rech­nun­gen nicht ver­wir­ren«, schrie der Alte, »und einen Rech­nungs­feh­ler ver­ach­te ich, dul­de ihn nicht und wer­fe ihn hin­aus!«

      Da­mit schob er die ent­setz­ten Frau­en­zim­mer in das Haus zu­rück, folg­te ih­nen, schlug dem Soh­ne die Tür vor der Nase zu und schob, um alle fer­nern Ver­hand­lun­gen für heu­te un­mög­lich zu ma­chen, den Rie­gel vor. Mit­ter­nacht schlug’s auf dem Bums­dor­fer Kirch­turm, und Leon­hard Ha­ge­bu­cher stand und hat­te au­gen­blick­lich wei­ter nichts zu sa­gen. Eine hal­be Stun­de spä­ter je­doch konn­ten die Töch­ter des He­li­os und der Nym­phe Me­ro­pe an der Bums­dor­fer Stra­ße auch über ihn ihre Be­mer­kun­gen ma­chen. Un­si­chern Schrit­tes wan­der­te er nach Nip­pen­burg, und um ein Uhr mor­gens ver­nahm der Vet­ter Was­ser­tre­ter sei­nen lei­sen Ruf un­ter dem Fens­ter, kam in schlur­fen­den Filz­pan­tof­feln die Trep­pe her­ab, öff­ne­te ihm die Tür und sprach, nach­dem er das Ge­sche­he­ne er­fah­ren hat­te:

      »Auch wenn ich nicht längst auf die­ses ge­war­tet hät­te, wür­de ich mich nicht dar­über wun­dern.«

      In ei­ner eben­so schö­nen Nacht wie die eben ge­schil­der­te, auch nicht sehr lan­ge Zeit nach die­ser, saß Ni­ko­la von Ein­stein in ih­rem Er­ker­stüb­chen auf dem Bums­dor­fer Guts­ho­fe und schrieb.

      Das Stüb­chen war schon man­ches Jahr auf dem Hofe un­ter der Be­zeich­nung »Ni­ko­las Nest« be­kannt und wur­de


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