Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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An­sich­ten der Na­tur. In die­sem schö­nen Bu­che, wel­ches Dein ver­stän­di­ger Ma­jor Dir si­cher­lich in ei­nem be­hag­li­chen Win­ter vor­ge­le­sen hat, wird ge­schil­dert, wie ir­gend­wo in Mit­tel- oder Süd­ame­ri­ka, an ir­gend­ei­nem großen Stro­me die Al­li­ga­to­ren wäh­rend des hei­ßen Som­mers im Schlamm ein­trock­nen, um erst in der Re­gen­sai­son von neu­em zu er­wa­chen. Die Sa­che ist sehr an­schau­lich aus­ge­malt; die Schol­len bers­ten mit Kra­chen und sprin­gen in die Höhe, wie das ge­pan­zer­te Un­tier sich aus sei­ner lan­gen Sies­ta er­hebt. Es gähnt ent­setz­lich, es reibt sich die Au­gen; vor al­len Din­gen er­wacht es mit ei­nem aus­ge­zeich­ne­ten Ap­pe­tit, und so hat es mir zwi­schen zwei und drei Uhr mor­gens ein hel­les Angst­ge­schrei ent­lockt und mich hoch­auf aus mei­nen Kis­sen ge­jagt; Du aber, mein Kind, schau nach in Dei­nem Traum­bu­che und sage mir bei un­serm ers­ten Zu­sam­men­tref­fen, was es be­deu­ten kann.

      Ich habe über­haupt an­ge­fan­gen, in den letz­ten Zei­ten sehr tro­pisch zu träu­men, den Grund da­von aber kann ich sel­ber an­ge­ben. Es ist kein Zwei­fel, der Wil­de Mann aus Afri­ka trägt die Schuld.

      Das Gerücht von die­sem Wil­den Mann wird wohl auch be­reits zu Euch in Eure Re­si­denz ge­drun­gen sein, und wie ich Euch ken­ne, habt Ihr ihn si­cher­lich recht lus­tig zer­pflückt und zer­fa­sert, ehe Ihr ihn gleich Eu­rem an­de­ren Spiel­zeug bei­sei­te war­fet. Da er aber zu mei­nen sehr gu­ten Freun­den ge­hört und durch sei­ne Heim­kehr aus der Ge­fan­gen­schaft viel dazu bei­ge­tra­gen hat, mei­nen Wil­len in den des har­ten Schick­sals mit bes­serm Hu­mor zu beu­gen, so muss ich ihn doch noch Eu­rer gu­ten Mei­nung und Eu­rem Wohl­wol­len emp­feh­len, denn er hat bei­de in der nächs­ten Zeit viel­leicht recht nö­tig.

      Mein Freund nennt sich Leon­hard Ha­ge­bu­cher und wur­de vor bei­na­he vier­zig Jah­ren in Nip­pen­burg ge­bo­ren. Fast zwölf Jah­re hat er am Mond­ge­bir­ge in der Skla­ve­rei ge­le­gen, und zu An­fang die­ses Som­mers ist er in sei­nes Va­ters Hau­se hier zu Bums­dorf wie­der­an­ge­langt, merk­wür­di­ger­wei­se we­ni­ger stumpf­sin­nig und ver­tiert als man­che un­se­rer ge­schätz­ten Be­kann­ten, die nie die Grenz­li­nie un­se­rer gu­ten Ge­sell­schaft über­schrit­ten. Ich habe na­tür­lich so­gleich das in­nigs­te Ver­hält­nis zu ihm an­ge­knüpft; denn nie­mals ist ein Mensch so zur rech­ten Zeit für die Stim­mun­gen und Zu­stän­de ei­nes an­de­ren ein­ge­tre­ten wie die­ser Mann der Wüs­te für die mei­ni­gen.

      O Emma, zehn oder zwölf Jah­re hat die­ser Ha­ge­bu­cher un­ter der Peit­sche des Ne­gers aus­ge­hal­ten, und nun ist er wie­der da, als ob ihm nichts ge­sche­hen sei, und ge­nießt alle Seg­nun­gen der Zi­vi­li­sa­ti­on und Nip­pen­burgs! Zwölf Jah­re hat er sich gleich dem tap­fers­ten Hel­den ge­gen die Af­fen und Un­ge­heu­er ge­wehrt, und sie ha­ben sein mu­ti­ges, aus­dau­ern­des Herz nicht un­ter­ge­kriegt, ob­gleich er ganz al­lein – zwölf lan­ge, lan­ge Jah­re ganz al­lein zwi­schen ih­nen steck­te. Er sagt, die Moh­ren hät­ten sich noch er­tra­gen las­sen, aber die Moh­rin­nen sei­en schlimm ge­we­sen; o Emma, Emma, und eine ge­wis­se Ma­dam Kul­la Gul­la sei ihm fast zu viel ge­wor­den! Er er­zählt sehr gut, denn er hat wäh­rend sei­nes Er­zäh­lens noch die Schul­tern zu rei­ben. Das ist al­les so an­schau­lich, und tröst­lich ist’s auch, dass ei­nem je­den die Hoff­nung un­be­nom­men bleibt, er wer­de noch ein­mal ir­gend­wo sit­zen und die His­to­rie von sei­ner Ge­fan­gen­schaft und sei­ner Be­frei­ung zum bes­ten ge­ben wie die­ser Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher.

      Ja, Du mein sü­ßes Herz, ohne die­sen Wil­den Mann aus Afri­ka müss­ten Mama und Fried­rich doch noch ein we­nig Ge­duld ha­ben; aber je­ner hat al­ler­lei vom Mond­ge­bir­ge heim­ge­bracht, was un­ser­eins in sei­nen klei­nen Nö­ten und Är­ger­nis­sen treff­lich ge­brau­chen kann; und dass jetzt Nip­pen­burg und Bums­dorf ihn nach Recht, Ver­dienst und Ge­bühr be­han­deln, kräf­tigt mich gleich­falls nicht we­nig in mei­ner Er­ge­bung.

      ’s ist ein un­nüt­zer Va­ga­bund, mein ar­mer Afri­ka­ner, schon in sei­ner frühs­ten Ju­gend taug­te er we­nig, und von der Schu­le ist er sehr bald fort­ge­lau­fen. Wenn er zu Lan­de und zur See man­cher­lei ver­sucht hat und so­gar die Landen­ge von Suez mit durch­gra­ben half, so hat er doch nie­mals einen Be­griff da­von ge­habt, wie ein ver­stän­di­ger Mensch für sein Glück und sein Wohl­be­ha­gen sorgt. Und als end­lich die Bag­ga­ra­ne­ger ihn an die Leu­te von Tu­mur­kie­land ver­kauf­ten, kam er wahr­lich nicht zum ers­ten Mal als Han­dels­ar­ti­kel auf den Markt der Welt. Jetzt ist Nip­pen­burg sei­ner auch längst wie­der über­drüs­sig, und vor vier­zehn Ta­gen hat sein Papa ihn gleich­falls aus dem Hau­se ge­wor­fen, weil man ihn, den Al­ten, des Soh­nes we­gen aus dem Gol­de­nen Pfau warf. Je­der­manns Hand ist wi­der mei­nen Freund, und je­der­mann macht sich selbst­ver­ständ­lich ein Ver­dienst dar­aus und hebt sich hö­her dar­um in sei­nen Schu­hen; mir aber ist der arme Sün­der un­schätz­bar als mein gu­ter Ka­me­rad; denn was für einen An­spruch kann er dar­auf ma­chen, sanf­ter an­ge­fasst zu wer­den als sei­nes­glei­chen?

      Ich habe vie­len Ver­kehr mit die­sem Herrn Ha­ge­bu­cher ge­hal­ten, zu­erst in sei­nes Va­ters Haus, dann auf man­chem Spa­zier­gang in Wald und Feld; und auch bei der Frau Klau­di­ne sind wir in den bei­den letz­ten Wo­chen häu­fig zu­sam­men­ge­trof­fen. Wir ha­ben uns ge­gen­sei­tig recht aus­ge­spro­chen und merk­wür­di­ge Beo­b­ach­tun­gen und Er­fah­run­gen zum bes­ten ge­ge­ben und bei­der­sei­tig da­durch ge­won­nen: sich ›tot­zu­stel­len‹ in der Hand des Fa­tums ist un­ter al­len Um­stän­den das ver­nünf­tigs­te und be­quems­te. Die Frau Klau­di­ne ver­steht’s am bes­ten; aber auch Leon­hard Ha­ge­bu­cher und Ni­ko­la Ein­stein sind auf gu­tem Wege, die Kunst zu ler­nen.

      Also, Frau Emma, ich hei­ra­te, da man es so ha­ben will, und traue mir zu, als Frau von Glim­mern mei­ne Rol­le mit al­lem An­stand durch­füh­ren zu kön­nen. O sie sol­len schon nichts mer­ken von der wirk­li­chen Ni­ko­la von Ein­stein! Die ist tot und tief be­gra­ben für alle, wel­che auf ih­rer Hoch­zeit tan­zen; ganz still liegt sie in der dun­keln si­che­ren Tie­fe, blickt nur durch halb­ge­schlos­se­ne Au­gen­li­der un­ter dem schwe­ren Stein schläf­rig her­vor und denkt: Nur schlau muss der Mensch sein und so tot wie mög­lich, dann lässt sich das Le­ben schon tra­gen. Was meint die Frau Ma­jo­rin? Ist das kei­ne be­hag­li­che Vor­stel­lung?

      Mor­gen fan­ge ich an, mei­ne Kis­ten, Kas­ten und Schach­teln zu pa­cken, und be­gin­ne auch mit mei­nen Ab­schieds­vi­si­ten, de­ren ich eine große Men­ge ab­zu­stat­ten habe in Bums­dorf und der Um­ge­gend. Man­cher al­ten dick­köp­fi­gen Wei­de, den Mühl­bach ent­lang, hab ich mein Kom­pli­ment zu ma­chen; man­cher luf­ti­gen Berg­hö­he, man­chem lie­ben Win­kel­chen, man­chem stil­len Pfa­de und man­chem al­ten Fels­block hab ich Le­be­wohl zu sa­gen. An Men­schen und Tie­re darf ich ei­gent­lich gar nicht den­ken, und am ver­nünf­tigs­ten wär’s, ich schli­che mich bei Nacht und Ne­bel weg aus ih­rer Mit­te und such­te, mit den Schu­hen in der Hand, den Nip­pen­bur­ger Post­hof zu er­rei­chen. Es wäre aber doch un­recht ge­han­delt, und der Oheim würd’s mir nie ver­zei­hen. So will ich denn, wie es sich ge­bührt, in die Run­de ge­hen, und ich habe es ja nö­tig ge­nug, dass je­der mir ver­spre­che, die arme Ni­ko­la nicht zu ver­ges­sen. Und zum letz­ten­mal sol­len mich Oheim, Tan­te und Cou­si­nen durch alle Stäl­le und Vor­rats­kam­mern, durch Ge­mü­se­gar­ten und Blu­men­gar­ten und um den Fisch­teich füh­ren, und nie­man­dem soll’s ver­wehrt sein, mir nach Nip­pen­burg zur Post das Ge­leit zu ge­ben.

      Wie


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