Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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schnel­len, trä­nen- und angst­vol­len Bli­cke ge­folgt. Drau­ßen an der Gar­ten­tür ne­ben dem Pro­spe­ro stand Leon­hard Ha­ge­bu­cher, dem schö­nen Tie­re den Hals strei­chelnd und die Mäh­ne glät­tend. Er stand in tie­fe Ge­dan­ken ver­sun­ken; die Frau­en hat­ten ge­nü­gen­de Muße, ihn zu be­ob­ach­ten, und Ni­ko­la vor­züg­lich hat­te vol­le Zeit, sich die Au­gen zu trock­nen und die nö­ti­ge Fas­sung we­nigs­tens äu­ßer­lich wie­der­zu­er­lan­gen.

      Die­se letz­ten Som­mer­ta­ge wa­ren, nicht ohne eine merk­li­che Ver­än­de­rung her­vor­zu­brin­gen, an dem Afri­ka­ner vor­über­ge­gan­gen. Die Klau­sur und die mo­ra­li­sche und phy­si­sche Diät, wel­che er un­ter dem Re­gime des Vet­ters Was­ser­tre­ter ein­zu­hal­ten hat­te, schie­nen bis jetzt treff­lich bei ihm an­zu­schla­gen und von großem zi­vi­li­sa­to­ri­schem Ein­fluss auf ihn zu sein. Das Stu­di­um des Kon­ver­sa­ti­ons­le­xi­kons tat ihm un­be­dingt gut; es war wie­der ein eu­ro­päi­sches Licht in sei­nen Au­gen, wel­ches er nicht über das Mit­tel­län­di­sche Meer zum Molo von Triest mit­ge­bracht hat­te; selbst in den Be­we­gun­gen der Hand, die dem Schim­mel das Stirn­haar zu­recht­leg­te, zeig­ten sich Bil­dung und Ge­sit­tung in un­zwei­fel­haf­ter Wei­se; kurz, das, was der Vet­ter Was­ser­tre­ter den »Häu­tungs­pro­zess« nann­te, nahm einen recht be­frie­di­gen­den Fort­gang, und die neue Epi­der­mis guck­te, ei­nem zwei­ten Aus­druck des We­ge­bau­in­spek­tors zu­fol­ge, »recht de­li­kat« her­vor.

      Jetzt, nach be­en­de­ter Un­ter­hal­tung mit dem Eng­län­der, wand sich Leon­hard Ha­ge­bu­cher vollends aus dem Ge­büsch und grüß­te die bei­den Frau­en am Fens­ter der Kat­zen­müh­le. Er kam schnel­lern Schrit­tes durch den Gar­ten und ver­neig­te sich aufs neue un­ter der Tür, in­dem er sei­nen ara­bi­schen Gruß sprach. Das Fräu­lein von Ein­stein neig­te stumm das Haupt, die Ma­dam Klau­di­ne aber rief mit herz­li­chem Aus­druck:

      »Will­kom­men, lie­ber Sohn! Sie kom­men zur rech­ten Zeit für zwei gar be­trüb­te und be­dräng­te Leu­te. Mein Kind hier nimmt so­eben Ab­schied von ih­rer al­ten Freun­din, sie muss weg­ge­hen von hier, sie wird sich ver­hei­ra­ten, und sie weint aus vie­len Grün­den.«

      »Jaja, es ist so, Mann der Wüs­te!« rief Ni­ko­la, auf­ge­regt und un­ge­dul­dig mit dem Fuße auf­stamp­fend. »Was ste­hen Sie und star­ren Sie mich an? Ha­ben Sie kein Wort der Be­glück­wün­schung für mich, kön­nen Sie nicht das kleins­te Kom­pli­ment vor­brin­gen?«

      »Nein!« sprach Leon­hard mit ei­ner Ener­gie und ei­ner Grob­heit, die sei­nem Cha­rak­ter alle Ehre mach­ten. »Sie eine Braut, Fräu­lein von Ein­stein, Sie ei­nem Man­ne ver­lobt? O das ist mir nicht lieb, das ist mir wahr­haf­tig nicht lieb! Schei­tan fal­le mich an, wenn das nicht schlim­mer ist als ein ver­gif­te­ter Pfeil aus dem Ge­büsch – – o Fräu­lein von Ein­stein!«

      Die­ser Aus­bruch höchs­ten Ver­drus­ses war so wahr, so drol­lig und kam so über­ra­schend, dass bei­de Da­men trotz al­ler Be­klem­mung und Be­trüb­nis sich des Lä­chelns nicht er­weh­ren konn­ten. Ja Ni­ko­la lach­te so­gar hellauf, sprang in die Höhe und rief, in­dem sie dem Afri­ka­ner kräf­tig die Hand drück­te:

      »Liebs­ter Freund, ich habe Sie doch ver­kannt und bit­te herz­lich um Ver­zei­hung. Sei­en Sie nicht un­ge­hal­ten; ’s ist kei­ne Ge­schich­te von ges­tern, das Ge­s­penst geht schon län­ge­re Zeit um, darf aber jetzt erst sei­ne Ket­ten ras­selnd der Welt zei­gen. Dazu ist’s nicht mei­ne Schuld, Herr Ha­ge­bu­cher; ich blie­be frei­lich lie­ber in Bums­dorf und säße in der Kat­zen­müh­le. Schei­tan und alle die üb­ri­gen Herr­schaf­ten aus Dschin­nis­tan sol­len auch über mich ver­fü­gen dür­fen, wenn ich nicht die Wahr­heit rede.«

      Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher saß auf dem nächs­ten Stuh­le mit den Hän­den auf den Kni­en wie Ram­ses der Gro­ße vor sei­nem Palast zu Luk­sor und sah mit ei­ner eben­so geist­rei­chen und ver­ständ­nis­rei­chen Phy­sio­gno­mie auf die bei­den Frau­en wie je­ner Mon­arch auf die Trüm­mer sei­ner Re­si­denz­stadt The­ben. Er er­hol­te sich nur ganz all­mäh­lich von sei­ner Über­ra­schung, und als er end­lich sei­nen Ge­füh­len Wor­te zu ge­ben ver­moch­te, sag­te er:

      »Auch ich bit­te um Ver­zei­hung und habe mehr Grund dazu als das gnä­di­ge Fräu­lein. Wie kann man so dumm und frech sein?! Aber es war auch nicht ganz mei­ne Schuld, Fräu­lein Ni­ko­la! Erin­nern Sie sich noch je­ner Mond­schein­nacht an der He­cke von Ihres Oheims Gar­ten? Sie guck­ten über die He­cke und rie­fen mich an in mei­ner Ver­wir­rung; was kann ich für den Zau­ber, der in je­ner Nacht war? In je­ner Nacht, um jene Stun­de, in der ich dem Toll­hau­se nä­her war als viel­leicht ir­gend­ein an­de­rer Mensch da­zu­mal in Deutsch­land, bin ich durch Ihre Er­schei­nung auf der Licht­sei­te des Da­seins fest­ge­hal­ten wor­den. Wer weiß, ob selbst der Vet­ter Was­ser­tre­ter es heut noch für loh­nend hal­ten wür­de, mich in be­treff der Zeit­ge­schich­te aufs lau­fen­de zu brin­gen, wenn Sie da­mals nicht aus den grü­nen Bü­schen auf­ge­taucht wä­ren. Ich hat­te mir wäh­rend mei­ner Ge­fan­gen­schaft da­hin­ten ein wun­der­vol­les Ide­al von der Hei­mat zu­recht­ge­macht, was dar­aus ge­wor­den ist, wird Ih­nen nicht un­be­kannt sein –«

      »Und um sich vor der Tan­te Schnöd­ler zu ret­ten, ha­ben Sie sich an mei­nem Ro­cke ge­hal­ten!« rief Ni­ko­la. »Und weil ich mein ei­gen Elend weg­zu­la­chen such­te, nicht dumm und auch recht gut ge­wach­sen bin und weil ich mich im­mer, we­nigs­tens bis jetzt, als eine pee­ress in my own right ge­hal­ten habe, setz­ten Sie mich so­zu­sa­gen an die Stel­le je­nes Ideals und be­te­ten mich von fer­ne an wie den Deut­schen Bund vom Tu­mur­kie­lan­de aus! Ach, Leon­hard, ge­ben Sie mir noch­mals Ihre Hand, wir wol­len Freun­de blei­ben un­ser Le­ben lang; aber un­se­re Idea­le wol­len wir so tief als mög­lich be­gra­ben. Wir sind ein paar alte zer­zaus­te Aven­tu­ri­ers und wer­den wohl bei­de in un­serm Har­nisch ster­ben.«

      »Ni­ko­la, Ni­ko­la!« rief Frau Klau­di­ne mit ge­fal­te­ten zit­tern­den Hän­den; das Hoffräu­lein beug­te sich nie­der zu ihr und küss­te sie auf die Stirn:

      »Es ist so, Mut­ter, und nie­mand kann es än­dern. Was soll­te wohl aus mir wer­den, wenn ich nicht mit ge­pan­zer­tem Her­zen von dir weg­gin­ge? Dich, mei­ne Mut­ter, tra­gen und ret­ten dei­ne Ge­duld und Hoff­nung und dein Ein­sied­ler­tum hier in der Wild­nis; je­ner und ich ha­ben an­de­re Waf­fen nö­tig. Ich ken­ne die mei­ni­gen und wer­de sie ge­brau­chen, und der Herr Ha­ge­bu­cher wird gleich­falls die sei­ni­gen fin­den, so­bald er be­grif­fen hat, dass Chil­de Ha­rold nichts wei­ter als ein Ba­ede­ker in Spenser­stan­zen ist.«

      »Ach­ten Sie jetzt nicht auf sie, Leon­hard«, sag­te Frau Klau­di­ne weh­mü­tig. »Sie ist krank; aber sie ist doch ein gu­tes Mäd­chen und klug und kennt die Wege, die zur Ge­ne­sung füh­ren. Sa­gen Sie uns jetzt ein we­nig von Ihrem ei­ge­nen Le­ben und wie die Welt sich von dem Lehn­stuhl des Vet­ters Was­ser­tre­ter aus an­schau­en lässt. An wel­cher Stel­le ha­ben Sie ein Zei­chen in das große eu­ro­päi­sche Bil­der­buch ge­legt?«

      »Ja, re­den wir von Ih­nen, oder viel­mehr spre­chen Sie von sich al­lein«, rief auch Ni­ko­la, ihre Trä­nen trock­nend. »Wir drei hier in der Müh­le bil­den doch ein merk­wür­di­ges Klee­blatt und könn­ten hun­dert Jah­re alt wer­den, ehe wir mit un­sern Ge­ständ­nis­sen und Her­zenser­gie­ßun­gen zu Ende wä­ren. Gott schüt­ze je­der­mann vor ei­nem der­ar­ti­gen em­bar­ras de ri­ches­se. Was macht der Vet­ter Was­ser­tre­ter und das eu­ro­päi­sche Abc-Buch, Herr


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