Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Pflau­me – mö­gen auch ihr sämt­li­che Ober­hof­meis­te­rin­nen Eu­ro­pas die Na­tür­lich­keit des letz­tern Bil­des ver­zei­hen! – und be­klagt sehr fein, aber auch sehr bos­haft, dass sie mir lei­der da­mit nichts Neu­es sage. Die arme Mut­ter! So viel Ver­druss muss ich ihr be­rei­ten, dass ich sie da­durch so­gar wit­zig ma­che; dass sie aber recht hat, das weiß Gott, und nie­mand kann’s ihr strei­tig ma­chen.

      Ich bin all­mäh­lich eine alte, alte Jung­fer ge­wor­den, und da ich eine arme Jung­fer im­mer war, so bleibt am Ende we­nig Er­freu­li­ches von der när­ri­schen Ni­ko­la Ein­stein für Sinn und Ge­müt der Welt üb­rig. Ich wun­de­re mich auch an je­dem jun­gen Mor­gen dar­über, was den Herrn von Glim­mern be­we­gen kön­ne, so hart­nä­ckig auf der Ein­lö­sung der Ver­schrei­bung mei­ner nich­ti­gen Per­son zu be­ste­hen.

      O Emma, Emma, wie an­ders könn­te doch das al­les sein, wie an­ders müss­te es von Rechts we­gen sein! Da könn­te sich selbst ein Hoffräu­lein zu Tode wei­nen; ja ge­ra­de ein Hoffräu­lein – ein Hoffräu­lein erst recht ist hier vor al­len an­de­ren Er­den­wei­bern be­fugt, sich über die Er­bärm­lich­keit in ei­nem feuch­ten Ge­wölk zu er­he­ben. Was habe ich ge­tan, dass mir grad in mein Le­ben ein so großes Fra­ge­zei­chen ge­setzt ist? Ich habe im­mer noch mei­ne Stun­den, in wel­chen ich mich für ein ganz bra­ves und ehr­li­ches Mäd­chen hal­te; das sind mei­ne schlimms­ten Stun­den, denn in ih­nen muss ich am tiefs­ten über je­nes Fra­ge­zei­chen nach­den­ken, und es hilft doch nichts. Hier lässt mich al­les im Stich, das ei­ge­ne Herz, auch Du und die Frau Klau­di­ne!

      Es ist aber zu gu­ter Letzt noch ein­mal ein schö­ner Som­mer ge­we­sen, und ich hof­fe, den Duft und Glanz da­von tief in die Zu­kunft hin­über­ret­ten zu kön­nen. Manch­mal hab ich ge­dacht: Ni­ko­la, mit dem Win­ter kommt der Tod, sei ge­scheit, steh früh auf und gehe nicht zu früh zu Bett; tra­ge zu­sam­men, was du grei­fen und schlep­pen kannst; ver­ho­cke nicht den letz­ten Son­nen­schein im Schmoll­win­kel; ret­te, was du ret­ten kannst! Dann habe ich den Sha­ke­s­pea­re zu Hau­se ge­las­sen und bin mit dem ar­men Höl­ty zu Wal­de ge­zo­gen. Der Höl­ty stammt aus der Tan­te Bums­dorf Biblio­thek und ist in him­melblau­en Sam­met ein­ge­bun­den, und der Schnitt war ein­mal ver­gol­det. Ich habe das Buch nicht im­mer auf­ge­schla­gen; al­lein das Be­wusst­sein, es in der Ta­sche zu tra­gen, ge­nüg­te auf des On­kels Bums­dorf dop­pel­schü­ri­gen Wie­sen. Es sind Tage ge­we­sen, in de­nen ich die gan­ze ge­heim­nis­vol­le Na­tur­emp­fin­dung des Kin­des wie­der­er­lang­te, in de­nen Auge und Nase aus kor­rum­pier­ten Skla­ven der Ge­sell­schaft zu frei­en Bür­gern des wah­ren Reichs Got­tes wur­den. Wäre das al­les aber auch nur ein Zei­chen von Ge­sund­heit ge­we­sen! Ach, die Frau Klau­di­ne hat’s wohl ge­wusst, was es be­deu­te­te. Siehst Du, Emma, die Müh­le, die alte Müh­le in der Wild­nis und die alte Frau in der Müh­le, die hal­ten mich wach und las­sen mich nicht zur Ruhe kom­men. Das Rad ist frei­lich längst zer­bro­chen und kann mir nicht im Kopf her­um­ge­hen; aber die Geis­ter der Zeit, die nicht mehr ist, um­schwe­ben das Dach und kau­ern auf der Schwel­le der mor­schen Hüt­te, und was soll ich ge­gen sie tun? Es zieht mich hin, es reißt mich zu­rück, ich sträu­be mich mit al­ler Kraft; aber ich wer­de durch den Wald ge­zo­gen und ge­scho­ben: ich möch­te mich an al­len Bü­schen und Zwei­gen hal­ten, aber sie ge­ben nach und las­sen mir ihre Blät­ter, ihre Rin­de in den Hän­den; wei­ter muss ich! Und es ist kei­ne wil­de, kei­ne har­te, un­wil­li­ge, zor­ni­ge Ge­walt, der ich an­heim­ge­ge­ben bin – mein ei­ge­ner Wil­le ist in den Mäch­ten au­ßer mir; alle mei­ne Nei­gun­gen, all mein Seh­nen und Wün­schen woh­nen bei der Grei­sin in der Kat­zen­müh­le, und da bin ich wie­der in der Kat­zen­müh­le, sit­ze zu Fü­ßen der Mut­ter, ja, der Mut­ter, und für mein Haupt ist kei­ne Ru­he­stät­te als in ih­rem Scho­ße. – Die Bäu­me des Wal­des und un­ser Gärt­chen, wel­ches vor al­len Gär­ten al­ler Welt­tei­le mir köst­lich und wun­der­voll ist, bli­cken in un­ser nie­de­res Fens­ter, und ein­mal ist auch ein Reh ge­kom­men, um hin­ein­zu­gu­cken. Da ist es gut sein, da lässt sich ganz lei­se spre­chen von dem, was ei­gent­lich hät­te wer­den müs­sen, wenn al­les un­ter den Men­schen mit rech­ten Din­gen zu­gin­ge. Kein Korn­blu­men­kranz ist so blau wie un­se­re Fan­tasi­en, bis auf ein­mal die Däm­me­rung da ist und der Wald an­fängt, kühl zu at­men. Wie kann die Frau Klau­di­ne auch dann noch mir die Haa­re mit ei­nem Lä­cheln aus der Stirn strei­chen? Ich muss fort, und alle schö­nen Far­ben erb­las­sen. Ich rei­te heim auf mei­nem Schim­mel, und zur lin­ken Sei­te des We­ges be­glei­tet mich eine Stim­me, die sagt ganz ein­tö­nig: ›Er ist tot, er ist tot!‹ Und zur rech­ten Sei­te ist eine an­de­re Stim­me, dicht am Bo­den hin­krie­chend, und sie sagt eben­so ton­los: ›Zehn lan­ge Jah­re, zehn lan­ge Jah­re!‹ Wei­ter wis­sen sie nichts; aber ver­wun­der­lich ist’s eben doch nicht, dass ich häu­fig atem­los auf sehr atem­lo­sem Gau­le auf dem Bums­dor­fer Hofe an­lan­ge und dass der Oheim dann mit be­denk­li­chem Kopf­schüt­teln um sei­nen viel­ge­lieb­ten Pro­spe­ro her­um­steigt und im­stan­de ist, mir eine län­ge­re Vor­le­sung über die Be­hand­lung der Pfer­de, und vor­züg­lich sei­ner Pfer­de zu hal­ten.

      Was sind das für Leu­te, die dort bei Euch jen­seits der Ber­ge woh­nen, was küm­mern sie mich, was habe ich mit ih­nen zu schaf­fen? Vor ei­ner Stun­de, in der Kat­zen­müh­le, auf dem Sche­mel­chen zu den Fü­ßen der Frau Klau­di­ne hat­ten sie frei­lich kei­ne Be­deu­tung für mich; aber sie zwin­gen mich schon, an ihre Wirk­lich­keit zu glau­ben! Sie ha­ben eben­so star­ke Hän­de wie die Geis­ter, die mich durch den Wald zur Müh­le zie­hen; ach, aber we­nig von mei­nem ei­ge­nen Wil­len ist bei die­sen Mäch­ten, wel­che auch kein Wi­der­stre­ben dul­den und hart, zor­nig und spot­tend mich aus dem ge­heims­ten Ver­steck her­vor­zer­ren. Wie ha­ben sie die­se Herr­schaft über mich er­langt? Sie sa­gen, sie ha­ben das Recht, mich mit sich zu neh­men: sie po­chen auf ihre Rech­te und be­haup­ten, was ih­nen noch dar­an ge­fehlt habe, das sei ih­nen längst von mir frei­wil­lig hin­zu­ge­legt, und wenn ich dann eine Nacht den Kopf mit bei­den Hän­den ge­hal­ten habe, so bleibt mir kein Zwei­fel mehr: sie re­den die Wahr­heit!

      Fried­rich hat aus Pa­ris ge­schrie­ben, einen sehr hüb­schen und geist­rei­chen Brief, der mir sehr al­ler­liebs­te Höf­lich­kei­ten und Schmei­che­lei­en sagt und mich hof­fent­lich, wenn er mir nach ei­nem Dut­zend Jah­ren wie­der in die Hän­de fällt, recht er­göt­zen wird. ’s ist zwar nicht ganz die Re­gel, dass ein sol­cher Brief an der Stirn das Mot­to: Il­lu­si­ons per­du­es! füh­re; aber die Tat­sa­che steht doch ein­mal fest: wir sind ein paar ver­stän­di­ge, küh­le, ge­setz­te Per­so­nen und seh­nen uns bei­de nach Ruhe. Fried­rich freut sich un­ge­mein auf un­sern Haus­halt, und sei­ne Plä­ne und Vor­schlä­ge in be­treff des­sel­ben ha­ben mei­ne gan­ze Bil­li­gung. Er meint, un­se­re ge­sell­schaft­li­chen Ver­pflich­tun­gen wür­den sich leicht um ein be­deu­ten­des ver­rin­gern las­sen; man habe ge­wiss das Sei­ni­ge ge­tan, um an­de­ren das Da­sein an­ge­nehm zu ma­chen, und man kön­ne nun­mehr mit gu­tem Ge­wis­sen eine Ro­sen­he­cke, aber im­mer eine He­cke, um sein ei­ge­nes Be­ha­gen zie­hen. Ein­ver­stan­den! Er mag das al­les so ein­rich­ten, wenn es wirk­lich sei­ne Ab­sicht ist; ich ver­lan­ge wei­ter nichts, als so oft wie mög­lich eine Tas­se Tee mit Dir, Emma, hin­ter je­ner He­cke trin­ken zu dür­fen, und ver­pflich­te mich je­den­falls, der Welt kein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Är­ger­nis zu ge­ben. Wenn ich Dich, mein Kind, nicht hät­te, so wür­de ich die Hoch­zeit noch im­mer ei­ni­ge Mo­na­te hin­aus­zu­rück­en su­chen; aber Dei­net­we­gen soll sie zu An­fang des Win­ters statt­fin­den, und mit die­sem Brie­fe an Dich


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