Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Fie­ber hin­ein­ge­re­det, als er der Frau Klau­di­ne die letz­ten Au­gen­bli­cke sei­nes Auf­ent­halts in Abu Tel­fan schil­der­te; aber die lei­sen Trop­fen an dem zer­bro­che­nen Mühl­rad und die Be­woh­ne­rin der Müh­le sel­ber hat­ten doch den Sieg da­von­ge­tra­gen über die Auf­re­gung und das Fie­ber. Im­mer­fort klan­gen die Trop­fen und die gute sanf­te Stim­me der al­ten Frau in sei­nem Ohre. Er sah Ni­ko­la von Ein­stein in der Fens­ter­brüs­tung sit­zen, wie sie mit den Blü­ten und grü­nen Zwei­gen, wel­che in das Fens­ter lug­ten, spiel­te; er sah sie auf dem wei­ßen Pfer­de gleich ei­ner Jä­ge­rin aus Tris­tan und Isol­de, wie sie über die He­cke wink­te, ehe sie im Wal­de ver­schwand. Auch ihre Stim­me und ihr La­chen er­füll­ten die Nacht und sein Herz; – sein Weg führ­te ihn sanft an­stei­gend aus der Tie­fe in die Höhe, und nun stand er, im­mer noch zwi­schen den Ähren­fel­dern, ne­ben ei­nem al­ten, mor­schen, sehr über­flüs­si­gen Weg­wei­ser und blick­te zu­rück und rief, was er schon ein­mal am Zaun des Bums­dor­fer Guts­gar­tens aus­ge­spro­chen hat­te:

      »Bei Gott, es ist doch schön im Va­ter­lan­de. Kur­ru, kur­ru, kur­ru, masch bi­qwa Schil­la qwa Bag­ga­ra!«

      Letz­te­res Ge­gur­gel be­deu­te­te die Na­tio­nal­hym­ne des Mond­ge­bir­ges, de­ren An­fang in wort­ge­treu­er Über­set­zung lau­tet:

       Was ist des Ne­gers Va­ter­land?

       Ist’s Schil­lu­k­land? Bag­ga­ra­land?

       Ist’s, wo der Ni­ger brau­send geht?

       Ist’s, wo der Sand der Wüs­te weht?

       O nein, nein, nein usw.

      und wel­che des­halb für den Deut­schen von In­ter­es­se und li­te­ra­risch- wie po­li­tisch-his­to­ri­scher Be­deu­tung sein muss, weil sie mit ei­nem Lie­de, wel­ches er selbst bis in die jüngs­te Zeit gern und häu­fig sang, eine un­ver­kenn­ba­re Ähn­lich­keit be­sitzt.

      Ja, das Va­ter­land war sehr groß und sehr schön, und sehr hüb­sches, an­ge­neh­mes, ver­stän­di­ges, aber auch sehr ku­rio­ses Volk lief dar­in her­um. Mit ei­ner aus­ge­zupf­ten Ähre in der Hand ging der Afri­ka­ner wei­ter, und die Vor­stel­lung, die Landen­ge von Suez durch­gra­ben zu hel­fen, wür­de ihn heu­te nicht be­wo­gen ha­ben, von der Uni­ver­si­tät Leip­zig durch­zu­bren­nen. Da­ge­gen er­schi­en ihm die Idee, der deut­schen Na­ti­on öf­fent­li­che, gut ho­no­rier­te Vor­le­sun­gen über das Tu­mur­kie­land zu hal­ten, in der Tat recht ein­leuch­tend und leicht ins Werk zu set­zen.

      »Wa­rum nicht?« frag­te er den dun­keln Ho­ri­zont, den war­men Nacht­wind und die fun­keln­den Ster­ne und füg­te hin­zu:

      »Nur Mut – und Selbst­ver­trau­en bis zur Un­ver­schämt­heit, Ha­ge­bu­cher! Zei­ge ih­nen, mein Sohn, dass du doch nicht so ganz um­sonst so lan­ge in die Schu­le der Tro­glo­dy­ten gingst und mit ei­ni­gem Nut­zen am Mond­ge­bir­ge den Esels­kopf trugst, auf Erb­sen knie­test und die Rute be­kamst. Wes­halb soll­test du es nicht wa­gen, Al­ter, den Kampf mit die­ser när­ri­schen Zi­vi­li­sa­ti­on von neu­em auf­zu­neh­men – wer weiß, wie viel Ho­nig die Bie­ne in sich hat? Je­den­falls, mein Kind, hast du we­der Ruf noch Ruhm zu ver­lie­ren; und zu ge­win­nen –«

      Er brach ab und seufz­te tief; doch es war ein Zau­ber in die­ser Nacht, und er konn­te auch schon den Ge­dan­ken an Ge­winn tap­fer von sich ab­schüt­teln. Sei­ne Schrit­te wur­den im­mer län­ger, er ging kör­per­lich und geis­tig durch, und es war ein großes Wun­der, dass er mit hei­len Glie­dern auf der Bums­dor­fer Land­stra­ße wie­der­an­lang­te.

      Noch­mals hielt er an und horch­te auf ein Rau­schen seit­wärts von des Vet­ters Was­ser­tre­ter ta­del­los ge­hal­te­nem Pfa­de. Da war ein lau­fen­der Brun­nen und eine Stein­bank da­ne­ben in­mit­ten ei­ner Baum­grup­pe, ihm wohl­be­kannt aus sei­nen Kna­ben­jah­ren. Ob­gleich er den Platz schon am hel­len Tage ei­ni­ge Male auf­ge­sucht hat­te, so be­hag­te es ihm doch auch jetzt in die­ser Nacht wie­der, dass der Strahl noch im­mer so frisch und kräf­tig in das Be­cken schoss, dass das lus­ti­ge Ge­spru­del und Ge­plät­scher wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit nicht ver­siegt war. Er beug­te sich nie­der, um gleich dem al­ten Zy­ni­ker mit der hoh­len Hand zu schöp­fen, be­sann sich je­doch ei­nes Bes­sern und hielt den Mund an die Rin­ne wie vor­zei­ten und trank in vol­len Zü­gen. Oft hat­te er an die­sen Quell den­ken müs­sen in dem hei­ßen, glü­hen­den Fel­sen­tal von Abu Tel­fan und hät­te oft mit Freu­den ein Jahr sei­nes Le­bens für eine Mi­nu­te an die­ser Stel­le hin­ge­ge­ben. Nun dach­te er dar­an zu­rück und rich­te­te sich wie­der­um dank­bar und klü­ger in die Höhe. Er saß noch einen Au­gen­blick aus­ru­hend auf der Bank und be­nutz­te die gute, kla­re Stim­mung, um sich und der al­ten Dame in der Kat­zen­müh­le zu ver­spre­chen, für­der­hin auch mit we­ni­gem zu­frie­den zu sein und nö­ti­gen­falls das Le­ben fort­zu­füh­ren in Eu­ro­pa wie in der Lehm­hüt­te des Tu­mur­kie­lan­des, auch sich nicht all­zu­sehr an den Wor­ten und Wer­ken sei­ner lie­ben Nach­barn zu är­gern, son­dern in Ge­duld die Tage und die Din­ge an sich kom­men zu las­sen, fer­ner mit Hil­fe der Göt­ter sei­ne Mei­nung deut­lich zu sa­gen, die­sel­be aber auch, und zwar eben­falls mit Hil­fe der Göt­ter, ru­hig für sich zu be­hal­ten, dann für sei­ne Ge­sund­heit zu sor­gen und zu­letzt sich ein gu­tes Kon­ver­sa­ti­ons­le­xi­kon zu eif­rigs­tem Stu­di­um an­zu­schaf­fen. Lau­ter ver­stän­di­ge, eh­ren­wer­te und nütz­li­che Vor­sät­ze, Gelöb­nis­se und Plä­ne, aber alle kaum ori­gi­nell ge­nug, um nä­her dar­auf ein­ge­hen zu müs­sen, wes­halb wir sie ihm zu ei­ge­ner reif­li­cher Über­le­gung an­heim­ge­ben und uns, da er über­dies recht be­quem ne­ben die­sem rau­schen­den Born sitzt, zu ei­nem an­de­ren Wan­de­rer keh­ren, der sich eben­falls um die­se Zeit auf dem Wege gen Bums­dorf be­fin­det.

      Am Markt­platz der Stadt Nip­pen­burg liegt ein statt­li­ches Haus mit glän­zen­den Spie­gel­schei­ben und grau­grü­nen Fens­ter­lä­den, ei­nem wei­ten Tor­weg und ei­nem kurz­stäm­mi­gen, haa­ri­gen Haus­knecht: der Gol­de­ne Pfau, der ers­te Gast­hof der Stadt. Seit un­denk­li­chen Zei­ten steht sein Ruf fest, nicht nur in Nip­pen­burg, son­dern weit in die Lan­de. Ge­ne­ra­tio­nen von Ho­no­ra­tio­ren ha­ben ihre Bäl­le in sei­nen Räu­men ge­hal­ten, Ge­ne­ra­tio­nen von fet­ten Amt­män­nern und fet­ten und ha­gern Pas­to­ren sind vor sei­ner gast­li­chen Pfor­te ab­ge­stie­gen, hun­dert Ge­ne­ra­tio­nen von Hand­lungs­rei­sen­den ha­ben sei­nen Preis ge­sun­gen weit­hin­aus einst über die Gren­zen des Han­sa­bun­des und jetzt über die des Zoll­ver­eins, und der Gol­de­ne Pfau ver­dient das al­les; er ist auch heu­te noch ein Ort, an wel­chem man es sich wohl sein las­sen kann und wo man un­ter al­len Um­stän­den sei­ne Rech­nung fin­det.

      Im Gol­de­nen Pfau be­fand sich na­tür­lich auch der »Her­renklub« von Nip­pen­burg, und der Steue­rin­spek­tor Ha­ge­bu­cher war eben­so na­tür­lich ein aus­ge­zeich­ne­tes, wohl­an­ge­se­he­nes Mit­glied die­ser treff­li­chen Ge­sell­schaft. Sei­ne Pfei­fe mit ei­ner Flie­ge auf dem Kop­fe wur­de vom Kell­ner mit kaum ge­rin­germ Re­spekt in Ver­wah­rung ge­hal­ten als die des Kreis­ge­richts­di­rek­tors und des Ge­ne­ral­su­per­in­ten­den­ten; er – der Herr Steue­rin­spek­tor – war sehr ei­gen in be­treff sei­ner Pfei­fe. Sein Platz wur­de sel­ten von ei­nem fre­chen oder un­wis­sen­den Usur­pa­tor ein­ge­nom­men. Er – der In­spek­tor – mach­te kei­nen An­spruch dar­auf, die Zei­tun­gen zu­erst zu be­kom­men, aber er be­kam sie zu sei­ner Zeit und


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