Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wa­ren lang­sam und ein we­nig müh­sam, wie die ei­ner von schwe­rer Krank­heit Ge­ne­sen­den. Sie trug sich schwarz und hat­te im In­nern ih­rer Hüt­te ge­wal­tet wie die Na­tur drau­ßen. Mit dem ge­rings­ten Auf­wan­de und den ge­wöhn­lichs­ten Mit­teln hat­te sie den ver­wahr­los­ten Bau und Auf­ent­halt des Kat­zen­mül­lers und sei­ner Fa­mi­lie ver­wan­delt, als eine ge­schmack­vol­le Fee, wel­che durch ih­ren Zau­ber­stab eben­so mäch­tig ist wie an­de­re Leu­te durch ihr Geld. Sie, Ma­dam Klau­di­ne, ließ auch Kaf­fee brin­gen durch ein hüb­sches Bau­ern­mäd­chen; der Vet­ter Was­ser­tre­ter durf­te sei­ne Pfei­fe an­zün­den, und ins­ge­samt sa­ßen sie nie­der zur Un­ter­hal­tung.

      »Fräu­lein Ni­ko­la hat Sie nach ih­rer Art emp­fan­gen, Herr Ha­ge­bu­cher«, sprach die Frau Klau­di­ne; »aber glau­ben Sie mir, Sie sind mir hoch will­kom­men und – und wir sind auch schon recht gute Be­kann­te. Wenn die jun­ge Dame die Er­zäh­lung Ih­rer Er­leb­nis­se sechs­mal an­ge­hört hat, so hat sie je­den­falls gut zu­ge­hört. Ich habe viel ge­fragt, und sie wuss­te im­mer gar schön Be­scheid. Ach, ge­ben Sie mir noch ein­mal Ihre Hand, Herr Leon­hard; Sie müs­sen mir viel, viel mehr von Ihrem Le­ben sa­gen; ich möch­te noch recht vie­les von Ih­nen wis­sen.«

      »Und wir kom­men auch, um meh­re­res mit­zu­neh­men für das, was wir brin­gen kön­nen«, fiel der We­ge­bau­in­spek­tor ein.

      »Wir ste­cken fest, wir wis­sen nicht mehr ein und aus!« lach­te das Fräu­lein von Ein­stein. »Wir möch­ten gern wis­sen, wo die ge­bra­te­nen Tau­ben der Zi­vi­li­sa­ti­on am dicks­ten in der Luft flie­gen; – wir möch­ten gern die Frau Klau­di­ne bit­ten, uns zu sa­gen, wo und wie man sich nie­der­zu­set­zen hat, um nicht mit­ten im al­ten Eu­ro­pa das Tu­mur­kie­land recht sehr zu ver­mis­sen. Papa und Mama, die Tan­te Schnöd­ler und der Vet­ter Was­ser­tre­ter ha­ben uns we­nig Trost ge­ben kön­nen, und so sind wir denn zur Kat­zen­müh­le ge­wan­dert. Jaja, es geht meh­re­ren Men­schen so.«

      »Ach, gnä­di­ge Frau«, stam­mel­te Leon­hard mit ei­nem Blick auf das Hoffräu­lein, wel­ches an­fing, mit ei­ner Geiß­blat­tran­ke, die sich neu­gie­rig in das Fens­ter bog, zu spie­len; »Ma­dam – Frau Klau­di­ne, im Grun­de ist es so, wie das Fräu­lein spricht, und so­eben füh­le ich zum ers­ten Mal wie­der seit lan­ger Zeit eine küh­le Hand auf der Stirn. Ich bin frei­lich zu Ih­nen ge­kom­men, weil so vie­le Leu­te sa­gen, Sie al­lein könn­ten mir einen Rat für mein ver­zet­tel­tes Le­ben ge­ben; denn Sie sei­en nicht nur eine gute, son­dern auch eine klu­ge Frau, und nicht nur eine klu­ge Frau, son­dern auch eine wei­se. Es sei kei­ne ge­rin­ge Kunst, hier in der Kat­zen­müh­le zu le­ben, mei­nen die Leu­te; wer es aber so kön­ne wie Sie, Frau Klau­di­ne, der habe so viel ge­won­nen, dass er ei­nem an­de­ren recht gut da­von ab­ge­ben kön­ne, und dar­um bit­te ich, der es vor Tau­sen­den nö­tig hat, mir einen Rat zu ge­ben und mir zu sa­gen, was ich mit ei­nem Da­sein gleich dem mei­ni­gen an­zu­fan­gen habe.«

      Ma­dam Klau­di­ne hat­te wie­der die Hand des Afri­ka­ners ge­nom­men und sah ihn mit ei­nem ru­hi­gen, aber doch sehr trau­ri­gen Blick an.

      »Also so re­den die Leu­te drau­ßen in der Welt von mir und ha­ben Sie zu mir ge­schickt?« frag­te sie. »Ei, ei, soll ich euch den Mer­lin spie­len und im Dickicht ver­wor­re­ne Sprü­che vor mich hin­sa­gen, dass ihr neue Rät­sel zu den al­ten auf­zu­lö­sen be­kommt? Was den­ken die Men­schen, und was den­ken Sie, lie­ber Freund! Ich bin eine alte Frau, und Sie sind ein jun­ger Mann; ich bin müde zum Ein­schla­fen, und Sie rei­ben sich, so­eben wie­der er­wa­chend, den Schlaf aus den Au­gen. Ich habe mich un­ter bit­tern Schmer­zen, in har­tem Kamp­fe des­sen ent­le­digt, was Sie mit al­len Kräf­ten wie­der­ge­win­nen möch­ten; und wenn auch das letz­te­re leich­ter ist als das ers­te, so ist es doch gra­de für mich schwer, sehr schwer, die Wege zu zei­gen.«

      »Las­sen Sie sich nicht dar­auf ein, Frau Ge­duld!« rief Ni­ko­la. »Es ist ein un­dank­ba­rer Herr, der so leicht nicht zu be­frie­di­gen ist. O Gott, was wür­de ich dar­um ge­ben, wenn man mich zum Rats­schrei­ber von Nip­pen­burg ma­chen woll­te! Und wenn ich, wie er, mei­ne His­to­ria zu ei­ner Or­gel und ei­ner bun­ten Lein­wand­ta­fel in den Gas­sen ab­sin­gen dürf­te, dann ver­lang­te ich nichts wei­ter vom gu­ten Glück und zöge si­cher­lich nicht so ver­dros­sen und gries­gräm­lich ein­her und lang­weil­te die Mensch­heit. Ach, es weiß sel­ten ei­ner, wie gut er’s ha­ben könn­te, wenn er nur woll­te und wag­te, nicht wahr, Frau Klau­di­ne?«

      Wäh­rend der Vet­ter Was­ser­tre­ter be­stä­tig­te, dass der Ge­dan­ke mit der Dreh­or­gel et­was recht Ver­lo­cken­des habe und je­den­falls in nä­he­re Über­le­gung zu zie­hen sei, sah die Be­woh­ne­rin der Müh­le mit noch tiefe­rer Me­lan­cho­lie auf das Hoffräu­lein und nahm erst nach ei­nem län­gern Still­schwei­gen von neu­em das Wort.

      »Ich kann Sie nicht ein­la­den, Herr Ha­ge­bu­cher, in den Wald zu kom­men und bei den sie­ben Zwer­gen zu le­ben; denn es wäre nicht gut und nütz­lich. Sie ha­ben lan­ge ge­nug nur mit sich al­lein haus­ge­hal­ten; des­halb las­sen Sie sich nicht ver­füh­ren von au­gen­blick­li­cher Ab­span­nung und Er­mü­dung. Ach, ich bin kei­ne klu­ge und noch viel we­ni­ger eine wei­se Frau, ob­gleich die Leu­te es sa­gen; aber man braucht’s auch nicht zu sein, um zu wis­sen, was den Tod für Sie be­deu­ten wür­de. Was für einen an­de­ren Rat könn­te ich Ih­nen ge­ben, als dass Sie wie­der hin­aus­ge­hen müs­sen auf den Markt; und wer sich Ihren Freund nennt, der soll dazu hel­fen und un­ter kei­nen Um­stän­den dazu bei­tra­gen, dass Ih­nen der ge­gen­wär­ti­ge Tag all­zu be­hag­lich wer­de.«

      »Hab ich es nicht im­mer ge­dacht, mein Jun­ge!« rief der Vet­ter Was­ser­tre­ter mit Em­pha­se. »Was hilft mir der Groß­va­ter­stuhl, wenn ich nicht drin sit­zen darf? Nur wei­ter, Frau Klau­di­ne, ich habe mei­ne Mei­nung schon längst ge­wusst, ich hab sie nur nicht aus­drücken kön­nen. War­te, mein Söhn­chen, wir wer­den dir schon Na­deln aus jeg­li­chem Sitz wach­sen las­sen. Nur im­mer wei­ter, liebs­te Frau Klau­di­ne.«

      Lä­chelnd fuhr die Ma­dam Klau­di­ne fort:

      »Der Vor­schlag mit dem Drehor­gel­bild und dem schö­nen Lied dazu ge­fällt auch mir aus­neh­mend wohl, und es wäre mei­ne fes­te Mei­nung, dass wir nichts Bes­se­res tun kön­nen, als ihn so schnell als mög­lich zur Aus­füh­rung zu brin­gen. Ja, es ist mein völ­li­ger Ernst, lie­ber Freund, und ich glau­be auch nicht, dass man da­durch ge­gen die Sit­te der Zeit ver­sto­ße –«

      »Nicht im ge­rings­ten!« rief Ni­ko­la von Ein­stein. »Das wäre noch bes­ser, nicht im all­er­ge­rings­ten!«

      »Was je­der­mann tut, kann auch ei­ner aus dem hin­ters­ten Afri­ka ma­chen«, brumm­te der Vet­ter. »Leon­hard, fas­se dich kurz; auf die Aus­la­gen soll’s mir nicht an­kom­men, und den rech­ten Schick traue ich dir schon zu.«

      »Mein Jam­mer muss doch recht ko­misch sein, dass alle das La­chen ih­rer Teil­nah­me bei­fü­gen«, sag­te Leon­hard kläg­lich und mit ei­nem et­was vor­wurfs­vol­len Blick auf Frau Klau­di­ne. »Man hat auch recht, und das Wort ist alt ge­nug, dass der für den Spott nicht zu sor­gen braucht, wel­cher den Scha­den hat. Es ist sehr ko­misch, und ich will auch la­chen wie die an­de­ren, und wisst Ihr, was ich tun wer­de, Vet­ter? Mit ei­ner Dreh­or­gel wer­de ich nicht im Lan­de um­her­zie­hen; aber Eure Stei­ne will ich zer­klop­fen an Eu­rer Land­stra­ße, Herr Vet­ter. Bei Al­lah, das wer­de ich tun, und mor­gen wer­de ich da­mit be­gin­nen! Das ist mein Ent­schluss, und nie­mand soll mir mehr drein­re­den.


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