Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wohl kaum et­was ge­spürt ha­ben mögt. Es war, als ob der Welt nach den po­li­ti­schen Auf­re­gun­gen der jüngst­ver­gan­ge­nen Jah­re das Deck­bett für einen ge­sun­den Schlaf von ei­nem hal­b­en Sä­ku­lum auf­ge­legt wer­den soll­te. Acht Tage hin­durch währ­te der Spaß, und das ist dann die rech­te Zeit für un­serei­nen, wel­cher der Mensch­heit die Wege of­fen­hal­ten soll und sel­ber nicht durch­kann. Herr­gott, und nach­her will einen die Tan­te Schnöd­ler und die Cou­si­ne Mau­ser und die gan­ze üb­ri­ge Ver­wandt­schaft an sei­ner ro­ten Nase zup­fen und die ei­ge­ne rümp­fen! Tag und Nacht bis an den Hals im Schnee oder im Was­ser – Tag und Nacht kei­ne Ruhe – Herr In­spek­tor vorn, Herr In­spek­tor hin­ten – von der ho­hen vor­ge­setz­ten Be­hör­de Trit­te, Knüf­fe und Püf­fe, dass ei­nem der Kopf summt und man sei­ne See­le mit Ver­gnü­gen auf dem ers­ten bes­ten tro­ckenen Bund Stroh aus­äch­zen möch­te. Na, du hast ja auch man­cher­lei er­lebt, Leon­hard, und wirst dir eine Vor­stel­lung da­von ma­chen kön­nen! – Bei so be­wand­ten Um­stän­den rief mich nun da­mals mei­ne Amts­pflicht auch in das Ei­chen­tal hin­ter Flie­gen­hau­sen, wo die Post­stra­ße durch die Schnee­mas­sen voll­stän­dig ver­schüt­tet war und die Bau­ern­schaft mit Auf­bie­tung al­ler Kräf­te den gan­zen Tag über an der Auf­räu­mung der­sel­ben ge­ar­bei­tet, aber für jede Schau­fel voll, die sie zur Sei­te warf, drei Schef­fel voll über die Köp­fe be­kom­men hat­te. Der Wind wur­de mit zu­neh­men­der Däm­me­rung im­mer bos­haf­ter und tat nach bes­tem Ver­mö­gen das Sei­ni­ge, um un­se­re Mü­hen ver­geb­lich zu ma­chen; es konn­te in der Tat kei­ne bes­se­re Ge­le­gen­heit ge­ben, eine an­ge­neh­me Be­kannt­schaft zu ma­chen, und so ließ mich denn auch der Him­mel die Ma­dam Klau­di­ne auf mei­ner Chaus­see fin­den. Trotz al­len Hin­der­nis­sen und Schre­cken des Wet­ters hat­te eine von der Re­si­denz kom­men­de Ex­trapost sich Bahn ge­bro­chen bis zum Ein­gang des Flie­gen­häu­ser Ta­les, wo sie denn aber doch end­lich ste­cken­blieb. Ein jun­ger, statt­li­cher, sehr auf­ge­reg­ter Mann – ein Of­fi­zier in Zi­vil­klei­dung, ar­bei­te­te sich durch die Schnee­we­hen, um uns zu Hil­fe zu ru­fen. Ich hielt ihn im An­fang für be­trun­ken, er war’s aber nicht, und ich er­fuhr bald, dass er Grund zu sei­ner Auf­re­gung hat­te. Sein Kut­scher war ohne al­len wei­te­ren Zwei­fel be­trun­ken, ei­nes der Pfer­de zu­sam­men­ge­bro­chen und der Wa­gen selbst so tief ver­sun­ken, dass er kaum noch auf­zu­fin­den war. Die Dame im Wa­gen lag ohn­mäch­tig – im Fie­ber – dem Tode nahe; und mit ge­run­ge­nen Hän­den schrie mir der jun­ge Herr zu: ›Es ist mei­ne Mut­ter! Hel­fen Sie mir, o hel­fen Sie uns! Es ist mei­ne Mut­ter, wel­che stirbt; wo kön­nen wir sie, wenn auch nur für ei­ni­ge Stun­den, un­ter Dach brin­gen?‹ – Ganz Flie­gen­hau­sen stand nun­mehr im Krei­se um den ver­sun­ke­nen Wa­gen und kratz­te sich hin­ter den Ohren, und mir für mein Teil er­schi­en die Ge­schich­te ku­ri­os und ver­wun­der­lich ge­nug. Die Leu­te sa­hen an­stän­dig und vor­nehm aus; aber auf den ers­ten Blick muss­te man er­ken­nen, dass der Un­fall und das arge Wet­ter sie nicht al­lein be­dräng­ten. Sie er­schie­nen wie Men­schen, die von ei­nem plötz­lich aus­bre­chen­den Feu­er aus dem Schla­fe auf­ge­schreckt und aus ih­rem bren­nen­den Hau­se ge­jagt wur­den; eine wil­de, has­ti­ge und doch stumpf­sin­ni­ge Verzweif­lung sprach aus je­dem Wort, je­der Ge­bär­de des jun­gen Man­nes, und der stu­pi­des­te mei­ner Ar­bei­ter und Bau­ern wich be­trof­fen vor sei­ner krank­haf­ten Hef­tig­keit zu­rück. An ei­nem sol­chen är­ger­li­chen, mü­he­vol­len Tage hat man je­doch ge­nug zu tun, wenn man auf das Nächs­te und Nö­tigs­te ach­tet und, we­nigs­tens für den Au­gen­blick, zur Sei­te lie­gen­lässt, was einen für den Au­gen­blick nichts an­geht. Das nächs­te Ob­dach bot die Kat­zen­müh­le, und dort­hin brach­ten wir, nicht ohne An­stren­gung, die er­schöpf­te Frau. Wir hat­ten lan­ge zu po­chen und zu klop­fen, ehe man uns die Tür öff­ne­te; die bei­den Al­ten wa­ren nicht in der Stim­mung, barm­her­zig und mil­de ge­gen die Welt zu sein, und man konn­te es ih­nen auch kaum ver­den­ken. Das Elend such­te bei dem Elend Schutz, und das ist im­mer und al­le­we­ge ein an­der Ding, als wenn das Glück mit La­chen das Glück zum Tanz auf­for­dert. Die Mül­le­rin war na­tür­lich noch wi­der­bors­ti­ger und grim­mi­ger als der Mül­ler und wehr­te sich am längs­ten ge­gen un­ser Ein­drin­gen in ih­ren dun­keln Jam­mer­win­kel. End­lich wich auch sie halb der Ge­walt, halb der Über­re­dung und ver­kroch sich grol­lend zu ih­rem Mann hin­ter den Ofen. Wir leg­ten die kran­ke Dame auf ih­rem Bet­te nie­der und konn­ten nun­mehr kaum noch et­was für sie tun. Ich ver­sprach, wo mög­lich den Arzt von Nip­pen­burg her­über­zu­schi­cken, aber die Kran­ke wies, eben­falls mit großer Hef­tig­keit, die­sen Dienst zu­rück. So nahm ich denn Ab­schied und zog mich mit mei­nen Bau­ern und Stra­ßen­knech­ten nach Flie­gen­hau­sen zu­rück. Wir wa­ren gleich ei­nem ge­schla­ge­nen Heer; der Sturm und der Schnee hat­ten das Feld sieg­reich be­haup­tet; den Wa­gen der Frem­den muss­ten wir las­sen, wo wir ihn ge­fun­den hat­ten, und froh sein, dass wir noch die Gäu­le und den Kut­scher ret­te­ten. Wenn ich den fes­ten Ent­schluss hat­te, schon am fol­gen­den Tage die Kat­zen­müh­le wie­der zu be­su­chen, so lag es nicht an mir, wenn ich ihn nicht zur Aus­füh­rung brach­te. Ich hat­te mir aus dem Schnee der letz­ten Tage eben­falls ein Fie­ber ge­holt, wel­ches mich un­sern Herr­gott in sei­nem Zorn er­ken­nen ließ, mich in ei­nem Fe­der­bett halb er­stick­te und halb mich in Strö­men von Ka­mil­len­tee er­säuf­te. Erst nach Wo­chen ritt ich wie­der durch Flie­gen­hau­sen und dach­te dann zum ers­ten Mal wie­der an jene Be­geg­nung im Un­wet­ter, wel­che ich dir be­schrieb. Der Schnee war jetzt längst zu Was­ser ge­wor­den, und der Früh­ling reg­te sich schon über­all in den Bü­schen und un­ter den Bü­schen. Mir war recht wohl zu­mu­te, und in sol­cher sehr glück­li­chen und leicht­her­zi­gen Ge­müts­s­tim­mung trab­te ich denn auch zur Kat­zen­müh­le und rief mit lau­tem Hal­lo nach dem Mül­ler, um mich nach sei­nen Gäs­ten und ih­ren fer­nern Schick­sa­len in sei­ner Be­hau­sung zu er­kun­di­gen. Der Mensch soll aber ja nicht mei­nen, dass die Welt auf ihn war­tet, wäh­rend er, mit über die Ohren ge­zo­ge­ner Nacht­müt­ze im Bett lie­gend, schwitzt und Tee trinkt. Die Kat­zen­müh­le fand ich noch vor, aber den Kat­zen­mül­ler und die Kat­zen­mül­le­rin nicht mehr; sie wa­ren ab­ge­zo­gen nach Ame­ri­ka, und an ih­rer Stel­le saß die Ma­dam Klau­di­ne in der Kat­zen­müh­le, und die Ma­dam Klau­di­ne war jene ohn­mäch­ti­ge Dame, wel­che ich mit Hil­fe der Flie­gen­häu­ser Bau­ern­schaft aus dem Schnee auf­grub. Eine Magd wies mich zu­erst von der Tür fort, wie uns an je­nem stür­mi­schen Abend der Mül­ler ab­ge­wie­sen hat­te. Der Herr Leut­nant sei in die Frem­de ge­gan­gen und Ma­dam Klau­di­ne sei un­wohl und nicht zu spre­chen, hieß es. Der Vet­ter Was­ser­tre­ter aber hat sich nicht um­sonst dem We­ge­bau ge­wid­met, er fand sei­nen Weg zu der ge­heim­nis­vol­len Frau, und nicht zu ih­rem Scha­den; denn die from­men Hir­ten und bie­dern Acker­be­bau­er der Ge­mein­de Flie­gen­hau­sen mach­ten ihr be­reits das Le­ben sau­er ge­nug. Ich fand häu­fig Ge­le­gen­heit, mich der Frau nütz­lich zu ma­chen und ihre Ruhe und Be­hag­lich­keit ge­gen die Nach­bar­schaft, der das ›We­sen‹ gar nicht ge­fiel, in Schutz zu neh­men. Dass ich et­was Ver­trau­en­er­we­cken­des in und an mir habe, hat die Base Kle­men­ti­ne mir noch nie ab­ge­strit­ten, und so bin ich denn im Lau­fe der Jah­re ein gu­ter Freund der Ma­dam Klau­di­ne ge­wor­den, und wir wis­sen, was wir an­ein­an­der ha­ben. Sie sitzt still in ei­nem großen Schmer­ze und wür­de ihr Ge­schick ge­wiss gern um dei­ne Ge­fan­gen­schaft zu Abu Tel­fan ver­tauscht ha­ben; aber ihr Leid ist eben­falls nicht neu, ihre His­to­rie ist so­we­nig zum ers­ten Mal auf Er­den pas­siert wie die der schö­nen Mül­le­rin. Die­se
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