Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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brach aber schnell hor­chend ab. Sei­ne wil­de Lus­tig­keit hat­te ein me­lo­di­sche­res Echo hin­ter den Bü­schen ge­fun­den; ein lo­cki­ges Haupt er­hob sich über die He­cke – der Ge­ni­us die­ser Mond­schein­nacht des letz­ten Mais hät­te sich nicht necki­scher und vor­teil­haf­ter ver­kör­pern kön­nen:

      Fräu­lein Ni­ko­la von Ein­stein – sie­ben­und­zwan­zig Jah­re alt – Hof­da­me Ih­rer Ho­heit der Prin­zeß Ma­ri­an­ne – un­ver­hei­ra­tet – – – ach! –

      »Er ist es, Lina«, sag­te das Fräu­lein, »nun wei­ne nicht län­ger, Närr­chen; er sieht kei­nes­wegs aus, als ob er mit Selbst­mord­ge­dan­ken um­ge­he; trös­te dich, Herz, ei­ner ge­knick­ten Li­lie gleicht er noch lan­ge nicht; gu­ten Abend, un­sträf­li­cher Herr Äthio­pier.«

      Sie reich­te dem Afri­ka­ner die Hand über das Ge­zweig und rief:

      »O Gott, wie in­dis­kret! Aber auch welch ein Abend für alle In­dis­kre­tio­nen! Es freut mich in der Tat, Sie so hei­ter zu se­hen, Herr Ha­ge­bu­cher; hier hab ich mit dem Schwes­ter­chen in großer Sor­ge um Sie ge­ses­sen. Ist es zu in­dis­kret, wenn ich Sie fra­ge, was für einen Grund Ih­nen die Welt für Ihre Hei­ter­keit seit Mon­den­auf­gang gab?«

      »Hö­ren Sie, jun­ge Dame«, sag­te Leon­hard, »man kann aus der Ge­fan­gen­schaft bei den Hei­den recht schwa­che Ner­ven heim­brin­gen. Be­den­ken Sie, dass ich an sol­ches al­ler­liebs­te Auf­fah­ren aus Ha­ge­dorn und He­cken­ro­sen durch­aus nicht ge­wöhnt bin. Füh­len Sie mei­nen Puls.«

      »Nein, nein, ich dan­ke und glau­be Ih­nen auf Ihr Wort!« lach­te Ni­ko­la. »Aber dies ist die Gren­ze von mei­nes On­kels Reich, und das Recht, hier her­über­zu­gu­cken, las­se ich mir nicht neh­men.«

      »Ich auch nicht«, sprach der Afri­ka­ner, sich vor­beu­gend. »Lina, wo steckst du denn?«

      »Hier!« klang wei­ner­lich die Stim­me des Schwes­ter­chens, das auf der Bank saß, auf wel­cher das Hoffräu­lein stand. »Ach Leon­hard, ich bin so be­trübt um dich, und ich habe mich so ge­är­gert. O Gott, o Gott, lass mich mit dir wie­der in die wei­te Welt lau­fen; wir wol­len zu­sam­men­hal­ten, Leon­hard, und die Mut­ter, weiß ich, wird auch zu uns ste­hen, und der Va­ter meint’s ge­wiss nicht so bös, und was geht uns die Tan­te Schnöd­ler und das üb­ri­ge al­ber­ne Volk an! O Gott, o Gott, wie habe ich mich ge­är­gert –«

      »Jaja, Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher, und da ist sie her­ge­lau­fen und hat sich mir in die Arme ge­stürzt, grad als ich mit dem Haar­be­sen auf die Fle­der­maus­jagd ge­hen woll­te. Nun weiß ich al­les, was das Kon­zil ge­brü­tet hat, und rate Ih­nen recht sehr, doch ja Ihr Bes­tes zu be­den­ken und so schnell als mög­lich Rats­schrei­ber zu Nip­pen­burg zu wer­den. War­ten Sie, ich ken­ne zehn Schrit­te wei­ter ab­wärts ein Loch in der He­cke – komm, Lina.«

      Das schö­ne Haupt der Spre­che­rin tauch­te un­ter, zwei Sprün­ge brach­ten den Afri­ka­ner zu dem be­sag­ten Loch; es rausch­te im Ge­büsch, ein schlaf­trun­ke­nes Vo­gelpär­chen flat­ter­te, aus dem schöns­ten Traum der Som­mer­nacht ge­weckt, auf; mit dem Schwes­ter­chen wand sich Fräu­lein Ni­ko­la von Ein­stein durch das Ge­zweig. Die drei stan­den auf dem schma­len Pfa­de ne­ben­ein­an­der, und Lina um­schlang den Bru­der und schluchz­te:

      »Sei nur still, sei nur ru­hig; ich hal­te ge­wiss bei dir aus! Fürch­te dich nicht, wir wol­len, ja, wir wol­len –«

      »Uns eine Dreh­or­gel kau­fen und un­se­re ei­ge­ne Ge­schich­te auf eine Lein­wand ma­len las­sen und ein Lied da­von ma­chen und es ab­sin­gen auf al­len Gas­sen des Va­ter­lan­des!« schloss das Hoffräu­lein den Satz. »Lus­tig, wir wol­len un­se­re Spar­büch­sen zu­sam­men­schüt­ten, um die ers­ten Aus­la­gen die­ser Un­ter­neh­mung zu de­cken. Vi­vat! Vi­vat! Her­bei aus den Bü­schen, Obe­ron und Ti­ta­nia, Puck, Boh­nen­blüt, Spinn­web, Mot­te und Senf­sa­men! Her­bei, ihr El­fen, zur Rats­ver­samm­lung; auch wir kön­nen un­se­re Köp­fe zu­sam­men­ste­cken, auch wir kön­nen die Fin­ger an die Nase le­gen. Lasst den On­kel Was­ser­tre­ter aus der Schen­ke zum Gol­de­nen Rad kom­men, auf dass der Rat voll­stän­dig sei; – ich stim­me für den Lei­er­kas­ten und er­bie­te mich, das Or­gel­lied in Mu­sik zu set­zen.«

      Wie flüs­si­ges Sil­ber rann der Mon­den­schein durch die Na­tur, und in vol­len Zü­gen at­me­te Leon­hard den Zau­ber und das Le­ben die­ser hel­len Nacht ein. Es war wie eine Ver­zückung über ihn ge­kom­men; er hät­te sich die Sei­ten hal­ten und im­mer lau­ter hin­aus­la­chen mö­gen; es war wie der Rausch ei­nes Opi­u­mes­sers, und er wuss­te es und wun­der­te sich im In­ners­ten sei­ner ver­nünf­ti­gen See­le selbst über sei­nen Zu­stand. Vi­el­leicht wür­de es ihm sehr wohl­ge­tan ha­ben, wenn er sich eine Vier­tel­stun­de lang auf den Kopf ge­stellt hät­te, um in sol­cher Wei­se den Über­schuss sei­ner Hei­ter­keit los­zu­wer­den. Die Fi­gu­ren, Grup­pen, Mei­nun­gen und Vor­gän­ge des Ta­ges schlu­gen auf das när­rischs­te Pur­zel­bäu­me vor ihm; das Gleich­ge­wicht aber stell­te Fräu­lein Ni­ko­la von Ein­stein her, da sich Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher nicht auf den Kopf stell­te wie ein Bag­ga­ra­ne­ger oder sonst ein Exal­ta­do aus dem Tu­mur­kie­lan­de. Sie – Fräu­lein Ni­ko­la – leg­te ihm jetzt die Hand auf den Arm und sag­te ganz ernst:

      »Ar­mer Freund, wir soll­ten ei­gent­lich doch nicht so la­chen, zu­mal bei die­sem dum­men Mond­licht. Am hel­len Tage, im Son­nen­schein lässt sich we­ni­ger da­ge­gen ein­wen­den. Ihre Ge­schich­te ist recht, recht trau­rig, mein Freund. Auf dem Grenz­stei­ne dort oder noch bes­ser un­ter dem Weg­wei­ser an der Land­stra­ße wol­len wir uns nie­der­set­zen, die Ta­schen­tü­cher her­vor­zie­hen und nach­den­ken über un­ser Schick­sal und über den Weg, ne­ben wel­chem wir still­sit­zen. Heu­te am Nach­mit­tag hab ich Ih­nen auch mit La­chen von mei­nem när­ri­schen Da­sein er­zählt; ach, jetzt hät­te ich wohl Lust, Ih­nen in ei­nem an­de­ren Ton eine an­de­re Ge­schich­te von mir zu er­zäh­len, wenn es mir oder Ih­nen im ge­rings­ten nütz­lich wäre. Wenn ich ein Mann wäre, so wür­de ich mir einen no­beln Krieg ir­gend­wo in der Welt auf­su­chen und dar­in et­was tun, was mir Freu­de mach­te oder nur Ruhe gäbe oder auch nur die Ge­le­gen­heit, mit Gleich­mut zu ver­blu­ten. Ich has­se die­sen Mon­den­schein, und ich fürch­te mich vor die­sen sur­ren­den Kä­fern. Es sind Ge­s­pens­ter des Früh­lings, der nicht mehr ist. Sie lü­gen sich das Le­ben nur noch vor, und ich bin wie sie und hal­te mich mei­ner Ner­ven we­gen in Bums­dorf auf – Mai­kä­fer, flieg, Mai­kä­fer, flieg! Ach, Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher, wir pas­sen recht gut zu­ein­an­der, Sie und ich; kom­men Sie, wir wol­len uns auf den Stein an die Land­stra­ße set­zen und war­ten – war­ten. Vi­el­leicht lese ich Ih­nen auch ein­mal im Son­nen­schein aus dem Bu­che mei­nes Le­bens eine fins­te­re Sei­te vor. Wei­ne nicht, Lina, mein Herz, es ist doch eine schö­ne Nacht; auch für dich wird einst die Zeit kom­men, wo du von der Ge­fan­gen­schaft im hei­ßen Lan­de Afri­ka wirst er­zäh­len kön­nen. Lus­tig, lus­tig, höre nur den Frosch dort – welch ein Ko­mi­ker! Satt, zu­frie­den und dank­bar – den Bur­schen lob ich mir, und horch, wer ist das? Der Vet­ter Was­ser­tre­ter! Den lob ich mir auch! Der Vet­ter Was­ser­tre­ter! Vi­vat, der Vet­ter Was­ser­tre­ter!«

      Wel­le auf Wel­le roll­ten die Flu­ten des neu­en Le­bens her­an und um­spül­ten wach­send und stei­gend das Herz des Afri­ka­ners. In je­dem Atem­zu­ge fühl­te er die Er­star­kung über sich kom­men; er hät­te eine lan­ge Rede hal­ten müs­sen, um das in Wor­ten aus­zu­drücken, was in sei­ner See­le sich er­eig­ne­te:


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