Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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– du schö­ne, schö­ne Ni­ko­la von Ein­stein!«

      So oder ähn­lich wäre es dem Afri­ka­ner er­laubt ge­we­sen sich zu äu­ßern; er hät­te auch, wie folgt, spre­chen kön­nen:

      »Gnä­di­ges Fräu­lein, Sie ha­ben gleich bei un­se­rer ers­ten Be­geg­nung einen merk­wür­di­gen Ein­druck auf mich ge­macht; denn Sie be­din­gen für mich einen merk­wür­di­gen Ge­gen­satz zu mei­ner bis­he­ri­gen Exis­tenz. Gnä­di­ges Fräu­lein, ei­nem Man­ne, wel­cher zehn Jah­re in Abu Tel­fan im täg­li­chen Ver­kehr mit Ma­dam Kul­la Gul­la, ih­ren Freun­din­nen, Töch­tern, Nich­ten und so wei­ter zu­brach­te, geht der Be­griff des Va­ter­lan­des in wun­der­vol­ler Klar­heit und An­mut auf, wenn es ihm auch nur vier­zehn Tage hin­durch ver­gönnt ist, täg­lich ei­ni­ge Male in Ihre Au­gen zu bli­cken. Fräu­lein von Ein­stein, die schöns­ten Il­lu­sio­nen der Ju­gend müs­sen sich mir not­wen­dig in Ih­nen ver­kör­pern. Und was die Tan­te Schnöd­ler an­be­trifft, so bil­den Sie auch zu die­ser einen an­ge­neh­men Ge­gen­satz, gnä­di­ges Fräu­lein; und wenn ein­mal im deut­schen Mon­den­schein, wäh­rend dem letz­ten Mai­kä­fer­ge­sum­me des Jah­res ei­nem Men­schen in mei­ner Si­tua­ti­on das Tu­mur­kie­land und das Va­ter­land durch­ein­an­der­quir­len und das La­chen dem Elend das Bes­te ab­ge­winnt, so wird je­der Ein­sich­ti­ge die­ses der Ge­le­gen­heit des Orts, der Zeit und der Um­stän­de voll­kom­men an­ge­mes­sen fin­den.«

      Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher äu­ßer­te sich we­der auf die eine noch die an­de­re Art, er rief:

      »Der Vet­ter Was­ser­tre­ter! Wahr­haf­tig, es ist der Vet­ter Was­ser­tre­ter!«

      Der Mond lä­chel­te gar ver­gnüg­lich her­ab, und von der Land­stra­ße her er­klang es et­was rau und un­si­cher, aber je­den­falls sehr hei­ter:

       »Wir hat­ten ge­bau­et

       Ein statt­li­ches Haus –«

      Der Herr We­ge­bau­in­spek­tor und Vet­ter hat­te die Gast­frei­heit der Muh­me Ha­ge­bu­cher nicht ver­ach­tet; aber er ver­ach­te­te auch den Krug zum Gol­de­nen Rad nicht. Er hat­te tap­fer auf dem Fa­mi­li­en­ta­ge stand­ge­hal­ten und eben­so tap­fer den No­ta­beln des Dor­fes in der Schen­ke. Er hat­te je­dem, der ihn tro­cken oder nass an­ging, Be­scheid ge­tan. Ge­stärkt, fried­lich und wohl­wol­lend zog er jetzt auf sei­ner Land­stra­ße heim und sei­nen Gaul am Zü­gel hin­ter sich her. Sei­ne Schuld war es nicht, dass we­der das Ge­bäu­de der deut­schen Bur­schen­schaft noch der Ha­ge­bu­cher­sche Fa­mi­li­en­frie­de un­ter Dach ka­men; er hat­te das Sei­ne red­lich ge­tan und küm­mer­te sich um üble Nach­re­den nicht im min­des­ten. Als ihn Lina an­rief und ihm mit den bei­den an­de­ren in den Weg trat, be­tä­tig­te er durch­aus kei­ne un­ge­wöhn­li­che Ver­wun­de­rung, son­dern nahm auch die­sen gu­ten Au­gen­blick, wie er ihm ge­ge­ben wur­de, schob die Müt­ze noch ein we­nig mehr auf den Hin­ter­kopf, drück­te den Ta­bak in der kur­z­en Pfei­fe fest und sag­te:

      »Gu­ten Abend! Ich wün­sche der Ju­gend al­les nur mög­li­che Plä­sier mit­ein­an­der.«

      »Dan­ke, Herr Vet­ter«, er­wi­der­te das Hoffräu­lein, »ich habe be­reits wie ge­wöhn­lich Ihr Lob­lied ge­sun­gen, und wir wis­sen, wie wir es mei­nen. Wir hiel­ten so­eben auch eine Rats­sit­zung zwi­schen den Bü­schen in Sa­chen Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­chers und ver­miss­ten Sie sehr da­bei, We­ge­bau­in­spek­tor­chen. Sie ha­ben so gut zwi­schen vier Wän­den ge­spro­chen, wol­len Sie uns nicht auch noch ein Wört­chen hier im Mon­den­schein und im Grü­nen sa­gen?«

      »Im Grü­nen und im Mon­den­schein, ihr Nar­ren«, brumm­te der Alte, »das ist wahr­lich die rech­te Zeit und Ge­le­gen­heit für uns, Rat zu ge­ben und zu neh­men. Ei frei­lich, die Vö­gel, die zu­ein­an­der­ge­hö­ren, fin­den ein­an­der, und lockt der eine im Zaun, so ant­wor­ten zwan­zig sei­nes­glei­chen aus dem Rog­gen­feld, dem Wal­de oder von der Wie­se. Mond­schein und Grün­kraut, un­serei­ner, der aus dem Jah­re sie­ben­zehn­hun­dert­achtund­neun­zig stammt, weiß frei­lich da­von zu sa­gen. Es war eine schö­ne Zeit, als man neun­zehn Früh­lin­ge durch­lebt hat­te und in Kom­pa­nie mit den tap­fern und treu­en deut­schen Fürs­ten und ih­ren from­men Mi­nis­tern das neue hei­li­ge Reich bau­te. Vor dem Kra­chen des gro­ben Ge­schüt­zes bis zum Jah­re fünf­zehn hat­te sich das Ge­wölk zer­teilt, und ganz Deutsch­land lag in der sil­b­erns­ten Be­leuch­tung un­ter un­sern Berg­gip­feln. Jun­ges Volk, Kreuz­him­mel­tau­send­don­ner­wet­ter, das war eine lieb­li­che Zeit, eine schö­ne Zeit, die Zeit der Hal­lu­zi­na­tio­nen und die Zeit für die Ha­lun­ken! O Frei­heit, die ich mei­ne – sämt­li­che Zucht­häu­ser und Ka­ser­nen von Got­tes Gna­den ver­wan­del­ten sich in go­ti­sche Dome, und für je­den schwar­zen Sam­me­t­rock er­zog eine deut­sche Mut­ter eine deut­sche Jung­frau mit blon­dem Haar und blau­en Au­gen. O ver­flucht – das war über alle Be­schrei­bung; aber ein Glück war’s, dass die Tan­te Kle­men­ti­ne da­mals erst die Wän­de be­schrie, sie hät­te mich sonst ganz ge­wiss bei mei­nen sü­ßes­ten Ge­füh­len ge­packt. Mond­schein und Mai­kä­fer! Fräu­lein von Ein­stein, se­hen Sie es mir noch an, dass ich einst­ma­len an den Kai­ser im Kyff­häu­ser ge­glaubt und die Gi­tar­re dazu ge­schla­gen habe? Jaja, wir wa­ren alle auf dem Mar­sche nach Uto­pia, gleich dem Afri­ka­ner dort, als er von der Uni­ver­si­tät durch­brann­te; und als wir uns wie er im Tu­mur­kie­lan­de wie­der­fan­den, in dem ›gu­ten Land, wo Lieb und Treu den Schmerz des Er­den­le­bens still­t‹ – näm­lich auf der Fes­tung, da hat­ten wir die­sen Karls­ba­der Be­schluss des Schick­sals dank­bar­lichst zu ak­zep­tie­ren und un­sern Mai­nachts­rausch ohne wei­te­res Ge­sperr, Ge­zerr und Ge­zap­pel zu ver­schla­fen. Als wir dann er­wach­ten, war ein höchst un­ge­müt­li­cher Tag her­auf­ge­däm­mert. Der Him­mel grins­te uns so er­bärm­lich grau an, als wir es ver­dien­ten, und je­der Hans­wurst, Narr, dum­me Jun­ge und En­thu­si­ast be­kam sei­nen Tritt, der ihn bergab in den Sumpf, in den düs­tern Kel­ler, in den Win­kel ex­pe­dier­te. Im Win­kel bin ich sit­zen­ge­blie­ben, und wenn das Loch ver­schlos­sen sein soll­te, Leon­hard, so liegt der Schlüs­sel auf dem Vor­platz un­ter dem Uhr­kas­ten. Den Kü­chen­schrank kennst du ja­wohl noch aus dei­ner Kna­ben­zeit; die Knas­ter­rol­le hält sich seit­wärts im Ka­bi­net­te hin­ter der Tür auf. Du bist zu je­der Zeit will­kom­men, wie ich dir schon vor­hin sag­te, mein Jun­ge; und mehr Glück hast du auch als der Vet­ter Was­ser­tre­ter, sol­ches ist mir längst klar­ge­wor­den.«

      Es fiel in die­sem Au­gen­bli­cke eine Stern­schnup­pe, und has­tig frag­te das Hoffräu­lein:

      »Was dach­test du eben, Lina?«

      »An mei­nes Bru­ders Glück.«

      »Und der Ge­dan­ke war ein Wunsch – ohne Zwei­fel! Was ha­ben wir noch nö­tig, hier Rat zu hal­ten? Der Schlüs­sel zu des Vet­ters Ge­mä­chern liegt un­ter dem Uhr­ge­häu­se, im Fall der Vet­ter nicht zu Hau­se sein soll­te; mer­ken Sie sich das, Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher. Herr Vet­ter, ich re­kom­man­die­re mich Ihren Ratschlä­gen; Lina, ich emp­feh­le mich dei­nen sü­ßen Wün­schen; üb­ri­gens wird es kühl und feucht; dass wir al­le­samt sehr klu­ge und ge­schei­te Leu­te sind, ha­ben wir wie­der ein­mal be­wie­sen und er­fah­ren; gute Nacht, gute Nacht!«

      »Gute Nacht, mein All­er­gnä­digs­tes«, sag­te der We­ge­bau­in­spek­tor mit un­ge­mei­ner Zärt­lich­keit und wand­te sich, als das Hoffräu­lein durch das Loch in der He­cke des Bums­dor­fer


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