Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Herrn, und gleich Seiner hochseligen Hoheit glaubte er an den Kaiser Nikolaus, und zu Ehren und zur Bekräftigung dieses rührend grandiosen Glaubens trage ich meinen Namen, welchen außerdem aber auch die Kammermädchen der ältern französischen Komödie zu führen pflegen. Meine Mutter ist eine Freundin der verwitweten Herzoginmutter und mit ihr erzogen worden; ich glaube nicht, dass beide die Herren Herder, Wieland, Goethe und Schiller an unsern Hof berufen oder sie daselbst geduldet hätten. – Ich bin ich, und das ist das Leiden. Wie jedes anständige denkende Wesen machte ich den Versuch, in Waffen gegen die Welt aufzustehen; sie erhaschten aber den bunten Stieglitz schon auf der nächsten Hecke wieder, und nun sitzt er in seinem Käfig und zieht seinen Bedarf an Wasser und Hanfsamen zu sich in die Höhe. Wenn ich auch nicht auf und davon und mit dem interessanten Räuberhauptmann Signor Semibecco auf die Elefantenjagd ging, so kam ich doch in das Tumurkieland, und was das schlimmste ist, ich sitze noch darin! Liebster Herr Afrikaner, Hoheit, meine Prinzeß, bewohnt den linken Flügel des Schlosses, und wir haben von unsern Fenstern aus eine recht schöne Aussicht auf den Platz. Bei Sonnenschein und Regen sehen wir die Wachtparade aufziehen und schwärmen für die türkischen Becken, den Schellenbaum, die große Pauke und den jüngsten Leutnant. Die Posten wandeln auf und ab, unsere zeisiggrünen Portiers und krebsroten Lakaien bringen den Glanz unseres Daseins dem gaffenden Marktvolk zum Bewusstsein; eine Familienkarte zur Besichtigung des Schlosses kostet zwei Taler, eine Einzelkarte nur einen Taler, wie ich von meinem Freunde, dem Kastellan, weiß; Seine Exzellenz der Herr Hofmarschall und der Herr Marquis von Carabas in allen Abstufungen fahren vor und ab, wir fahren spazieren und kommen zurück, und die Wache trommelt, und eine Abwechslung ist’s nur, wenn der wachthabende Offizier sich verspätet und mit verkehrt aufgesetztem Tschako hervorstürzt. Eine Abwechslung ist’s auch, wenn die Atmosphäre infolge einer Spannung mit dem rechten Flügel des Palais um einige Grade schwüler wird. Es gibt so manche gefährliche und leicht verwischte Grenzlinien, und dazu repräsentieren wir auf der Linken gar noch den Rationalismus und erbauen uns an Zschokkes ›Stunden der Andacht‹ gleich der Cousine zu Windsor. Drüben auf der Rechten und im Mittelbau gehören sie zu den ausgewählteren Gefäßen und sind uns auf dem Wege zur Gnade wenigstens um zehn Postmeilen voraus. Kennen Sie Zschokkes ›Stunden der Andacht‹, Herr Hagebucher? Nicht? Nur eine dumpfe Erinnerung? Ich habe mehr davon; ich habe sie vorzulesen, ich kenne verschiedene Stücke auswendig; darf ich Ihnen eines oder das andere rezitieren? Nein?! Es wäre aber eine große Gefälligkeit von mir! O Herr Hagebucher, auch Abu Telfan hat Reize, nach welchen ein Bruchteil der Menschheit sich sehnen kann. Ein sehr hübsches eisernes Gitter mit vergoldeten Spitzen trennt, wie Sie vielleicht noch wissen, unsern Schlossplatz von der Hauptstraße der Stadt. Da es verboten ist, mit Paketen oder Körben am Arme, einer Zigarre im Munde, einem Kinde oder einem Hunde den geheiligten Bezirk zu durchwandeln, so bleibt die gewöhnliche Welt hübsch draußen. Wir betrachten und beobachten sie nur durch unser Gitter und achten uns viel zu hoch, um uns nicht bescheiden zu können, und können letzteres umso mehr, als uns die Vorsehung für alles, was wir entbehren müssen oder zu viel haben, so unaussprechlich reichlich entschädigt hat. Unsere Galatage heben uns hoch über das Gallaland hinaus, mit unsern hohen Geburtstagen kann keine Herrlichkeit an der Gold- und Pfefferküste konkurrieren, und die noch höheren Besuche aus allen himmlischen Reichen wären imstande, das innerste Afrika vor Neid nach außen zu kehren, wenn es nur die geringste Ahnung von ihrer Importance hätte. O Gott, und haben wir nicht die Adjutanten, die Kammerherren und die verschiedenen Leibärzte der verschiedenen Herrschaften? O Gott, o Gott, und man sieht es Frühling werden, Sommer und Winter, und man wird immer älter – immer älter und immer sublimer und zarter, und das ganze Universum wird immer mehr zu einem ehrfurchtsvollen Geflüster. Und die Menage, die Naturalverpflegung, wie mein kleiner Vetter Bumsdorf es nennt, bleibt immer tadellos; ein Ballkleid oder ein neues Armband fällt auch von Zeit zu Zeit für uns ab, und die Etikette sorgt mit unleidlichem Nachdruck dafür, dass wir auf unsern Redouten nicht als Immobilien die Wände zieren. Und immer wird’s wieder Frühjahr und immer wieder Sommer und immer wieder Winter; aber kein Herr van der Mook will an unserm Horizonte aufgehen, um uns von diesem sanften, mit Sammet ausgeschlagenen Elend zu befreien! Was glauben Sie, Herr Afrikaner, was aus mir werden würde ohne meine schwachen Nerven und den guten Onkel Bumsdorf auf Bumsdorf?«
Ehe Herr Leonhard Hagebucher dieser plötzlichen Frage gerecht werden konnte, kam atemlos sein Schwesterchen, welches sich mit den beiden anderen Mädchen dem Dorfe zu hinter den Hecken verloren hatte, zurückgelaufen.
»Leonhard, Leonhard, du musst schnell heimkommen, die Tante Schnödler ist da!«
Der Afrikaner sprach einige, vielleicht nicht sehr freundliche Worte in der Sprache von Dar-Fur; doch er befand sich noch zu kurze Zeit wieder in der Heimat, um nicht allen ihren Rufen Folge zu leisten. Auch Fräulein Nikola von Einstein sprang lachend in die Höhe.
»So geht es mir doch immer – jedes Mal, wenn ich im besten Zuge bin, mein Herz auszuschütten! Nun wissen Sie doch noch nicht das allergeringste von mir, mein Herr, und es steht dahin, ob Sie in aller Ewigkeit mehr erfahren werden. Die gute Stunde ist vorübergegangen, und die Tante Schnödler ist angekommen, und der große Familienrat über Herrn Leonhard Hagebucher beginnt – gehen wir heim und unterwerfen wir uns den Dingen, Verhältnissen und Verhängnissen, da wir doch nicht um unsern Willen gefragt werden.«
Leonhard wollte ihr die Hand bieten, um sie den etwas steilen Abhang hinunterzuführen; sie aber wies seine Hilfe lachend von sich.
»Nein, nein! Bei besserer Überlegung werde ich doch lieber bleiben, wo ich bin, und meinen Kranz vollenden. Ich ziehe den Wald allen Familienräten vor; denn ich habe auch unter den letzteren gelitten und weiß davon zu singen und zu sagen.«
Fünftes Kapitel
Das helle Lachen des Hoffräuleins verklang hinter der Waldecke, und mit gesenktem Kopfe schritt Leonhard Hagebucher auf dem Pfade, welcher die Wiese entlang dem nahen Dorfe zuführte, weitbeinig fort. Das Schwesterchen hatte sich an seinen Arm gehängt und trippelte atemlos an seiner Seite und blickte von Zeit zu Zeit stumm, aber liebevoll-ängstlich zu dem ernsten, fast finstern Gesichte des Bruders in die Höhe.
Es waren am heutigen Tage grade drei Wochen seit dem Wiederkommen des afrikanischen Gefangenen verflossen, und wie kein Kind im Dorfe Bumsdorf den geheimnisvollen, staunenden Schrecken vor dem großen, braunen Mann, der mit