Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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und der Mann vom Mond­ge­bir­ge emp­fand und fühl­te ihn bis in die feins­ten Ab­tö­nun­gen und Schwin­gun­gen. Wie in ein Zau­ber­reich sah Leon­hard Ha­ge­bu­cher aus dem Schat­ten sei­ner Bäu­me in die gold­grü­ne Land­schaft, und ein Zau­ber war’s, als Fräu­lein Ni­ko­la die drei an­de­ren Mäd­chen ihre Spie­le al­lein fort­set­zen ließ, lang­sam ge­gen den Wald­rand her­an­schritt und sich, ih­ren Schoß voll Wie­sen­blu­men, ne­ben dem aus den li­by­schen und äthio­pi­schen He­xen­ban­den Er­lös­ten nie­der­ließ.

      »Der Him­mel möge Ihre Be­schau­lich­keit seg­nen, Herr Afri­ka­ner. Darf man wis­sen, was der gute Tag Ih­nen An­ge­neh­mes zu sa­gen hat?«

      »Er sagt nur: Hal­te den Mund, lie­ge still und rüh­re dich nicht!« ant­wor­te­te Leon­hard, und das Hoffräu­lein mein­te la­chend:

      »So wird es sein. Wir rie­fen Sie vor­hin, den wil­den Ro­sen­stock dort für uns nie­der­zu­zie­hen, da die feins­ten Knos­pen ge­wöhn­lich in der Höhe wach­sen. Sie lie­ßen uns ru­fen, mein Herr, brumm­ten höchs­tens, dass Sie so­gleich kom­men wür­den, und blie­ben lie­gen, so lang Sie sind. Das war, al­lem ge­heim­nis­vol­len Na­tur­ver­kehr zum Trotz, nicht höf­lich.«

      »Es ist so schwer, sich wie­der in der Zi­vi­li­sa­ti­on zu­recht­zu­fin­den, Fräu­lein«, sprach Leon­hard mit ei­nem tie­fen Seuf­zer. »Es ist eine so schwe­re und trau­ri­ge Ar­beit, zum zwei­ten Mal mit dem Abc des Le­bens be­gin­nen zu müs­sen.«

      »Wes­halb ge­ben Sie sich die Mühe?« frag­te Ni­ko­la von Ein­stein, schnell und hell von ih­ren Blu­men auf­bli­ckend. »Ich wür­de es nicht tun; ich wür­de blei­ben, wie ich wäre; ge­wiss, ge­wiss, ich wür­de eine sol­che mir vom Schick­sal an­ge­wie­se­ne ma­gi­sche Aus­nah­me­stel­lung si­cher­lich nicht wie­der aus­tau­schen ge­gen die­se er­bärm­li­che, lang­wei­li­ge Rou­ti­ne des eu­ro­päi­schen All­tags­le­bens.«

      »Das klingt, als hät­ten Sie über den Zu­stand mei­ner ar­men See­le ziem­lich tief nach­ge­dacht, jun­ge Dame.«

      »Na­tür­lich! Sind Sie doch et­was ganz Neu­es im Krei­se mei­ner Er­fah­rung! Die His­to­rie Ih­rer Aben­teu­er hat mich nicht we­nig auf­ge­regt; ich dan­ke den freund­li­chen Göt­tern, wel­che Sie wäh­rend mei­nes hie­si­gen Auf­ent­hal­tes nach Bums­dorf zu­rück­führ­ten. Sie sind ein Pro­blem, Herr Ha­ge­bu­cher, und ein sol­ches lässt das We­sen, wel­ches Sie einen ge­bil­de­ten Men­schen nen­nen wer­den, in un­sern Ta­gen so leicht nicht fah­ren, ohne es nach den ver­schie­dens­ten Sei­ten hin ge­dreht und ge­wen­det zu ha­ben.«

      »Fräu­lein von Ein­stein, wie alt sind Sie?« frag­te Leon­hard, sich halb auf­rich­tend, und das Ehren­fräu­lein lach­te von neu­em hellauf und ant­wor­te­te mit ei­nem ver­gnüg­ten Sei­ten­blick:

      »Un­aus­denk­bar alt! Weit, weit, weit hin­aus über jeg­li­ches Abc. Län­ger als sie­ben­und­zwan­zig sehr lan­ge Jah­re hat die Welt sich mei­ner Ge­gen­wart zu er­freu­en, und mein Tauf­schein soll Ih­nen zur Ein­sicht be­reit sein, wenn Sie mich dem­nächst ein­mal in der Re­si­denz be­su­chen wol­len, Herr Afri­ka­ner.«

      »Sie­ben­und­zwan­zig Jah­re? Sie­ben­und­zwan­zig Jah­re! ’s ist frei­lich ein schö­nes Al­ter für ein jun­ges Mäd­chen«, sprach Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher nach­denk­lich.

      »Und umso schö­ner, als mir die Ket­ten des Tu­mur­kie­lan­des noch um Hand- und Fuß­ge­len­ke klir­ren.«

      »Ma­schal­lah!« rief Leon­hard mit ei­nem Blick auf den zier­li­chen Knö­chel, wel­cher sich un­ter dem Sau­me des Klei­des her­vor­ge­stoh­len hat­te. »Das wäre eine Ge­schich­te, wel­che mich frei­lich um man­chen Schritt auf mei­nem Wege in den eu­ro­päi­schen Tag hin­ein för­dern könn­te. Er­zäh­len Sie mir ein we­ni­ges von Ihren Ket­ten, Fräu­lein Ni­ko­la, Sie fin­den auf der gan­zen Erde kei­nen Men­schen, der we­ni­ger Miss­brauch von Ihrem Ver­trau­en ma­chen könn­te und der mehr zu ler­nen hät­te.«

      Ni­ko­la füg­te eine neue Blu­me ih­rem Kran­ze ein und summ­te:

       »De­bout, ihr Ka­va­lie­re!

       Ihr Pa­gen und Hart­schie­re,

       Werft auf die Flü­gel­tür!

       Vor ei­nem Fä­cher­schla­ge

       Wird itzt die Nacht zum Tage,

       Kly­me­ne tritt her­für.«

      Dann fuhr sie schnell in Pro­sa fort, fast ohne Atem zu schöp­fen:

      »Ich hei­ße Ni­ko­la von Ein­stein, mein Herr Va­ter war der Ge­ne­ral von Ein­stein, Ex­zel­lenz; mei­ne gnä­di­ge Frau Mama ist eine ge­bo­re­ne Frei­in von Glim­mern, und mei­nen Tauf­na­men tra­ge ich Sei­ner Höchst­se­li­gen Ma­je­stät dem Kai­ser al­ler Reu­ßen Ni­ko­laus dem Ers­ten zu Ehren, ob­gleich der Mann nicht mein Pate war. Mei­nen Va­ter rühr­te nach der Ein­nah­me von Se­bas­to­pol der Schlag, und es fand sich nach sei­nem Tode, dass er kein so gu­ter Rech­ner ge­we­sen war, als man hät­te wün­schen mö­gen. Die Herr­schaft muss­te ein­tre­ten, um mir eine stan­des­ge­mä­ße Er­zie­hung zu ver­schaf­fen; mei­ne Mama lebt jetzt in an­stän­di­ger Zu­rück­ge­zo­gen­heit, ich bin Ehren­fräu­lein Ih­rer Ho­heit der Prin­zeß Ma­ri­an­ne und be­fin­de mich au­gen­blick­lich mei­ner an­ge­grif­fe­nen Ner­ven we­gen all­hier zu Bums­dorf bei mei­nen Bums­dor­fer Ge­vet­tern, spe­zi­ell von der Vor­se­hung zur Mit­tei­lung des eben Ge­sag­ten be­auf­tragt.«

      »Ich dan­ke der Vor­se­hung de­mü­tigst«, sag­te Leon­hard; »aber –«

      »Das wür­de für je­den an­de­ren als den Wil­den Mann aus Afri­ka ein sehr in­dis­kre­tes Aber sein; doch, bei die­sem blau­en Him­mel über uns, ich habe in der Tat Lust, Ih­nen in die­ser gu­ten Stun­de ein we­nig von mei­nem Le­ben aus­zu­plau­dern; die Ge­le­gen­heit und ein von der Lau­ne des Fa­tums so ver­nai­vi­sier­ter Zu­hö­rer fin­den sich viel­leicht nie­mals wie­der. Sie sind vom Mon­de her­ab­ge­fal­len, Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher, und ich bin eine Hof­da­me der Prin­zeß Ma­ri­an­ne, Ho­heit; wir tra­gen zwei gan­ze Wel­ten zu­sam­men, eine so ku­ri­os wie die an­de­re – wir bei­de kön­nen ein­an­der nie miss­ver­ste­hen, Herr Ha­ge­bu­cher. Also:

       Sie nei­get sich im Krei­se;

       Die Da­men flüs­tern lei­se:

       Le sue spi­ne ha! –

       Was küm­mert es die Rose,

       Kly­me­ne lä­chelt lose,

       E pas­so pas­so va.

      Sie nen­nen mich näm­lich Kly­me­ne, Herr. Der Name ist von ei­ner Schä­fer­qua­dril­le her an mir hän­gen­ge­blie­ben, ohne je­doch eine Be­deu­tung zu ha­ben. Un­se­re Ver­se ma­chen wir sel­ber, und mein Lieb­lings­poet ist Herr Mar­tin Opitz von Bo­ber­feld, und am liebs­ten wäre ich ein Ehren­fräu­lein am Hofe zu Lieg­nitz oder Brieg in Schle­si­en ge­we­sen. Der ers­te Ein­druck, wel­chen mir das Le­ben gab, war ein ge­wal­ti­ger Re­spekt, eine große Furcht vor mei­nem krie­ge­ri­schen Va­ter, wel­cher ge­wiss ein tap­fe­rer und gu­ter Sol­dat ge­we­sen wäre, wenn man ihm die Ge­le­gen­heit ge­ge­ben hät­te, sich als einen sol­chen zu be­tä­ti­gen. Was er war in his hot youth, when Ge­or­ge the Third was king, weiß ich nicht und wür­de es sehr wahr­schein­lich nicht sa­gen, wenn ich es wüss­te; ich kann nur an­ge­ben, dass das Le­ben in un­serm Mi­nia­tur­staa­te,


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