Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ge­fal­len wie die Prin­zeß Dorn­rös­chen, aber es war ein Schlaf voll sehr un­an­ge­neh­mer, är­ger­li­cher Träu­me, und durch einen Kuss wur­de ich auch nicht ge­weckt. Es liegt ein Da­sein, wel­ches nicht zu be­schrei­ben ist, zwi­schen der heu­ti­gen Stun­de und dem Jah­re acht­zehn­hun­dert­fünf­und­vier­zig. Es ist et­was gleich der Wir­kung ei­nes Schla­ges vor die Stirn; oder noch bes­ser – die Brigg schei­ter­te, und zer­schun­den und zer­schla­gen rich­te ich mich am Stran­de auf mit ei­nem dump­fen Be­wusst­sein von der Bran­dung, ei­nem Um­her­grei­fen nach Mast­trüm­mern und Plan­ken, ei­nem Rit­te auf ei­ner lee­ren Was­ser­ton­ne und der­glei­chen halb un­will­kür­li­chem Kampf mit der Ge­walt und Macht des Ozeans. Ich habe eine un­kla­re Erin­ne­rung, dass ich mei­ne Fä­hig­kei­ten in Hin­sicht auf die ma­the­ma­ti­schen Wis­sen­schaf­ten und neu­ern Spra­chen in den Zei­tun­gen dem Pub­li­kum rühm­te, dass ich den Ver­such mach­te, als Leh­rer ei­ner Pri­va­ter­zie­hungs­an­stalt mein Schick­sal zu er­fül­len, dass ich als Poet mich in Ge­le­gen­heits­ge­dich­ten und Wich­se­an­non­cen ver­such­te, je­doch we­der durch das eine noch das an­de­re den Lor­beer we­der zu noch in der Sup­pe er­hielt. Aus Ita­li­en habe ich mehr­fach nach Bums­dorf ge­schrie­ben und Nach­richt über mei­ne Zu­stän­de ge­ge­ben. Ich war Kom­mis­sio­när ei­nes großen Ho­tels in Ve­ne­dig, ich war Kam­mer­die­ner ei­ner bel­gi­schen Emi­nenz in Rom, und in Nea­pel leb­te ich nach der Ge­le­gen­heit des Or­tes harm­los, be­hag­lich, frei, ein Laz­zaro­ne und ein Gent­le­man, und habe es dem Fa­tum kaum Dank zu wis­sen, als es mich die­ser pa­ra­die­si­schen Exis­tenz ent­riss und mich Hals über Kopf in die ver­fäng­li­che Welt­fra­ge der Durch­ste­chung der Landen­ge von Suez warf. Wenn ich, wie lei­der nicht ge­leug­net wer­den kann, ein ziem­lich un­re­pu­tier­li­cher, va­ga­bon­den­haf­ter Ge­sell ge­we­sen war, so gab mir nun­mehr der Zu­fall Ge­le­gen­heit, mei­nen lie­ben El­tern und dem, was un­serei­ner hier in Deutsch­land sein Va­ter­land nennt, alle Ehre zu ma­chen. Als Se­kre­tär des Se­kre­tärs des Mon­sieur Linant-Bey, Obe­r­in­ge­nieurs Sei­ner Ho­heit des Vi­ze­kö­nigs von Ägyp­ten, wel­cher da­mals, das heißt im Jah­re acht­zehn­hun­dert­sie­ben­und­vier­zig, im Kon­trakt­ver­hält­nis­se mit Sei­ner Ma­je­stät dem Kö­nig der Fran­zo­sen un­ter­su­chen ließ, ob in der Tat das Rote Meer drei­ßig Fuß hö­her lie­ge als das Mit­tel­län­di­sche, hat­te ich das Ver­gnü­gen, das In­ter­es­se mei­ner vier­zig Mil­lio­nen Lands­leu­te in die­ser Fra­ge wür­dig ver­tre­ten zu kön­nen. Die Eng­län­der und Fran­zo­sen schick­ten Fre­gat­ten, Di­plo­ma­ten und Ru­del von Ge­lehr­ten, der deut­sche Ge­ni­us sand­te mich, was je­den­falls in alle Ewig­keit ein glän­zen­der Ruhm für Nip­pen­burg und Bums­dorf blei­ben wird. ›Schwin­del!‹ grunz­te John Bull, wel­chem we­nig oder nichts an dem Gra­ben ge­le­gen ist. ›Wel­this­to­ri­sche Idee!‹ kreisch­te Ro­bert Ma­caire, dem be­kannt­lich die mer mé­di­ter­ranée von der Vor­se­hung zum Ei­gen­tum und Wasch­be­cken über­wie­sen wur­de; und die Ni­vel­le­ments­ex­pe­di­ti­on un­ter den Her­ren Linant-Bey und Bour­da­loue be­gab sich mit Ei­fer ans Werk, um die Eng­län­der ad ab­sur­dum zu füh­ren. Im In­ter­es­se der deut­schen Bun­des­stadt Triest, des ge­sun­den Men­schen­ver­stan­des und mei­ner ei­ge­nen Stel­lung schlug ich mich na­tür­lich auf die Sei­te Frank­reichs und des Ma­me­lu­cken­zi­vi­li­sa­teurs Me­he­med Ali. Recht ver­gnüg­lich rich­te­ten wir uns im San­de zwi­schen Pe­lu­si­um und Suez ein, trab­ten mit Mess­ket­ten und Stan­gen, mit Di­opter­li­ne­a­len, Qua­dran­ten, Sex­tan­ten und Bus­so­len hin und her, rech­ne­ten und ma­ßen, dass uns der Kopf schwitz­te, und wech­sel­ten eben­so häu­fig un­se­re Haut als un­ser Hemd un­ter dem Ein­flus­se die­ser wohl­mei­nen­den ägyp­ti­schen Son­ne. Da­zwi­schen re­di­gier­ten wir Zei­tungs­ar­ti­kel für alle mög­li­chen eu­ro­päi­schen und au­ßer­eu­ro­päi­schen Blät­ter, um nicht nur den Kanal, son­dern auch die öf­fent­li­che Mei­nung in das rech­te Bett zu lei­ten; und da es mir ge­ge­ben wur­de, dass ich in man­cher­lei Zun­gen mich ver­ständ­lich ma­chen kann, so stieg ich all­mäh­lich sehr in der Ach­tung mei­ner Ar­beits­ge­ber, was ich üb­ri­gens da­mals pflicht­ge­mäß nach Bums­dorf ge­mel­det habe. Aber ge­gen das Ende des Jah­res sie­ben­und­vier­zig wa­ren un­se­re Un­ter­su­chun­gen lei­der schon be­en­det, und Mon­sieur Pau­lin Tala­bot, der Prä­si­dent der So­ciété d’Étu­des du canal de Suez, wel­cher ru­hig und be­quem da­heim in Pa­ris ge­blie­ben war, pu­bli­zier­te das Re­sul­tat zum größ­ten Är­ger der Re­gie­rung Ih­rer Ma­je­stät der Kö­ni­gin Vik­to­ria. Die alte zim­per­li­che Exjung­fer Eu­ro­pa saß wie­der be­ru­higt in der Über­zeu­gung, dass eine Durch­gra­bung der viel­be­spro­che­nen Landen­ge ihr nicht jene von groß­bri­tan­ni­scher Sei­te an­ge­droh­te Über­schwem­mung be­deu­te; – John Bull fühl­te sich sehr auf den Mund ge­schla­gen, denn der In­di­sche Ozean drück­te mit höchs­tens zwei Fuß Über­ge­wicht auf das mit­tel­län­di­sche Ge­wäs­ser, ja zur Zeit der tiefs­ten Ebbe steht so­gar das Meer bei Ti­neh um an­dert­halb Pa­ri­ser Fuß hö­her als die Was­ser bei Suez. Der Kanal war zu ei­nem un­ab­weis­ba­ren Be­dürf­nis und ein Kon­trakt mit Sei­ner ägyp­ti­schen Ho­heit in be­treff der Lie­fe­rung von fünf­zig­tau­send Fel­lah­le­ben zu ei­ner bren­nen­den Not­wen­dig­keit ge­wor­den. Mit großem Tri­umph wa­ren die Mit­glie­der der fran­zö­si­schen Ex­pe­di­ti­on auf ih­rer Fre­gat­te nach Mar­seil­le un­ter Se­gel ge­gan­gen, und ich – war im San­de zwi­schen den Py­ra­mi­den, Ibis­sen, Kro­ko­di­len, Ich­neu­mons und spe­ku­la­ti­ven Fa­brik­un­ter­neh­mun­gen Me­he­med Alis sit­zen­ge­blie­ben. Ägyp­ter und Fran­ken zuck­ten be­dau­ernd die Ach­seln, als ich mei­ne Ta­len­te zu fer­nern Dienst­leis­tun­gen emp­fahl. Man hat­te mir vier­hun­dert Fran­ken aus der Kas­se der Ex­pe­di­ti­on aus­ge­zahlt, und so schlen­der­te ich ziem­lich ge­müt­lich in den Gas­sen von Kai­ro um­her, ru­hig in der si­che­ren Voraus­set­zung, dass mir im Fal­le der Not eine Stel­le als po­ly­glot­ter Haus­knecht in ei­nem der großen eu­ro­päi­schen Ho­tels nicht ent­ge­hen kön­ne. Letz­te­re Vor­stel­lung wür­de für einen Nip­pen­bur­ger Ho­no­ra­tio­ren we­nig Ver­lo­cken­des ge­habt ha­ben, für mich aber hat­te die ge­grün­de­te Hoff­nung, auf ei­nem sol­chen Pos­ten in nicht zu lan­ger Zeit ein ar­ti­ges Ver­mö­gen zu ma­chen, durch­aus nichts Stin­ken­des; je­doch das Schick­sal hat­te es an­ders mit mir im Sinn. Ich war eben nicht für Lehn­stuhl, Schlaf­rock und Pan­tof­feln ge­bo­ren wor­den. Die Jahr­tau­sen­de, wel­che nach ei­nem be­kann­ten Auss­pruch von den Py­ra­mi­den auf die Wüs­te her­abbli­cken, konn­ten un­mög­lich einen är­gern Schuft ge­se­hen ha­ben als den aus­ge­zeich­ne­ten Si­gnor Luca Mol­lo, ge­nannt Se­mi­bec­co, und ich soll­te die Ehre, die Be­kannt­schaft die­ses be­rüch­tig­ten El­fen­bein­händ­lers vom Wei­ßen Nil ge­macht zu ha­ben, teu­er be­zah­len. Ich weiß nicht, ob je ein an­de­res Dich­ter­wort so vie­le arme Teu­fel in den Sumpf ge­führt hat als jene klas­si­sche Zei­le: Nichts Men­sch­li­chem fremd! Die Leu­te, wel­che mit ihr das Le­ben zu be­zwin­gen ge­den­ken, wer­den zu al­len Zei­ten er­fah­ren, wel­chen Unan­nehm­lich­kei­ten sie sich durch die­sel­be und in der­sel­ben aus­set­zen. Auch ich er­fuhr es und wün­sche kei­nem Bums­dor­fer den Ge­nuss der Men­sch­lich­kei­ten, mit wel­chen ich ver­traut ge­wor­den bin. Mit mei­nem Freun­de Luca Mol­lo oder Se­mi­bec­co und ei­nem Hau­fen des nie­der­träch­tigs­ten Lum­pen­ge­sin­dels, über wel­ches Al­lah reg­nen und die Son­ne schei­nen ließ, zog ich nach Char­tum und von da wei­ter strom­auf­wärts gen Kaka, wo wir ge­gen
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