Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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eine Pla­ge ist es, sich im­mer von neu­em dar­auf be­sin­nen zu müs­sen, ob das Schwar­ze schwarz und das Wei­ße weiß ist. Ist das mei­ne Nase, oder ist sie’s nicht? Bin ich Abul Täu­brich ibn Täu­brich, Pa­scha von Da­mas­kus, oder bin ich es nicht? Ja, der Herr Baron wird ge­nau­er wis­sen, was er ist, und Al­lah seg­ne ihm sein Ver­ständ­nis. Nach Mer­se­burg schnürt man sein Bün­del, und nach Smyr­na ge­rät man, und im Schlaf wird man wie­der ab­ge­la­den in der Kes­sel­stra­ße, wie der schnur­ri­ge Abu Hassan, von wel­chem der Er­zäh­ler im Chan zu Je­ri­cho er­zähl­te. Da ste­hen die Leu­te im Kreis um einen her und la­chen, und je­des Stück Brot kriegt man nur auf Kos­ten sei­ner Selb­stästi­ma­ti­on zu es­sen: die Kin­der lau­fen ei­nem in den Gas­sen nach, und die Al­ten trei­ben in den Häu­sern ihr Spiel mit ei­nem. So macht man sich denn sei­ne Stel­lung zu­recht, und je wei­ter man die Au­gen auf­rei­ßt, de­sto blin­der wird man, und je fes­ter man sie schließt, de­sto kla­rer wird ei­nem, wer man ist und wo man ei­gent­lich zu Hau­se ist. Da hört man das Le­ben nur wie ein Ge­summ um sich her: was geht es einen an, man sitzt ja in sei­nem ei­ge­nen Kiosk und –«

      »Bis­mil­lah! Die sei­de­ne Schnur Ih­nen um den Hals!« fuhr der Afri­ka­ner den ar­men Pa­scha von Da­mas­kus, au­ßer sich vor Un­ge­duld, an. »Von dem Baron von Glim­mern und nicht von dem schnur­ri­gen Abu Hassan sol­len Sie mir er­zäh­len. We­der ich bin der Sul­tan Shahri­ar noch Sie die klu­ge Sche­herazade; jetzt neh­men Sie sich zu­sam­men; was wis­sen Sie von dem Baron Glim­mern?«

      Täu­brich-Pa­scha fal­te­te die Hän­de über dem Ma­gen und sprach das Fol­gen­de mit dem Ton und Aus­druck ei­nes ab­schnur­ren­den Uhr­wer­kes:

      »Der Herr Baron be­gan­nen ihre Kar­rie­re im hie­si­gen Leib­ba­tail­lon als Fähn­rich und avan­cier­ten bal­digst zum Leut­nant; in die­ser Stel­lung hat­ten sie die Ehre, das Ver­trau­en Sei­ner Ho­heit des Prin­zen Rein­ald in ho­hem Gra­de zu ge­win­nen, und Sei­ne Ho­heit wa­ren ein großer Lieb­ling ih­res Herrn On­kels, des Höchst­se­li­gen re­gie­ren­den Herrn; also ha­ben die bei­den jun­gen Leu­te sich das Le­ben am hie­si­gen Ort recht an­ge­nehm ge­macht, es ist eine lus­ti­ge Zeit ge­we­sen und viel Geld in den ei­ge­nen Ta­schen und noch mehr Geld in den Ta­schen an­de­rer Leu­te; das roll­te und klang an al­len Ecken und En­den, und wer et­was da­ge­gen zu sa­gen hat­te, der tat am bes­ten, wenn er sich mit ei­nem Ach­sel­zu­cken be­gnüg­te; denn es ha­ben sich ei­ni­ge nicht ge­rin­ge Herr­schaf­ten in je­nen fi­de­len Ta­gen die Fin­ger böse ver­brannt; aber da­von be­kommt selbst un­ser­eins nicht die letz­te Wahr­heit her­aus, weil zu vie­le sind, de­nen dran liegt, dass ein recht hüb­scher dich­ter Schlei­er drü­ber­ge­wor­fen wer­de, und also zum Exem­pel, Sidi, wenn die Frau Ho­frä­tin Feh­ley­sen sel­ber Ih­nen nicht ihre Ge­schich­te und die des Herrn Ho­frats und des Herrn Leut­nants Vik­tor er­zählt hat, so kann ich Ih­nen auch nicht hel­fen. Als ich aus dem Ori­ent heim­kam, da hat­ten Sei­ne Ho­heit der Prinz Rein­ald längst sich die schö­ne, be­rühm­te Dres­de­ner Bal­let­tän­ze­rin, Fräu­lein Ar­mi­da, an die lin­ke Hand an­trau­en las­sen und leb­ten mit ihr in Pa­ris, da wa­ren die Frau Ho­frä­tin und der Herr Sohn lan­ge ver­schol­len; aber der Herr von Glim­mern wa­ren noch vor­han­den; es ist nicht sei­ne Schuld ge­we­sen, dass der Prinz Rein­ald die schö­ne Ar­mi­da hei­ra­te­te, son­dern er hat­te sein mög­lichs­tes ge­tan, es zu ver­hin­dern, und es wäre sehr un­recht, ihm zum Bei­spiel auch den Tod des Rats Feh­ley­sen schuld zu ge­ben; o Je­ru­sa­lem, in Sy­ri­en ist’s schön, aber hier­zu­lan­de lässt es sich doch auch le­ben; ja, und der Herr von Glim­mern sind im­mer wei­ter avan­ciert, auch un­ter dem jetzt re­gie­ren­den Herrn – Ka­pi­tän, Ma­jor, Oberst­leut­nant und nun zu gu­ter Letzt Ex­zel­lenz und In­ten­dant des Fürst­li­chen Hof­thea­ters und ehe­li­cher Ge­mahl des schö­nen Fräu­leins von Ein­stein. Jaja, ich hab mir häu­fig da­hin­ten in der Wüs­te oder sonst im Ori­ent ge­dacht: Täu­brich, das wär so was, wenn dir jetzt auf ein­mal der Herr Vik­tor Feh­ley­sen be­geg­ne­te; es hat sich aber nicht ge­macht, er soll mit vor Se­bas­to­pol zu­grun­de ge­gan­gen sein. Sie sa­gen mir, Sidi, die alte Mut­ter glau­be nicht dar­an, dass der jun­ge Herr tot sei; aber ich glau­be es, trotz­dem ich in der Wüs­te auf ihn war­te­te; es kommt je­doch nichts dar­auf an, und dem Herrn Baron von Glim­mern wird’s auch ei­ner­lei sein, der hat das Glück ge­habt und die Braut heim­ge­führt; alte Lie­be ros­tet nicht, und man be­haup­tet in den Krei­sen, wel­che es wis­sen kön­nen, jung sei­en die jun­gen Leu­te nicht mehr; frei­lich, frei­lich, es ist in der Tat et­was Merk­wür­di­ges, wie alt die Men­schen ge­wor­den sind in der Zeit, dass man ab­we­send war un­ter den Palm­bäu­men! Wie ein neu­ge­bo­ren Kind kommt man sich manch­mal vor, fin­den Sie das nicht auch, Sidi Ha­ge­bu­cher?«

      Der träu­men­de Schnei­der hat­te durch die­se letz­te Fra­ge nun­mehr den Mann aus Abu Tel­fan zu we­cken.

      »Ja­wohl, Sie ha­ben ganz recht, Täu­brich!… Was sag­ten Sie?« rief er, aus ei­nem Ge­we­be des ver­wor­rens­ten Den­kens und Träu­mens mit Mühe sich los­rei­ßend; aber im nächs­ten Au­gen­blick schlief Täu­brich-Pa­scha wie­der gleich ei­nem Ha­sen mit of­fe­nen Au­gen oder hat­te sich viel­mehr schleu­nigst von neu­em un­ter die Pal­men der Le­van­te zu­rück­ge­zo­gen.

      »Gu­ten Abend!« sag­te Ha­ge­bu­cher.

      »Se­lam alei­kum!« sprach Täu­brich, den Ober­kör­per vor­nei­gend.

      Vor sei­nem ei­ge­nen Ge­ma­che, jen­seits des dun­keln Gan­ges, der sei­ne Tür von je­ner des Schnei­ders trenn­te, fand der Afri­ka­ner einen Of­fi­ziers­bur­schen mit ei­nem sehr höf­li­chen Bil­lett von dem Ma­jor Wild­berg, wel­cher im ei­ge­nen Na­men und dem sei­ner Ma­jo­rin Sei­ne Wohl­ge­bo­ren den Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher für den fol­gen­den Tag zum Mit­ta­ges­sen ein­lud.

      Es wird ohne Zwei­fel ein­mal eine Zeit ge­kom­men sein, in wel­cher kei­ne »Re­si­den­zen«, we­der große noch klei­ne, mehr in un­serm Welt­teil exis­tie­ren wer­den; dann aber ha­ben viel­leicht die Ve­rei­nig­ten Staa­ten von Eu­ro­pa ihre Ge­schäfts­trä­ger, Ge­sand­ten, Ge­ne­ral­kon­suln und Kon­suln an den Hö­fen der fürst­li­chen Herr­schaf­ten jen­seits des Ozeans zu er­hal­ten, und freie und er­leuch­te­te Bür­ger wer­den mit Ver­gnü­gen die große Re­pu­blik bei den Ma­je­stä­ten von Neuyork, Ohio, Il­li­nois, Vir­gi­ni­en, Loui­sia­na und so wei­ter ver­tre­ten, und wird die Eti­ket­te so­wie al­les üb­ri­ge mon­ar­chi­sche Spiel­werk in ih­ren Hän­den recht si­cher auf­ge­ho­ben sein, that is a fact. Bis aber die­ser glück­se­li­ge und wahr­haft nor­ma­le Zu­stand ein­ge­tre­ten ist, wol­len wir uns das Le­ben auch un­ter den jet­zi­gen Ver­hält­nis­sen so an­ge­nehm wie mög­lich zu ma­chen su­chen.

      »Der­je­ni­ge po­li­ti­sche Zu­stand ist im­mer der nor­mals­te, wel­cher den meis­ten klei­nen Ei­tel­kei­ten der Men­schen ge­recht wird«, sag­te Leon­hard Ha­ge­bu­cher, und der Ma­jor Wild­berg, ein fei­ner, gut­mü­ti­ger Mann von ge­lehr­tem Äu­ßern, ein Herr mit ei­ner gol­de­nen Bril­le, ei­nem blon­den Bart und ei­ner an­ge­hen­den Glat­ze, ließ die Be­haup­tung gel­ten, wenn auch nicht ohne ein be­deut­sa­mes Ach­sel­zu­cken.

      Ha­ge­bu­cher hat­te bei dem Ma­jor zu Mit­tag ge­speist, und zwar ganz aus­ge­zeich­net. Jetzt ver­gol­de­ten die letz­ten Strah­len der schei­den­den Herbst­son­ne das Des­sert; die Kin­der hat­ten sich zwi­schen die Er­wach­se­nen ge­drängt, um ihr Teil von den An­nehm­lich­kei­ten


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