Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wahr­schein­lich Ni­ko­la, ich mei­ne die Frau von Glim­mern, so­eben. In ei­nem Weil­chen wol­len wir mei­ner Frau fol­gen.«

      Es war eine stil­le, ziem­lich brei­te Stra­ße, in wel­cher der Ma­jor Wild­berg, im Mit­tel­punkt der Stadt, wohn­te. Jahr­hun­der­te wa­ren durch die Gas­se ge­schrit­ten, ohne sie un­ge­müt­lich ge­macht zu ha­ben, und das an­ge­se­he­ne­re Zi­vil- und Mi­li­tär­be­am­ten­tum des klei­nen Staa­tes wohn­te mit Vor­lie­be hier bei dem so­li­den Bür­ger­tum zur Mie­te. Die Ka­ser­nen, Kanz­lei­en und Kir­chen wa­ren nach al­len Sei­ten hin von hier aus leicht und tro­ckenen Fu­ßes zu er­rei­chen, und die wohl­klin­gends­ten Ti­tu­la­tu­ren des Lan­des grüß­ten sich da­her nicht un­ge­recht­fer­tig­ter­wei­se hier über den Weg und auf den Bür­ger­stei­gen vor den Hau­stü­ren, und man­ches große Ver­dienst um Fürst und Volk ver­zehr­te in die­ser Ge­gend der Stadt sei­ne ge­setz­li­che Pen­si­on mit an­ge­mes­se­ner Wür­de so­wie in un­ge­stör­tes­ter Muße. Benüt­zen wir die Über­gangsepo­che, wäh­rend wel­cher nicht etwa die deut­sche Klein­staa­te­rei ein Ende nimmt, son­dern wäh­rend wel­cher der Ma­jor sei­nen Gast zu den Da­men führt, um uns der Mei­nung des Man­nes aus dem Tu­mur­kie­lan­de voll­stän­dig an­zu­schlie­ßen und den Staat für den bes­ten zu er­klä­ren, der am hum­an­s­ten sich dar­stellt, das heißt, den Ge­füh­len der Mensch­heit am meis­ten Rech­nung trägt und sei­ne Bür­ger nur da­durch de­zi­miert, dass er den zehn­ten Mann zu ei­nem Ge­heim­rat, Ge­ne­ral­leut­nant oder sonst an­stän­dig be­sol­de­ten und be­ti­tel­ten Be­am­ten macht. Dass die Bür­ge­rin­nen mit­de­zi­miert wer­den müs­sen, ver­steht sich na­tür­lich von selbst.

      Die Son­ne hat­te sich längst ganz be­frie­digt von der Ta­fel des Ma­jors zu­rück­ge­zo­gen, aber sie spie­gel­te sich noch in man­chem Fens­ter und ver­gol­de­te man­chen Er­ker, Gie­bel und Schorn­stein der Gas­se. Von den Stu­fen sei­ner Hau­stü­re aus ta­xier­te der Haus­herr des Ma­jors den Wa­gen, die Pfer­de und den statt­li­chen Kut­scher der Frau In­ten­dan­tin. Ge­gen­über kam der alte Finanz­rat vom Spa­zier­gang heim, und der Steu­er­rat führ­te sei­ne Gat­tin nach dem Thea­ter, be­glei­tet von dem Herrn von Pun­schold, wel­cher dem Klub zu­steu­er­te. Fräu­lein Lui­se von Pun­schold sang über dem ele­gan­ten La­den des Fürst­li­chen Hof­hand­schuh­fa­bri­kan­ten Schra­der und wur­de auf dem Flü­gel von Fräu­lein Ama­lie von Pun­schold be­glei­tet; der Pos­ten am Eck­hau­se mit dem Ro­ko­ko­bal­kon gähn­te ent­setz­lich; eben­so gähn­te der städ­ti­sche Po­li­zei­mann, wel­cher durch die Gas­se schlen­der­te, ohne zu wis­sen wes­halb. Die Frau Emma saß un­ter ih­ren Blu­men und Blatt­ge­wäch­sen in der Fens­ter­ni­sche, und zwar mit ei­nem Strick­strumpf in den Hän­den. Ni­ko­la Glim­mern lag im däm­me­rigs­ten Win­kel des Ge­ma­ches, so tief als mög­lich von den Kis­sen ei­nes Di­wans ver­steckt. Der Ma­jor und Leon­hard hat­ten in der Nähe die­ses Di­wans gleich­falls ganz be­hag­li­che Plät­ze ge­fun­den, und je­der Un­ein­ge­weih­te hät­te sich ein­bil­den kön­nen, dass die Zeit für alle die­se Leu­te in eben­so an­ge­nehm träu­me­ri­scher Be­schau­lich­keit stil­le­ste­he wie für die ru­hi­ge, rein­li­che Gas­se drau­ßen und die klei­ne, in ih­rem Selbst­be­wusst­sein sich voll­stän­dig ge­nü­gen­de Haupt­stadt rund­um­her. Wir, die wir zu den Ein­ge­weih­ten ge­hö­ren, wis­sen frei­lich, dass es sich nicht so ganz um die Stim­mun­gen der Sies­ta han­del­te und dass das Le­ben we­nigs­tens zwei der an­we­sen­den Per­so­nen in einen an­de­ren Schein hüll­te, als die rote, freund­li­che Abend­däm­merung über die Prä­si­den­ten­gas­se, das Strick­zeug der Frau Emma und die Zei­tung des Ma­jors warf.

      Die schö­ne Ex­zel­lenz in den wei­chen Kis­sen des Di­wans hat­te den In­halt ei­nes sehr reich­hal­ti­gen Rei­se­ta­ge­buchs in flüch­ti­gen Um­ris­sen dem klei­nen Krei­se mit­ge­teilt und ver­spro­chen, dem­nächst und bei pas­sen­den Ge­le­gen­hei­ten die­se Kon­tu­ren so bunt­far­big wie mög­lich aus­fül­len zu wol­len; aber sie ließ heu­te nicht des­halb ih­ren Wa­gen drun­ten in der Gas­se vor der Tür hal­ten. Sie hat­te heu­te zu fra­gen, und Ha­ge­bu­cher hat­te zu er­zäh­len, und eine Fra­ge über­ku­gel­te im­mer die an­de­re: was be­deu­te­ten Rom und Flo­renz ge­gen die Hü­gel und Tä­ler um Flie­gen­hau­sen, ge­gen den Wald um die Kat­zen­müh­le und die Kat­zen­müh­le sel­ber?

      »Klin­gen die Trop­fen noch an dem al­ten Rade?« rief Ni­ko­la. »Auf man­chem stau­bi­gen Pfa­de, zwi­schen Fel­sen und Tem­pel­trüm­mern, in man­chem hei­ßen Fest­saa­le hab ich auf sie ge­horcht; im Saa­le des preu­ßi­schen Bot­schaf­ters zu Pa­ris, des Herrn von der Goltz, habe ich dem tür­ki­schen Ge­sand­ten da­von ge­spro­chen, und er hat nicht ge­lacht wie Sie, Wild­berg. Es ist auch nicht zum La­chen; se­hen Sie auf Emma, Ma­jor, die weiß es, und Sie wis­sen es auch, dass ich mich nur ver­stoh­len hier­her­schlei­chen darf, um mir von der Frau Klau­di­ne er­zäh­len zu las­sen.«

      »Sie ha­ben recht, Ni­ko­la«, sprach der Ma­jor sehr ernst, »das letz­te­re ist nicht zum La­chen; aber es ist auch nicht in der Ord­nung, und Emma wird mir beipflich­ten, wenn ich Ih­nen be­mer­ke, dass Ihr Weg Ih­nen nun­mehr klar vor­ge­zeich­net ist. Sie ha­ben, ei­ner­lei un­ter wel­chen Prä­mis­sen, Ihr Schick­sal auch durch ei­ge­nen Wil­len un­wi­der­ruf­lich be­stimmt; o lie­be Freun­din, bli­cken Sie jetzt nicht mehr zu viel seit­wärts und zu­rück. Be­den­ken Sie, wie vie­le Au­gen und Ohren über­all auf Sie ach­ten; ha­ben Sie Ge­duld; Mut und Hei­ter­keit fin­den sich all­mäh­lich auf dem Mar­sche –«

      »Und mit der Zeit kann man ein recht wet­ter­fes­ter Trou­pier wer­den«, mur­mel­te die Frau von Glim­mern, füg­te aber hin­zu: »Ich dan­ke Ih­nen, Wild­berg, Sie ha­ben recht, hun­dert­fach recht! Sie sind ein ver­stän­di­ger Mann und ha­ben nur ge­nom­men, was Ih­nen zu­kam, als Sie jene dort hin­ter dem Gum­mi­baum zur Frau nah­men.«

      Die Frau Emma, de­ren Strick­na­deln wäh­rend der letz­ten Mi­nu­ten hel­ler als ge­wöhn­lich ge­klun­gen hat­ten, hob nun das Ge­sicht von ih­rer Ar­beit em­por und sag­te:

      »Wol­len Sie jetzt in Ih­rer His­to­rie nicht fort­fah­ren, Herr Ha­ge­bu­cher? Bit­te, tun Sie es! Ni­ko­la hört auch wohl gern, wie Sie Ihr Le­ben fort­span­nen, seit sie Bums­dorf ver­ließ. Sei­ne Vor­ge­schich­te hat der Herr uns be­reits über Tisch er­zählt, Ni­ko­la – das ist al­les und klingt al­les wahr­lich wie ein Mär­chen; ich wer­de die Lam­pe noch nicht brin­gen las­sen, von sol­chen Wun­dern ver­nimmt man am bes­ten im Däm­mer; man kann die or­di­näre Welt, die ge­wohn­te Um­ge­bung und das hel­le Ta­ges­licht kaum da­bei ge­brau­chen.«

      »Ach, gnä­di­ge Frau«, sag­te Leon­hard, »von Wun­dern hab ich nun nicht wei­ter zu be­rich­ten. Die Kat­zen­müh­le und die alte Dame drin sind frei­lich im­mer ein Wun­der; aber die Stadt Nip­pen­burg reicht si­cher­lich nicht über das Epi­the­ton ›wun­der­lich‹ hin­aus, und was den Vet­ter Was­ser­tre­ter und sei­nen Vet­ter vom Mond­ge­bir­ge be­trifft, so kennt die Frau Ni­ko­la bei­de viel zu ge­nau, um nicht in ih­rer Ecke die Ach­seln zu zu­cken und ver­schie­de­ne ganz un­pro­ble­ma­ti­sche Ge­dan­ken bes­ser für sich zu be­hal­ten.«

      »Wie Sie wün­schen, ami­co«, sag­te die Ex­zel­lenz mit lei­sem La­chen, »fah­ren Sie fort, aber re­den Sie mich nicht wie­der an wäh­rend Ih­rer Er­zäh­lung; wen­den Sie sich mit Ihren Ex­kur­sen an den Ma­jor oder die Ma­jo­rin; au­gen­blick­lich will ich nichts wei­ter als hö­ren – wei­ter, wei­ter, Leon­hard Ha­ge­bu­cher.«

      »Die


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