Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wie an sei­ne ei­ge­ne Exis­tenz; wie fest er aber an sei­ne ei­ge­ne Exis­tenz glaub­te, kann nur durch einen län­gern und ge­nau­ern Ver­kehr mit ihm deut­lich ge­macht wer­den.

      Weiß und zart und zier­lich er­blick­te er das Licht der Welt und be­grüß­te es mit ei­nem schril­len Stimm­chen. Der schwar­ze Va­ter und des­sen schwar­ze Ge­sel­len be­grüß­ten ihn mit kopf­schüt­teln­der Ver­wun­de­rung und nann­ten ihn einen »ganz ku­rio­sen Fisch«. Ge­gen alle Er­war­tung ge­dieh er un­ter der sorg­sams­ten müt­ter­li­chen Pfle­ge vor­treff­lich, wie denn auch die gü­ti­ge Mut­ter Na­tur bes­tens für ihn sorg­te, in­dem sie ihn mit ei­nem sehr reiz­ba­ren Ner­ven­sys­tem, ei­nem dün­nen röt­li­chen Haar­wuchs und ei­ner er­kleck­li­chen Men­ge Som­mer­spros­sen be­gab­te, ihm aber die Zier­de des Man­nes, den Bart, wel­chen er als ge­bo­re­ner Da­men­schnei­der doch nicht ge­brau­chen konn­te, gänz­lich vor­ent­hielt. Er wur­de ein Da­men­schnei­der, al­lem Ge­brumm und Ge­pol­ter des Er­zeu­gers zum Trotz; – grol­lend stieg der Alte, wel­cher all­mäh­lich für sei­nen Be­ruf viel zu fett ge­wor­den war, in sei­nen ei­ge­nen Schorn­stein hin­auf, blieb in dem­sel­ben ste­cken, wur­de län­ge­re Zeit ver­geb­lich ge­sucht und spät am Tage ent­deckt, als er dem Rau­che des Feu­ers, wel­ches man zur Be­rei­tung der Abend­sup­pe an­zün­de­te, den Weg ver­sperr­te. Man zog ihn an den Fü­ßen her­ab, ohne dass er sich für die Ge­fäl­lig­keit be­dank­te; ein Schlag­fluss hat­te ihn ge­trof­fen und ihn al­len Er­den­sor­gen schnell ent­rückt. Sei­ne Wit­we er­hielt sich noch ei­ni­ge Jah­re als sehr be­le­se­ne Ei­gen­tü­me­rin ei­ner klei­nen, aber aus­ge­wähl­ten Leih­bi­blio­thek, starb dann gleich­falls, und zwar in ziem­lich be­dräng­ten Um­stän­den, wor­auf Fe­lix Zöles­tin, al­ler schö­nen und ro­man­ti­schen Ge­füh­le voll, auf die Wan­der­schaft ging gleich un­serm Freun­de Ha­ge­bu­cher, weit über Kon­stan­ti­no­pel hin­aus­kam und wie je­ner lan­ge Zeit zu den Ver­schol­le­nen ge­rech­net wur­de.

      Gleich je­nem kam aber auch er zu­rück, und zwar auf kläg­lich durch­ge­lau­fe­nen Soh­len und von Je­ru­sa­lem. Da er erst vor ei­ni­gen Ta­gen dem Mann aus Abu Tel­fan einen Be­richt über die­se Heim­kehr ab­stat­te­te, so set­zen wir auch hier mit Ver­gnü­gen sei­ne ei­ge­ne Re­la­ti­on an die Stel­le der uns­ri­gen.

      »O in Je­ru­sa­lem ist es schön!« rief er mit Be­geis­te­rung. »Adria­no­pel, Kon­stan­ti­no­pel, Smyr­na, Brus­sa und Jaf­fa ha­ben auch ihre An­nehm­lich­kei­ten; aber Je­ru­sa­lem geht dem ge­fühl­vol­len Men­schen über al­les! Da ist blau­er Mon­tag das gan­ze Jahr durch bei Ju­den und Chris­ten von al­len Sor­ten, bei Hei­den und Tür­ken, und die letz­tern ha­ben die Po­li­zei. Sie sind nicht in Je­ru­sa­lem ge­we­sen, Sidi, sons­ten wür­den Sie auch da­von er­zäh­len kön­nen – oje, oje! Da habe ich zwei Jah­re in Kon­di­ti­on ge­stan­den bei ei­nem Meis­ter aus Böb­lin­gen im Würt­tem­ber­gi­schen, und lei­der nur als Manns­schnei­der; denn das schö­ne Ge­schlecht hab ich schon in Adria­no­pel mit Trä­nen an den Ha­ken hän­gen müs­sen. Hab’s auch ganz gut ge­habt bei dem Böb­lin­ger bis zum Os­ter­fest neun­und­fünf­zig, da ver­un­ei­nig­te ich mich mit ihm, denn sol­ches ist der Sti­lum; am hei­li­gen Os­ter­fest ver­un­ei­nigt sich al­les mit­ein­an­der in Je­ru­sa­lem, und schon eine Wo­che vor­her ex­er­ziert der Mus­se­lim, der Gou­ver­neur, die tür­ki­sche Gar­ni­son auf die Kar­bat­sche ein, al­les zum Bes­ten der from­men Pil­ger. So ist es, man muss über­all erst des Lan­des Sit­te ken­nen­ler­nen, um kei­nen An­stoß zu ge­ben, und als im ers­ten Jah­re am Grü­nen Don­ners­tag der Meis­ter bo­ckig wird und mich aus lau­ter Zer­knir­schung einen herr­gottss­träf­li­chen Lump und kein­nut­zi­gen Strahl­narr hei­ßet, da den­ke ich: Täu­brich, mä­ßi­ge dich und fang kei­nen Skan­dal an die­sen hei­li­gen Stät­ten an, und in die­ser Zeit will es sich gar nicht schi­cken. Bon – im nächs­ten Jah­re ken­ne ich mich schon aus, und als mein Schwab mich dies­mal einen nord­deut­schen Wind­beu­tel ti­tu­liert, da geht’s drun­ter und drü­ber, und ’s wird ein Tru­bel im Ate­lier wie an der Tür der Gra­bes­kir­che, und na­tu­rel­le­ment schmeißt man mich her­aus und mein Fell­ei­sen mir nach, und da wär’s mir schlimm ge­gan­gen ohne einen gu­ten Be­kann­ten. Das ist ein Mönch ge­we­sen aus dem Klos­ter Mar Saba, wel­ches im Tal Ki­dron, dem To­ten Meer zu, liegt, und der trifft auf mich, wie ich mit ver­bun­de­nem Kopf auf ei­nem Eck­stein sit­ze, und rech­ter Hand liegt ein to­ter Esel und lin­ker Hand ein be­trun­ke­ner Pil­grim, und der, will sa­gen der Mönch, hat mich nach dem Fest mit sich ge­nom­men in sein Klos­ter auf die Stör, was man heißt auf Ar­beit mit Kost und Schlaf­stel­le. Da habe ich die gan­ze Gar­de­ro­be für die Hei­li­gen auf­bes­sern müs­sen, und auch die Brü­der hat­ten ge­nug zu fli­cken; das war eine schlech­te Ar­beit, aber die Ver­pfle­gung war gut. So näh­re ich mich hier in der Wüs­te und der from­men Ein­sam­keit grad­so­gut vom Hand­werk wie in Hanau oder Of­fen­burg, bis auch die­sem Ver­gnü­gen wie­der­um sein Ende mit dem Knüp­pel ge­macht wird, und ist das das merk­wür­di­ge am Ori­ent, dass hier­für nie­mand zu kei­ner Zeit si­cher ist; es wäre auch sonst zu schön! Kommt also ein Mann aus Nebi Musa zu un­serm Abt und gibt an, er wis­se einen Schatz im Wadi en Naar, dem Feu­er­tal, wel­ches gleich­falls zum Ki­dron­tal ge­hört, und, Sidi, wie da das Klos­ter an zu le­cken fing, das ist un­glaub­lich zu er­zäh­len. Wo und wie, wie und wo? ging das durch­ein­an­der, und der Be­duin wuss­te auf al­les einen Be­scheid. Ein Christ habe den Schatz ver­gra­ben, und nur ein Christ ver­mö­ge ihn zu he­ben, und in der nächs­ten Nacht sei die rech­te Zeit; denn da sei der Dschinn ab­we­send zu ei­ner Ver­gnü­gungs­fahrt auf Bahr Lut, dem To­ten Meer, und hal­te mit sei­nes­glei­chen einen Schmaus bei Ain Dji­di an der Säu­le des Sal­zes. Das hät­te man nun wohl nicht ge­glaubt zu Of­fen­burg, Hanau oder Frank­furt am Main; aber in Mar Saba glaub­te man es mit Ver­gnü­gen, und in der fol­gen­den Nacht ha­ben wir rich­tig den Schatz ge­ho­ben. Das hal­be Klos­ter samt dem Abt ist un­ter der Füh­rung des Be­dui­nen ins Feu­er­tal ge­zo­gen, in eine Schlucht wohl tau­send Fuß tief. Und als wir drin sit­zen und fast kein Aus­weg ist, geht es los, als ob der Geist des Chris­ten Un­rat ge­merkt habe und schleu­nigst heim­ge­kehrt sei, um nach sei­nem Recht zu se­hen. Erst reg­net es von al­len Sei­ten Stei­ne aus der Höhe, und dann reg­net es Prü­gel aus nächs­ter Nähe. Auf al­len Sei­ten wird’s zu un­serm Jam­mer le­ben­dig; denn von vier Mei­len in der Run­de, aus Mird, aus Nebi Musa, aus Khan Hu­drur, ja aus Gil­gal und vom Dsche­bel al Fu­rei­dis, dem Fran­ken­ber­ge, ist die Be­völ­ke­rung her­be­schie­den, um den Spaß durch ihre Ge­gen­wart zu ver­schö­nen. Wer einen Prü­gel hal­ten konn­te, hat sich da­mit ins Ver­steck ge­legt und ge­dul­dig seit Son­nen­un­ter­gang auf un­se­re An­kunft ge­war­tet. Ver­ge­bens hat der Abt erst sei­ne Hei­li­gen und dann den Gou­ver­neur von Je­ru­sa­lem an­ge­ru­fen, die einen konn­ten so­we­nig als der an­de­re zu Hil­fe kom­men; das letz­te, was ich in die­ser Mond­schein­nacht er­blick­te, war ein mir wohl­be­kann­ter Kol­le­ge, der Schnei­der aus Mird, wel­cher aus Brot­neid und künst­le­ri­scher Ei­fer­sucht einen faust­großen Kie­sel­stein in sein Tur­ban­tuch ge­knüpft hat­te und mich da­mit an den Schä­del traf, dass es mir schwarz wie sei­ne See­le vor den Au­gen wur­de und ich be­sin­nungs­los zu den­je­ni­gen mei­ner geist­li­chen Freun­de sank, wel­che be­reits am Ran­de des Ba­ches Ki­dron am Bo­den zap­pel­ten. Das war ein sehr ro­man­ti­sches Aben­teu­er, Sidi, aber ein noch grö­ße­res Wun­der ist es ge­we­sen, dass ich mich beim Er­wa­chen aus mei­ner Be­täu­bung nicht etwa im Wadi en Naar oder im Klos­ter Mar Saba oder im Spi­tal zu Je­ru­sa­lem, son­dern hier in mei­ner Va­ter­stadt, hier im Tür­ken­vier­tel,


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