Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Kon­se­quen­zen sol­len mei­nen jet­zi­gen Schrit­ten erst fol­gen. Nach­dem ich den Spi­ri­tus der Zei­ten ein­ge­schlürft hat­te, be­kam ich häu­fig An­fäl­le von kör­per­li­chem Schwin­del und litt an hef­ti­gen Kopf­schmer­zen und Au­gen­schmer­zen. Der Vet­ter Was­ser­tre­ter hät­te mich frei­lich am liebs­ten an der Ket­te be­hal­ten; er sah nicht ein, wes­halb an­de­re Leu­te es bes­ser ha­ben soll­ten als er, und be­haup­te­te, nach zwan­zig Jah­ren wer­de ich mich eben­so wohl in Nip­pen­burg füh­len wie er. Nur der Frau Klau­di­ne ge­lang es, mir end­lich die Frei­heit zu er­wir­ken, aber sei­ne Vor­mund­schaft hat der Vet­ter bis zum letz­ten Au­gen­blick fest­ge­hal­ten. Er schrieb ge­heim­nis­vol­le Brie­fe, be­kam ge­heim­nis­vol­le Ant­wor­ten auf die­sel­ben, und ei­nes Ta­ges führ­te er mich sehr miss­ge­launt per­sön­lich hier­her, um mich gu­ten Hän­den, das heißt ei­nem al­ten Uni­ver­si­täts­freun­de, dem Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger, zu über­lie­fern. Der alte Bursch quält sich un­end­lich mit der Ab­fas­sung ei­ner kop­ti­schen Gram­ma­tik; nun hel­fe ich ihm da­bei, und wir ver­tra­gen uns aus­ge­zeich­net. Wir pas­sen ganz zu­ein­an­der, und er ist der fes­ten Über­zeu­gung, das Schick­sal habe mich nur sei­net- und der Gram­ma­tik we­gen zu den Äthio­pen ge­schickt.«

      »Und Se­re­na?« frag­te die Ma­jo­rin.

      »Se­re­na ist ein lie­bes Kind, ein gu­tes Mäd­chen. Sie hält mich für den ers­ten Mär­chen­er­zäh­ler der Welt, und ich su­che mei­nen Ruf nach bes­ten Kräf­ten auf­recht­zu­er­hal­ten. Wenn sie sich nicht hin­ter mei­nem Rücken über mich lus­tig macht, so habe ich das Recht, sie für eine gar ernst­haf­te, ver­stän­di­ge klei­ne Per­son zu hal­ten. Hübsch ist sie.«

      »Und Täu­brich-Pa­scha?« frag­te Ni­ko­la von Glim­mern.

      »Täu­brich-Pa­scha ist mein Wand­nach­bar in der Kes­sel­stra­ße. Er ist der Fa­mu­lus des Pro­fes­sors, und in des­sen Hau­se ver­gönn­ten mir die Göt­ter das Glück sei­ner Be­kannt­schaft. Wir le­ben zu­sam­men und wir träu­men zu­sam­men; auch wir sind für­ein­an­der ge­schaf­fen, auch uns scheint das Fa­tum nicht ohne ge­nü­gen­de Grün­de aus so wei­ten Fer­nen ein­an­der ent­ge­gen­ge­führt zu ha­ben.«

      »Wenn es die Ab­sicht hat­te, da­durch Ihre äu­ße­re Er­schei­nung zu ver­bes­sern, so täusch­te es sich sehr in sei­nen Mit­teln«, sag­te Ni­ko­la; aber ernst füg­te sie hin­zu, in­dem sie sich er­hob: »Ich dan­ke Ih­nen aus vol­lem Her­zen, mein Freund; Ihre Wor­te heu­te ha­ben mir gar gut­ge­tan, und jetzt bit­te ich euch alle noch ein­mal, habt auch fer­ner­hin Ge­duld mit dem mür­ri­schen, lau­ni­schen Wei­be. Die Schrift re­det wei­ter, Herr Ha­ge­bu­cher: Und nach der Be­we­gung kam ein Feu­er, aber der Herr war nicht im Feu­er; und nach dem Feu­er kam ein stil­les, sanf­tes Sau­sen! – Auf das letz­te hoff ich, und nun lebt wohl für heu­te.«

      Ein Die­ner brach­te die Lam­pe, der Herr und die Frau des Hau­ses ge­lei­te­ten die Ex­zel­lenz vor die Tür, und Leon­hard hör­te ih­ren Wa­gen fort­rol­len. Als er sich nun gleich­falls emp­fahl, griff auch der Ma­jor nach der Müt­ze und be­glei­te­te ihn durch meh­re­re Gas­sen, wie ein Mann, der et­was auf dem Her­zen hat, ohne so recht zu wis­sen, auf wel­che Art er es am schick­lichs­ten von dem­sel­ben los­wer­de. An der Ecke der Kes­sel­stra­ße erst fass­te er nach ei­nem Knop­fe des Afri­ka­ners und sag­te:

      »Lie­ber Ha­ge­bu­cher, es ist mei­ne Ge­wohn­heit nicht, die Nase zu tief in an­de­rer Leu­te An­ge­le­gen­hei­ten zu ste­cken; al­lein ich kann nicht um­hin, Ih­nen jetzt eine Fra­ge vor­zu­le­gen, wel­che Sie mir recht ehr­lich be­ant­wor­ten müs­sen. Wie ste­hen Sie zu die­ser schö­nen Freun­din mei­ner Frau, wel­che vor ei­nem Jah­re als Ni­ko­la Ein­stein mit Ih­nen in Bums­dorf Krän­ze wand und heu­te noch als Baro­nin Glim­mern gern mit Ih­nen ne­ben der Kat­zen­müh­le Hüt­ten bau­en möch­te?«

      Der Haus­freund des Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger klopf­te dem Ma­jor lei­se auf den Arm:

      »Sie re­prä­sen­tier­te mir zu­erst die gan­ze Schön­heit ei­ner Welt, die mir ab­han­den ge­kom­men war un­ter der Herr­schaft mei­ner nicht an­ge­stamm­ten Her­rin Ma­dam Kul­la Gul­la zu Abu Tel­fan. Wie einen zu­sam­men­ge­ku­gel­ten Ka­li­ban roll­te das Ge­schick mich ihr in den Weg, und sie lehr­te mich zu­erst wie­der, auf­rech­ten Haup­tes die Son­ne zu be­trach­ten. Ich habe nie dar­an ge­dacht, sie in ir­gend­ei­ner Wei­se zu mei­nem stumpf­sin­ni­gen Elend her­ab­zu­zie­hen; in dem, was die Ge­sell­schaft ein Ver­hält­nis nennt, ste­he ich also nicht zu ihr.«

      »Sie neh­men mir einen Stein von der See­le!« rief der Ma­jor, kräf­tig dem Afri­ka­ner bei­de Hän­de schüt­telnd. »Ha­ge­bu­cher, Sie sind ganz mein Mann, und mor­gen füh­re ich Sie in un­sern Klub ein.«

      Leon­hard lach­te herz­lich, und so schie­den bei­de Her­ren im bes­ten Ein­ver­neh­men von­ein­an­der; als aber der Ma­jor zu Hau­se un­ter dem Sie­gel der tiefs­ten Ver­schwie­gen­heit das eben so schlau Aus­ge­forsch­te der Gat­tin mit­teil­te, frag­te ihn die Frau Emma mit noch viel ge­schei­te­rer Mie­ne, für was er sie ei­gent­lich hal­te und ob er wirk­lich glau­be, dass sie als Gat­tin, Haus­frau und Freun­din das nicht längst sich klar­ge­macht habe.

      »Ich ken­ne mei­ne Pf­lich­ten, Phil­ipp!« sprach sie.

      Der Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger be­wohn­te ein ei­ge­nes Haus, ei­ni­ge hun­dert Schrit­te vor dem Mar­stall­tor, und der Gar­ten des­sel­ben grenz­te an den fürst­li­chen Park, wel­cher letz­te­re aber kei­nes­wegs ein al­len Men­schen von ih­rem Schät­zer ge­wid­me­ter Be­lus­ti­gungs­ort war, son­dern von nicht we­ni­gen Schild­wa­chen vor al­lem zu­dring­li­chen Volk gut be­hü­tet wur­de und uns auch wei­ter nichts an­geht.

      Die Son­ne des Ok­t­obers flim­mer­te über den bun­ten Blät­tern des Gar­tens des Pro­fes­sors, und Se­re­na Rei­hen­schla­ger stand hübsch und zier­lich, ge­bückt lau­schend hin­ter ei­nem noch ziem­lich dicht be­laub­ten Busch und hielt einen ge­wun­de­nen Pfad, der zwi­schen an­derm Ge­büsch sich hin­zog, ver­stoh­len, aber ste­tig im Auge und im Ohr. Auf je­nem Wege schritt der Papa mit dem när­ri­schen Mann aus Afri­ka in eif­ri­ger Un­ter­hal­tung auf und ab, und Se­re­na hat­te seit ei­ni­ger Zeit an­ge­fan­gen, ein selt­sam ängst­li­ches In­ter­es­se an al­lem, was der när­ri­sche Mann sag­te oder tat, zu neh­men.

      Se­re­na Rei­hen­schla­ger war ein viel bes­se­res Mäd­chen, als einst ihre se­li­ge Mama war, da sie den Papa beim Kra­gen nahm und ihn zum Al­tar hin­lei­te­te. Se­re­na wuss­te zwar eben­so gut wie die se­li­ge Mama, dass der Papa ste­ter Beauf­sich­ti­gung be­dür­fe; aber sie ließ es ihn nicht so deut­lich mer­ken wie die Mama, son­dern lei­te­te und hielt ihn an ei­nem viel fei­nern Ban­de, ge­wo­ben so­zu­sa­gen aus Ma­ri­en­fä­den und mäd­chen­haft-schalk­haf­ter Über­re­dungs­kunst, auf dem rech­ten Wege. Das arme Kind hat­te aber auch einen schwe­ren Stand; denn ein recht ku­rio­ses Haus­we­sen mit al­len sei­nen Sor­gen und un­ge­heu­ren Verant­wort­lich­kei­ten lag al­lein auf ih­ren Schul­tern!

      Die Mama hat­te den Papa nicht in sei­ner Sün­den Mai­en­blü­te ge­hei­ra­tet, sie hat­te ihn als einen be­reits recht kahl­köp­fi­gen Ober­leh­rer aus dem wüs­ten, schlei­mi­gen Sumpf des Jung­ge­sel­len­tums auf­ge­zo­gen, aber sie hielt, was sie vor dem Al­tar ver­sprach, sie war sein Herr bis zu ih­rem Tode. Zehn lan­ge Jah­re


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