Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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nicht be­auf­tragt und kann Sie nur an den Herrn van der Mook selbst ver­wei­sen.«

      Auch sei­ne Schrit­te be­schleu­nig­te er nicht der Un­ge­duld des Afri­ka­ners ge­mäß. Im ru­hi­gen Marschtem­po führ­te er den Beglei­ter einen wei­ten Weg quer durch die Stadt bis zu den Tei­chen, von wel­chen aus die Re­si­denz in Feu­ers­ge­fahr mit dem nö­ti­gen Was­ser ver­se­hen wur­de. Hier in ei­ner ziem­lich un­an­ge­bau­ten und ver­ru­fe­nen Ge­gend stand zwi­schen halb ver­wüs­te­ten Gär­ten, Lehm­gru­ben, Schutt­hau­fen, Zim­mer­plät­zen das öde, kah­le, un­ge­tünch­te und un­be­mal­te Haus, in wel­chem der Ex­leut­nant der Straf­kom­pa­nie wohn­te; und nur ein Mann wie er konn­te hier sei­nen Auf­ent­halt nicht un­gern neh­men.

      Eine stei­le, neue, aber doch ge­brech­li­che Trep­pe führ­te der Bote des Herrn van der Mook sei­nen Beglei­ter hin­auf und riet ihm, sich links zu hal­ten; denn es feh­le der »Be­quem­lich­keit« rechts ein Ge­län­der und es sei be­reits ein jun­ges, un­vor­sich­ti­ges Mäd­chen hier zwei Stock­wer­ke tief hin­un­ter­ge­stürzt und habe das Rück­grat ge­bro­chen.

      Auf dem drit­ten Ab­satz sprach der Leut­nant Kind: »Hier!«, er­griff die Hand Ha­ge­bu­chers und lei­te­te ihn durch die tiefs­te Fins­ter­nis zu ei­ner Tür, wel­che er, ohne an­zu­klop­fen, öff­ne­te. Ein schlecht er­hell­tes Zim­mer, wel­ches in kei­nem Stücke sich mit dem Ge­samtein­dru­cke des Hau­ses in Wi­der­spruch setz­te, ei­ni­ge schlech­te Gerät­schaf­ten, ein ei­ser­nes Feld­bett, über wel­chem ein Of­fi­ziers­de­gen an der Wand hing! Auf dem Bet­te die Ge­stalt ei­nes Man­nes, der sich in sei­nen Klei­dern dar­auf hin­ge­wor­fen hat­te! Der Herr van der Mook!

      »Da sind Sie end­lich!« rief Leon­hard Ha­ge­bu­cher. »Ge­lobt sei­en alle Mäch­te, an wel­che Sie glau­ben!«

      Er beug­te sich nie­der, und der Lie­gen­de rich­te­te sich halb em­por und reich­te dem Man­ne aus dem Tu­mur­kie­lan­de eine hei­ße Hand zum kräf­ti­gen Druck.

      »Wie ein Mäd­chen nach dem Bräu­ti­gam so habe ich mich nach Ih­nen ge­sehnt, van der Mook. Jetzt habe ich Sie end­lich, und Sie sol­len mir dies­mal nicht so ent­ge­hen wie da­mals in Char­tum! Und Sie sind also doch ein Deut­scher?! Wahr­lich, es war nicht recht, erst ei­nem ar­men Teu­fel einen so großen Dienst zu leis­ten und sich so­dann schroff und grob wie je­der an­de­re Deus ex ma­chi­na von neu­em in die Wol­ke zu hül­len.«

      »Habe ich Ih­nen einen Dienst ge­leis­tet? Glau­ben Sie heu­te, in die­ser Stun­de wirk­lich noch, mir für mei­nen zu­fäl­li­gen Be­such der Hüt­ten von Abu Tel­fan dank­bar sein zu müs­sen?« frag­te Herr van der Mook mit ei­nem wil­den La­chen. »Ja, dann war es in der Tat un­recht, dass ich mir nicht als Er­lö­ser und Be­frei­er von Ih­nen die Hand küs­sen ließ; dann bit­te ich da­für de­mü­tigst um Ver­zei­hung und wer­de Ih­nen alle nur mög­li­che Ge­nug­tu­ung für mei­ne frü­he­ren Un­ter­las­sungs­sün­den ge­ben. So habe ich Ih­nen wirk­lich einen Ge­fal­len ge­tan, als ich Sie je­ner schwar­zen Hexe ab­kauf­te? So ha­ben Sie mich nicht seit­dem tau­send­mal in den tiefs­ten Ab­grund für mein zu­dring­li­ches Ein­grei­fen in Ihr Ge­schick ver­wünscht? Sie seg­ne­ten mich, wäh­rend ich mir häu­fig in stil­len Stun­den Ge­wis­sens­bis­se we­gen mei­ner Hand­lung mach­te; das ist wun­der­lich, sehr wun­der­lich, und ich könn­te fast Ih­nen nun mei­nen Glück­wunsch ab­stat­ten, wenn es mir nicht im­mer noch un­glaub­lich er­schie­ne.«

      Leon­hard Ha­ge­bu­cher hat­te einen Stuhl an das La­ger des so bit­ter re­den­den Man­nes ge­zo­gen und sag­te jetzt merk­wür­dig ru­hig:

      »Lie­ber Herr, als Sie mich zu Abu Tel­fan fan­den, lag ich als ein Blöd­sin­ni­ger auf Ihrem Wege. Da­mals brach­te Sie der Zu­fall zu mir, und mit dem letz­ten Hauch mei­ner Kräf­te rief ich Sie an, als Sie über mich weg­tra­ten. Durch Ihre Hil­fe wur­de ich ge­ret­tet und habe, mit großer Mühe frei­lich, die Bruch­stücke mei­ner eu­ro­päi­schen Exis­tenz wie­der an­ein­an­der­ge­kit­tet; was ist das nun heu­te? Ha­ben wir die Rol­len jetzt voll­stän­dig ge­tauscht? Es ist kein Zu­fall mehr, was uns in die­sem Au­gen­blick aber­mals zu­sam­men­führt; Sie sind krank und ru­fen mich, wie ich Sie da­mals rief. Las­sen wir also alle wei­tern Er­ör­te­run­gen des Ver­gan­ge­nen: hier bin ich, Mann, was soll ich für Sie tun? Was kann ich tun, um Sie aus Ihren Ket­ten zu be­frei­en? Sie ver­leug­ne­ten mir frü­her Ihre Na­tio­na­li­tät; wer­fen Sie jetzt alle Ver­klei­dun­gen weg; wir wol­len ein­an­der klar in die Au­gen se­hen, und ich den­ke, wir ha­ben bei­de eine Schu­le hin­ter uns, wel­che uns vor al­ler Ver­ir­rung in die Phra­se schützt.«

      »Ei, ei, Ka­me­rad, wie be­son­nen!« rief der Herr van der Mook, sich jetzt ganz von sei­nem La­ger er­he­bend. »Aber Sie wis­sen doch nicht, wie sehr Sie recht ha­ben. Ge­ben Sie mir noch ein­mal Ihre Hand; da, ich grü­ße Sie herz­lich, und da­heim im Tu­mur­kie­lan­de wird al­les wohl sein, und die al­ten Freun­de und Be­kann­ten wer­den in al­ter Lie­be Ih­rer ge­den­ken. Nun, viel­leicht fin­det sich doch noch eine Zeit für die­se ge­müt­li­chen Erin­ne­run­gen; jetzt aber, ohne Phra­se, wie Sie treff­lich be­mer­ken, o Leon­hard Ha­ge­bu­cher, ich habe Sie nö­tig, und des­halb rief ich Sie. Sie sol­len er­fah­ren, wer ich bin und wer ich war; aber es ge­hört mehr dazu, als Sie sich au­gen­blick­lich träu­men las­sen. Re­den Sie jetzt, Leut­nant.«

      Der Leut­nant Kind hat­te bis zu die­sem Mo­ment mit un­ter­ge­schla­ge­nen Ar­men am Ti­sche ge­lehnt und nicht durch eine ein­zi­ge Be­we­gung oder Mus­kel­zu­ckung an­ge­deu­tet, dass das Ge­spräch zwi­schen den bei­den an­de­ren Män­nern auch für ihn einen Sinn habe. Nun schüt­tel­te er sich ein we­nig und sprach ge­gen die Wand oder viel­mehr, als ob er sei­ne Er­zäh­lung an den De­gen über dem ei­ser­nen Feld­bett rich­te.

      »Um von mir an­zu­fan­gen, Herr Ha­ge­bu­cher, so bin ich ge­wöhn­li­cher Leu­te Kind aus ei­nem Klein­bür­ger­hau­se in hie­si­ger Stadt und habe kei­ne ge­lehr­te oder auch nur aus­rei­chen­de Er­zie­hung ge­nos­sen. Ich bin ein Frie­dens­sol­dat ge­we­sen und habe nur ein­mal in mei­nem Le­ben Feu­er im Ernst kom­man­diert. Fürs Mi­li­tär­we­sen hat­te ich eine Vor­lie­be, weil es ein pünkt­li­cher und or­dent­li­cher Stand ist und man sich drin rein­lich und nach der Uhr hal­ten muss und weil es kei­nen an­de­ren Stand gibt, in wel­chem man sei­ne Pf­licht und Schul­dig­keit so weit und klar vor­aus­kennt. Bin also Sol­dat ge­wor­den nach mei­ner Na­tur, und wenn ich kein klu­ger und ge­lehr­ter Mann war, so konn­te ich doch le­sen, schrei­ben, rech­nen und nach den Kriegs­ar­ti­keln still­ste­hen oder mar­schie­ren; da­mit brach­te ich es im Ver­lau­fe der Zeit und, wie ge­sagt, durch an­ge­bo­re­ne Or­dent­lich­keit, Pünkt­lich­keit und Adret­tité zum Feld­we­bel. Da­für pass­te ich, und wei­ter ist mein Wunsch nicht ge­flo­gen. Als Feld­we­bel nahm ich eine Frau und weiß heu­te noch nicht, wie ich dazu kam, einen an­de­ren Men­schen so lieb­zu­ha­ben, denn im Grun­de bin ich lei­der Got­tes ein har­ter Mann, das weiß ich, und habe we­nig Freu­de am Le­ben, und das ist auch mei­ne Na­tur. Ich lieb­te aber mein Weib, wie mir selbst zum Trotz, und sie muss­te es wohl zu­letzt mer­ken, wie lieb sie mir war, ob­gleich es si­cher schwer zu mer­ken ge­we­sen ist; sie war eine gute Frau, wie die meis­ten, wel­che man an­stän­dig be­han­delt. Jetzt ist sie tot, und mein Kind ist auch tot; ich aber weiß nicht, ob das mir recht ist oder ob es mir doch noch das Herz ab­fres­sen wird. Ich habe mich we­nigs­tens auf das letz­te­re mit bes­ter Fas­son ein­ge­rich­tet, und so mag es kom­men, wie es will. Mein Kind hat­te ich auch lieb, und als es noch ganz klein war und auf mei­nem Schoß saß, da hab ich auch wohl Stun­den ge­habt, in


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