Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ist furcht­bar, furcht­bar!« rief Leon­hard tief er­schüt­tert. »Aber noch schlim­mer fast ist der Ton, in wel­chem Sie das al­les er­zäh­len!«

      »O nein«, sag­te der Leut­nant kopf­schüt­telnd, »der Ton ist ganz rich­tig; wo soll ich einen an­de­ren dazu her­krie­gen? Auch das Schlimms­te kommt ei­gent­lich noch nach. Der Adolf war tot, so tot, wie es ihm nur sein ärgs­ter Feind oder sein bes­ter Freund wün­schen moch­te; den Herrn von Glim­mern aber hub man wie­der auf vom Bo­den, und es fand sich, dass ihn eine Wen­dung des Kör­pers oder die Ver­gol­dung der Uni­form oder sonst so et­was bes­ser vor ei­nem sol­chen Mor­d­an­fall und vor­zei­ti­gen Ende ge­schützt hat­te als sein Ge­wis­sen, sein Herz und sei­ne Ehre. Na­tür­lich wur­de ein Ge­richt über die Sa­che zu­sam­men­be­ru­fen und –«

      »Las­sen Sie mir jetzt die Fort­set­zung und was sonst noch zu sa­gen und zu er­klä­ren sein wird«, sprach der Herr van der Mook und wen­de­te sich von sei­nem La­ger an Leon­hard Ha­ge­bu­cher: »Ich bin sehr be­tei­ligt, und mein Va­ter ist als Rechts­bei­stand zu­ge­zo­gen wor­den.«

      Der Afri­ka­ner griff mit be­ben­der Hand nach der Leh­ne sei­nes Stuh­les:

      »O Frau Klau­di­ne!«

      Der wil­de Jä­ger, der, um Af­fen und jun­ge Meer­kat­zen ein­zu­han­deln, nach Abu Tel­fan ge­kom­men war und sich da­mals Kor­ne­li­us van der Mook nann­te, saß jetzt auf­recht auf dem Feld­bett des Leut­nants Kind, rieb sich die Stir­ne, kratz­te sich hin­ter den Ohren, fuhr durch das wir­re Haar und sag­te, wäh­rend Leon­hard Ha­ge­bu­cher ihn nicht mit den zärt­lichs­ten Ge­füh­len an­starr­te:

      »Es wür­de ver­geb­lich sein, es län­ger ab­zu­leug­nen; ja, Com­pa­gno, ich bin der Sohn je­ner al­ten Dame, wel­che Sie eben nann­ten, ich bin der Sohn des Rats Feh­ley­sen, wel­cher mit über den Leut­nant zu Ge­richt saß. Bleibt ru­hig, Kind, Ihr habt mich ge­ru­fen, und hier bin ich, nun habt Ihr mich aber auch zu neh­men, wie ich bin – et­was in­sal­va­ti­ca­to, wie wir es in der Lin­gua fran­ca nen­nen; et­was ver­wald­menscht, he, Ha­ge­bu­cher? Nun, Herr Leon­hard, wie er­schei­ne ich Euch? Das ist ein Auf­stei­gen aus dem Bo­den, be­hängt mit Wur­zeln und Erd­klö­ßen, mit Moos und ver­mo­dern­den Blät­tern? Wür­de es nicht bes­ser sein, wenn wir den Kopf wie­der zu­rück­zö­gen und von neu­em in die Tie­fe ver­sän­ken? Noch steht es bei Euch, in die­ser Nacht schon kann die Bes­tie ver­schwin­den, wie sie kam: – was ist Ihre Mei­nung, Freund Ha­ge­bu­cher?«

      Leon­hard nag­te kurz at­mend an der Ober­lip­pe: Das also war die Hoff­nung der Frau Klau­di­ne? Also da­von san­gen die Trop­fen an dem stil­len Mühl­ra­de in dem zau­ber­haf­ten Wald­frie­den? Wie tückisch-falsch, wie ver­lo­gen, ver­lo­gen! – Der Afri­ka­ner sah den Wald um die Müh­le, wie er ihn so oft ge­se­hen hat­te in zwei Früh­lin­gen und Som­mern, er sah die wil­den Ro­sen den ed­le­ren Ge­schwis­tern über den Zaun des klei­nen Gar­tens die Hän­de rei­chen, er hör­te die Dros­sel und den Vo­gel Fink fern im Ge­büsch und sah das fei­ne Haupt der Grei­sin an dem nie­dern Fens­ter. Er blick­te tief in das ru­hi­ge Herz der Mut­ter und ver­nahm sei­nen lei­sen Schlag: er lebt und wird wie­der­kom­men, und dann erst ist al­les gut, und dann erst sind der wah­re Frie­de und die wah­re Schön­heit zu­rück­ge­kehrt!… Ver­dammt, da qualm­te die Lam­pe des Leut­nants Kind auf dem lee­ren Ti­sche und stell­te die Welt in das rech­te Licht, hier grins­te die Wahr­heit von den kah­len Wän­den, und die schwar­ze Win­ter­nacht, die in das Fens­ter sah, die log nicht, und der De­gen des Leut­nants über dem zer­wühl­ten Bett log auch nicht. Ein Trop­fen Blut zog sich lang­sam an der Klin­ge ab­wärts und hing an der Spit­ze, dicht hin­ter dem Haup­te des Soh­nes der Frau Klau­di­ne, und Leon­hard Ha­ge­bu­cher sah auf die Klin­ge, sah auf den Leut­nant und sah auf den Herrn van der Mook und sprach:

      »Herr von Feh­ley­sen, ich habe in Abu Tel­fan we­nig Ge­le­gen­heit ge­habt, die al­ten eu­ro­päi­schen, ge­sell­schaft­li­chen Lü­gen­haf­tig­kei­ten zu üben und aus­zu­bil­den, und so sage ich Ih­nen, wenn ich die Macht hät­te, so wür­de ich Ih­nen auf al­len We­gen, die zu Ih­rer Mut­ter füh­ren, ent­ge­gen­tre­ten, ehe Sie Ihr vol­les Recht an jene hei­li­ge Stel­le mir klar und deut­lich be­wie­sen hät­ten. Ich bin Ih­nen un­end­li­chen Dank schul­dig, aber Ihre Mut­ter tat doch noch ein Grö­ße­res an mir, und ich will sie in ih­rem Frie­den schüt­zen, so­lan­ge ich kann. Vik­tor, wo ist Ihr Recht an Ihre Mut­ter? Wo ist nach so lan­gen Jah­ren der Ab­we­sen­heit Ihr Ge­leits­brief zu ihr? Sie ha­ben eine Fra­ge an mich ge­stellt, wel­che ich nur be­ant­wor­ten kann, wenn ich die Ge­schich­te Ihres Le­bens ganz ken­ne. Re­den Sie also, und ich wer­de Ih­nen sa­gen, was Sie zu tun und was Sie zu las­sen ha­ben.«

      »Hört Ihr es, Leut­nant!« rief der Herr van der Mook. »Der dort ist sei­ner Sa­che nicht so ge­wiss als Ihr, und da er doch mehr als wir über den Par­tei­en steht, so wol­len wir auf sei­ne Stim­me im Rate hö­ren und den Be­sen nicht ohne sei­nen Kon­sens aus der Ecke ho­len.«

      »Wir ha­ben ihn dazu ge­ru­fen«, sprach der Leut­nant Kind mür­risch, »er­zäh­len Sie ihm das Nö­ti­ge, und las­sen Sie uns wei­ter­ge­hen.«

      »Hö­ret und er­götzt Euch, Don Leo­nar­do«, rief Vik­tor von Feh­ley­sen. »Mei­ne Mut­ter kennt Ihr, mein Va­ter war ein Mann der rö­mi­schen vir­tus, und was ich bin, das will ich Euch jetzt klarzu­ma­chen su­chen. Re­den wir aber zu­erst von den To­ten! Mein Va­ter war ein stren­ger Mann der Ar­beit, der pein­lichs­ten Recht­lich­keit, ein Hy­po­chon­der der Pf­licht­er­fül­lung, und bis auf sei­ne Hand­schrift war al­les an ihm fest und stark. In Athen wür­de ihn das Scher­ben­ge­richt in die Ver­ban­nung ge­schickt ha­ben; in Rom hät­te ihm der Im­pe­ra­tor durch den Zen­tu­rio­nen die Wahl der To­des­art frei­stel­len las­sen; hier­zu­lan­de zuck­te man die Ach­seln über ihn, und als man ihn glück­lich aus der Luft ge­lä­chelt hat­te, da wa­ren Tau­sen­de, wel­che ihn mit Ver­gnü­gen einen Ha­lun­ken nann­ten, ohne ihn zu ken­nen; und Hun­der­te, wel­che ihn kann­ten, glaub­ten sehr mil­de zu sein, wenn sie ihn einen Nar­ren hie­ßen. Aus mei­nen frü­he­s­ten Kin­der­jah­ren habe ich eine Erin­ne­rung an nächt­li­che Schrit­te, die das Ge­mach ne­ben mei­ner Kam­mer durch­ma­ßen von Mit­ter­nacht bis zu der Mor­gen­däm­me­rung; da ging mein Va­ter, wel­chen sei­ne hohe, erns­te Le­bens­göt­tin, die sehr wohl­ge­bo­re­ne Dame Ge­rech­tig­keit, nicht schla­fen ließ, wel­chem die Ar­beit des Ta­ges zu sei­nem La­ger folg­te, um ihn im­mer von neu­em von dem­sel­ben auf­zu­ja­gen. Am Tage saß er in Ei­sen ge­rüs­tet zu Ge­richt, und sei­ne Starr­heit ge­hör­te zu ihm wie der Pan­zer zum Kriegs­mann. Na­tür­lich mach­te er sich nach den ver­schie­dens­ten Sei­ten hin miss­lie­big, und das schlimms­te für ihn ist ge­we­sen, dass er längst über sei­nen klei­nen Staat hin­aus­ge­wach­sen war und sei­ne An­sich­ten nicht ver­hehl­te. Er hat­te sich als Ab­ge­ord­ne­ter sehr ver­hasst ge­macht, aber so recht in­di­vi­du­ell wur­de der Hass erst nach je­ner Kriegs­ge­richts­sit­zung, von wel­cher der Leut­nant so­eben Be­richt gab. In der­sel­ben und in­fol­ge der­sel­ben zer­fiel er gänz­lich mit ei­ner ge­wis­sen Par­tei, wel­che von die­sem Au­gen­blick kein Mit­tel scheu­te, ihm über­all die Wur­zeln ab­zu­gra­ben. Krän­kun­gen, Zu­rück­set­zun­gen, Ver­leum­dun­gen folg­ten ein­an­der in un­un­ter­bro­che­ner Rei­he; man be­nütz­te eine lang­wie­ri­ge Krank­heit, in wel­che er ver­fiel, um wäh­rend der­sel­ben ihn über­all zu ver­drän­gen, so­gar aus dem Ver­trau­en sei­ner ei­gens­ten Ge­sin­nungs­ge­nos­sen,


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