Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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zu­erst den Na­men sei­ner Mut­ter ver­nom­men und wie er ihre Be­kannt­schaft ge­macht habe, und gern be­rich­te­te Leon­hard, wie es von ihm ver­langt wur­de. Er such­te den reu­ig-zor­ni­gen Sohn, den wil­den Schwäch­ling zu be­ru­hi­gen und ihn in je­der Wei­se bes­ser auf die­ses selt­sam-trau­ri­ge Wie­der­se­hen vor­zu­be­rei­ten; aber der Herr van der Mook war ein zu aus­ge­lern­ter Selbst­pei­ni­ger, um sich so schnell zu ge­ben. Als der Wa­gen sich sei­nem Zie­le nä­her­te, sank er je­doch voll­stän­dig in sich zu­sam­men, und nie hat­te die Ma­dam Kul­la Gul­la ih­ren Ge­fan­ge­nen so weich und ge­bro­chen un­ter ih­ren Hän­den ge­spürt, als jetzt Leon­hard den Tier­händ­ler in den sei­ni­gen fühl­te. Es war ein furcht­ba­rer Pas­si­ons­weg für den Sohn der Frau Klau­di­ne, und er tat Buße nach sei­ner Art auf jeg­li­cher Sta­ti­on des­sel­ben.

      Sie er­reich­ten die Stel­le, an wel­cher Vik­tor die Mut­ter in je­nem Schnee­sturm ver­ließ, um die Hil­fe des Vet­ters Was­ser­tre­ter und sei­ner Myr­mi­do­nen an­zu­ru­fen. Sie lie­ßen auch heu­te hal­ten und stie­gen aus dem Wa­gen, wel­chen sie jetzt zu­rück­sen­de­ten. Fie­ber­schau­ernd stand der Herr van der Mook auf der Land­stra­ße und hielt den Arm sei­nes Beglei­ters oder viel­mehr Füh­rers wie ein Kind die Schür­ze der Mut­ter. Zer­ris­se­nes Ge­wölk hing in den Wip­feln der Bäu­me, schwe­re, dunkle Mas­sen des Re­gen­ne­bels wälz­ten sich lang­sam an den Ber­gleh­nen hin, es träu­fel­te aus den Zwei­gen, und es war still und öde rings­um­her.

      Ge­gen vier Uhr am Nach­mit­tag er­reich­ten die bei­den Wan­de­rer den schon ge­schil­der­ten Ein­gang in das klei­ne Sei­ten­tal, in wel­chem die Kat­zen­müh­le lag. In dem Wal­de selbst herrsch­te be­reits hal­be Däm­me­rung –

       »Bist du be­reit?

       Nicht Sch­lös­ser sind, nicht Rie­gel weg­zu­schie­ben!«

      Sie stan­den vor der Müh­le, stan­den und starr­ten, und ihre Her­zen schlu­gen wie in kei­ner Ge­fahr ih­res aben­teu­er­li­chen, ge­fah­ren­rei­chen Le­bens.

      Ach, wie sehr ge­hör­te das fri­sche­s­te Grün des Jah­res dazu, um eine sol­che Stel­le dem Auge und der Fan­ta­sie lieb­lich zu ma­chen! Heu­te war der Zau­ber ge­bro­chen und der Schlei­er von den Din­gen ge­fal­len, das Mär­chen war zu Ende, und die Wirk­lich­keit dräng­te sich nackt und nüch­tern vor und schrie laut zu dem Her­zen und dem Ver­stan­de. Der Fel­sen droh­te kahl und kalt über dem zer­fal­len­den Da­che der Hüt­te; die Kat­zen­müh­le war nichts an­de­res als eine ge­spens­ti­sche, ver­wahr­los­te Rui­ne, und der dün­ne Rauch ih­res Schorn­steins stieg gleich der lei­sen Kla­ge ei­nes Bett­lers zum Him­mel em­por.

      Wo wa­ren die blin­ken­den, spie­len­den Trop­fen, die mit heim­li­chem Klang so süß die Stun­den ma­ßen und so viel von ei­ner se­li­gen er­fül­lungs­rei­chen Zu­kunft zu er­zäh­len wuss­ten? Ein trüber Strom schmut­zi­gen Was­sers er­goss sich über das schwar­ze, zer­bro­che­ne Rad, ver­sumpf­te den Weg und ver­wan­del­te das Ge­hölz auf eine wei­te Stre­cke in einen häss­li­chen Mo­rast. Auch das war wie Spott und Hohn.

      »Jetzt habt ihr un­ser wah­res, ech­tes Ge­sicht!« rief al­les in der Run­de. »Wa­ret ihr sol­che Nar­ren zu glau­ben, wir sei­en an­ders als ihr, so la­chen wir eu­rer und freu­en uns eu­rer Narr­heit: wir sind eben­so falsch und so häss­lich als ihr und tra­gen un­se­re Fei­er­ge­wän­der und un­se­re fei­nen Mie­nen wie ihr. Fort mit euch, zu­rück! Ihr eit­len, selbst­süch­ti­gen Ge­fühls­krä­mer, was wir auch sein mö­gen, wir sind gute Wäch­ter und wol­len euer Ein­drin­gen in un­sern Be­zirk nicht lei­den.«

      Ei­nen tie­fen Schau­der hat­te Leon­hard zu über­win­den, als er über die­sen has­ti­gen, spru­deln­den Bach, der jetzt sei­nen Weg kreuz­te, sprang. Der Herr van der Mook warf den Hut zu Bo­den und zer­biss die Lip­pen, dass sie blu­te­ten, wäh­rend Ha­ge­bu­cher an die Tür der Müh­le poch­te; er drück­te sich un­will­kür­lich ge­gen den Stamm der Ei­che, ne­ben wel­cher er stand, und mur­mel­te un­zu­sam­men­hän­gen­de Wor­te der schreck­lichs­ten Selb­st­an­kla­ge, und dann lach­te er, aber das war noch schreck­li­cher und fand kein Echo im Wal­de.

      Des Hun­des wohl­be­kann­te, raue, ehr­li­che Stim­me ant­wor­te­te zu­erst dem an­klop­fen­den Leon­hard; dann blick­te die Magd Chris­ti­ne vor­sich­tig durch das Fens­ter, zog aber schnell den Kopf zu­rück und kam ei­ligst, die Tür zu öff­nen und den un­er­war­te­ten Gast zu ih­rer Her­rin zu füh­ren.

      »O Herr Ha­ge­bu­cher, da sind Sie schon?! Ach, es tut uns so sehr leid, und mei­ne Ma­dam sitzt in tiefer Be­trüb­nis um Sie und die Mut­ter und Schwes­ter zu Bums­dorf!« rief sie, in­dem sie jetzt auch die Stu­ben­tür öff­ne­te. »Tre­ten Sie nur ein und neh­men Sie es sich nicht all­zu­sehr zu Her­zen. – Ma­dam, hier ist der Herr Leon­hard schon.«

      Und die Frau Klau­di­ne, wel­che be­reits, hor­chend auf den Tritt und die Stim­me des Na­hen­den, das schö­ne, alte Ge­sicht von der Ar­beit er­ho­ben hat­te, rich­te­te sich jetzt ganz aus ih­rem Ses­sel auf und streck­te dem Ein­tre­ten­den bei­de Hän­de ent­ge­gen:

      »Leon­hard, Leon­hard, sind Sie es denn wirk­lich? So schnell kann die Nach­richt des Un­glücks flie­gen? Gott trös­te Sie, mein Freund; – aber Sie kön­nen nicht von dem Dor­fe kom­men, das ist un­mög­lich – wie führt Sie Ihr Weg jetzt zur Müh­le?«

      Das war ein ei­gen­tüm­li­cher Gruß, und be­trof­fen such­te Leon­hard in den Mie­nen der Frau Klau­di­ne nach ei­ner nä­he­ren Er­klä­rung.

      »Noch lebt er, aber lei­der in großen Schmer­zen. Der Herr von Bums­dorf ritt erst vor ei­ner Stun­de zu mei­ner Hüt­te und rief mir die trau­ri­ge Bot­schaft ins Fens­ter, und nun tre­ten Sie, mein ar­mer Leon­hard, da so plötz­lich aus dem Wal­de – welch eine Un­ru­he, welch ein ängst­li­ches Drän­gen, o Gott!«

      »Was ist das?« stam­mel­te Ha­ge­bu­cher. »Wer ist so sehr krank? Was für eine Nach­richt hat der Herr von Bums­dorf ge­bracht?« Und die Frau Klau­di­ne trat zu­rück und rief:

      »Also hat nur der Zu­fall Sie heu­te hier­her­ge­führt, und Sie wis­sen nichts von dem, was in Ihrem el­ter­li­chen Hau­se vor­geht?«

      »Nichts, nichts!«

      »Das ist das Le­ben! Im­mer die al­ten, har­ten Hän­de am Web­stuhl! Ihr Va­ter ist seit ges­tern schwer er­krankt, Leon­hard; es ist kaum eine Hoff­nung, ihn zu er­hal­ten, und der Vet­ter Was­ser­tre­ter ist sehr be­trübt und auf­ge­regt und soll mei­nen, es sei sei­ne Schuld, dass die­ses Un­glück so plötz­lich her­ein­ge­bro­chen sei.«

      Ei­nen Au­gen­blick stand Leon­hard Ha­ge­bu­cher be­täubt, er­schüt­tert, fas­sungs­los, doch die­ses konn­te nicht dau­ern. Jetzt tra­fen zwei Strö­mun­gen in sei­ner Brust auf­ein­an­der, und dar­aus ent­stand we­nigs­tens für den Mo­ment die in­ner­lichs­te Klar­heit.

      Er beug­te sich nie­der, und als die Ma­dam Klau­di­ne ihn nun auf die Stirn küss­te, flüs­ter­te er:

      »Nicht der Zu­fall, ge­wiss nicht der Zu­fall! O Frau Klau­di­ne, ich kom­me nicht al­lein, son­dern brin­ge einen al­ten Be­kann­ten mit mir. Er steht vor der Tür, er kniet vor der Tür, Frau Klau­di­ne; ich aber wuss­te nicht, wie ich ihn ein­füh­ren soll­te, denn es er­for­dert ein star­kes, tap­fe­res Herz, die Be­geg­nung zu tra­gen. Ich brin­ge den Herrn van der Mook, mei­nen Be­frei­er aus der Ge­fan­gen­schaft; er aber kann­te be­reits den Weg zu die­ser Hüt­te. Sie


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