Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wohl in ih­nen! Ach, Ha­ge­bu­cher, den schlimms­ten Wi­der­sa­cher hat­te der Va­ter in sei­nem ei­ge­nen Hau­se – von frü­he­s­ter Ju­gend an war ich ein Re­bell ge­gen sei­nen Ernst und sei­ne Stren­ge und habe das Mei­ni­ge vollauf ge­tan, ihm das Le­ben zu ver­düs­tern, und die Mut­ter büß­te mit, was mein leich­tes Blut täg­lich ver­schul­de­te. Sol­dat wur­de ich na­tür­lich ge­gen den Wil­len des Al­ten; aber das nich­ti­ge We­sen pass­te in ei­ner an­de­ren Art grad­so­gut zu mei­nem Cha­rak­ter wie zu dem des Leut­nants dort. Wir wa­ren wie die Mücken an ei­nem war­men Som­mer­ta­ge, nur nicht so harm­los; ein gan­zer Schwarm Mäd­chen und Jung­ge­sel­len, um­tanz­ten wir den wil­den Prin­zen, und die Mäd­chen taug­ten fast noch we­ni­ger als wir. Sie ha­ben Ge­le­gen­heit ge­habt, Ha­ge­bu­cher, die schö­ne Frau von Glim­mern da­nach zu fra­gen, und sie wird Ih­nen die Ant­wort si­cher­lich nicht schul­dig ge­blie­ben sein. Ni­ko­la! Ni­ko­la! Ich sage Ih­nen, Don Leo­nar­do, es gibt kei­nen Na­men in der Welt au­ßer dem mei­ner Mut­ter, wel­cher mich grim­mi­ger würg­te. Ni­ko­la von Ein­stein! Leut­nant, Sie ha­ben doch recht, wir wol­len die Rech­nung ab­schlie­ßen und einen recht ro­ten Strich durch das De­bet des Herrn von Glim­mern zie­hen. Ha­la­li, alle Hun­de auf das Fell und alle Mes­ser in das Herz des Schuf­tes!… Bah, wie man sich im­mer von neu­em so un­nö­ti­ger­wei­se auf­regt. Sie war auch eine klin­gen­de Schel­le, die­se mei­ne schö­ne Ni­ko­la, Ha­ge­bu­cher, und ihre Er­zie­hung hat­te sie wahr­haf­tig zu nichts an­derm ma­chen kön­nen. Mei­ne arme, arme Ni­ko­la! Wir be­geg­ne­ten ein­an­der in dem Mück­en­tan­ze und nah­men un­ser Teil von die­ser Sei­fen­bla­senexis­tenz, wel­che man rund um uns her Le­ben nann­te. Wir gin­gen im iro­ni­schen Me­nuett­schritt um­ein­an­der her­um und scherz­ten fri­vol die schöns­ten Stun­den der Ju­gend hin­weg. Wir ver­tän­del­ten un­se­re bes­ten Ge­füh­le und schlu­gen all un­ser Gold in zwei kur­z­en Som­mern zu der al­ler­schlech­tes­ten Schei­de­mün­ze. So­gar über mei­ne Mut­ter lach­te ich und nann­te sie eine lie­be, gute Tö­rin, wenn sie das her­vor­kehr­te, was ich ihre ver­jähr­te Ta­schen­bü­cher­sen­ti­men­ta­li­tät nann­te. Mei­ne Mut­ter litt tau­send Schmer­zen um uns, kum­mer­voll sah sie auf das fri­vo­le Spiel; aber auch sie konn­te uns nicht vor uns sel­ber ret­ten. Sie wuss­te bes­ser als Ni­ko­la Ein­stein selbst, was Ni­ko­la Ein­stein wert sei, und nann­te sie ihr Kind, ihre lie­be Toch­ter. – O Fluch, Fluch! Heu­te noch klop­fe ich mich häu­fig mit der Fra­ge an die Stirn: Wes­halb reich­tet ihr euch nicht in ei­ner ver­nünf­ti­gen Mi­nu­te die Hän­de und spra­chet: Ge­nug der Al­bern­hei­ten! – ? – Es war so we­nig nö­tig, um uns bei­de zu an­stän­di­gen Men­schen zu ma­chen; ein Hauch, ein Blick, der Klang ei­ner Glo­cke an ei­nem stil­len Abend hät­te ge­nügt, um uns für alle Ewig­kei­ten zu­sam­men­zu­füh­ren; und nun – nun ist sie die Baro­nin Glim­mern, das Weib des fei­gen Mör­ders, des Be­trü­gers, und ich bin der ver­wil­der­te, stör­ri­ge Land­strei­cher, der Mann ohne Hei­mat, ohne Ehre, ohne Na­men, der tol­le Tier­händ­ler und Tier­bän­di­ger Kor­ne­li­us van der Mook; und ein al­tes Weib ist sie mit der Wei­le auch ge­wor­den, und das ist das bes­te von der Ge­schich­te, nicht wahr, Leut­nant, denn was soll­te aus uns wer­den, wenn der Zei­ger nicht rück­te auf dem Zif­fer­blatt?«

      »Si­cher rückt er, und wer Ge­duld hat und es er­lebt, wird die Stun­de für manch einen Wunsch und manch ein Ge­schäft schla­gen hö­ren«, murr­te der Alte; der Herr van der Mook aber er­griff den Afri­ka­ner an ei­nem Knop­fe, deu­te­te auf den Leut­nant der Straf­kom­pa­nie und rief:

      »Se­hen Sie, Ha­ge­bu­cher, das ist ein glück­li­cher Mensch! Wie er da steht und war­tet, wie er im rech­ten Mo­ment zu­schla­gen wird ohne Zau­dern und jeg­li­che Rüh­rung! Er be­grub sei­ne Kin­der und ge­dul­de­te sich, manch lie­bes, lan­ges Jahr be­wies er große Ge­duld; doch nun wird er zu­pa­cken – mit bei­den Hän­den, ohne Er­bar­men. Do­ris hieß die Klei­ne, wel­che mit dem Se­kre­tär mei­nes Va­ters ver­spro­chen war; es ist ein hüb­scher Name, Ha­ge­bu­cher, ein Schä­fer­na­me, und mein Freund Fried­rich von Glim­mern glaub­te sei­nen Schä­fer­ro­man ohne alle Ge­fahr oder, was ihm noch lie­ber ge­we­sen wäre, ohne al­les au­ßer­ge­wöhn­li­che Auf­se­hen spie­len zu kön­nen. Der Papa Kind saß zu Wal­len­burg und ritt sei­ne Tau­ge­nicht­se zu­sam­men, der arme Adolf stand hier in der Stadt in Reih und Glied, und man konn­te mit Recht er­war­ten, dass er sich ru­hig ver­hal­te. Do­ris lern­te die be­kann­te fei­ne Bil­dung, und der Herr von Glim­mern hät­te ihr mit Ver­gnü­gen al­len Vor­schub da­bei ge­leis­tet. Pfui Teu­fel, wie nüch­tern ist das Le­ben ge­wor­den! Das Mäd­chen war ehr­lich und der jun­ge Mensch, der al­ber­ne Schrei­ber, pa­rier­te nicht Or­der; aber auch die bei­den un­se­li­gen Tröp­fe gönn­ten ein­an­der nicht das rech­te Wort, son­dern dach­ten selbst­ver­ständ­lich das Schlech­tes­te von­ein­an­der, bis die Ka­ta­stro­phe im Ka­ser­nen­hof zu Wal­len­burg die Wahr­heit an den Tag brach­te. Ho, Leut­nant, viel­leicht wäre es doch kom­for­ta­bler für alle Par­tei­en ge­we­sen, wenn Ihr die­ser Wahr­heit frei­en Lauf ge­las­sen hät­tet; die Ohren aber klan­gen Euch eben­so­sehr wie das Herz. Na, ei­nem Bur­schen, wie Ihr seid, soll man sei­nen Weg las­sen, und wenn er sei­ne To­ten mit al­lem An­stand be­gräbt, ihm nicht da­zwi­schen­heu­len; er ver­scharrt sei­nen Grimm nicht mit in der Gru­be.«

      »Das tut er nicht«, sag­te der Leut­nant, »er weiß, was sich schickt, und ruft nicht die gan­ze Welt zu Hil­fe, um zu ver­rich­ten, was er mit Ge­duld, Ak­ku­ra­tes­se und gu­tem Wil­len al­lein be­sor­gen kann. Es ist so viel Ge­schrei un­ter den Men­schen, und wer’s ver­mag über sich, der soll sei­nen Gram mit kei­nem Ekel ver­men­gen. O wä­ren Sie, als das Dach über Ihrem Kop­fe ein­stürz­te, Herr von Feh­ley­sen, zu mir ge­kom­men, statt wie blind und toll in die wei­te Welt zu lau­fen, wir hät­ten Sie ge­wiss noch ge­ret­tet für ein recht er­träg­li­ches Da­sein.«

      »Vi­el­leicht… ja, viel­leicht!« mur­mel­te Vik­tor mit ei­nem Seuf­zer, fiel je­doch so­gleich wie­der in den al­ten Ton und rief mit La­chen: »Wir sind eben nicht alle aus dem­sel­ben son­der­ba­ren Me­tall ge­gos­sen wie Sie, tap­fe­rer Leut­nant; – jetzt las­sen Sie mich mei­ne Ge­schich­te zu Ende brin­gen, das wird dem Herrn Ha­ge­bu­cher mehr als al­les an­de­re be­wei­sen, wie sehr Ihre An­schau­ungs­wei­se vor­zu­zie­hen ist. Auf die Ka­ta­stro­phe zu Wal­len­burg folg­te bald die Ka­ta­stro­phe in mei­nes Va­ters Hau­se, und ich fand kei­ne Kraft in mir, wie ein Mann zu den­ken und zu han­deln; der Faust­schlag traf eine hoh­le Stirn, und da­mit ist al­les ge­sagt. Ich floh gleich ei­nem Feig­ling vor dem Ge­schrei der Men­schen, vor dem Ge­s­penst der ver­lo­re­nen Ehre, vor den Bli­cken und dem Ach­sel­zu­cken mei­ner Ka­me­ra­den, vor den Knöp­fen mei­ner Uni­form. Nicht der stol­ze, tote Va­ter, son­dern das, was die Leu­te über ihn, über uns sag­ten, jag­te mich hin­aus. Gleich ei­nem Wahn­sin­ni­gen riss ich die Mut­ter mit mir fort, aus ih­rem Hau­se, von der blu­ti­gen Lei­che des Gat­ten, hin­aus in die Win­ter­nacht, um sie auf der Land­stra­ße zu ver­las­sen. Es war ein kin­di­sches, tie­ri­sches Scheu­wer­den, eine Pa­nik, wie sie nur über die Schwa­chen im Geist kommt. Nie­mals rann­te ein Maulesel bei ei­ner Estam­pede tol­ler in die Prä­rie. Wo ich ru­hig, tap­fer und kalt wie Eis hät­te sein sol­len, da zer­split­ter­te das biss­chen Ver­stand und Über­le­gung in hun­dert Stück­chen, wie ein Spie­gel un­ter ei­nem Stein­wurf. Ich ver­ließ mei­ne Mut­ter und fing erst ei­ni­ge hun­dert Mei­len wei­ter süd­wärts an, so­weit es mög­lich war, zur Be­sin­nung zu kom­men. Eine schö­ne Be­sin­nung, die Be­sin­nung ei­nes Pa­vians, wel­cher die Peit­sche von sei­nem Wär­ter be­kam


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