Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ihm voll­stän­dig ge­wach­sen seid, und han­delt nicht wie ein bos­haf­ter Schul­kna­be, son­dern wie ein Mann, wel­cher sich sei­ner Pf­licht nach al­len Sei­ten hin be­wusst ist. Ihr wer­det die­se ver­nich­ten­de An­kla­ge ge­gen den Herrn von Glim­mern mor­gen noch nicht er­he­ben; mor­gen ge­hen wir zu der Frau Klau­di­ne, auch sie hat teil an je­nem Man­ne, und Ihr müsst ihr Wort hö­ren.«

      »Sie wird mich zu­rück­hal­ten wol­len«, mur­mel­te der Leut­nant. »Ich habe sie in der letz­ten Krank­heit mei­ner Toch­ter ken­nen­ge­lernt, sie ist zu gut und lebt nicht in der rich­ti­gen Welt. Ich kann es nicht präs­tie­ren, dass ich mir von ihr die Hän­de bin­den las­se, und sie wird’s ver­su­chen.«

      »Das soll und wird sie nicht, da­für ver­pfän­de ich Ih­nen mein Wort, Leut­nant Kind. Es ist nie­mand be­rech­tigt, den Ver­bre­cher sei­ner Stra­fe zu ent­zie­hen. Re­den Sie doch, Vik­tor Feh­ley­sen, nicht wahr, wir ge­hen mor­gen zu Ih­rer Mut­ter?«

      Der Tier­händ­ler nick­te tief seuf­zend; der Leut­nant Kind aber schritt ei­ni­ge Male durch das Zim­mer und blieb dann dicht vor Leon­hard Ha­ge­bu­cher ste­hen:

      »Ich habe lan­ge ge­nug ge­war­tet, Herr; aber Sie ge­fal­len mir, und so mag’s drum sein, Sie sol­len Ihren Wil­len ha­ben. Ich hör­te von Ih­rer His­to­rie und Ge­fan­gen­schaft, und das hat mir wohl ge­fal­len. Sie sind ein Mann ge­blie­ben in har­ter Drang­sal und al­lem Mal­heur; des­halb will ich Ih­nen auch jetzt trau­en; ich bin kein Un­mensch und kein Un­tier. Sie ha­ben mir eben in kur­z­en Wor­ten viel Wah­res ge­sagt; rei­sen Sie also mor­gen mit dem Herrn Vik­tor zu der gu­ten Frau in der Müh­le und sor­gen Sie gut für die arme Frau Ni­ko­la; aber be­hal­ten Sie mich ste­tig im Ge­dächt­nis, ich bin ein al­ter Mann und will kei­ne frem­den Hän­de über mei­ne ei­gens­ten Ge­schäf­te kom­men las­sen.«

      »Ich dan­ke Ih­nen, Leut­nant!« sprach Leon­hard und wen­de­te sich jetzt von neu­em zu dem Soh­ne der Frau Klau­di­ne; denn auch da war noch man­ches gute und man­ches har­te Wort zur Bän­di­gung und Be­stim­mung der wil­den See­le nö­tig; aber es ge­lang auch hier dem Afri­ka­ner, sei­nen Wil­len durch­zu­set­zen. Ge­gen Mit­ter­nacht hät­te er Sieg ru­fen kön­nen, wenn das eine Ge­le­gen­heit, Sieg zu ru­fen, ge­we­sen wäre; so nahm er nur be­täubt und er­schöpft Ab­schied und ging still sei­nen ein­sa­men Weg nach Hau­se. Er blieb aber nicht still; die win­ter­li­che Nacht­luft tat ihm gut, er ge­wann bald sei­ne Stim­mung wie­der, und es war eine ei­gen­tüm­li­che Stim­mung.

      Tra­gi­sche Din­ge hat­te er ver­nom­men, tra­gi­sche Ver­hält­nis­se ken­nen­ge­lernt, al­lein er fühl­te sich nicht nie­der­ge­drückt in sei­nem tap­fern Her­zen, und nach­dem die phy­si­sche Er­schöp­fung und Be­täu­bung et­was über­wun­den war, schlug er so­gar ganz hei­ter an sei­ne Brust und sag­te:

      »Brav, Ha­ge­bu­cher!«

      Und er hat­te recht. Den bei­den Ge­sel­len ge­gen­über, wel­che er so­eben ver­ließ, durf­te er es sich wohl aus­spre­chen, dass er trotz al­lem doch ein or­dent­li­cher Kerl ge­blie­ben sei, der sich sei­nes Da­seins we­der zu schä­men noch das­sel­be für ab­ge­schlos­sen zu hal­ten habe. We­der der Zorn noch das Mit­leid trüb­ten ihm so sehr den Blick, dass er dar­über in Ge­fahr kam, die Tra­mon­ta­na aus den Au­gen zu ver­lie­ren. Er konn­te sich das Zeug­nis aus­stel­len, dass er in der Stu­be des Leut­nants Kind merk­wür­dig ge­las­sen ge­blie­ben sei, und vor dem statt­li­chen Hau­se Sei­ner Ex­zel­lenz des Frei­herrn Fried­rich von Glim­mern gab er sich das Wort, auch in der Kat­zen­müh­le ru­hig zu blei­ben.

      Er stand ei­ni­ge Au­gen­bli­cke still vor der Woh­nung Ni­ko­las und blick­te em­por zu den dun­keln Fens­tern, in­dem er an das schwar­ze Brot auf dem Ti­sche der Frau Klau­di­ne dach­te. Das gab ihm eine wei­te­re Be­ru­hi­gung, und er mur­mel­te:

      »Lass sie es­sen und ge­ne­sen!«

      End­lich er­reich­te er sei­ne Woh­nung und fand den Pa­scha zwar im Bett, aber wach über sei­nen schöns­ten Träu­men, mit ei­ner lan­gen Pfei­fe im Mun­de und ein­gehüllt in Wol­ken des per­fi­des­ten Lau­se­wen­zels. Er wink­te ihm, sich nicht zu rüh­ren, setz­te sich auf den Rand sei­nes Bet­tes, be­trach­te­te ihn zärt­lich und sag­te:

      »O Täu­brich, wenn Sie wüss­ten, wie an­ge­nehm Sie an­zu­schau­en sind und wie kalt und wi­der­lich un­heim­lich es da drau­ßen in der Dun­kel­heit ist! Es geht ein kal­ter Wind in den Gas­sen, und Frat­zen und Ge­s­pens­ter al­ler Art ha­ben die Ober­hand; aber bei al­len Pal­men im Auf­gan­ge, Täu­brich, wir bei­de ha­ben doch den wah­ren Welt­ver­stand er­obert, und es soll die­sem al­ten Eu­ro­pa nicht leicht wer­den, ihn uns aus der Ta­sche zu spie­len. Blei­ben Sie ru­hig lie­gen, es tut mei­nen Au­gen gut, Sie zu be­trach­ten.«

      »Das war ja ein gräss­li­cher Kerl!« seufz­te der Schnei­der. »Ich sehe ihn noch im­mer dort auf dem Stuh­le. Ach, Sidi, ich dach­te es mir wohl, dass er Sie zu bö­sen Or­ten füh­ren wür­de. Kön­nen Sie mir nicht sa­gen, was er von Ih­nen woll­te?«

      »Jetzt nicht, Täu­brich – mor­gen, ein an­der­mal. Ich wer­de nun auch ins Bett krie­chen – rüh­ren Sie sich nicht, Täu­brich; denn der Spuk lau­ert vor der Tür. Gute Nacht, ich ver­rei­se mor­gen auf ei­ni­ge Tage.«

      Der Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de träum­te in die­ser Nacht nicht von dem Herrn Po­li­zei­di­rek­tor Bet­zen­dorff, er träum­te über­haupt nicht von ei­ner ihn sel­ber be­tref­fen­den Sa­che. Am fol­gen­den Mor­gen pack­te er ei­ni­ge Not­wen­dig­kei­ten in einen Rei­se­sack und schick­te den Pa­scha mit ei­ner kur­z­en schrift­li­chen No­tiz über sein Ver­schwin­den zum Pro­fes­sor Rei­hen­schla­ger.

      Der Pro­fes­sor emp­fing, öff­ne­te und las das Bil­let, schüt­tel­te den Kopf und mein­te, solch ein po­li­zei­li­ches Ein­grei­fen in ein wis­sen­schaft­lich-hu­ma­nes Un­ter­neh­men sei zwar nicht hübsch, son­dern so­gar sehr är­ger­lich und durch­aus nicht ge­eig­net, den ru­hi­gen Staats­an­ge­hö­ri­gen mit al­len be­ste­hen­den Ver­hält­nis­sen im Ein­klan­ge zu er­hal­ten; aber frei­wil­li­ges Exil tra­ge es im Grun­de doch nicht für den Be­trof­fe­nen aus. Er er­bat sich die Mei­nung der Toch­ter dar­über, und Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger be­haup­te­te, sie hal­te es nicht der Mühe wert, eine ei­ge­ne Mei­nung dar­über zu ha­ben, mit Ver­gnü­gen füge sie sich in die des Pa­pas.

      Leon­hard Ha­ge­bu­cher be­fand sich mit dem Herrn Kor­ne­li­us van der Mook auf dem Wege zur Kat­zen­müh­le. –

      Zu den Müt­tern! Es war in der See­le bei­der Män­ner et­was von je­nem Grau­en Fausts, als er zu je­nen an­de­ren Müt­tern, den ge­heim­nis­vol­len Schlüs­sel in der Hand tra­gend, nie­der­stieg. Der Tag war dun­kel und stür­misch, das war gut; denn we­der Leon­hard noch Vik­tor Feh­ley­sen hät­ten mit der hold­se­ligs­ten Wit­te­rung et­was an­zu­fan­gen ge­wusst. Sie fuh­ren des­sel­ben We­ges, auf wel­chem Vik­tor einst mit der Frau Klau­di­ne vor dem Schick­sal des vä­ter­li­chen Hau­ses floh. Erst die Post mit ih­rem wüs­ten, zäh­ne­klap­pern­den Ge­tüm­mel, dann die Land­stra­ße durch Wald und Feld und ver­reg­ne­te, schmut­zi­ge Dör­fer!… Knie­lah­me Gäu­le, ver­dros­se­ne Kut­scher, mür­ri­sche Schlag­baum­wäch­ter, die den nie­der­träch­tigs­ten Weg teu­er be­zahlt ha­ben woll­ten! Wald und Feld – berg­auf, bergab; welch ein Tag und welch ein Pfad, um zu dem schö­nen Wun­der in der Ein­sam­keit, um zu der Frau Klau­di­ne zu ge­lan­gen!

      Der


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