Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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vom Ende der Welt, von Nip­pen­burg und Bums­dorf, und hier sitzt man mit ei­ner Welt von Kom­pli­men­ten im Sack, wie ein jun­ges Mä­del, das auf einen Hei­rats­an­trag war­tet, und kann sie so­we­nig an den Mann brin­gen als je­nes, son­dern muss eben war­ten, bis es dem Herrn ge­fäl­lig ist nach­zu­fra­gen, wie das Be­fin­den ist. Hur­ra, mein Sohn, jetzt stür­ze dich mit ver­dop­pel­ter Schnel­lig­keit an mei­nen Bu­sen! Du bist als ein großer Mann, als ein un­ge­heu­rer Mensch, so­wohl was den Cha­rak­ter als was das Ta­lent an­be­langt, aus dem Hin­ter­stüb­chen des Vet­ters Was­ser­tre­ter her­vor­ge­gan­gen. Küs­se mich, mein Kind; noch eine sol­che Rede wie die gest­ri­ge, und sie wer­fen dich hier gra­de­so­gut vor die Tür wie der Alte in Bums­dorf! Aber der Schlüs­sel liegt noch im­mer un­ter dem Uhr­ge­häu­se, und ich brau­che wie­der nicht mehr zu sa­gen. O Leon­hard, Leon­hard, dass ich die­ses noch er­le­ben durf­te! Den al­ten Goe­the hab ich nur von hin­ten ge­se­hen, aber dich kann ich von hin­ten und vorn her­zen, was fast ein noch grö­ße­rer Ge­nuss ist. Ja, so muss­te er aus­se­hen, der Mann mit dem ver­nich­ten­den Blick, der be­ru­fen war, für einen Gul­den En­tree die Per­son, dem deut­schen Phi­lis­ter­tum den Kopf auf afri­ka­ni­sche Art zu wa­schen! O herr­je, das Volk hier in der Re­si­denz wird fürs ers­te si­cher nicht wie­der ver­lan­gen, dass du ihm spa­nisch kommst!«

      »Ja, Sie sind ein Sohn, der sei­nem Va­ter Freu­de macht!« sprach der Rit­ter, sei­ne Brief­ta­sche mit sie­ben­fäl­ti­gen Le­der­rie­men ver­knüp­fend und sie mit ei­nem Seuf­zer tief in sei­ne Brust­ta­sche ver­sen­kend. Erst nach­dem der Auss­pruch ge­tan war, er­in­ner­te er sich, dass auch Ha­ge­bu­cher se­ni­or sein Glück wohl zu tra­gen wis­se, blick­te et­was ver­le­gen den Red­ner von un­ten nach oben an und er­gänz­te sei­nen Stoß­seuf­zer durch ein be­deu­tungs­rei­ches »Ja so!«, wel­ches dem Vet­ter Was­ser­tre­ter zu ei­nem neu­en herz­er­fri­schen­den Ge­läch­ter ver­half. Mit gu­tem Ap­pe­tit ließ sich Leon­hard am Ti­sche nie­der und trug kau­end und schlür­fend den eben­falls mit un­ge­schwäch­ten Kräf­ten und mun­te­rer Be­hän­dig­keit von neu­em ans Werk ge­hen­den Al­ten die bes­ten Grü­ße an die Hei­mat – an den Bums­dor­fer Guts­hof, an Frau Klau­di­ne, an Mut­ter und Schwes­ter­chen und wo mög­lich auch an den Papa auf. Um halb zehn Uhr gab’s einen ge­rühr­ten Ab­schied; Sie­vers, der Va­sall, wel­cher in der Haupt­stadt an ei­nem fort­wäh­ren­den leich­ten Schwin­del zu lei­den schi­en, mel­de­te, die Post wer­de in ei­ner hal­b­en Stun­de ab­ge­hen; der Ober­kell­ner brach­te die Rech­nung und die Nach­richt, dass eine Drosch­ke vor der Tür hal­te. Man leer­te ein letz­tes Glas, wünsch­te da­bei ein­an­der al­les Gute und ver­pflich­te­te sich, zu je­der Zeit das Bes­te von­ein­an­der zu den­ken. Nip­pen­burg und Bums­dorf schick­ten auch noch dem Pro­fes­sor und des Pro­fes­sors Töch­ter­lein ihre schöns­ten Grü­ße, und der Dy­nast sprach die ge­die­ge­ne Ab­sicht aus, den­sel­ben in den al­ler­nächs­ten Ta­gen zwei merk­wür­dig schö­ne und in be­treff der Tri­chi­nen über je­den Ver­dacht er­ha­be­ne Schin­ken so­wie einen gleich­falls ga­ran­tier­ten Korb voll fri­scher Würs­te fol­gen zu las­sen. Nach­dem nun noch Leon­hard recht un­nö­ti­ger­wei­se sei­ne Ver­wun­de­rung dar­über aus­ge­spro­chen hat­te, dass der Leut­nant nicht auch er­schei­ne, um dem Er­zeu­ger Le­be­wohl zu sa­gen, und nach­dem der land­be­bau­en­de Greis sei­ne Mei­nung ener­gisch da­hin ver­öf­fent­licht hat­te, ihm lie­ge nicht das ge­rings­te an dem Sch­lin­gel!, fuhr man ab, das heißt, Leon­hard sah von der Pfor­te des Wirts­hau­ses aus die bei­den Al­ten und den Va­sal­len ab­fah­ren und blick­te ih­nen ernst bis zur nächs­ten Ecke nach. In dem Au­gen­bli­cke, wo der Va­sall vom Bock zum letz­ten­mal mit dem Hute wink­te, fühl­te der Afri­ka­ner einen Schlag auf der Schul­ter und ver­nahm dicht ne­ben sich den ver­gnüg­ten Ruf:

      »Da fah­ren sie hin! Fort ist er! Hur­ra! Bums­dorf und Nip­pen­burg für im­mer!«

      Der Herr Leut­nant Hugo von Bums­dorf hat­te, im Bil­lard­zim­mer des Ho­tels ver­bor­gen, sei­nen kind­li­chen Ge­füh­len al­len mög­li­chen Zwang an­ge­tan; aber län­ger hat­te er’s nicht ge­tra­gen. Da stand er jetzt und ließ den schöns­ten, in­nigs­ten, zar­tes­ten Re­gun­gen sei­ner See­le frei­es­tes Spiel.

      »Ich sage Ih­nen, Ha­ge­bu­cher, das war ges­tern ein hei­ßer Tag für uns alle bei­de, und wenn er Ih­nen so schwer wie mir in den Kno­chen liegt, so wer­den Sie heu­te früh zu Bett ge­hen und Ihrem Schutz­pa­tron ein recht an­stän­di­ges Wachs­licht ver­spre­chen, wenn er Sie ru­hig die De­cke über den Kopf zie­hen lässt. Ich hat­te mich auf man­ches ein­ge­rich­tet und mich für al­ler­lei klei­ne Ver­drieß­lich­kei­ten mit dem nö­ti­gen Stoi­zis­mus ge­wapp­net; aber, soll­ten Sie es glau­ben, schon der zwei­te Jude war die­sem ent­ar­te­ten Grei­se zu viel, der drit­te mach­te ihn voll­kom­men ra­bi­at, und als nun gar im Lau­fe der Un­ter­hal­tung die Rede auf den ar­men Ro­land kam – Sie ken­nen das vor­treff­li­che Vieh und wis­sen Blut und Zucht zu schät­zen, Ha­ge­bu­cher – da – o Ha­ge­bu­cher, ein letz­ter schö­ner Rest kind­li­cher Pie­tät ver­bie­tet mir das Wort, schwei­gen wir! Las­sen wir still den Man­tel über den Papa Noah fal­len, und ge­nie­ßen wir hei­ter und un­be­fan­gen un­se­re Ju­gend; denn sie­he, es wird auch für uns die Zeit kom­men, da wir von Bums­dorf her­zie­hen wer­den, um die Schul­den un­se­rer Söh­ne zu be­zah­len.«

      »Die letz­te­re Vor­stel­lung soll­te einen jun­gen Ge­sel­len wie Sie frei­lich rei­zen, die Ge­gen­wart nach Mög­lich­keit zu ge­nie­ßen«, rief Leon­hard la­chend. »Ei­nem al­ten Kna­ben gleich mir wird ein sol­cher Ge­dan­ke we­der am gu­ten noch am bö­sen Tage hin­der­lich oder för­der­lich wer­den.«

      Er är­ger­te sich aber doch ein we­nig, als der Leut­nant treu­her­zig sprach:

      »Da ha­ben Sie recht, Ha­ge­bu­cher.«

      Sie hat­ten bei­de Arm in Arm den Tor­weg des Ho­tel de Prus­se ver­las­sen und schrit­ten ver­trau­lich ne­ben­ein­an­der durch die Stra­ßen. Jetzt aber zog plötz­lich Herr Hugo von Bums­dorf sei­nen Arm aus dem des Afri­ka­ners und sag­te:

      »Wis­sen Sie, Ha­ge­bu­cher, wenn mir die­se bun­te Ja­cke nicht längst zum Ekel ge­wor­den wäre und wenn es mir ir­gend dar­auf an­käme, Kar­rie­re zu ma­chen und im vier­zigs­ten Jah­re Haupt­mann zwei­ter Klas­se zu wer­den, so wür­de ich mich ganz ge­hor­samst hü­ten, mit Ih­nen hier so bras des­sus, bras des­sous am hel­len Mit­tag vor den Au­gen der Haupt­stadt zu wan­deln. Ha­ben Sie eben den Blick des Ge­hei­men Kriegs­rats Ca­ni­ni be­merkt? Nicht?! Nun, umso bes­ser für die Ruhe Ih­rer ar­men See­le. Ich sage Ih­nen, der Mann gilt et­was, Sie aber gel­ten nichts; im Ge­gen­teil, seit dem vo­ri­gen Abend gibt es kei­nen zwei­ten Men­schen, der so tief in der Ach­tung und Nei­gung der di­ri­gie­ren­den Krei­se steht wie Sie. Bes­ter Freund, wenn der Staat ein­mal an­fängt, Prä­mi­en für das Aus­plau­dern der Wahr­heit aus­zu­set­zen, dann wol­len wir Sie wie­der­ru­fen; aber bis da­hin fär­ben Sie sich ge­fäl­ligst sel­ber schwarz und ver­zie­hen Sie sich ru­hig wie­der in das hei­ßes­te Afri­ka; Sie wer­den dort un­be­dingt küh­ler sit­zen als hier bei uns. Fra­gen Sie nur mei­ne arme Cou­si­ne Ni­ko­la; die hat auch ge­meint, es sei eine Klei­nig­keit und je­des Men­schen an­ge­bo­re­nes Recht, ein ver­gnüg­ter, fri­scher und ehr­li­cher Kerl zu blei­ben; aber man hat sie nach Ge­bühr mit der Rute in die Ecke zu­rück­ge­fegt, und sie sitzt jetzt still ge­nug in die­ser Ecke. Was se­hen Sie mich an? Na, mein Gu­tes­ter, ein Un­ter­leut­nant, wel­chem vom Papa der Kopf ge­wa­schen wur­de wie mir, ist zu je­der phi­lo­so­phi­schen Be­trach­tung


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