Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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auch hier wie­der man­ches, doch eben nichts Neu­es über das Le­ben der Frau Ni­ko­la von Glim­mern.

      »Sie kommt wie ge­wöhn­lich«, sag­te die Frau Emma, »bald im Vor­über­ei­len, um, wie sie meint, in ei­nem flüch­ti­gen Au­gen­blick sich einen Atem­zug ge­sun­der Luft zu ho­len, bald kommt sie zu spä­te­rer Abend­zeit, wenn der Herr von Glim­mern im Of­fi­ziers­ka­si­no am Spiel­tisch sitzt; doch im­mer setzt sie sich am liebs­ten in die Kin­der­stu­be, und wenn die Klei­nen zu Bett ge­bracht sind, spricht sie sel­ten noch ein Wort, son­dern lässt uns re­den, was wir wol­len. Es ist ein Elend; fra­gen Sie nur mei­nen Mann, ob er es noch lan­ge aus­hält, mich für mein Teil bricht’s in der Mit­te ent­zwei, und wenn ich nicht nächs­tens dem Herrn In­ten­dan­ten einen sehr wun­der­li­chen Brief schrei­be, so weiß ich nicht, was aus mei­nen Ner­ven wer­den soll.«

      »Die Frau hat recht, Ha­ge­bu­cher«, sprach der Ma­jor, »es ist in der Tat eine trüb­se­li­ge His­to­rie, aber wer ist be­fugt, da ein­zu­grei­fen, und welch ein Nut­zen könn­te da­durch ge­schaf­fen wer­den?«

      Der Afri­ka­ner sah wie­der­um den Schat­ten des Leut­nants Kind an der Wand; doch schon hat­te das nichts Er­schre­cken­des mehr für ihn. Im Ge­gen­teil, als er in der Tie­fe sei­ner See­le den Na­men des al­ten Man­nes aus­sprach, ver­schaff­te er sich da­durch einen be­frei­en­den, er­leich­tern­den Atem­zug. Er nahm sei­nen Hut, nach­dem er noch ver­nom­men hat­te, dass wohl der Ma­jor, aber nicht die Frau Ma­jo­rin den Ball des Herrn von Bet­zen­dorff be­su­chen wer­de.

      Über Ein­för­mig­keit des Da­seins hat­te Herr Leon­hard wahr­lich sich jetzt nicht zu be­kla­gen. Er wür­de so­wohl dem Tu­mur­kie­lan­de wie dem deut­schen Va­ter­lan­de Un­recht ge­tan ha­ben, wenn er die­sel­ben in die­ser Hin­sicht ei­ner Ver­glei­chung un­ter­zo­gen hät­te.

      Im Tu­mur­kie­lan­de ist es im Som­mer ge­wöhn­lich sehr heiß, und die ein­zi­gen Wol­ken, die vor die Son­ne tre­ten, sind die Heuschre­cken­wol­ken, wel­che je­doch kei­ne Küh­lung durch ihre Ver­dun­ke­lung des glän­zen­den Gestirns her­vor­zu­brin­gen ver­mö­gen und es üb­ri­gens auch gar nicht be­ab­sich­ti­gen. Auf die Heuschre­cken­wol­ken pfle­gen die Re­gen­wol­ken des Win­ters zu fol­gen; es reg­net ent­setz­lich im Tu­mur­kie­lan­de, die Som­mer­woh­nun­gen der Be­völ­ke­rung wer­den zu Brei, und je­der­mann sucht die Win­ter­quar­tie­re auf. Die Fa­mi­li­en be­zie­hen grö­ße­re Höh­len in den Fel­sen, die Jung­ge­sel­len und ein­zeln­ste­hen­den Jung­frau­en mie­ten der gü­ti­gen Mut­ter Na­tur eine be­schei­de­nere Rit­ze im Ge­stein ab. Auch die Skla­ven ha­ben ihre ei­ge­nen Be­hält­nis­se, wel­che, wenn sie gleich ein we­nig dun­kel und dump­fig sind, des­sen­un­ge­ach­tet ihre ge­müt­li­chen Rei­ze ei­nem Auf­ent­halt im Frei­en ge­gen­über be­sit­zen.

      Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher kann­te das und ver­glich, wie ge­sagt, die­se fremd­län­di­schen Ver­hält­nis­se nicht mit de­nen des Va­ter­lan­des. Aber er setz­te in­des­sen jene nicht ge­gen die­se zu­rück, und vor­züg­lich nicht an dem Mor­gen, wel­cher auf den im vo­ri­gen Ka­pi­tel ge­schil­der­ten Tag folg­te.

      Es war ein un­ru­hi­ger Mor­gen, an wel­chem es sich deut­lich zeig­te, zu wel­cher Be­deu­tung die Per­sön­lich­keit des Afri­ka­ners wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit von der Re­si­denz her­an­ge­schwol­len sei. Wirk­lich merk­wür­dig war’s, wie vie­len Leu­ten es über Nacht ein­fiel, dass die­ser afri­ka­ni­sche Fremd­ling zu man­chem nütz­li­chen oder pe­ku­ni­ären Ge­winn ab­wer­fen­den Zwe­cke treff­lich zu ver­wen­den sei. Und sie hat­ten alle von sei­ner Rück­kehr aus der Pro­vinz ver­nom­men, und sie ka­men alle, ihn zu be­grü­ßen und bei­läu­fig ein Wort über das und das, was sie ent­we­der sei­nem prak­ti­schen Blick oder sei­nem wei­chen Ge­müt und gu­ten Her­zen, je­den­falls aber sei­ner ge­spann­tes­ten Auf­merk­sam­keit an­emp­fah­len, fal­len zu las­sen. Es war wie ein Wun­der, was die­se ver­hält­nis­mä­ßig so un­be­deu­ten­de Stadt für ver­schie­den­ar­ti­ge Ele­men­te ent­hielt, die jetzt alle ihr In­ter­es­se an dem Da­sein des Afri­ka­ners hat­ten oder doch zu ha­ben glaub­ten.

      Da kam ein Buch­händ­ler, wel­cher nicht der Hof­buch­händ­ler war und der, dem Herrn Po­li­zei­di­rek­tor zum Trotz, die nicht ge­hal­te­nen Vor­trä­ge zu Pa­pier und in sei­nen Ver­lag ge­bracht zu ha­ben wünsch­te. Da er­schi­en ein Fo­to­graf, wel­cher der fes­ten Über­zeu­gung leb­te, dass ein Brust­bild des Herrn Ha­ge­bu­cher und ein Bild in gan­zer Fi­gur der Welt zu ei­nem tie­fin­nern Be­dürf­nis ge­wor­den sei und ein bril­lan­tes Ge­schäft ver­spre­che. Ver­schie­de­ne Kaf­fee­h­aus­be­kannt­schaf­ten such­ten den Ver­kehr auf das Pri­vat­le­ben des »gu­ten Freun­des« aus­zu­deh­nen. Es er­schie­nen zwei ha­ge­re Da­men, wel­che den »ge­prüf­ten Mann« für die se­gens­rei­chen Zwe­cke der In­nern Mis­si­on zu ge­win­nen hoff­ten. Es kam ein jun­ger Mann, wel­cher einen Stoff für das mo­der­ne Epos such­te, wel­cher in den Aben­teu­ern des Afri­ka­ners die­sen Stoff ge­fun­den zu ha­ben glaub­te und wel­chen Ha­ge­bu­cher ohne Rück­sicht auf die Ge­füh­le der Mit- und Nach­welt be­deu­te­te, er möge ihn un­ge­scho­ren las­sen, und üb­ri­gens hal­te er es in die­ser Zeit für ein Zei­chen von ganz ent­schie­de­ner dich­te­ri­scher Be­ga­bung, wenn je­mand kei­ne Ver­se zu ma­chen im­stan­de sei. Po­li­ti­sche Par­tei­en streck­ten ihre Fühl­hör­ner in den Mor­gen hin­ein, kurz, der Ver­kehr war leb­haft und an­re­gend ge­nug; doch Leon­hard blieb lei­der hart, teil­nahm­los, trau­rig und lä­chel­te nur ein­mal, als er un­ter dem über­strö­men­den Wort­schwall des jun­gen Poe­ten über­leg­te, was wohl aus der Welt, näm­lich sei­ner ei­ge­nen, wer­den möge, wenn er – hei­ra­te, und zwar Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger hei­ra­te?!

      Den­sel­ben Ge­dan­ken dach­te er laut, als sich ge­gen die Mit­tags­zeit die Flut der Be­su­cher end­lich ver­lau­fen hat­te und er mit dem Pa­scha al­lein war; oder viel­mehr, nach­dem er ver­schie­de­ne Male lei­se ge­sagt hat­te: »Wes­halb soll­te ich?«, sprach er un­ge­mein deut­lich das große Wort aus: »Wes­halb soll­te ich nicht?« und brach­te da­durch einen Sei­ten­zug sei­ner neu­eu­ro­päi­schen see­li­schen Ent­wi­cke­lung zu ei­nem recht be­frie­di­gen­den Ab­schluss, nur einen Sei­ten­zug – die Haupt­li­nie lief gra­de­aus wei­ter in alle Ver­wir­rung und Fins­ter­nis hin­ein!

      Vier Wor­te ge­nüg­ten, um das gan­ze Ge­tüm­mel zu­sam­men­zu­fas­sen, wie sich in das nüch­t­erns­te Frei­ku­vert der lei­den­schaft­lichs­te Ju­bel- oder Trau­er­brief schie­ben lässt; und gleich ei­nem Echo hall­te Täu­brich-Pa­scha nach:

      »Ja, wes­halb nicht?«

      »Was wis­sen denn Sie da­von, Täu­brich?« rief Ha­ge­bu­cher fast är­ger­lich. »Sind Sie etwa im­stan­de, mei­nem Seuf­zer die rech­te Deu­tung zu ge­ben?«

      »Es sind ein Paar lie­be Au­gen!« sag­te der Schnei­der mit seit­wärts ge­häng­tem Kopf. »Es gibt kein an­de­res Fräu­lein hier in der Stadt, wel­ches ein sol­ches gu­tes Ge­sicht hat.«

      »Und es gibt kei­nen zwei­ten Da­men­klei­der­ma­cher, der ein so merk­wür­di­ger Mensch ist wie Sie, Fe­lix! Bei Gott, wes­halb soll­te ich nicht? Las­sen Sie uns je­doch ab­bre­chen und zu Mit­tag spei­sen. Nach­her mö­gen Sie die Tür ver­rie­geln – ge­gen je­der­mann, hö­ren Sie! Ich habe einen Blick in den San­cho­nia­thon


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