Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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hin­über nach dem Fens­ter des Pro­fes­sors, dem Mon­de, dem nahr­haf­ten Schorn­stein und den schwar­zen Baum­wip­feln des Gar­tens – es war ein an­de­res Still­ste­hen als neu­lich vor der Kat­zen­müh­le; aber, bei Al­lah, von ei­nem gleich­mü­ti­gen, gleich­gül­ti­gen Gaf­fen konn­te auch heu­te durch­aus nicht die Rede sein.

      Se­re­na Rei­hen­schla­ger be­fand sich je­den­falls in der Kü­che. Der Afri­ka­ner kann­te den Weg dort­hin ganz ge­nau. Die vol­le Ge­le­gen­heit war ge­ge­ben, nach so lan­gem, aben­teu­er­li­chem, mü­he­vol­lem Zick­zack­flu­ge durch die Welt das Le­ben zu ei­nem ru­hi­gen, wohl­be­hag­li­chen Krei­se zu run­den und aus dem Mit­tel­punk­te des­sel­ben den Göt­tern zu dan­ken, dass sie es end­lich und zu­letzt doch noch so gut ge­macht hat­ten.

      Und noch im­mer kein Hin­der­nis! Ha­ge­bu­cher, der so häu­fig in sei­nem Le­ben auf die Nase ge­fal­len war, stol­per­te nicht auf der Schwel­le des Hau­ses und ver­nahm da­her auch kei­ne Stim­me, wel­che sich das Recht an­ge­maßt hät­te zu sa­gen: »Ein Rö­mer wür­de um­keh­ren!« Da­ge­gen traf ein wohl­tu­en­der, le­cke­rer Bra­ten­duft sei­ne Nase, und höchst lä­cher­lich wär’s ge­we­sen, das für ein ab­schre­ckend Zei­chen zu neh­men. Es zisch­te und pras­sel­te lus­tig aus Se­ren­as Zau­ber­rei­che. Röt­li­che Lich­ter tanz­ten an der der Kü­chen­tür ge­gen­über­lie­gen­den Wand – nicht der kleins­te Stein des An­sto­ßes in dem Haus­gan­ge – nicht das lei­ses­te Stol­pern auf der Schwel­le die­ser Pfor­te. Und jetzt – es konn­te ja nicht an­ders sein, es war ja so aus­ge­macht wor­den –, jetzt stand sie da vor dem schwar­zen Her­de, in all ih­rer Al­ler­liebst­heit, nach­denk­lich, so hold be­leuch­tet von der tan­zen­den Flam­me wie je ein ver­liebt sin­nend Mäg­de­lein in ei­nem Gen­re­bil­de, wel­chem letz­tern auch al­les üb­ri­ge in dem ma­le­ri­schen Rau­me ent­sprach, von den blank­ge­scheu­er­ten Kes­seln und Kan­nen an bis zu dem statt­li­chen wei­ßen Ka­ter, der schnur­rend um die Fal­ten ih­res Haus­klei­des strich.

      Sie trug eine zier­li­che, fein­ge­streif­te Schür­ze mit zwei nied­li­chen Ta­schen, jede ganz am rich­ti­gen Fleck, um Schlüs­sel, Na­del­bü­cher, Ta­schen­käm­me und Lie­bes­brie­fe schnell drein­schie­ben und sie drin­nen vor dem neu­gie­ri­gen Auge der Welt ver­ber­gen zu kön­nen. In die­sem Mo­ment je­doch hat­te sie nichts hin­ein­ge­scho­ben, son­dern im Ge­gen­teil et­was her­aus­ge­holt, näm­lich ein zer­knit­tert Blätt­chen, wel­chem man es an­sah, dass es den Weg her­aus und hin­ein schon meh­re­re Male, und zwar un­ter großer Auf­re­gung der Be­sit­ze­rin, ge­fun­den hat­te, dem man es an­sah, dass es nicht zum ers­ten Male ge­le­sen wur­de.

      Und sie las es wie­der­um und ließ merk­wür­di­ger­wei­se den Topf, wel­chen Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher dem Täu­brich-Pa­scha in sei­ner Mit­wir­kung bei den Er­eig­nis­sen des Abends so an­schau­lich ge­schil­dert hat­te, jetzt schon über­ko­chen, und zwar ohne den De­ckel ab­zu­he­ben oder ihn zur Sei­te zu rücken.

      Sie las, wie ein jun­ger Schrift­stel­ler die ers­te Kor­rek­tur liest; sie las, wie ein al­ter Gau­ner das Re­skript, wel­ches ihm den Rest sei­ner Straf­zeit er­lässt, ver­schlingt; ja sie las so­gar wie ein jun­ges Mäd­chen, wel­ches den ers­ten Lie­bes­brief liest, oder wie des Mäd­chens Mut­ter eben­die­sen Lie­bes­brief, wenn er zu­erst an ihre Adres­se ge­lang­te, das heißt, wenn sie dem ver­stoh­le­nen Bo­ten hin­ter der Haus­tür her auf den Hals ge­sprun­gen ist und sich nicht ver­pflich­tet fühlt, das durch die Ver­fas­sung ga­ran­tier­te Brief­ge­heim­nis zu re­spek­tie­ren.

      Sie las, und wahr­lich er­schi­en sie ro­sig an­ge­haucht, be­deu­tend ro­si­ger, als selbst jene bei­den fan­ta­sie­vol­len Leu­te, Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher vom Mond­ge­bir­ge und Herr Fe­lix Täu­brich, ge­nannt Täu­brich-Pa­scha, aus Je­ru­sa­lem, sich vor­ge­stellt hat­ten. Sie las, und als Herr Leon­hard Ha­ge­bu­cher end­lich nicht län­ger an sich hal­ten konn­te und sei­ne be­klemm­te, zag­haf­te An­we­sen­heit durch ein ängst­lich be­fan­ge­nes Räus­pern kund­gab, tat sie den voll­kom­men in sein Pro­gramm ge­hö­ri­gen klei­nen Schrei, ja sie führ­te das Pro­gramm noch wei­ter pünkt­lich aus, in­dem sie rief: »O Gott, Herr Ha­ge­bu­cher!« Das »Lie­ber Leon­hard« ließ sie frei­lich aus, doch wer wird in ei­ner sol­chen Mi­nu­te um ein Wort, um einen Ton rech­ten wol­len?

      Was konn­te jetzt der Afri­ka­ner an­ders her­vor­brin­gen als die Fra­ge, ob er nicht stö­re, und was konn­te Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger an­ders dar­auf ant­wor­ten als: Durchaus nicht, bit­te tre­ten Sie nä­her, Herr Ha­ge­bu­cher – ? Hät­te sie ge­sagt: Ist er schon wie­der da, muss er ei­ner denn im­mer in die Que­re kom­men?, so wür­de sol­ches nicht in das Pro­gramm ge­passt ha­ben.

      Noch im­mer kein Hin­der­nis! Sie ver­barg das klei­ne, eng be­schrie­be­ne Blätt­chen blitz­schnell in der Ta­sche und wid­me­te sich mit ver­dop­pel­tem Ei­fer ih­rem Top­fe, ret­te­te von des­sen In­halt, was noch zu ret­ten war, er­lang­te auch das, was sie selbst von ih­rem mo­ra­li­schen Gleich­ge­wicht ver­lo­ren hat­te, bald ge­nug wie­der, hob ein sehr glück­li­ches, lä­cheln­des Ge­sicht zu dem Haus­freun­de em­por und sag­te:

      »Gu­ten Abend, lie­ber Herr Ha­ge­bu­cher!«

      »Gu­ten Abend, Fräu­lein Se­re­na!« ant­wor­te­te der Haus­freund, gleich­falls lä­chelnd her­abbli­ckend, und hat­te sich im Ver­trau­en mit­zu­tei­len, dass es un­ge­heu­er über­flüs­sig und fast esel­haft tö­richt ge­we­sen sei, sich auf dem Wege von der Kes­sel­stra­ße her so sehr vor die­ser schö­nen Mi­nu­te ge­fürch­tet zu ha­ben. Er fühl­te sich jetzt so wohl ge­bor­gen, so si­cher vor al­lem Weh, al­len Schreck­nis­sen und Är­ger­nis­sen. Es rie­sel­te ihm ganz warm so­wohl durch die See­le als auch den Leib, und der deut­sche Frost, an wel­chen er sich doch noch im­mer nicht ganz, nach sei­nem un­heim­li­chen Auf­ent­halt un­ter dem Äqua­tor, ge­wöh­nen konn­te, schwand voll­stän­dig un­ter dem won­nigs­ten An­hauch gleich dem Eis an der Fens­ter­schei­be, wel­ches eben­falls un­ter ei­nem war­men Hau­che zu ver­schwin­den pflegt.

      »Der Papa ist in sei­ner Stu­be. Ge­hen Sie nur zu ihm, ich wer­de so­gleich nach­kom­men, Herr Leon­hard«, sag­te Fräu­lein Se­re­na Rei­hen­schla­ger.

      »So­gleich?« frag­te Ha­ge­bu­cher lei­se und zärt­lich.

      »Ge­wiss. So­bald die Magd vom Brun­nen zu­rück­ge­kom­men ist, fol­ge ich Ih­nen.«

      »Ach, Fräu­lein Se­re­na, las­sen Sie mich noch einen kur­z­en Au­gen­blick hier auf der Bank nie­der­sit­zen!« rief Ha­ge­bu­cher, schwan­kend zwi­schen der Furcht vor der was­ser­ho­len­den Magd und dem kop­ti­schen Papa, wel­che alle bei­de er bei sei­nem Vor­ha­ben nicht nö­tig zu ha­ben glaub­te. »Nur eine klei­ne Mi­nu­te, Se­re­na! Es ist bit­ter kalt drau­ßen, zu­mal für eine ver­wöhn­te Haut gleich der mei­ni­gen«, füg­te er schau­dernd vor Ver­gnü­gen hin­zu; und gut­mü­tig be­sorg­lich rück­te das Fräu­lein ihm einen Sche­mel ne­ben die Glut ih­res Her­des, wel­che sie dann, das Licht und die Wär­me zu ver­meh­ren, zu neu­en Flam­men »auf­schuf«.

      Nicht das ge­rings­te Hin­der­nis! Da saß er ne­ben dem Her­de, und sie stand vor ihm und hielt die Hand in der Ta­sche ih­rer Schür­ze, in wel­cher sie je­nes zer­knit­ter­te Blatt ver­steckt hat­te. Nichts in der Welt, das ihn hin­der­te, frei und of­fen her­aus­zu­spre­chen und sei­nem Her­zen Luft zu ma­chen, wie das schon Mil­lio­nen vor ihm


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