Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ver­gnügt-gleich­mü­tig, so frei von al­lem Zit­tern, Sto­cken und An­sto­ßen, dass es eine Lust war, sie zu hö­ren, nur nicht für den Afri­ka­ner.

      »Ja, ich gehe schon, Fräu­lein. Gute Nacht! Emp­feh­len Sie mich in Ihrem Trau­me freund­lichst dem Herrn Fer­di­nand!«

      Und er ging wirk­lich.

      Als er wie­der in der Stra­ße stand, klopf­te er sich mit dem Knö­chel des Zei­ge­fin­gers der rech­ten Hand vor die Stirn und glaub­te einen hohl­ern Klang als sonst her­aus­zu­schla­gen. Auch jetzt schrei­ben wir die Wen­dung, die er dem tie­fen Spruch: Er­ken­ne dich selbst! gab, nicht nie­der, so­we­nig als vor­hin den Lieb­lings­aus­ruf des Freun­des und El­fen­bein­händ­lers Se­mi­bec­co. Dass er sich da­mit von der Wahr­heit nicht sehr weit ent­fern­te, kann lei­der nicht ge­leug­net wer­den.

      Die Stadt war voll un­ge­wöhn­li­chen Ge­tüm­mels, Pri­va­te­qui­pa­gen und Miet­wa­gen führ­ten mit dump­fem Ge­roll die Ein­ge­la­de­nen, die Be­vor­zug­ten der Ge­sell­schaft zum Fes­te des Herrn von Bet­zen­dorff. Durch das glän­zend­hel­le Fens­ter ei­nes Hand­schuh­la­dens er­blick­te Leon­hard den Leut­nant von Bums­dorf im eif­ri­gen Ver­kehr mit der den La­den hü­ten­den Göt­tin und ent­wich schleu­nigst, ehe der jun­ge Krie­ger sei­nen Ein­kauf be­en­det hat­te.

      Nach Hau­se? Mit ge­hei­mem Grau­en er­in­ner­te sich der Afri­ka­ner, dass dort noch der San­cho­nia­thon auf dem Ti­sche lie­ge und dass er da­selbst auf kei­ne an­de­re Ge­sell­schaft als die des al­ten Phö­ni­ziers zu rech­nen habe.

      Zum Leut­nant Kind auf ein Plau­der­stünd­chen? Das ließ sich eher hö­ren! Der Mann pass­te bes­ser in die Stim­mung. Nein, er pass­te zu gut hin­ein, und schau­dernd wen­de­te Ha­ge­bu­cher sich auch von die­ser Idee, sei­ner ei­ge­nen Ge­sell­schaft zu ent­ge­hen, ab. Fast ohne zu wis­sen, wie die Sa­che sich ge­macht habe, fand er sich zu­letzt in ei­ner ziem­lich lee­ren Wein­stu­be ei­ner Fla­sche Rü­des­hei­mer ge­gen­über und mit der Spei­se­kar­te in der Hand.

      Er aß, ganz un­na­tür­li­cher­wei­se, gut, und er aß viel. Er trank eine zwei­te Fla­sche Rü­des­hei­mer. Das Ge­schwätz der Gäs­te um ihn her, das Ge­hen und Kom­men, das brei­te, gleich­mü­ti­ge Ge­sicht des Wirts, die au­to­ma­ten­haf­ten Be­we­gun­gen der Kell­ner, ja so­gar die Bil­der, Fahr­ten­plä­ne und die Pla­ka­te der Aus­wan­de­rungs­agen­ten und vor al­lem der Pen­del der Uhr üb­ten einen wohl­tä­tig nar­ko­ti­schen Ein­fluss auf sei­ne Ner­ven.

      Er griff nach ei­ner Zei­tung, leg­te sie wie­der hin und griff von neu­em da­nach. An der an­de­ren Ecke des Ti­sches dehn­te sich ein Stamm­gast, gähn­te sehr und be­klag­te sich bit­ter­lich über die Lang­wei­lig­keit des Da­seins in der Welt im All­ge­mei­nen und in die­ser vor­treff­li­chen Re­si­denz im be­son­dern. Sein Nach­bar, von dem Gäh­nen an­ge­steckt, gab ihm voll­kom­men recht, und das Gäh­nen gab er wei­ter. Leon­hard Ha­ge­bu­cher sah es von Mund zu Mund sich ver­brei­ten und über­leg­te träu­me­risch, wie viel Wi­der­stands­fä­hig­keit er ihm wohl ent­ge­gen­zu­set­zen habe, wenn es bei ei­ner sol­chen Stim­mung sich auch an ihn her­an­wa­gen wür­de. Und in­dem er über­leg­te, war er schon be­siegt, und nun brach er eben­falls, sei­ner Stim­mung zum Trotz, in ein ganz mun­te­res La­chen aus, und das war die ers­te wirk­li­che Er­fri­schung, wel­che ihm das Schick­sal an dem heu­ti­gen Abend gönn­te. Die Gäs­te sa­hen ver­wun­dert auf den hei­tern Men­schen, und ei­ni­ge be­nei­de­ten ihn je­den­falls um sei­ne fro­he Lau­ne. Er aber be­zahl­te sei­ne Rech­nung, zün­de­te eine fri­sche Zi­gar­re an und trat, grad als es elf Uhr schlug, wie­der in die kal­te Nacht hin­aus und fand nichts Un­ge­wöhn­li­ches auf sei­nem Wege. Es war noch viel Le­ben in den Gas­sen. Die Leu­te lach­ten und schal­ten höchs­tens über den stren­gen Win­ter; nicht ein ein­zi­ges Mal traf ein Wort das Ohr des Afri­ka­ners, wel­ches ihn hät­te auf­hor­chen und sich um­se­hen ma­chen kön­nen. We­der den Gas­sen noch den Leu­ten merk­te man es im ge­rings­ten an, dass so­eben et­was in der Stadt sich er­eig­net hat­te, wel­ches wo­chen-, ja mo­na­te­lang den aus­gie­bigs­ten Stoff zu al­len mög­li­chen Un­ter­hal­tun­gen, Er­ör­te­run­gen, An­grif­fen und Ver­het­zun­gen ge­ben soll­te, wel­ches gan­ze Krei­se der Ge­sell­schaft zer­rei­ßen und nach al­len Rich­tun­gen hin aus­ein­an­der­spren­gen, wel­ches den höchs­ten wie den ge­rings­ten die­ses so sehr in sich ab­ge­schlos­se­nen Ge­mein­we­sens auf das tiefs­te be­rüh­ren und wel­ches, durch Wort, Schrift und Druck weit über die en­gen Gren­zen des Lan­des hin­aus­ge­tra­gen, für lan­ge Zeit so­wohl das Länd­chen wie das Haupt­städt­chen arg in das Ge­re­de der Men­schen brin­gen muss­te.

      »Wenn ich nur den Täu­brich zu Hau­se vor­fän­de«, mein­te Ha­ge­bu­cher im Wei­ter­mar­schie­ren. »Ich glau­be, wenn ich ihm sein Teil von der Bla­ma­ge hät­te zu­kom­men las­sen, so wür­de ich den Son­nen­auf­gang in al­ler Ge­mäch­lich­keit ab­war­ten kön­nen. Aber der Gute ist beim Herrn von Bet­zen­dorff und er­götzt sich ver­stoh­len an ganz an­de­ren De­li­ka­tes­sen, als ich ihm vor­zu­set­zen habe. Bei Gott, ich füh­le mich noch im­mer nicht zu groß, ihm die gan­ze Ge­schich­te in die Schu­he zu schie­ben. Ah, in Abu Tel­fan war es schön, und im Hin­ter­stüb­chen des Vet­ters Was­ser­tre­ter war es auch schön! Es ist fa­bel­haft, aber nichts­de­sto­we­ni­ger wahr: selbst der San­cho­nia­thon kann ei­nem in der Be­dräng­nis noch zum Tros­te wer­den; ich wer­de hin­ge­hen und den San­cho­nia­thon le­sen.«

      Am Ein­gan­ge der Kes­sel­stra­ße über­kam ihn mit dem klars­ten Ver­ständ­nis für die Ent­täu­schung, wel­cher er sich so mut­wil­lig aus­ge­setzt hat­te, ein neu­er, aber auch letz­ter Par­oxys­mus. Er tanz­te vor Auf­re­gung ein we­ni­ges im Schnee und rief:

      »Das kommt da­von, wenn man sich nicht ganz al­lein auf sich sel­ber ver­lässt! Wäre es mir ohne das Zu­re­den des Men­schen, des ver­ruch­ten Täu­brich, des was­ser­blau­en Pin­sels ein­ge­fal­len, an die­sem Abend die Nase aus der Tür zu ste­cken? Bei zwan­zig Grad Käl­te? Wahr­haf­tig, ich will dem Pa­scha ge­wiss nicht die Schuld al­lein in die Ba­bu­schen schie­ben; aber die sen­ti­men­ta­le, lie­be­be­dürf­ti­ge Mi­nu­te wäre ohne ihn auch vor­bei­ge­gan­gen, und der nächs­te Mor­gen hät­te ein bes­se­res Ver­ständ­nis für die Din­ge ge­bracht. Fer­di­nand! Es ist zu lä­cher­lich!… Fer­di­nand Zwick­mül­ler! Zwick – mül­ler! Und wenn man nur be­haup­ten könn­te, das Kind habe un­recht und sehe sein ei­ge­nes Bes­te nicht ein! Es wuss­te aber gar wohl, wo­hin es sein jun­ges Herz am pas­sends­ten zu ver­schen­ken hat­te, und ich möch­te wis­sen, wer un­serei­nem die Be­rech­ti­gung, sich zu be­kla­gen, ge­ben könn­te.«

      Er er­reich­te sei­ne Haus­tür und pack­te den Tür­griff, in­dem er sei­ne fer­ner­wei­ti­gen Ge­füh­le in lau­ter Gau­men­lau­ten und Schnal­zern von Abu Tel­fan kund­gab, wel­ches im­mer­hin noch ein recht be­denk­li­cher Um­stand für Täu­brich-Pa­scha war. Auf der Trep­pe je­doch kam ihm eine mil­de­re Vor­stel­lung, und die­se sprach er wie­der deutsch aus:

      »Ich kann ihn nicht über den Tisch zie­hen, denn ich habe ihn nicht; aber ob­gleich ich ihn nicht habe oder grad weil ich ihn nicht habe, wer­de ich ihm eine Rede hal­ten, eine sehr schö­ne Rede. O ich habe schon öf­ters im Le­ben ins Blaue hin­ein ge­spro­chen, und nicht im­mer mit sol­cher Be­rech­ti­gung. Und, Täu­brich, ich wer­de mir nicht drein­re­den las­sen, mer­ken Sie sich das. Bis­mil­lah, die Ge­le­gen­heit, sich ein­mal recht or­dent­lich aus­zu­spre­chen, fin­det sich nicht so häu­fig, als die Welt


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