Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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zu Ih­nen ge­kom­men, Ha­ge­bu­cher; denn nach­dem sie sich nur so weit von ih­rem halb wahn­sin­ni­gen Wege durch die Gas­sen er­holt hat­te, um spre­chen zu kön­nen, ver­lang­te sie hef­tig nach Ih­nen, schick­te sie den Täu­brich zu ih­rer Kam­mer­frau und mich in die Kes­sel­stra­ße. Und nun bit­te ich Sie, wo sind Ihre Mit­tel, die­ser un­se­li­gen Frau in ih­rem bo­den­lo­sen Jam­mer zu hel­fen?«

      Leon­hard schüt­tel­te trau­rig den Kopf und sag­te dann:

      »Ihre Flucht ist mit die­sem Weg­schrei­ten aus dem Fest­saal noch nicht vollen­det – sie blickt über die Schul­ter und sieht die Ver­fol­ger dicht hin­ter sich. Sie hat noch einen lan­gen Weg durch die Nacht vor sich, und ich soll sie auf dem­sel­ben zu dem Orte füh­ren, wo sie Ruhe zu fin­den hofft. O ich bin schon solch ein See­len­füh­rer ge­we­sen in der letz­ten –«

      Er hielt er­schreckt ein und mur­mel­te so­dann:

      »Aber mein Gott, wie kann ich sie dort hin­brin­gen? Das, was die schöns­te Ret­tung sein könn­te, ver­mehrt jetzt nur die Ver­wir­rung und er­schwert die Lö­sung. Wild­berg – der Herr van der Mook – doch nein, fort, fort, las­sen Sie uns ei­len. Ich will Ih­nen in Ihrem Hau­se da­von sa­gen!«

      Sie gin­gen schnel­ler und war­fen im Vor­über­ei­len den Blick auf man­che er­hell­te Fens­ter und nann­ten die Gäs­te des Herrn von Bet­zen­dorff, wel­che dort eben­falls noch wach­ten und un­ter dem zer­mal­men­den Ein­dru­cke des un­er­hör­ten Er­eig­nis­ses auf und ab schrit­ten oder ge­bro­chen oder – scha­den­froh um die Lam­pen sa­ßen. Der Ma­jor nann­te die Na­men und sag­te: Dort wohnt der und der, und füg­te stöh­nend je­des Mal hin­zu: »Welch eine Ge­schich­te – was soll dar­aus wer­den?«

      Sie gin­gen im­mer schnel­ler; aber ehe sie die Woh­nung des Ma­jors er­reich­ten, trat ih­nen noch je­mand ent­ge­gen, der vor vie­len an­de­ren be­rech­tigt war, auch ein Wort zu sa­gen: der Leut­nant Kind von der Straf­kom­pa­nie zu Wal­len­burg. Sie tra­fen un­ter ei­ner Gas­la­ter­ne mit ihm zu­sam­men und hat­ten voll­kom­men ge­nü­gen­de Ge­le­gen­heit, den Kör­per- und Geis­tes­zu­stand, in wel­chem sich der Mann be­fand, zu er­ken­nen. Es war eine furcht­ba­re, eine schre­cken­er­re­gen­de Ver­än­de­rung in sei­nem We­sen und sei­ner Er­schei­nung vor­ge­gan­gen. Der fins­te­re, schweig­sa­me Greis war zu ei­nem Tol­len, ei­nem Wahn­sin­ni­gen ge­wor­den. Er, der durch so lan­ge Jah­re eine sol­che grim­mi­ge, fast über­mensch­li­che Selbst­be­herr­schung aus­üb­te, hat­te mit dem ers­ten Wor­te, wel­ches er in dem Saa­le des Po­li­zei­di­rek­tors dem ge­hass­ten Fein­de ent­ge­gen­warf, al­les Maß und je­den Halt ver­lo­ren.

      Mit ei­nem hei­sern, tie­ri­schen La­chen stell­te er sich den bei­den Män­nern in den Weg und streck­te ih­nen die Fäus­te ent­ge­gen und schrie zäh­ne­knir­schend:

      »Da seid ihr ja, mei­ne lie­ben Her­ren; ich dach­te wohl, dass ihr mir noch be­geg­nen müss­tet vor Son­nen­auf­gang. Hoho, das ist der Krieg, auf wel­chen ich mein gan­zes lan­ges Le­ben war­te­te und für wel­chen ich die Knöp­fe und das Rie­men­zeug blank hielt! He, Ma­jor Wild­berg, so frisch und lus­tig hät­ten wir es uns doch nicht vor­ge­stellt in der Knopf-, Ga­ma­schen- und Pa­ra­de­herr­lich­keit! Krieg! Krieg! So ist es recht und so soll es sein.«

      »Ihr seid krank, und es ist kein Wun­der, dass Ihr das Fie­ber habt, Leut­nant Kind!« sprach Ha­ge­bu­cher. »Ge­het nach Hau­se und schließt Euch ein in Euer Ge­mach. Euer Recht habt Ihr Euch ge­nom­men; was irrt Ihr nun noch gleich ei­nem Trun­ke­nen um­her? Eure Ra­che ist Euch ge­wor­den nach Eu­rem Wil­len; es war Euer Recht, den Schul­di­gen zu Bo­den zu schla­gen; aber nun ge­het uns aus dem Wege und hin­dert uns nicht, auf­zuräu­men un­ter Eu­ren Trüm­mern, un­ter de­nen auch die Un­schul­di­gen be­gra­ben lie­gen.«

      »Pfeift der Wind da­her, mein Bür­sch­chen?« flüs­ter­te der Leut­nant. »Aus dem Wege, aus dem Wege? Seid Ihr auch schon so weit wie die an­de­ren und schreit ze­ter, weil ein Mann sein Recht wie ein Mann nahm! Der Hund ist im­mer toll, der an die sei­de­nen St­rümp­fe und un­ter die sam­m­et­nen Schlep­pen fuhr. Ich wün­sche Ih­nen Glück, Herr Ha­ge­bu­cher! Ha­ben Sie schon so viel ge­lernt seit Ih­rer Heim­kehr?«

      »Ich habe viel ge­lernt, al­ter Mann, und die Hand hätt ich mir eher ab­ge­hau­en als Sie auf Ihrem Wege auf­ge­hal­ten, die Zun­ge mir eher ab­ge­bis­sen als Ih­nen ein Wort ent­ge­gen­ge­spro­chen. Nun las­sen Sie mich mei­nen Weg fort­set­zen.«

      »Ich will nicht! Mit wem soll ich jauch­zen und mei­ne Lust tei­len? Wes­halb ha­ben Sie mir den Herrn van der Mook ge­nom­men? Ge­hen Sie und ge­ben Sie mir die­sen Vik­tor Feh­ley­sen zu­rück! Fluch ihm, weil er mich heu­te al­lein ließ!«

      Der Ma­jor Wild­berg tau­mel­te vor die­sem Na­men Vik­tor Feh­ley­sen und griff von neu­em nach der Hand Leon­hards; die­ser aber sag­te ru­hig:

      »Der Herr Kor­ne­li­us van der Mook ist in eine an­de­re Macht als die uns­ri­ge ge­ge­ben. Ich hal­te Sie aber auch da nicht, Leut­nant Kind; ge­hen Sie, su­chen Sie ihn un­ter dem Da­che, am Her­de sei­ner Mut­ter, und füh­ren Sie ihn mit sich fort, dass er mit Ih­nen über die­se Stun­de Tri­umph rufe!«

      Der Alte trat zur Sei­te, und wie­der lach­te er grim­mig:

      »Sei es denn, ihr fei­nen Leu­te mit der zar­ten Haut und den zärt­li­chen Ge­füh­len. Ich gehe al­lein und for­de­re al­lein mei­nen Ge­winn von den an­de­ren. Aber ich ver­lan­ge den vol­len Ein­satz, Blut um Blut, Le­ben um Le­ben. Die Kar­ten lie­gen auf dem Ti­sche, aber sie ha­ben alle falsch­ge­spielt, wie der Herr Fried­rich von Glim­mern, und wol­len auch nicht zah­len. Es ist ihre Art so, und sie ver­mei­nen, sie kön­nen es trei­ben, wie sie wol­len, weil sie das Re­gi­ment füh­ren im Mäu­se­nest, und dün­ken sich groß, weil sie vier Qua­drat­mei­len zum bes­ten ha­ben. Er ge­hört zu ih­nen, und ob er schon nichts wei­ter als ein ge­mei­ner Schuft und Dieb ist, so war’s doch un­päss­lich und ver­drieß­lich, ihm das­sel­be Maß ge­ben zu müs­sen wie dem Pack, wel­chem sie ihre got­tes­jäm­mer­li­che Er­bärm­lich­keit in Kup­fer aus­ge­prägt und ver­gol­det als der Welt größ­te Herr­lich­keit und Er­ha­ben­heit vor­zah­len. Ho, es wird wohl ein­mal die Stun­de kom­men, wo der Auk­tio­na­tor mit dem Ham­mer auf den Tisch klopft und den gan­zen Trö­del vor dem gan­zen deut­schen Volk ver­stei­gert. Zwölf Ex­zel­len­zen für’n Gro­schen und die drei­zehn­te zu! Zwölf Durch­lauch­ten für einen Gro­schen und die drei­zehn­te zu! Doch das ist ei­ner­lei, da mag auf die Schan­de bie­ten, wer’s er­lebt; ich will mir an dem einen ge­nü­gen las­sen, für den ich einen hö­he­ren Preis zahl­te, als die gan­ze Nie­der­träch­tig­keit um­her wert ist. Mit mei­ner Ehre, mei­nem Glück und dem Le­ben mei­ner Kin­der habe ich das Ding be­zahlt, und der Kauf gilt. Beim al­ten Gott da oben, er gilt, und wenn sie einen Feh­ler in der Rech­nung fin­den, so lasst sie. Ho, es ist ein Feh­ler in al­len ih­ren Rech­nun­gen; sie zäh­len nur sich sel­ber und ver­ges­sen stets die Hän­de, die Fäus­te, wel­che sich von da un­ten er­he­ben mö­gen. Hier sind wir, die To­ten und ich, und wenn sie nun ihre Hun­de an die Ket­te le­gen wol­len, so müs­sen wir die Jagd de­sto lus­ti­ger und cou­ra­gier­ter fort­set­zen. Lasst ihn nur lau­fen, den falschen Be­trü­ger, den blu­ti­gen Mör­der, wir wol­len se­hen, ob ihm un­ser Ge­bell und Ge­kläff und die Angst vor un­sern Zäh­nen aus dem Ohr und dem Sinn kom­men wird!«

      Es war un­mög­lich, ein Wort in die­sen wil­den Zorn hin­ein­zu­wer­fen, und noch un­mög­li­cher war’s, den ra­sen­den al­ten Mann auf sei­nem Wege auf­zu­hal­ten.


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