Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wir zu be­sit­zen glaub­ten. Wir re­de­ten auch da­von, dass wir einst von neu­em zu­sam­men­tref­fen wür­den, und viel­leicht in ei­ner schlim­men, tod­brin­gen­den Stun­de. Da woll­ten wir uns dann ge­gen­sei­tig an je­nes lich­te Reich und an je­nen Frei­brief er­in­nern, und das stil­le Auge in der Wald­müh­le soll­te über uns bei­de wa­chen. Jetzt, Ni­ko­la, jetzt wol­len wir uns und der Welt hal­ten, was wir uns und ihr ver­spra­chen. Sind Sie nicht mehr die frü­he­re Ni­ko­la, die mit La­chen be­haup­te­te, in al­len Ket­ten frei blei­ben zu kön­nen? Bli­cken Sie auf, bli­cken Sie in sich: in un­serm Rei­che hält man den Sieg gra­de dann am fes­tes­ten, wenn die Wi­der­sa­cher am lau­tes­ten Sieg über uns krei­schen. O be­sin­nen Sie sich, Ni­ko­la Ein­stein, was Sie wa­ren und was Sie sind.«

      »Das ist frei­lich die Fra­ge, aber be­sin­nen kann ich mich nicht dar­auf. Sie re­den von Träu­men, die ich vor hun­dert Jah­ren träum­te, wie von ei­nem Wirk­li­chen; doch es hat kei­nen Sinn für mich. Was bin ich? Ein ar­mes, ge­schla­ge­nes Weib, kei­ne Hel­din, die an ei­nem Som­mer­abend auf ei­nem wei­ßen Pfer­de durch den Wald rei­tet und den Rausch und die Lieb­lich­keit der Na­tur für ih­ren ei­ge­nen Mut, ihr ei­ge­nes Den­ken und Füh­len aus­gibt! Eine alte Jung­fer, wel­che ein Zau­ber in den letz­ten Il­lu­sio­nen der Ju­gend fest­hielt, war ich, als wir zu­erst zu­sam­men­tra­fen, und heu­te bin ich eine alte, kran­ke Frau, wel­che ihr Reich nur in dem ganz Ge­wöhn­li­chen hat und mit dem­sel­ben auf Nim­mer­wie­der­auf­ste­hen zu­sam­men­bricht. Schüt­teln Sie nicht den Kopf. Sie wis­sen so gut wie alle an­de­ren Leu­te Be­scheid und wis­sen wie alle an­de­ren, dass das Le­ben, wel­ches heu­te so lus­tig mit uns fährt, doch das ein­zig wah­re und wirk­li­che ist. Du bist eine ver­stän­di­ge Frau, Emma, und du hast es im­mer ge­sagt; jetzt über­zeu­ge auch je­nen und lass dir den Dank in Seuf­zern und Trä­nen aus­zah­len. Jetzt sind wir so weit, als wir kom­men muss­ten, um dem Pub­li­kum mit un­serm Da­sein den rech­ten Nut­zen zu stif­ten. Die Sa­che ist recht lehr­reich; die ewi­ge Ge­rech­tig­keit tritt so treff­lich, ganz im rech­ten Au­gen­blick und an der rech­ten Stel­le aus der Ku­lis­se und gibt je­dem sein Teil nach sei­nem Ver­diens­te. O es ist ein recht sü­ßer und er­quick­li­cher Ge­dan­ke in al­lem Elend, dass man zu­letzt doch nichts wei­ter ist als ein Bild in dem großen Abc-Buch der Welt und dass der ihr am bes­ten diente, wel­cher sein Ich am Schand­pfahl am nack­tes­ten ih­ren Bli­cken, Wor­ten und Stein­wür­fen dar­bot. Mein Kopf, mein ar­mer Kopf! Wer hät­te ge­dacht, dass es so po­chen könn­te in den Schlä­fen? Gebt mir ein Riech­fläsch­chen, ich will mir die Stirn mit Köl­ni­schem Was­ser rei­ben und so ru­hig und ver­gnügt sein, als ihr nur wün­schen mögt. Seht, wir kön­nen uns wohl lo­ben; wir ha­ben un­se­re Sa­che gut ge­macht, und nun wol­len wir ge­hen und uns in den Win­kel set­zen. Sie grei­fen doch schon nach Hut und Re­gen­schirm und zie­hen ihre Klei­der zu­sam­men und rücken auf den Sit­zen. Gute Nacht, gute Nacht!«

      »Ni­ko­la, Ni­ko­la, fas­se dich, mein Herz! Das streift ja an den Wahn­sinn, mei­ne arme See­le!« rief die Ma­jo­rin, in­dem sie laut schluch­zend die Freun­din in die Arme schloss; doch Ni­ko­la sprach wei­ter:

      »Hab kei­ne Sor­ge um mei­nen Ver­stand, mein Kind, den kon­ser­vier ich mir gut, nur zu gut. Aber wei­ne nur, Emma, ich gäb ein groß Stück von mei­nem Ver­stand, um’s auch zu kön­nen; aber ich kann es und darf es nicht. Es ist auch dumm, zu wei­nen, wenn man kein Recht dazu hat. Ja frei­lich, klei­ne Frau, du hast’s gut, und Gott seg­ne dir dein Glück. Du hast al­les im­mer ganz und voll­stän­dig ge­habt, das La­chen wie das Wei­nen, und hast dich bei dem einen we­nig um das an­de­re ge­küm­mert. Dich rief man nicht von al­len Sei­ten, wenn du auf dei­nem ei­ge­nen Sche­mel still­sit­zen woll­test, und zerr­te dich nicht an den Flü­geln her­bei, wenn du den schril­len Ruf über­hör­test. Du konn­test ru­hig dei­nes We­ges ge­hen, gute Leu­te ha­ben dich zu­recht­ge­wie­sen, und gute Leu­te be­glei­te­ten dich. Ich wünsch­te wohl, ich hät­te mei­ne Ge­dan­ken und auch mei­ne Kin­der wie­gen dür­fen wie du; sin­te­ma­len das nun aber nicht hat ge­sche­hen kön­nen, mein Herz, so ma­che dich mor­gen früh auf die Bei­ne, be­stel­le mei­ner gnä­di­gen Frau Mama einen schö­nen Gruß von mir und sage ihr, ich sei mit je­nem son­der­ba­ren Herrn Ha­ge­bu­cher aus dem Tu­mur­kie­lan­de auf und da­von ge­gan­gen und bit­te, dass man es mir nicht übel­neh­men wol­le. Sage auch, ich habe es hier nicht län­ger aus­hal­ten kön­nen und ich sei fest über­zeugt, dass un­ter den ob­wal­ten­den Um­stän­den die fri­sche Luft und eine ver­än­der­te Um­ge­bung sehr wohl­tä­tig auf mei­nen Cha­rak­ter und mei­ne Stim­mung wir­ken müss­ten. Du kannst einen Wink fal­len las­sen von den sie­ben Zwer­gen hin­ter den sie­ben Ber­gen oder sonst ei­ner be­kann­ten Ge­gend des Mär­chen­lan­des, wo­hin we­der Brie­fe noch te­le­gra­fi­sche De­pe­schen von der Post­ver­wal­tung ex­pe­diert wer­den. Flüs­te­re auch ganz lei­se, es sei ja nun doch al­les ver­spielt und kei­ne wei­te­re Aus­sicht, auf die­sem Wege zu noch hö­he­rer Ehre, Wür­de und Ver­gnüg­lich­keit zu ge­lan­gen, und da, wie­der­um un­ter so be­wand­ten Um­stän­den, Prin­zeß Ma­ri­an­ne, Ho­heit, ge­wiss nichts ge­gen ein sol­ches Ver­schwin­den ein­zu­wen­den habe, so wer­de auch Mama si­cher­lich sich drein­zu­fin­den wis­sen. Wenn du willst, kannst du dann noch bei­fü­gen, ins Was­ser gehe die Ni­ko­la auf kei­nen Fall und wenn das ein Trost sei, so ste­he er zur Ver­fü­gung; auch schrei­ben wer­de die Ni­ko­la, so­bald sie dazu im­stan­de sei, und so­fern man es ihr nicht zu schwer ma­che, wol­le sie auch wei­ter­hin­aus eine ge­hor­sa­me und in al­len Din­gen ge­dul­di­ge Toch­ter blei­ben. Du wirst den mi­nis­tre plé­ni­po­ten­tiaire schon zu agie­ren wis­sen, Frau Emma Wild­berg; und mein ehr­li­ches Wort – ja, ihr da alle, mein ehr­lich, ehr­lich Wort! –, kei­nen Ro­man aus mei­nem Elend ma­chen zu wol­len, gebe ich auch. Sage, es sei mei­ne Ab­sicht, die Wild­nis, das Wur­zeln­gra­ben und Ei­chel­nes­sen sehr ernst zu neh­men, und da­her kön­ne man nichts Bes­se­res tun, als mich mei­nes We­ges ge­hen zu las­sen. Dann ma­che dein Kom­pli­ment, keh­re nach Hau­se zu­rück, wirf zur Be­ru­hi­gung des Ge­mü­tes einen Schuh hin­ter mir her, und dann set­ze dich in eine Ecke, den­ke nach über eine lehr­haf­te und rüh­ren­de His­to­rie für dei­ne Kin­der und lass sie be­gin­nen: Es war ein­mal ein fei­nes jun­ges Mäd­chen, das hieß Ni­ko­la und er­leb­te al­ler­lei mit Feen, Zwer­gen, Zau­be­rern, wil­den Dra­chen, mit Gold und Sil­ber und De­man­ten, und es ging ver­lo­ren im Wal­de, man weiß ei­gent­lich nicht so recht auf wel­che Wei­se; doch es ist sehr rüh­rend und lehr­haft, da­von zu sa­gen.«

      So re­de­te Ni­ko­la von Glim­mern und drück­te die ge­ball­ten Hän­de ge­gen die Stirn und schwieg erst in äu­ßers­ter Er­schöp­fung und aus voll­kom­me­nem Atem­man­gel. Leon­hard Ha­ge­bu­cher ließ sie auch ru­hig re­den und mach­te nicht ein ein­zi­ges Mal den Ver­such, sie zu un­ter­bre­chen. Erst als sie lei­se schluch­zend in den Kis­sen des Di­wans der Frau Emma lag, sag­te er, aus dem Fens­ter bli­ckend:

      »Es fängt an zu schnei­en. Bis­mil­lah, wer sei­ne Fuß­tap­fen ver­ber­gen will, dem wird jetzt ein treff­li­ches Rei­se­wet­ter ge­ge­ben, und es ist auch mei­ne Mei­nung, Frau Ma­jo­rin, dass die Frau Ni­ko­la und ich die Stadt mit dem frü­he­s­ten Mor­gen ver­las­sen und über Nip­pen­burg und Bums­dorf den Weg zur Kat­zen­müh­le ein­schla­gen. Es ist jetzt sehr still in den Wäl­dern um Flie­gen­hau­sen, die Er­fah­rung da­von hab ich neu­lich mit­ge­bracht. Die Na­tur hat den Fin­ger auf den Mund ge­legt, und nie­mand braucht Furcht zu ha­ben vor dem Jauch­zen und Ju­bi­lie­ren der Fel­der und Wie­sen. Wir klop­fen an die Tür der Frau Klau­di­ne und wun­dern uns, wie man­cher Ton, der uns jetzt schrill und schnei­dend


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