Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
auf der Fähr­te.

      Der Ma­jor Wild­berg hielt sich an dem La­ter­nen­pfahl und stöhn­te: »Wie ohn­mäch­tig man doch ist, wo man die Kraft der Göt­ter ha­ben soll­te!«

      Der Afri­ka­ner aber rief: »Wenn er die Wahr­heit sprach, und ich zweifle nicht dar­an, so will ich ein ehr­li­cher Mann blei­ben und ihm die bes­te Jagd wün­schen. Und jetzt kom­men Sie, Ma­jor, wir wol­len den Herrn van der Mook ihm nach­sen­den. Gott ist wahr­haf­tig Gott, und die Fins­ter­nis ist nicht we­ni­ger sein Die­ner und Pro­phet als das Licht.«

      »Vik­tor von Feh­ley­sen?! Ist das eine Wahr­heit?« rief der Ma­jor Wild­berg. »Ist das kei­ne Bla­se, die in dem He­xen­kes­sel die­ser Nacht auf­bro­delt und gleich ei­ner Bla­se zer­sprin­gen wird?«

      »Der Sohn der Frau Klau­di­ne ist heim­ge­kehrt zu sei­ner Mut­ter und sitzt bei ihr dort in der ver­schol­le­nen Müh­le, in dem ver­schol­le­nen Tale, wo Ni­ko­la von Glim­mern hin­flie­hen und wo sie sich ver­ber­gen will, um Ruhe zu fin­den.«

      »Die Un­glück­li­che!« mur­mel­te der Ma­jor; Leon­hard Ha­ge­bu­cher zuck­te die Ach­seln und schwieg, und so er­reich­ten sie die Tür der Woh­nung Wild­bergs, an de­ren Schwel­le wie­der­um je­mand in al­ler Angst und Un­ge­duld auf sie war­te­te. Seit ei­ner Stun­de be­reits schritt der Leut­nant Hugo von Bums­dorf vor dem Hau­se auf und ab, zer­biss sei­nen fei­nen Schnurr­bart, zer­pflück­te sei­ne Hand­schu­he, hat­te aber nicht den Mut ge­habt, die Glo­cke zu zie­hen und ein­zu­tre­ten. Jetzt kam er den bei­den he­r­a­nei­len­den Män­nern mit ei­nem Sprun­ge ent­ge­gen und rief:

      »Ni­ko­la, mei­ne Cou­si­ne, mei­ne arme Ni­ko­la! O ihr Her­ren, ihr Her­ren, was soll ich tun? Was muss ich tun? Wie kann ich hier hel­fen? Ich muss et­was für sie tun, um nicht toll zu wer­den. Ha­ge­bu­cher – zu Fuß und zu Pfer­de, wen soll ich zu Bo­den schla­gen? – Was soll ich mei­nem Va­ter sa­gen, wenn er mich fragt, wel­chen Pos­ten ich in die­ser Nacht ge­hal­ten habe?«

      »Sie wer­den nie­mand er­mor­den, lie­ber Hugo«, sag­te Ha­ge­bu­cher. »Sie wer­den sich zu be­ru­hi­gen su­chen und mit uns kom­men. Wir ha­ben Ihre Hil­fe in der Tat sehr nö­tig, und Sie sol­len we­nig Zeit zum un­nö­ti­gen Grü­beln üb­rig­be­hal­ten.«

      »Da­für wer­de ich Ih­nen auf den Kni­en dan­ken«, rief der Leut­nant, und alle drei be­tra­ten das Haus.

      Der Ma­jor führ­te die Beglei­ter lei­se die Trep­pe hin­auf, schob sie zu­erst in sein ei­ge­nes Zim­mer und ging, sei­ne Emma von ih­rer An­kunft zu be­nach­rich­ti­gen. Wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit mach­te Leon­hard den Leut­nant in flüch­ti­gen Wor­ten mit der Per­son, der Ge­schich­te und dem jet­zi­gen Auf­ent­halts­ort des Herrn van der Mook be­kannt und er­höh­te auch die Ver­wir­rung des jun­gen Krie­gers sehr da­durch. Nun kehr­te Wild­berg wie­der­um auf den Fuß­spit­zen zu­rück und sag­te:

      »Ge­hen Sie jetzt, Ha­ge­bu­cher, Sie fin­den sie in dem Zim­mer mei­ner Frau. Hugo und ich er­war­ten hier Ihre Rück­kehr und das, was Sie uns dann zu sa­gen ha­ben wer­den.«

      Der Afri­ka­ner poch­te an die Tür der wackers­ten Frau Ma­jo­rin, wel­che je­mals ei­nem bie­dern und fried­fer­ti­gen Ma­jor Lo­sung und Feld­ge­schrei er­teilt hat­te.

      Man konn­te nicht sa­gen, dass der Mann vom Mond­ge­bir­ge, der Sie­ben­schlä­fer aus dem Tu­mur­kie­lan­de sich als Herr der Si­tua­ti­on fühl­te, als er, mit dem Be­dürf­nis, das Ohr an das Schlüs­sel­loch zu le­gen, vor der Tür der Ma­jo­rin stand, und doch muss­te er sich ge­ste­hen, dass er und die Frau Klau­di­ne die ein­zi­gen Leu­te sei­en, de­ren Um­gang und Zu­spra­che nun­mehr der un­glück­li­chen Gat­tin des Barons Glim­mern al­lein ge­mäß wa­ren. Hier gab es zwei Men­schen, um wel­che das Schick­sal, gleich­sam in der Ab­sicht, ein Pro­blem da­durch zu lö­sen, einen Kreis ge­zo­gen hat­te; und aus Mil­lio­nen war Ni­ko­la Glim­mern jetzt al­lein be­rech­tigt, die­se düs­te­re Grenz­schei­de, wel­che das drän­gen­de Ge­wühl des Le­bens von der tie­fin­nern Ein­sam­keit die­ser bei­den Ver­schol­le­nen trenn­te, zu über­schrei­ten.

      Die Tür öff­ne­te sich ein we­nig. »Gott sei Dank!« rief die Frau Emma, zog den Afri­ka­ner in das Ge­mach und flüs­ter­te, in­dem sie mit zit­tern­der Hand auf die Freun­din wies:

      »Se­hen Sie! Hel­fen Sie!«

      Im glän­zen­den Hof- und Ball­ko­stüm, mit nack­ten Schul­tern und Ar­men, schritt Ni­ko­la von Glim­mern auf und ab, die wei­te Schlep­pe rau­schend hin­ter sich her­zie­hend, wun­der­bar schön in ih­rer ver­wil­der­ten Pracht und doch un­end­lich be­trüb­lich an­zu­se­hen.

      Sie wein­te nicht. Ihr zar­tes, wei­ßes Spit­zen­tuch hat­te sie längst in Fet­zen ge­ris­sen, sie lach­te durch die wei­ßen, fest auf­ein­an­der­ge­setz­ten Zäh­ne, und so kam sie auf den Afri­ka­ner zu, fass­te sei­nen Arm und keuch­te:

      »Was flüs­ter­te sie? Was sag­te sie zu Ih­nen? Wes­halb spricht sie nicht laut und deut­lich wie sonst?«

      »Ni­ko­la?!« rief die Frau Emma.

      »Sie wer­den jetzt alle in mei­ner Ge­gen­wart nur lei­se, ganz lei­se spre­chen, und ich wer­de mich dar­an ge­wöh­nen müs­sen. Ver­zeih mir, Gute, es wird ge­wiss eine Zeit kom­men, wo ich nicht mehr so dumm nach dem fra­ge, was sich von selbst ver­steht. Gu­ten Abend, lie­ber Freund; man wird Sie hof­fent­lich nicht mei­net­we­gen aus dem Bett ge­holt ha­ben; es ist recht kalt hier­zu­lan­de, und die Son­ne un­ter den Pal­men muss Sie je­den­falls ein biss­chen ver­wöhnt ha­ben. Es ist wohl auch ein we­nig spät, und wer es ver­mag, der soll schla­fen, und kund und zu wis­sen sei, dass wir bei To­dess­tra­fe hier­mit ver­bo­ten ha­ben wol­len, Feu­er vor der Tür der Schnar­chen­den zu ru­fen, ehe das ei­ge­ne Dach der­sel­ben brennt.«

      »Ich war sehr wach und mun­ter, als ich von dem Feu­er in des Nach­bars Hau­se ver­nahm«, sag­te Ha­ge­bu­cher, wie ein Arzt, wel­cher an ei­nem Kran­ken­bet­te Stadt­neu­ig­kei­ten er­zählt und wohl weiß, was er tut. »Ich war recht mun­ter und le­ben­dig und hat­te nicht nö­tig, mir die Au­gen zu rei­ben. Ich sah in einen Korb, wie der Mann auf dem Brett der Guil­lo­ti­ne, in einen lee­ren Korb, und eine sehr lie­bens­wür­di­ge jun­ge Dame, von der sich nichts Bö­ses sa­gen lässt, hat­te mir den­sel­ben vor­ge­scho­ben, nach­dem ich mei­ne Ab­sicht aus­ge­spro­chen hat­te, sie zu mei­ner Frau zu ma­chen und glück­lich mit ihr zu sein, so­lan­ge der Tag oder viel­mehr das Le­ben dau­ern moch­te. Aber, wie ge­sagt, sie dank­te höf­lichst und gab mir zu ver­ste­hen, sie sei schon längst und recht gut ver­sorgt; – da war es kei­ne Kunst, die­se böse Sturm­glo­cke nicht zu über­hö­ren.«

      In be­schau­li­che­ren Zei­ten wür­de die Frau Emma bei sol­cher Mit­tei­lung die Hän­de hoch über den Kopf ge­ho­ben ha­ben; in dem jet­zi­gen Au­gen­bli­cke be­gnüg­te sie sich da­mit, den Na­men je­ner jun­gen Dame zu nen­nen und die Frau Ni­ko­la an­zu­se­hen. Die Frau Ni­ko­la aber stieß die Hand Leon­hards von sich und sag­te:

      »Ich höre al­ler­lei Wor­te, aber es wird mir so schwer, ir­gend­ei­nen Sinn da­mit zu ver­knüp­fen. Da sprach je­mand von hei­ra­ten und glück­lich sein, von Feu­er­lärm und je­nem Kor­be vor dem Fall­beil. War­tet nur, ich be­sin­ne mich schon auf die Phra­se! Cra­cher au pa­nier nann­ten das die Da­men, wel­che mit dem Strick­strumpf in der Hand der lus­ti­gen Ko­mö­die auf dem Re­vo­lu­ti­ons­plat­ze


Скачать книгу