Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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wie­der aus ihm em­por­zu­schnel­len und der alte zu sein. Es kos­te­te frei­lich den Afri­ka­ner ei­ni­ge Mühe, ihn jetzt zu der nö­ti­gen, be­wuss­ten Tä­tig­keit zu we­cken; al­lein als es ge­lun­gen war, wur­de er in sei­ner ner­vö­sen Zer­schla­gen­heit sehr le­ben­dig, gab sei­ne Ratschlä­ge klar und deut­lich und nahm sei­ne Ver­hal­tungs­maß­re­geln für die nächs­te Zeit mit ganz of­fe­nen Au­gen und Ohren ent­ge­gen. Um sechs Uhr hielt durch sei­ne Ver­mit­te­lung Leon­hard Ha­ge­bu­cher mit ei­nem Wa­gen vor der Tür des Ma­jors Wild­berg. Ein neu­er Tag däm­mer­te über der Welt, über dem Wege des Herrn von Glim­mern, über dem Wege des Leut­nants Kind und selbst­ver­ständ­lich auch über dem Wege des Leut­nants Hugo von Bums­dorf.

      Ein dich­ter Ne­bel lag um die­se Zeit über und zwi­schen den Ber­gen von Flie­gen­hau­sen, und der Pfad war jetzt fast schwie­ri­ger zu fin­den und ge­fähr­li­cher zu be­schrei­ten als in den ers­ten Stun­den nach Mit­ter­nacht, wo die Luft klar war und der Schnee die Nacht doch ein we­nig hel­ler mach­te. Aber der Leut­nant Hugo von Bums­dorf war ein treff­li­cher Rei­ter, und, was un­ter den au­gen­blick­li­chen Um­stän­den fast noch nütz­li­cher war, er kann­te sei­ne Hei­mat­ge­gend in al­len Win­keln und Ecken aus­wen­dig; denn er hat­te sie so­wohl in sei­ner un­schul­di­gen Ju­gend als auch in sei­nen we­ni­ger un­schul­di­gen Jüng­lings­jah­ren un­si­cher ge­nug ge­macht. Er er­reich­te Nip­pen­burg eine hal­be Stun­de eher, als er für mög­lich ge­hal­ten hat­te, und durch­trab­te den Ort, lei­der ohne sich mit volls­tem Ge­nuss den tau­send hei­tern Erin­ne­run­gen, die sich für ihn mit dem Nest und sei­nen schlaf­trun­ke­nen Phi­lis­tern ver­knüpf­ten, hin­ge­ben zu kön­nen. Er blick­te kaum hin­auf nach den Fens­tern der hol­den Jung­frau­en der Stadt, er fühl­te dies­mal nicht das Be­dürf­nis, dem On­kel und der Tan­te Schnöd­ler einen Pos­sen zu spie­len, er fror sehr, und sei­ne Pf­licht er­laub­te ihm nicht ein­mal, einen Au­gen­blick vor dem Gol­de­nen Pfau zu hal­ten und um ein Glas Ma­de­ra das gan­ze, noch im tie­fen Schlum­mer lie­gen­de Haus vom Kel­ler bis zum Gie­bel zu er­schüt­tern. Er ritt auch durch Bums­dorf, ohne an­zu­hal­ten, und warf nur einen ver­lan­gen­den Blick rechts auf das Haus des wei­land Steue­rin­spek­tors Ha­ge­bu­cher und links über die Gar­ten­mau­er auf die ge­hei­lig­ten Dä­cher des vä­ter­li­chen Gu­tes.

      »Ich möch­te wohl wis­sen, wer die Freund­lich­keit hat, in die­sem Au­gen­blick von mir zu träu­men!« brumm­te er. »O Ro­land, mein ar­mer Ge­sell, da lie­gen sie, warm ein­ge­wi­ckelt – bah, was der Alte dort links zu­sam­men­schnarcht, ist mir un­er­mess­lich gleich­gül­tig, al­lein die klei­ne Lina – wei­ter, wei­ter, Ro­land! Sie wer­den je­den­falls ku­rio­se Au­gen ma­chen, wenn wir un­sern Auf­trag aus­ge­rich­tet ha­ben und uns ih­nen prä­sen­tie­ren wer­den.«

      Er stieß von neu­em dem arg ab­ge­hetz­ten Gaul die Spo­ren in die Sei­ten und jag­te wei­ter, in­dem er fort­wäh­rend zwi­schen al­ler­lei Ver­wün­schun­gen des Herrn von Glim­mern die Na­men Vik­tor Feh­ley­sens und der Frau Ni­ko­la brumm­te. Er ver­wünsch­te, da er ein­mal im Zuge sich be­fand, noch man­ches an­de­re, und so lang­te er bald nach sie­ben Uhr wohl­be­hal­ten, je­doch von Zorn, Weh­mut und ei­ner ge­wis­sen Angst selt­sam be­wegt, vor der Kat­zen­müh­le an und er­blick­te zu sei­nem Trost durch den dich­ten Ne­bel den Schein ei­nes Lich­tes. Es wach­te also be­reits je­mand im Hau­se, der Bote konn­te mit Be­quem­lich­keit mel­den, was er zu sa­gen hat­te, und, wenn es ihm so be­lieb­te, auf der Stel­le das Haupt sei­nes Ros­ses um­wen­den und nach der Haupt­stadt zu­rück­rei­ten. Es be­lieb­te ihm nicht so. Er­starrt und schau­dernd ließ er sich müh­sam von dem schau­dern­den, damp­fen­den Pfer­de zur Erde her­ab, schleu­der­te den Zi­gar­ren­stumpf in den Wald hin­ter sich und tau­mel­te durch das Gärt­chen auf das Fens­ter, aus wel­chem der Licht­schim­mer her­vor­drang, zu. Gern wür­de er erst einen for­schen­den Blick in das Zim­mer ge­wor­fen ha­ben, al­lein die Eis­blu­men an den Schei­ben ver­hin­der­ten es, und so muss­te er doch po­chen, um Ein­lass zu er­hal­ten. So­gleich fuhr im Ge­mach je­mand, den Stuhl um­wer­fend, em­por, eine dunkle Ge­stalt trat zwi­schen das Fens­ter und das Licht.

      »Gut Freund!« rief der frie­ren­de Bote und füg­te, sich schüt­telnd, hin­zu: »Alle Wet­ter, ich mer­ke, dass man uns nicht er­war­te­te.«

      In dem­sel­ben Au­gen­blick schon öff­ne­te sich die Tür der Kat­zen­müh­le, der Herr van der Mook er­schi­en auf der Schwel­le, und zwar mit ei­nem Re­vol­ver in der Hand, für wel­che Vor­sichts­maß­re­gel sich leicht eine Ent­schul­di­gung in sei­nem frü­he­ren Le­ben fin­den ließ.

      »Bit­te, kei­ne Um­stän­de zu ma­chen«, sag­te der Leut­nant her­an­tre­tend. »Mein Name ist Bums­dorf, ich kom­me im Auf­tra­ge des Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher, mei­nes sehr gu­ten Freun­des, aus der Re­si­denz, und wenn ich die Ehre habe, mit dem – Herrn – Herrn van der Mook, das heißt dem Herrn – Herrn Vik­tor –«

      »Ich bin Vik­tor Feh­ley­sen oder auch, wenn Sie wol­len, der Tier­händ­ler Kor­ne­li­us van der Mook«, sprach der an­de­re, er­staunt und miss­trau­isch den er­fro­re­nen jun­gen Krie­ger an­star­rend. »Was ist ge­sche­hen? Da Ha­ge­bu­cher Sie schickt, so – da Sie mei­ne Exis­tenz, mei­nen Na­men ken­nen, so – bit­te, tre­ten Sie ein – ein we­nig lei­se, wenn ich bit­ten darf; mei­ne Mut­ter schläft noch; und was Sie auch brin­gen mö­gen, mein Herr, Sie müs­sen lei­se auf­tre­ten.«

      In dem sehr hei­ßen Zim­mer wäre der Leut­nant fast zu Bo­den ge­sun­ken. Vik­tor Feh­ley­sen griff ihm un­ter die Arme und setz­te ihn in den Lehn­stuhl sei­ner Mut­ter. Der Ofen glüh­te, der Dampf tür­ki­schen Ta­baks er­füll­te in di­cken Wol­ken den Raum; eine Kaf­fee­ma­schi­ne stand auf dem Ti­sche ne­ben der Lam­pe und zwi­schen ei­nem bun­ten Durchein­an­der von Land­kar­ten, Bü­chern und Rech­nun­gen. Der Leut­nant Hugo von Bums­dorf hat­te nie in sei­nem Le­ben eine so aus­ge­zeich­ne­te Tas­se Kaf­fee ge­trun­ken wie die, wel­che der Herr van der Mook ihm jetzt reich­te.

      Es währ­te eine ge­rau­me Zeit, ehe der Bote fä­hig war, sich sei­ner Bot­schaft zu ent­le­di­gen; aber schon bei den ers­ten Wor­ten sei­nes Be­rich­tes kam eine Ver­än­de­rung über den Herrn van der Mook, die dem Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de si­cher nicht miss­fal­len hät­te. Vik­tor von Feh­ley­sen war dem Leut­nant mit der­sel­ben stumpf­sin­ni­gen Ver­bis­sen­heit ent­ge­gen­ge­tre­ten wie al­len an­de­ren, de­ren Hän­de er wi­der sich glaub­te, und der Leut­nant Hugo hat­te sich in der Tie­fe sei­ner Brust die Be­mer­kung ge­stat­tet: »Das scheint mir ein wi­der­li­cher, ein recht un­an­ge­neh­mer Pa­tron zu sein! Teu­fel, ein hei­te­rer Kum­pan, um einen Win­ter lang sich mit ihm in ei­ner Höh­le wie die­se zu ver­schlie­ßen. Gott trös­te die arme Ni­ko­la und die Frau Klau­di­ne!«

      Er hat­te dann auch, so­bald er dazu fä­hig war, mit vol­lem Be­wusst­sein das Wich­tigs­te, näm­lich dass die Frau Ni­ko­la von Glim­mern ihm auf dem Fuße fol­ge, an die Spit­ze sei­nes Be­rich­tes ge­setzt und fuhr fort, im schnel­len Flu­ge zu er­zäh­len, wie ge­trie­ben von dem Be­dürf­nis, sei­nem Zu­hö­rer wie­der aus den Au­gen zu kom­men.

      Aber die Au­gen die­ses Zu­hö­rers leuch­te­ten, wie ge­sagt, merk­wür­dig; er fing an, schnell und im­mer schnel­ler zu at­men, er knöpf­te die Wes­te auf und nicht nur die Wes­te, son­dern viel mehr als die. Ohne den Er­zäh­ler zu un­ter­bre­chen, hör­te er zu, und nur ein­mal mur­mel­te er da­zwi­schen: »O Mut­ter! Mut­ter!«

      Und Herr Hugo von Bums­dorf be­rich­te­te


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