Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Haa­ren und star­ren­den Au­gen das er­schreck­li­che Er­eig­nis wahr­zu­neh­men, kam jetzt eilends, dem Pa­ti­en­ten die nö­ti­gen Mit­tei­lun­gen zu ma­chen.

      Der Ma­jor Wild­berg er­schi­en in dem Zim­mer des Afri­ka­ners zwar in Pa­ra­de­uni­form, aber ge­wiss nicht mit der zu jeg­li­cher Schau­stel­lung un­be­dingt not­wen­di­gen Ruhe und Selbst­be­herr­schung. Er trug un­ge­ach­tet der stren­gen Käl­te den Man­tel über dem Arme und schi­en sich nicht die Zeit ge­nom­men zu ha­ben, ihn an­zu­zie­hen oder um­zu­hän­gen. Die Uni­form war schief über der wei­ßen Wes­te zu­ge­knöpft, und wenn der Leut­nant Herr Hugo von Bums­dorf je im öf­fent­li­chen Le­ben die Schär­pe so ge­tra­gen hät­te, wie sie jetzt sein Ma­jor trug, so wür­de er si­cher­lich Ge­le­gen­heit ge­fun­den ha­ben, acht Tage lang in der Ein­sam­keit des Stu­ben­ar­res­tes über den tief be­deu­tungs­vol­len Un­ter­schied zwi­schen hin­ten und vorn, zwi­schen rechts und links nach­zu­den­ken.

      Ha­ge­bu­cher ließ den Strauß des träu­men­den Schnei­ders auf den Tisch fal­len und stieß einen Laut her­vor, der, gra­de weil er nichts be­deu­te­te, al­les aus­drück­te: vol­les Wis­sen, höchs­tes Er­schre­cken und zu­gleich schon den ers­ten, rat­lo­sen Griff ins Blaue.

      »Jetzt? Jetzt?! Ist es ge­sche­hen?!«

      »Las­sen Sie mich zu Atem kom­men, Freund. Die­ses ist fürch­ter­lich! Welch eine Nacht! Wis­sen Sie, was mich her­führt, was ich brin­ge?«

      Der Afri­ka­ner nick­te und griff be­reits nach dem Hute. Der Ma­jor fiel auf den nächs­ten Stuhl, such­te keu­chend nach dem Ta­schen­tuch und trock­ne­te sich die Stirn.

      »Ich kom­me von dem Ball des Po­li­zei­di­rek­tors; der Bo­den ist den Tan­zen­den un­ter den Fü­ßen ge­wi­chen – ha­ben Sie das Kra­chen und den Schrei nicht ge­hört? Ni­ko­la sitzt bei mei­ner Frau, und hier bin ich. Welch eine Nacht! Gil­mo­re be­schießt jetzt Fort Moul­trie bei Charle­ston aus glat­ten Fünf­hun­dert­pfün­dern – eine sol­che Bom­be, fünf­und­zwan­zig Zoll im Durch­mes­ser, ist un­ter uns ge­fal­len. Wenn der Him­mel ein­ge­fal­len wäre, die Wir­kung könn­te nicht är­ger sein. Von uns, wel­che wir dort an­we­send wa­ren, hat nie­mand mehr sei­ne fünf Sin­ne bei­ein­an­der, und der Herr von Bet­zen­dorff viel­leicht am we­nigs­ten. Nun kom­men Sie, Ha­ge­bu­cher, ra­ten Sie, hel­fen Sie. Las­sen Sie al­les hin­ter sich, Hass und Zorn, Freund­schaft, Mit­leid; wir brau­chen einen kla­ren Kopf, eine star­ke Hand und wei­ter nichts! Kom­men Sie, kom­men Sie, un­se­re ein­zi­ge Hoff­nung liegt dar­in, dass Sie sich durch nichts ver­wir­ren las­sen, dass Sie auf­recht und un­be­wegt in all die­sem nichts­wür­di­gen Jam­mer ste­hen­blei­ben wer­den.«

      Das war recht wohl­mei­nend und schmei­chel­haft und gab je­ner Rede, wel­che der Afri­ka­ner, der Mann vom Mond­ge­bir­ge, vor ei­ni­gen Au­gen­bli­cken an den ima­gi­nären Täu­brich hielt, einen vor­treff­li­chen Ab­schluss: aber so ganz war die ru­hi­ge Ob­jek­ti­vi­tät des Stand­punk­tes un­se­res Freun­des doch nicht si­cher­ge­stellt. Nun war die Stun­de, de­ren Her­an­na­hen er so sehr ge­fürch­tet und in den letz­ten Ta­gen im hal­b­en Fie­ber doch wie­der so sehr her­bei­ge­sehnt hat­te, da. Der Leut­nant Kind tat sein Schlimms­tes; das Wie war im Grun­de gleich­gül­tig; aber wer, der die Ret­tung nicht in sich sel­ber trug, konn­te aus ei­nem sol­chen Ver­häng­nis von ei­ner frem­den Hand in die Höhe ge­zo­gen wer­den?

      »Wo ist Ni­ko­la?« frag­te Leon­hard.

      »Ich sag­te es be­reits. Sie ist in der Beglei­tung, un­ter dem Schut­ze Ihres Die­ners, Ihres Haus­ge­nos­sen, je­nes selt­sa­men Schnei­ders und Auf­wär­ters Täu­brich in un­ser Haus – zu mei­ner Emma ge­flo­hen, und ich bin hier­her­ge­lau­fen, denn sie ver­langt nach Ih­nen. Das ist solch eine Mi­nu­te, in wel­cher man je­den glück­lich prei­sen möch­te, wel­chem nur ein Fels­block auf den Kopf fiel.«

      »Es ist nur ein Weg für sie, sie kennt ihn und will ihn ge­hen!« mur­mel­te Ha­ge­bu­cher, und dann drück­te er den Hut fest auf den Kopf, gleich ei­nem Mann, der weiß, dass ein ar­ger Sturm­wind ihn vor der Tür er­war­tet, nahm den Arm des Ma­jors und sag­te:

      »Jetzt wol­len wir zu ihr ge­hen. Nicht ich, sie – sie steht auf­recht – sor­gen Sie nicht um die­se Frau. Neh­men Sie mei­nen Arm, mein Freund; in der Gas­se sol­len Sie mir er­zäh­len, was in dem Hau­se des Herrn von Bet­zen­dorff vor­ging.«

      Sie stie­gen die ge­brech­li­che Trep­pe wie­der hin­ab und tra­ten hin­aus in die Kes­sel­stra­ße. Letz­te­re schlief ru­hig und küm­mer­te sich um nichts. Sie hat­te nicht die Ehre, den Herrn von Glim­mern zu ken­nen, und was den Herrn Po­li­zei­di­rek­tor von Bet­zen­dorff an­be­traf, so trat die­ser aus­ge­zeich­ne­te Mann nur durch sei­ne un­tern Be­am­ten mit ihr in Ver­bin­dung, und es war ihr des­halb un­end­lich gleich­gül­tig, in wel­che pein­li­che Si­tua­ti­on der Edle durch die­sen Eklat in sei­nem Hau­se ge­ra­ten war. Die Kes­sel­stra­ße hat­te ihre ei­ge­nen Sor­gen, Ängs­te und Auf­re­gun­gen, und es war nicht von ihr zu ver­lan­gen, dass sie sich um jene Leu­te dort, in je­ner an­de­ren Welt, in so spä­ter Stun­de von ih­rem Strohsa­cke auf­rich­te.

      Die Kes­sel­stra­ße schlief sanft, aber es gab vie­le Stra­ßen, wel­che nicht schlie­fen. Es roll­ten Wa­gen an dem Ma­jor und sei­nem Beglei­ter vor­über, und das Licht der La­ter­ne be­leuch­te­te dar­in blei­che, er­schreck­te Ge­sich­ter.

      »Das war der Tri­bu­nal­rat Ige­ler mit sei­nen Töch­tern«, sag­te der Ma­jor. »Er saß ne­ben mir am Spiel­tisch, als die Lich­ter er­lo­schen und die Tü­ren vor dem Ge­s­penst auf­spran­gen. Um Got­tes wil­len, Ha­ge­bu­cher, wie kön­nen Sie mit solch ei­nem geis­ter­haf­ten Men­schen, wie die­ser Täu­brich-Pa­scha ist, Ver­kehr hal­ten?«

      »Der Arme! Was, hat er denn auch mit die­ser fins­tern His­to­rie zu schaf­fen?« rief Leon­hard.

      »Er?! Bei Gott, wie wäre das Ge­s­penst denn ohne ihn her­ein­ge­kom­men? Er führ­te es ja so­zu­sa­gen an der Hand und stell­te es in un­se­re Mit­te und stell­te es uns vor!«

      »Er führ­te den Leut­nant Kind her­ein?«

      »Den Leut­nant Kind? Frei­lich, den pen­sio­nier­ten Leut­nant der Straf­kom­pa­gnie, Kind! Ge­dul­den Sie sich nur, die Be­sin­nung, die Erin­ne­rung kommt mir nur all­mäh­lich zu­rück. Das ist wie ein Auftau­chen der Din­ge aus dem Ne­bel; – war­ten Sie nur – jaja, so war’s, wir mach­ten eine Par­tie: der Herr des Hau­ses, der Herr von Glim­mern, der Tri­bu­nal­rat und ich. Bet­zen­dorff saß zu mei­ner Rech­ten, der Tri­bu­nal­rat zur Lin­ken, und der Herr von Glim­mern saß mir ge­gen­über. Wir sa­ßen in ei­nem Ne­ben­zim­mer, und Glim­mern hat­te den Rücken ge­gen die of­fe­ne Tür des Saa­l­es, in wel­chem man tanz­te, ge­wen­det. Ich bin kein großer und fei­ner Spie­ler, aber mir war recht be­hag­lich zu­mu­te, ich lie­be solch eine lus­ti­ge Ball­mu­sik wie einen fröh­li­chen Marsch und kann im­mer noch mei­ne Freu­de an den hel­len Lich­tern und dem jun­gen Volk ha­ben. So ach­te ich denn ei­gent­lich mehr auf das Vor­über­schwei­fen die­ser mun­tern Paa­re in dem hel­len Rau­me zwi­schen den Tür­vor­hän­gen als auf mei­ne Kar­ten, und nicht ganz zu mei­nem Vor­teil. Der Herr von Glim­mern hat mir auch schon man­chen er­in­nern­den Blick und mehr als eine zier­li­che Be­mer­kung hin­ge­wor­fen; aber was kann der Mensch ge­gen sei­ne Na­tur? Ich den­ke eben an die Jah­re, die ge­we­sen sind, an mei­ne Emma, die da­mals doch ein viel hüb­sche­rer Part­ner war, als jetzt die­se spitz­fin­di­ge Ex­zel­lenz


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